Niels hat geschrieben:Ich bitte Dich, lieber Maurus, ebenfalls, das näher zu erklären.
Wir hatten das die Tage schonmal: Auf dem Konzil von Konstanz (und auch zuvor im Pisa, dort vielleicht noch eindeutiger) haben die Konzilsväter Jurisdiktion über den amtierenden Papst ausgeübt (auch wenn sie vielleicht uneins war, wer von den dreien rechtmäßig amtierte).
Dieses Vorgehen war sicher damals schon nicht ganz gewöhnlich, aber in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände notwendig und segensreich. Dennoch hat sich die Kirche in der Folgezeit gegen den Konziliarismus entschieden, so dass nun der Papst nicht nur ganz ohne Konzil entscheiden kann, auch ein Konzil kann nicht ohne Papst oder gegen ihn etwas definieren. Das I. Vatikanum definierte bekanntlich:
„Wer also sagt, der römische Bischof habe nur das Amt einer Aufsicht oder Leitung
und nicht die volle und oberste Gewalt der Rechtsbefugnis über die ganze Kirche – und zwar nicht nur in Sachen des Glaubens und der Sitten,
sondern auch in dem, was zur Ordnung und Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche gehört –;
oder wer sagt, er habe nur einen größeren Anteil, nicht aber die ganze Fülle dieser höchsten Gewalt, oder diese seine Gewalt sei nicht ordentlich und unmittelbar, ebenso über die gesamten und die einzelnen Kirchen wie über die gesamten und einzelnen Hirten und Gläubigen, der sei ausgeschlossen.“ (kursiv von mir)
Damit ist der Konziliarismus dogmatisch ausgeschlossen, denn die ganze Fülle könnte der Papst nicht besitzen, wenn es noch ein Gremium gäbe, dass seine Amtszeit beenden könnte. Nicht ihm, sondern diesem Gremium käme dann die höchste Gewalt zu.
Nun ist aber die Ausübung des Konziliarismus nicht Theorie, sondern kann zumindest zwei Anwendungsbeispiele vorweisen. Zudem ist eine gewichtigere Rolle von Bischofsversammlungen der Kirche und vor allem den Ostkirchen (kath und Orthodoxe) in Geschichte und Gegenwart nicht unbekannt. Wenn nun die Kirche zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, so ist dies durchaus legitim, denn dieses Ergebnis lässt sich durchaus auch mit der Rolle des Papstes vor den Konzilien von Pisa und Konstanz begründen. Aber so gesehen sind die beiden Konzilien ein Bruch gewesen (was mE wohl naheliegender ist - ohne diese 3-Päpste-Problematik wäre das Thema im Westen wohl kaum mehr aufgekommen), oder die Definition des Jurisdiktionsprimats war ein solcher, da kann man streiten.
Hinsichtlich des zweiten Punkts: Bei einer organischen Weiterentwicklung würde ich nicht von einem Bruch reden. Es geht ja bei der Frage des Bruchs nicht darum, ob eine Änderung eingetreten ist, sondern wie diese Änderung sich zu der vorigen Ansicht verhält: In Kontinuität oder eben nicht.
Wie aber festgestellt gibt es gewisse Brüche. Bei denen ist dann egal, ob 1600 Jahre dazwischen liegen, oder 600 oder 60. Das sind willkürliche Grenzen, die nichts daran ändern, dass irgendwann zum ersten Mal eine Frage signifikant anders behandelt wurde als vorher. An dieser Stelle besteht dann ein Bruch.
Nehmen wir mal zB das II. Vatikanum. Man sagt ja nun zu Recht, es habe keine dogmatischen Beschlüsse gefasst. Ergo dürfe man sie auch rückgängig machen. Gilt das dann aber auch noch im Jahr 3065? Dann hätte sich die Kirche ja 1000 Jahre an diese Beschlüsse gehalten. Eine Streichung würde unzweifelhaft als Bruch empfunden. Wäre dieser dann plötzlich illegitim geworden? Und falls ja: Ab wann ist das der Fall und wer bestimmt das?