Gamaliel hat geschrieben:Woraus entnimmst Du, daß die klaren Aussagen des Lehramtes nur für die jeweilige Zeit und die aktuelle politische Situation gegolten haben?
Das habe ich indieser Allgemeinheit nicht behauptet. Aber je mehr Aussagen des Lehramtes von den Verhältnissen dieser Welt sprechen (betrachte mal die vielen Aussagen zu den Kreuzzügen, um nicht immer vom Zinsverbot zu reden), desto größer wird die Wahrscheinlicvhkeit, daß ihnen ihr Gegenstand irgend wann einmal abhanden kommt. Leider verschwinden damit aber die dahinter stehenden Grundfagen nicht, sondern tauchen in verwandelter Form an anderer Stelle neu auf.
Die theologischen Inspiratoren des 2. Vatikanums haben diese Problematik erkannt und versucht, sich ihr zu stellen. Das ist ihnen nicht gelungen. Daraus folgt aber nicht, daß man sich dieser Aufgabe mit einem beruhigten Ausruhen auf "gesicherten Lehraussagen" der Vergangenheit entzioehen könne, sondern daß man sie immer wieder angehen muß, bis eine tragfähige Lösung gefunden ist.
Um das ganze mal an einem Beispiel zu veranschaulichen: Der vormoderne Staatsbegriff ging davon aus, daß die Souveränität letztelich bei Gott, bei Göttern, jedenfalls nicht beim Menschen liegt. Daraus ließen sich für das Verhältnis zwischen Mensch und Staat bestimmte Dinge übereinstimmend ableiten, auch da, wo man sich nicht daüber einig war, welchem Gott die Souveränität zukommen sollte.
Der moderne Staat beruht auf der Fikltion von der Souveränität und absoluten Selbstbestimmung des Menschen und lehnt jedes Agieren der Religion im öffentlichen und politischen Raum ab. Damit verliert die früher richtige Aussage, es sei Pflicht des Staates, den man ja immer nur konkret haben kann, die wahre Religion zu fördern, jeden Sinn. Sie monstranzartig unter Berufung auf Päpste einer Zeit, die noch mit gutem Gewissen einen anderen Staatsbegriff voraussetzen konnten, vor sich herzutragen, hat wenig Sinn. Auch nicht den, das Evangelium zu verkünden, sei es gelegen oder ungelegen.
Zu verkünden bleibt weiterhin die Lehre, daß die Souveränität tatsächlich weder bei den Menschen noch bei dem unter ihnen vereinbarten Staat liegt, sondern bei Gott dem Schöpfer und Erhalter. Aber unser Streitpunkt mit diesem Staat ist nicht mehr der, daß er mit der Verkündung der Religionsfreiheit seiner Aufgabe nicht gerecht werde, die wahre Religion zu fördern - darauf ist er ja stolz, daß er keine wahre Religion anerkennt und am liebsten alle überwinden würde.
Unser (oder zumindest mein) stärkerer Kritikpunkt ist der, daß dieser moderne Staat sich selbst als gottlos definiert und dadurch letztlich den Menschen an die Stelle Gottes setzt. Außerdem bleibt es natürlich bei der Lehre, daß der Mensch zwar die Fähigkeit zum Irrtum oder zur Abwendung von Gott hat - nicht aber das Recht dazu. Nicht das Recht vor Gott, und behaupte das der Staat auch noch so oft und versuche es durch seine Gesetzgebung durchzudrücken. Und daß der Mensch sich da zwischen dem Gebot des Staates (also der Mitmenschen) und dem Gottes entscheiden muß, wohl wissen, daß von jeder dieser beiden Seiten Sanktionen zu erwarten sind, wenn man dem Anspruch des jeweils anderen folgt.
Ein Fehler der nachkonziliaren Theologie und Praxis lag darin, daß sie die zunehmende Schärfe dieses Widerspruchs nicht erkannt hat, sondern sogar im Gegenteil und völlig unberechtigter Weise davon ausgegangen ist, daß moderner Staat und Kirche Christi "zum Guten der Menschheit" auf immer mehr Gebieten partnerschaftlich zusammenarbeiten müßten (als ob dieser Staat immer noch seine Verwurzelung in der Achtung Gottes hätte und anerkennte). Daraus entstand dann die Versuchung, quasi "um des lieben Friedens willen" den Staat auch von seiner Aufgabe als "Verteidiger des Wahren Glaubens" zu dispensieren - und dabei zu übersehen, daß dieser Staat sich längst wesensmäßig so verändert hattge, daß er diese Augabe gar nicht mehr als seine Aufgabe wahrnehmen und erfüllen konnte.
Indem er den Staat zum Partner für das allgemeine Heil ansieht, unterschätzt dieser Modernismus mit seinem Eingehen auf ds Säkulardogma von der Religionsfreiheit also die Tiefe der Wesensverwandlung, die mit dem modernen Staat vor sich gegangen ist. Eine "traditionalistische Theologie" unterschätzt sie mit ihrem Bestehen auf der Pflicht des Staates zum Eintreten für die wahre Religion (und damit zur dogmatischen Ablehnung des Grundsatzes der Religionsfreiheit) zwar in anderer Weise, aber doch genau so schwerwiegend.