St. Pius X. schreibt am Ende des ersten Teils seiner lehramtlichen Enzyklika Pascendi, dass auf dem Weg, der zur Vernichtung der gesamten Religion führt, die Protestanten den ersten Schritt taten, die Modernisten den zweiten, und der nächste wird zum kompletten Atheismus führen. Studieren wir also zunächst den ersten Schritt, den die Protestanten taten, d.h. Luther und all jene die von ihm beeinflusst sind. Im folgenden untersuchen wir den zweiten Schritt, den Modernismus, seine Ursachen, seine Lehre. Schließlich folgt dann ganz kurz der Modernismus in den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils.
I. Luther und seine Schüler
Sich gegen die lehramtliche Autorität der Kirche wendend, macht Luther aus der individuellen Freiheit den obersten Richter in religiösen Angelegenheiten. Mit seiner individuellen Gewissensfreiheit im Hören auf die Bibel öffnet er den Weg, wie Leo XIII. sagt, den endlosen Variationen, den Zweifeln und den Negationen, was die schwerwiegendesten Fragen angeht.
Er attackiert nicht nur die Kirche, sondern auch den Verstand selbst.
"Der Verstand, sagte er, ist dem Glauben direkt entgegengesetzt. [...] Unter den Gläubigen sollte er ausgemerzt und begraben werden (...) er ist die Hure des Dämonen. Er kann bloß alles, was Gott tat oder sagte, lästern." (1)
Luther attackiert - die Modernisten und Neomodernisten vorwegnehmend - die scholastische Methode, die die gesamte Solidität der katholischen Theologie ausmacht.
"Es ist unmöglich, die Kirche zu reformieren", sagt er, "wenn die scholastische Theologie und die Philosophie nicht komplett ausgerissen werden, wie auch das kanonische Recht". Und weiter: "Die Logik hat keinen Nutzen in der Theologie, denn Christus bedarf keiner menschlichen Erfindungen."
Dieser Schatz der Kirche, die scholastische Theologie und Philosophie wird immer von den Feinden der Kirche bekämpft werden. Descartes (1596-165), französischer Philosph, wenngleich katholisch, schätzt ebenfalls die Schloastik gering, und initiiert die moderne Philosophie [...]. Nach Descartes kommt Kant, Protestant, der die Philosophie mit seinem System prägen wird. Kant (1724-184) ist einer der Väter des Idealismus. Versuchen wir eine kurze Zusammenfassung seines Systems.
Nach Kant können wir bloß die Erscheinungen der Dinge kennen, bloß die den Sinnen zugängliche Realität, oder die Phänomene, wie er sagt. Für Kant ist die einzige wahre Wissenschaft die Physik. Die Physik betrifft nicht das Wesen der Dinge, sondern bloß das, was auf die Sinne wirkt. Das Wesen der Dinge ist nach Kant nicht erkennbar. Daher ist nach Kant die Philosophie keine Wissenschaft und wir können weder Gott, noch die Seele, nicht einmal die Offenbarung oder irgendeinen Eingriff Gottes im Leben der Menschen erkennen.
Dennoch versichert Kant, mittels der Moral, die Existenz Gottes, der Seele, des Himmels usf. "Ich habe die Vernunft zerstört, um dem Glauben Platz zu machen", sagt er. Indem er dies tut, entzieht Kant aber dem Glauben jegliches Fundament. Nach Kant ist die Existenz Gottes eine praktische Wahrheit. Man sollte sagen, dass Gott existiere, weil das nützlich ist, wenn man das auch nicht beweisen könne. Seine Existenz ist nützlich, ja sogar notwendig für die Moral. Das ist Kants einziges Fundament für die Existenz Gottes.
Auf diese Weise trennt Kant die Wahrheit in zwei Gruppen: die wissenschaftlichen Wahrheiten, d.h. die physikalischen Wahrheiten, und die moralischen Wahrheiten, d.h. die nicht-wissenschaftlichen Wahrheiten. Gott, die Wunder, die Offenbarung, nichts davon kann sicher gewusst werden, nichts davon ist Gegenstand der Wissenschaft. Und tatsächlich, so denkt die Mehrheit unserer Zeitgenossen unter dem Einfluss dieser Lehren.
Das Kantische System ist recht komplex. Betrachten wir vor allem seinen Agnostizismus, d.h. die Lehre, die bestreitet, dass wir das Wesen der Dinge erkennen können, dass wir bloß die sinnlichen Erscheinungen wahrnehmen. Wir werden diesen Agnostizismus im System der Modernisten wiederfinden. Gleichzeitig mit dem Agnostizismus lehrt Kant den Immanentismus, d.h. wir finden die Wahrheit in uns selbst, als ob sie unser Fabrikat wäre, und nicht die Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit der Realität. Agnostizismus und Immanentismus werden die beiden Fundamente des Modernismus sein.
Nach diesem sehr kurzen Ausflug in die Philosphie Kants, schauen wir uns zwei protestantische Autoren an, die wir Vorläufer des Modernismus nennen können. Ernst Daniel Schleiermacher (1768- 1834) und David Friedrich Strauss (188-1874). Wie Kant sagt auch Schleiermacher, dass die Religion kein rationales Fundament habe. Die Wunder, die Erbsünde, die Göttlichkeit unseres Herrn, nichts davon habe ein rationales Fundament. Diesem Weg folgend sagt er, dass es belanglos ist, zu wissen, ob unser Herr Gott ist oder nicht, denn die Religion ist ein Gefühl, ein reines Gefühl.
"Du glaubst, dass damals, vor 19 Jahrhunderten, etwas außerhalb von dir für dich geschehen sei. Wir hingegen glauben, dass etwas in uns geschieht; wir haben unseren Glauben an Christus. Warum willst Du wissen, was Christus an sich ist, was die Offenbarung an sich ist, oder was das Wunder an sich ist? Diese Beurteilungen sind für die religiöse Seele völlig uninteressant."
Für Schleiermacher findet sich der Wert eines Dogmas, der Wert der Religion in seiner praktischen Nützlichkeit. Der Rest ist völlig belanglos. Auf diese Weise träumte er davon, alle protestantischen Bekenntnisse zu vereinen, sie in der Religion des Gefühls, in einer Religion ohne Dogma, ohne Doktrin, ohne jeglichen intellektuellen Inhalt zu vereinen.
Schleiermacher spricht von Gefühl, von bewegter und frommer Erfahrung, selbst die Bibel ist überhaupt nur eine Sammlung religiöser Erfahrungen, die in uns weitere religiöse Erfahrungen provozieren will.
Für ihn spielt das Dogma eine rein symbolische Rolle, um eher in weniger perfekter Weise die verschiedenen religiösen Erfahrungen auszudrücken. Das Dogma sollte die Menschen nicht trennen, denn das wichtige sei die Erfahrung, das religiöse Gefühl. Auf dieser Basis läßt sich ein Ökumenismus gründen, wie ihn die exaltiertesten Progressisten wünschen. Nach Schleiermacher schauen wir uns Strauss an.
Strauss interessiert sich wie sein Meister Ferdinand Christian Baur (1792-186) für das Studium der Heiligen Schriften und, der Theorie Kants folgend, für die praktische Wahrheit und die wissenschaftliche Wahrheit. Er stellt den Jesus der Geschichte dem Jesus der Evangelien gegenüber. Er schreibt über ein Leben Jesu, in dem er alle Wunder als Frucht der Phantasie der ersten christlichen Gemeinden zu erklären versucht. Demnach gibt es zwei Geschichten Jesu. Eine wahre ohne Wunder und eine mystische mit Wundern.
Der Modernismus in der katholischen Welt
Praktisch alle diese modernistischen Thesen wurden bereits von den Protestanten bekannt. In der katholischen Welt ließen sich einige Priester hinreißen, nicht zurückzustehen, hinter dem, was ihnen ein wissenschaftlicher Fortschritt der deutschen Protestanten erschien. Einige dieser Priester, schlecht ausgebildet und die Schloastik verachtend, stürzten sich in den Denkweise der Protestanten und der modernen Philosophen und übernahmen den großen Teil derer Thesen.
Aus diesem ganzen Haufen falscher Wissenschaft, morbider Neugier und Stolz wächst der Modernismus. Diverse andere Autoren in Frankreich wie in England und Italien wagen, denselben Weg zu gehen. Im Februar 193 verurteilt Leo XIII. ein erstes Buch von Loisy. In der Folge setzt das Heilige Offizium diverse Bücher desselben Autos auf den Index. 197 verurteilt St. Pius X. 65 modernistische These im Dekret Lamentabili. Im selben Jahr, am 8. September, wird die große Enzyklika
Pascendi Dominici gregis veröffentlicht.
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