Ruddel hat geschrieben:Hallo Falk,
ja, ich schrieb
"Zum Thema "Experimentalliturgien": Der "tridentinische Ritus" hat sich weder vor 1570 noch danach auf der Basis der Eigenmächtigkeiten Einzelner weiterentwickelt; erst im 20. Jahrhundert (Pius Parsch & Co. lassen grüßen) fanden aus derartigen Experimenten resultierende Änderungen Eingang in die liturgischen Bücher ..."
Wo habe ich hier abgestritten, daß es vor und nach 1570 eine
organische Entwicklung der liturgischen Riten gab? Diese wurde jeweils von "ganz oben" beschlossen und in den jeweiligen Büchern abgedruckt. Es hat aber nicht - wie im 20. Jahrhundert - eine liturgiebewegte Kamarilla auf eigene Faust Fantasieriten erfunden und dann - leider erfolgreich - darauf hingewirkt, diese gemachten und nicht gewachsenen Neuerungen der Allgemeinheit aufzuzwingen (Wirken von Bugnini & Co. seit 1949).
Viele Grüße,
Ruddel
Hallo Ruddel,
wie schon von anderen gesagt, wurden ja auch die liturgischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts von "ganz oben" beschlossen, denn auch der NOM ist ja durch einen Papst approbiert worden.
Und auch hier kann man durchaus von einer organischen Entwicklung sprechen, denn Papst Paul VI. erklärte
in der Apostolische Konstitution „Missale Romanum“:
"Diese Erneuerung des Römischen Meßbuches ist jedoch nicht plötzlich und unvorbereitet gekommen. Ihr haben die Ergebnisse der liturgiewissenschaftlichen Arbeiten während der letzten vier Jahrhunderte den Weg bereitet. Wie aus der Apostolischen Konstitution „Quo primum“ Unseres Vorgängers, des heiligen Pius V., hervorgeht, hatten schon nach dem Konzil von Trient zur Revision des Römischen Meßbuches das Studium und der Vergleich der alten Handschriften, die sich in der Vatikanischen Bibliothek befanden oder die von überall her hinzugezogen wurden, nicht wenig beigetragen. Inzwischen sind sowohl älteste liturgische Quellen neu erschlossen und veröffentlicht wie auch Texte der Ostkirchen eingehender untersucht worden. Es ergab sich bei vielen der Wunsch, die dort vorhandenen Reichtümer des Glaubens und der Frömmigkeit nicht länger im Dunkel der Bibliotheken verborgen zu halten, sondern ans Licht zu bringen, um Herz und Sinn der Christen zu erleuchten und zu nähren."
Natürlich kann man bezüglich dieser Änderungen, wenn man das will, auch von "gemachten und nicht gewachsenen Neuerungen" sprechen. Doch das könnte man dann eben auch bei den Änderungen, die ich aus dem FSSPX-Beitrag von P. Gaudron zitiert habe.
Denn wenn es da beispielsweise heißt:
1.
Die beiden Teile der Vormesse waren ursprünglich umgekehrt angeordnet als
heute:
Man begann mit den Lesungen und fügte dann Gebete und Bitten an, wie es noch
heute in der Liturgie des Karfreitags geschieht.
dann könnte man eine solche gravierende Änderung, wo man den Ablauf gewissermaßen auf den Kopf gestellt hat, auch als "unorganisch" bewerten.
Und wenn man liest:
"Das Stufengebet gehört zum jüngsten Teil unseres Meßritus, denn ursprünglich
begann die hl. Messe mit dem Introitus. [...]
Wenn die alte Kirche das Stufengebet auch nicht kannte, so hatte sie doch
einen ähnlichen Ritus: Damals zog der Zelebrant nämlich unter dem Gesang des
Introitus – der damals noch aus dem ganzen Psalm bestand – zum Altar und
warf sich dort in stillem Gebet auf den Boden, wie es heute nur noch am
Karfreitag geschieht. Daraus entwickelte sich dann später das Beten des
Confiteor."
dann ergibt sich beim Nachdenken darüber z.B. die Frage, wie kam es dazu, dass der Introitus zunächst aus einem ganzen Psalm bestand, dann aber irgendwie auf nur einen Vers geschrumpft ist.
Und wie muss man sich das vorstellen, wenn es heißt:
"Daraus entwickelte sich dann später das Beten des
Confiteor."
War dieses "Sich-Entwickeln" eine plötzliche Anweisung von "ganz oben"?
Ähnlich schwierig ist es, sich einen Akt "von ganz oben" vorszustellen, der die Entwicklung des "Gloria" zur heutigen Form zur Folge hatte.
P.Gaudron stellte fest:
"
.... Von daher ist klar, daß das Gloria
nicht einen einzigen Verfasser hat, sondern im Laufe der Zeit seine jetzige
Gestalt erhalten hat. "
Und wenn es dann heißt:
"....Ursprünglich wurde das Gloria nur in der Messe eines Bischofs gesungen,
[...] Die einfachen Priester durften das Gloria nur an Ostern und (in Rom)
nach ihrer Weihe bei der Besitzergreifung ihrer Titelkirche singen. Nach Abt
Berno von Reichenau stellten noch im 11. Jahrhundert die Priester die
vorwurfsvolle Frage, warum sie das Gloria nicht wenigstens noch an
Weihnachten singen dürften, wo dieser Gesang eigentlich hingehöre. Bis zum
Ende jenes Jahrhunderts scheint dann allerdings der Unterschied zwischen
Bischof und Priester in diesem Punkt aufgegeben worden zu sein."
so lässt sich auch hier nicht erkennen, wie sich die Dinge völlig organisch bzw. von "ganz oben" verordnet entwickelt haben.
Und wenn der Unterschied zwischen Bischof und Priester in diesem Punkt "aufgegeben worden
zu sein scheint",
so fehlt ja da offenbar auch eine klare Anweisung "von ganz oben".
Schließlich lassen die von dir verlinkten englischsprachigen Artikel sehr gut erkennen, wohin der sich von Rom emanzipierende Traditionalismus kommt, denn nun ist nicht nur der von Papst Paul VI. approbierte NOM faktisch ein "Teufelswerk", sondern auch jene Änderungen, die Papst Johannes XXIII. angeordnet hat, werden kritisiert.
Doch damit nicht genug - sogar Papst Pius XII. erscheint aus diesem Blickwinkel als blauäugiger Schwächling, der die unter seinem Pontifikat vorgenommenen liturgischen Änderungen nicht durchschaute und damit letztlich schon zu seiner Zeit dem Modernismus die Tür öffnete.
Wie recht hatte doch Papst Johannes Paul II., als er in seinem Motu proprio "Ecclesia Dei" vor dem "
unvollständigen und widersprüchlichen Begriff der Tradition" warnte, dem man zum Opfer fallen kann:
"unvollständig, da er den lebendigen Charakter der Tradition nicht genug berücksichtigt, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil sehr klar lehrt, »von den Aposteln überliefert, ... unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt [...]
Vor allem aber ist ein Traditionsbegriff unzutreffend und widersprüchlich, der sich dem universalen Lehramt der Kirche widersetzt, das dem Bischof von Rom und dem Kollegium der Bischöfe zukommt. Denn niemand kann der Tradition treu bleiben, der die Bande zerschneidet, die ihn an jenen binden, dem Christus selbst in der Person des Apostels Petrus den Dienst an der Einheit in seiner Kirche anvertraute.
Dass die traditionalistische Kritik nunmehr auch auf jene Päpste überschwappt, zu deren Zeit derselben Sichtweise zufolge eigentlich noch alles in Ordnung war, bezugt das in sehr anschaulicher und erschreckender Weise.
Viele Grüße
Falk