Wenn nun unser Herr in den Tod ward verraten von Judas aus Habsucht, von den Juden aus Neid, von Pilatus aus Furcht, so sollen wir sagen, mit welcher Rache sie Gott dafür getroffen hat. Von Judas Lohn und wie er geboren ward findest du geschrieben in der Legende von Sanct Mathias; von den Juden Strafe und ihrem Untergang in der Legende Sanct Jacobi des Minderen; darum sollen wir hier alleine sagen von dem Leben und dem Lohne Pilati.
Man liest in einer apokryphien Geschichte, daß ein König war, Tyrus mit Namen, der beschlief eines Müllers Tochter die hieß Pyla und hieß ihr Vater Atus; und erzeugte mit ihr einen Sohn. Da das Kind geboren war, machte Pyla einen Namen aus ihrem und ihres Vaters Namen und nannte das Kind Pylatus. Da nun dies Kind drei jahre alt war, da sandte es Pyla dem Könige. Der aber hatte noch einen anderen Sohn mit der Königin, seinem ehelichen Weib, der war in dem Alter Pilati, und ward mit ihm zusammen aufgezogen. Da diese zwei Kinder zu ihren Jahren kamen, da spielten sie oft mit einander und übten sich im Ringen, Faustkampf und Schleuderwerfen. Da erzeigte des Königs rechter Sohn seinen Adel, daß er in allen Dingen Pilatum überkam und in aller Art des Kampfes besser erfunden ward. Davon gewann Pilatus also großen Neid und Haß, daß er seinen Bruder heimlich erschlug. Da dies der König ver nahm, ward er sehr betrübt und rief seine Räte zusammen, und fragte, was er mit diesem Bösewicht und Mörder sollte tun. Da antworteten sie alle mit gemeiner Stimme, er hätte den Tod verdient. Doch bedachte sich der König eines anderen und wollte den Frevel nicht durch Frevel größer machen; sondern sandte Pilatum gen Rom als Geisel an des Zinses Statt, den er den Römern jährlich mußte bringen; also wollte er unschuldig bleiben am Tode seines Sohnes, und wollte auch von dem Zins wider die Römer freikommen. Zu derselben Zeit war auch zu Rom des Königs Sohn von Frankreich, den sein Vater auch als Geisel an Zinses Statt dahin hatte gesandt. Er ward Pilato zum Gesellen gegeben; aber als dieser sah, daß er ihn mit Sitten und mit Fleiß übertraf, ward er von Neid ergriffen und tötete ihn. Nun betrachteten die Römer, was sie mit diesem Pilatus wollten tun und sprachen “Bleibt dieser Jüngling leben, der einen Bruder hat erschlagen und seinen Gesellen hat erwürgt, so wird er dem Staate gar nutze sein und mit Hartigkeit die härtesten Feinde zwingem. Und sprachen also >Er ist des Todes schuldig, darum sollen wir ihn in die Insel Pontus senden: da ist das Volk so wild, daß es keinen Richter über sich duldet; so mag er es zähmen, oder sie töten ihn, wie er es verdiente. Also ward Pilatus zu dem bösen Volk gesandt, das seine Richter tötete, und wußte wohl, zu wem er geschickt war, und daß des Todes Urteil über ihm schwebte. Er bedachte mit Schweigen, wie er sein Leben rette, und legte an mit Gaben und mit Drehen, mit Gewalt und mit List, daß er das böse Volk überbösete, bis er es gänzlich unter sich zwang. Davon, daß er das wilde Volk zähmte, ward Pilatus Pontius genannt von Pontus, dem Namen der Insel. Da Herodes vernahm die kündige Bosheit Pilati, freuete der Listige sich seiner Arglist und sandte ihm Boten und Geschenke, daß er zu ihm käme gen Jerusalem und über alles jüdische Land mit ihm herrsche. Also geschah, daß Pilatus so viel Gutes sammelte, daß er ohne Herodis Wissen gen Rom fuhr und mit dem unzähligen Gut den Kaiser Tiberius überkam, und von ihm erhielt, was ihm Herodes zu Lehen hatte gegeben. Davon wurden Herodes und Pilatus einander feind, bis zur Zeit des Leidens unsres Herrn, da versöhnte Pilatus den Herodes, als er ihm Christum übersandte. In der Historia Scholastica liest man eine andere Ursache dieser Feindschaft: denn es war ein Mann, der sprach: er ware Gottes Sohn, und betrog damit viel Leute von Galilaea; und führte sie zum Berge Garizim und sprach, er wolle dort gen Himmel fahren; da kam Pilatus dazwischen und er schlug ihn und alle die mit ihm waren; denn er fürchtete, daß er auch die Juden möchte verführen. Darob ward ihm Herodes Feind, weil er Herr von Galilae war. Es mögen aber beide Reden wahr sein.
Als Pilatus aber nun den Herrn den Juden überantwortet hatte, daß sie ihn kreuzigten, fürchtete er doch die Ungnade des Kaisers Tiberius, da er das unschuldige Blut in den Tod hatte gegeben. Darum sandte er seiner Vertrauten einen zu dem Kaiser, daß er ihn seiner Tat sollte entschuldigen. Unterdem lag der Kaiser Tiberius in einer schweren Krankheit; da ward ihm gesagt, daß zu Jerusalem ein Arzt sei, der vertriebe alles Siechtum durch sein bloßes Wort. Daß ihn aber Pilatus und die Juden getötet hatten, das war ihm nicht kund. Also sprach er zu Volusiano seinem heimlichen Diener “Mache dich schnell auf und fahre über Meer und entbiete dem Pilatus, daß er mir den Arzt sende, der soll mir meine Gesundheit wiedergebem. Volusianus kam zu Pilato und sagte ihm die Botschaft des Kaisers. Da erschrak Pilatus, und bat, daß er ihm vierzehn Tage Frist lasse. In der Zeit geschah es, daß Vulusianus eine Frau traf, die hieß Veronica und warjesu gefreunclet gewesen. Die fragte er Jesum Christum möge finden. Sie sprach “Ach, das war mein Herr und mein Gott, der ward von Haß in die Hände Pilati gegeben, der hat ihn verdammt an das Kreuz in den Tod”. Von dieser Rede erschrak Volusianus und sprach “Ach wie bin ich nun so gar betrübt, daß ich das Gebot meines Herrn nicht mag erfüllen”. Da sprach Veronica “Als mein Herr durch die Welt ging predigen und ich seiner Gegenwart nicht mochte genießen alle Zeit, da wollte ich mir sein Bild lassen malen, daß ich davon Trost empfinge, wann er selber nicht gegen wärtig wäre. Da ich nun das Tuch zu dem Maler trug, daß er mir darauf das Bild male, begegnete mir mein Herr auf der Straßen und fragte mich, wohin ich ginge. Und da ich ihm die Sache meines Weges sagte, so hiesch er von mir das Tuch; und da er es mir wiedergab, hielt das Tuch das Bild seines Antlitzes. Dies Bild ist so kräftig, sähe es dein Herr mit Andacht an, er würde ohne Zweifel gesund”. Da sprach Volusianus “Mag jemand dieses Bild mit Gold oder Silber aufwiegen?” Antwortete jene “Nein, das Bild erzeigt seine Kraft allein einem gläubigen und andächtigen Herzen. Darum so will ich mit dir fahren und das Bild dem Kaiser zeigen und darnach wieder heimkehren in mein Land”. Also kam Volusianus mit Veronica gen Rom zum Kaiser Tiberius und sprach zu ihm “Jesum, den du so lange begehrt hast, den hat Pilatus mit den Juden wider das Recht aus Haß in den Tod verdammt an das Kreuz. Doch ist mit mir gefahrten diese Frau und bringet sein Bild: willst du das mit Andacht anschauen, so giebt es dir Gesundheit deines Leibes”. Da hieß der Kaiser seidene Tucher ausbreiten und das Bild ihm entgegen tragen; und alsbald er es angeschaut hatte, ward er gesund.
Hienach ward Pontius Pilatus auf des Kaisers Gebot gelangen und gen Rom geführt. Als der Kaiser vernahm, daß Pilatus gekommen sei, hieß er ihn in großem Zorne vor sich führen; Pilatus aber hatte den ungenähten Roch Christi mit sich geführt trat darin gekleidet vor den Kaiser. Alsbald der Kaiser ihn in dem Rock sah, da vergaß er seines Zornes, und stund gegen ihn auf und mochte ihm nichts Hartes erzeigen; und so grimmig er in seiner Abwesenheit hatte getobt, so mild und gütig war er in seiner Gegenwart. Alsbald er ihm aber Urlaub hatte gegeben, entbrannte sein Zorn von neuem; und schalt sich einen Toren, daß er ihm seinen Zorn nicht hatte erzeiget. Er hieß ihn zustund wieder rufen und schwur; er sei ein Sohn des Todes und habe am längsten auf Erden gelebt. Als er ihn aber wieder sah, grüßte er ihn alsbald freundlich und war all sein Grimm verschwunden. Darob verwunderten sich alle, und er verwunderte sich selbst, daß er gegen Pilatum, so er nicht da wäre, voll Zorns sei, und so er vor ihm stünde, nichts Hartes wider ihn möchte sagen. Da geschah es von Gottes Verhängnis, oder weil etwan ein Christ es dem Kaiser hatte geraten, daß Tiberius dem Pilatus den Rock ließ ausziehen; alsbald war er wieder in seinem vorigen Zorn. Da er sich darob verwunderte, ward ihm gesagt, daß dies der Rock Christi sei. Er gebot, daß man Pilatum wieder ins Gefängnis lege, bis der Rat der Weisen beschlossen hätte, was mit ihm sollte geschehen. Also ward ein Urteil gegeben, daß er des schimpflichsten Todes sollte sterben. Da dies Pilatus vernahm, da tötete er sich mit seinem eigenen Messer und endete also sein Leben. Als das der Kaiser hörte, sprach er “Wahrlich, er hat den schimpflichsten Tod erlitten, den die eigene Hand umgebracht hat”. Darnach ward sein Leichnam an einen großen Mühlstein gebunden, und ward also in den Tiher geworfen. Da freueten die bösen und unreinen Geister sich an dem stinkenden Leichnam dieses Bösen und Unreinen, und warfen ihn auf in die Luft, und wieder ins Wasser, und erregten große Überschwemmung des Wassers, und Blitz und Donner; und fuhren in Sturm und Hagel auf und nieder, daß alles in Angst und Schrecken war. Damm zogen ihn die Römer wieder aus dem Tiber und führten ihn zum Spott gen Vienna, und warfen ihn in den Rhonefluß. Denn Vienna ist gesprochen via Gehennae Weg der Hölle, weil er vor Zeiten ein Ort des Fluches war; man nennt es wol auch Bienna, weil es in zwei Jahren ward erbaut, Aber auch dort waren die Teufel da, und trieben dasselbe Spiel, also daß die von Vienna es nicht ertragen mochten, und dieses Gefäß der Bosheit von sich taten, und gaben es an die Leute von Losanna, daß sie ihn in ihrem Lande begruben. Die mochten das Treiben der bösen Geister auch nicht ertragen und führten ihn von sich und warfen ihn da in einen Abgrund, um den große Berge liegen. Du soll man noch jetzt das Treiben der Hölle spüren wie etliche erzählen, Also sucht: es in jener apokryphen Geschichte zu lesen, Ob das aber zu halten sei, steht bei des Lesers Urteil. Doch sollen wir merken, was man in der Historia Scholastica findet. Da lesen wir, daß Pilatus von den Juden bei Tiberius angeklagt ward, weil er mit Unrecht und Gewalt etliche Unschuldige hatte getötet, und weil er wider der Juden Willen die Bilder heidniseher Abgötter in ihren Tempel hatten gesetzt; auch hatte er Geld aus dem Gotteskasten genommmen und es für sich genützt, und hatte davon einen Wassergang in sein Haus gebaut. Für dieses alles ward er nach Lugdunum in die Verbannung gesandt, daher er gebürtig war, daß er daselbst zur Schmach seines Volkes sein Leben beschließe. Ist nun jene andere Geschichte wahr, so mag es wol sein, daß Pilatus bereits zur Verbannung nach Lugdunum verurteilt und dahin gesandt war, ehe Volusianus zum Kaiser wiederkehrte; darnach aber, als Tiberius vernahm, wie er Christum hatte getötet, ließ er ihn aus der Verbannung nach Rom führen. Eusebius und Beda aber sagen in ihren Chroniken nichts davon, daß er in die Verbannung geschickt ward, sondern nur, daß er in mancherlei Unglück fiel, und sich mit eigener Hand das Leben nahm.