Pelikan hat geschrieben:John Grantham hat geschrieben:Es ging nicht darum, daß solche "Gutmenschen" der Macht des Rings im Allgemeinen verfallen. Jeder Mensch spürt die Versuchung des Rings, sogar Gandalf und Galadriel, aber nur die beiden Gutmenschen schlechthin, Frodo und vor allem Sam, widerstehen diese Versuchung und retten die Welt dabei.
Auch Frodo widersteht letzendlich nicht. Aber er widersteht länger, als Gandalf es könnte, weil der Ring in seiner Hand viel machtloser ist als in der Hand eines Weisen. Darum ist auch die Versuchung eine andere. "The way of the Ring to my heart is by pity, pity for weakness and the desire of strength to do good", sagt Gandalf. Dieses Begehren, auf das Geschick der Welt, auf die "großen Dinge", überhaupt Einfluß zu nehmen, ist bei den Hobbits naturgemäß sehr schwach ausgeprägt, bei Sam am schwächsten. Deshalb widersteht er am längsten.
Letztendlich übernahmen sie die Aufgabe, weil sie pflichtbewußt waren. Sie hätten reagiert auch wie die weltfremden und -müden Elven anfänglich reagiert haben -- "uns geht das nichts an".
Es sind gerade die "kleinen Leute", die viel bewirken können. In diesem Fall wortwörtlich.
Pelikan hat geschrieben:Was das mit Gutmenschen zu tun hat, die du ansprichst, weiß ich nicht genau, weil dieser Ausdruck immer ironischer wird. Was genau bedeutet er eigentlich?
Ich sage das, weil die Geschichte von "Lord of the Rings" als Anlaß genommen wird, Pit ziemich unfair zu kritisieren, warum auch immer. Ihn mit Sauron zu vergleichen ist schon...skurril.
Pelikan hat geschrieben:John Grantham hat geschrieben:Wenn das so wäre, wie in Deiner Darstellung, hätte Frodo oder Gandalf den Ring sofort in die Hand genommen und ihn eingesetzt. Es war aber ihre Erkenntnis, daß der kurze, einfache Weg meist nicht der richtige ist, und darum haben sie den Ring zerstören wollen. Letztendlich ist die Geschichte in "Lord of the Rings" nur die Umsetzung des englischen Sprichtworts von Lord Acton: Power corrupts; absolute power corrupts absolutely.
Den Ausspruch hat Lord Acton in Bezug auf den Papst getan.[...]
Der Ausspruch ist aber "very British", und das ist das, worauf ich hinaus wollte. Man hat in der englischen Menschenrechtstradition sehr wohl gegen Machtkonzentrationen kämpfen wollen, damit solche Machtergreifungen und -mißbräuche erst nicht möglich sind -- daher die liberalen Ansätze der englischen Philosophen wie Locke. (Unabhängig davon, was man von den Ergebnissen hält.)
Pelikan hat geschrieben:John Grantham hat geschrieben:Auf Dauer ist der Besitz der Macht -- wie der Besitz des Einen Rings -- tödlich für jeden und allen. Das war das, worauf Tolkien hinaus wollte, nicht Attacken gegen Menschen, die unsere Gesellschaft verbessern wollen.
Ich würde dieser Aussage zustimmen, wenn ich nicht durch das Vorhergehende den Verdacht hegte, daß du sie so ganz anders meinst, wenn ich nicht fürchtete, daß du wiederum nur über die
Aufteilung der Macht sprichst und glaubst, wenn man sie nur auf genug Leute verteilt und diese Leute regelmäßig austauscht, sei das Unheil geringer geworden, das von ihr ausgeht. Das Gegenteil ist richtig: Die Macht wird durch solche Maßnahmen noch unberechenbarer, willkürlicher und drohender.
Au contraire. Die politische Macht mag "unberechenbarer" vorkommen, aber sie wird umso reduzierter, je mehr sie zerstreut wird. Die politische Hoheit des Individuums und der persönlichen Freiheit ist die einzige halbwegs glaubwürdige Garantie -- so Locke und Hobbes --, daß die Macht nicht so sehr in die Hände eines einzigen gefährlichen Menschen oder einer kleinen Gruppe fallen kann. Das bevollmächtigte Individuum sichert die eigenen Freiheit, in dem er mit anderen Individuen kooperiert und für seine eingeborenen Rechte kämpft.
Der Glaube an den "starken Mann", der unsere Rechte und Freiheit schützt, ist genau die Falle, vor der die Geschichte des Ring warnen will. Auch die kleinen Leute sind notwendig, um uns vor den Machenschaften des Bösen zu befreien. Auch ein Individuum kann uns alle retten, wenn er zum richtigen Moment handelt -- wie Sam.
Was Tolkien wußte: Es gibt sehr viele Hitlers und Stalins und Maos und Pol Pots und so weiter in der Geschichte. Es gab aber herzlich wenige Menschen wie
Cincinnatus. Daher kann man nicht auf den nächsten guten König warten und hoffen, daß es gut geht (wie die Menschen in "Lord of the Rings") oder sich von der Welt zurückziehen (wie die Elven), sondern das tun, was von jedem einzelnen gefordert wird -- Courage, Kühnheit, Entschloßenheit, Durchhaltevermögen, aber auch Geduld, Demut und Gelassenheit, das sind die Qualitäten des Individuums, die Tolkien immer wieder hochhält -- auch in seinen anderen Erzählungen, um die "Lord of the Rings" kreist (man denke auch z.B. an Beren und Lúthien Tinúviel im Gedicht
The Lay of Leithian -- wo Beren Tolkiens "alter ego" war, und Lúthien seine Frau).
Und es ist kein Zufall, daß Tolkiens ideale Menschen ausgesprochene Ähnlichkeiten mit den englischen Kleinbürgern haben: Die Hobbits sind einfach gestrickte Menschen, die dazu fähig sind, die Welt zu retten, wenn sie dazu gerufen werden, aber ansonsten bleiben sie am liebsten zu Hause und essen Kuchen und rauchen ihre Pfeifen. Das typische Bild des "yeoman farmer" also.
Es ist auch nicht zufällig das gleiche, was die Gründer der USA vor hatten -- und Land mit einer Regierung mit "limited powers, sharply defined". Die Macht zerstört man, in dem man sie in die Hand von jedem Menschen gibt, damit keiner in der Übermacht ist. Also Demokratie im wahrsten Sinne. Denn der Ring ist nicht "Macht" -- Macht haben wir alle -- sondern
Übermacht.
Cheers,
John
Der Beweis, dass Gott einen Sinn für Humor hat: Er hat die Menschheit geschaffen.
[ Alt-Katholisch/Anglikanisch in Hannover ]