Ralf hat geschrieben:
Ich kenne keine Zeit der Kirche ohne Krise.
Für die letzten Jahrhunderte hat das Papst Benedikt,
als er noch Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war, gut zusammengefasst:
„Es ist sicher seit der Aufklärung eine starke Bewegung im Gang, für die die Kirche
als etwas Antiquiertes erscheint. Je stärker sich das neuzeitliche Denken entfaltet hat,
desto radikaler, desto radikaler ist die Frage geworden. Auch wenn im 19. Jahrhundert
Rückkehrbewegungen entstanden, so hat sich aufs Ganze gesehen die Linie doch fortgesetzt.
Das wissenschaftlich Vertretbare wird zum obersten Maßstab; so aber entsteht
-deutlich sichbar bei Bultmann – ein Diktat des sogenannten modernen Weltbildes,
das sich höchst dogmatisch gebärdet und Eingriffe Gottes in die Welt wie
Wunder und Offenbarung ausschließt.
Der Mensch kann zwar Religion haben, aber die liegt dann im Subjektiven
und kann daher keine objektiven und gemeinsam verbindlichen, dogmatischen Inhalte haben;
wie ja überhaupt Dogma ein Widerspruch zur Vernunft des Menschen zu sein scheint.
In diesem Gegenwirnd der Geschichte, wenn man so will, steht die Kirche,
und dieser Gegenwirnd wird auch weiter anhalten.
Trotzdem zeigt sich dann natürlich auch die Einseitigkeit einer radikalen Aufklärungsposition,
denn eine Religion, die auf das rein Subjektive reduziert ist, hat keine formende Kraft mehr,
sondern das Subjekt bestätigt sich selber. Die bloße, auf die Naturwissenschaften
eingeschränkte Rationalität kann ja auf die eigentlichen Fragen auch nicht antworten.
Die Fragen: Woher kommen wir, was bin ich, wie muß ich richtig leben, wozu bin ich überhaupt da?
Diese Fragen liegen auf einer anderen Ebene der Rationalität. Und die kann man auch nicht einfach
der bloßen Subjektivität oder Irrationalität überantworten.
Kirche wird deswegen in absehbarer Zeit nicht mehr einfach die Lebensform einer ganzen Gesellschaft sein,
es wird kein Mittelalter mehr geben, jedenfalls in absehbarer Zeit nicht.
Sie wird immer sozusagen eine Komplementärbewegung, wenn nicht eine Gegenbewegung
zur herrschenden Weltanschauung sein, sich zugleich aber auch
in ihrer Notwendigkeit und in ihrer menschlichen Begründetheit immer neu ausweisen.
Schon am Ende der Aufklärung, vor der Französischen Revolution, hat man gesagt,
jetzt muss der Papst, dieser Dalai Lama der Christenheit, endlich verschwinden,
damit das Vernunftzeitalter beginnt. Tatsächlich verschwand er einen Augenblick ins französische Exil.
Aber das Papsttum ist im 19. Jahrhundert stärker geworden, als es je vorher gewesen war.
Und das Christentum hat zwar im 19. Jahrundert keine Mittelalterkraft und – gestalt mehr erlebt,
aber dafür etwas viel Schöneres, nämlich ganz große soziale Aufbrüche und Wirkungen.
Insofern werden auch weiterhin zwei starke, voneinander unabhängige Strömungen und Kräfte
vorhanden sein, die aber auch immer wieder ein Miteinander versuchen müssen. "
Die neue Weltsituation macht den Glauben komplizierter, und die Entscheidung dafür wird
persönlicher und schwieriger, aber sie kann das Christentum
nicht als antiquitiert hinter sich lassen.“