Entwicklung der tridentinischen Messe

Rund um den traditionellen römischen Ritus und die ihm verbundenen Gemeinschaften.
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Protasius
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Re: Sieben Jahre Motu Proprio Summorum Pontificum - Eure Bilanz

Beitrag von Protasius »

Fragesteller hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:Die Form der Messe (und selbstverständlich der Meßkanon selbst) waren ja auch durch quasi ganz Europa einheitlich.
Naja, sooo einheitlich war das nicht. Da gab es schon Abweichungen, die mehr als nur Kleinigkeiten betrafen, siehe den gallikanischen Ritus. [...]
Das gilt aber doch nicht für die unmittelbar vortridentinische Zeit, von der Prostasius spricht?
Das gallikanischste, was es damals noch gab, dürfte der Ritus von Lyon sein. Der hatte aber eine sehr ähnlich Form wie der römische Ritus; wie in vielen außerrömischen Riten auch fand allerdings die Gabenbereitung nicht beim Offertorium, sondern während des Graduale statt, wie es heute noch der Fall im Dominikanerritus ist. Das Pax Domini vor dem Agnus Dei nahm - wie im Ritus von Salisbury und bis ins 16. Jhd. auch im Prämonstratenserritus - eine feierliche Segensform an (vergleichbar dem feierlichen Schlußsegen im NOM), während der Schlußsegen in vielen Fällen nicht gespendet wurde. (Die Dominikaner hatten in ihren Anfangszeiten in Südfrankreich auch keinen Schlußsegen und beschlossen auf einem Generalkapitel, ihn dort zu spenden, wo das Volk das erwartet.)

Der eigentliche gallikanische Ritus, wie er im ca. 4. - 7. Jhd. in Gallien gefeiert wurde, ist uns ja mangels Quellen kaum zugänglich. Die Pilgerin Egeria sagt in ihrem Bericht über die Feierlichkeiten der Kar- und Osterwoche, daß die Liturgie in Gallien auf die gleiche Weise gefeiert wird; mithin hatte vor den Einheitlichkeitsbemühungen Karls des Großen Gallien wohl eine den orientalischen Liturgien ähnliche Meßfeier.

Wirklich eigenständige lateinische Riten gab es neben den vielen, vielen Gebräuchen des römischen Ritus in der unmittelbar vortridentinischen Zeit mW nur im mozarabischen Ritus in Spanien und im ambrosianischen Ritus in Mailand.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

Fragesteller
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Re: Sieben Jahre Motu Proprio Summorum Pontificum - Eure Bilanz

Beitrag von Fragesteller »

Protasius hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:Die Form der Messe (und selbstverständlich der Meßkanon selbst) waren ja auch durch quasi ganz Europa einheitlich.
Naja, sooo einheitlich war das nicht. Da gab es schon Abweichungen, die mehr als nur Kleinigkeiten betrafen, siehe den gallikanischen Ritus. [...]
Das gilt aber doch nicht für die unmittelbar vortridentinische Zeit, von der Prostasius spricht?
Das gallikanischste, was es damals noch gab, dürfte der Ritus von Lyon sein. Der hatte aber eine sehr ähnlich Form wie der römische Ritus; [...] Wirklich eigenständige lateinische Riten gab es neben den vielen, vielen Gebräuchen des römischen Ritus in der unmittelbar vortridentinischen Zeit mW nur im mozarabischen Ritus in Spanien und im ambrosianischen Ritus in Mailand.
Das meinte ich; darum trifft Dich Taddeos Einwand nicht wirklich.
wie in vielen außerrömischen Riten auch fand allerdings die Gabenbereitung nicht beim Offertorium, sondern während des Graduale statt, wie es heute noch der Fall im Dominikanerritus ist.
Ist da dann Bereitung und Aufopferung getrennt? Oder fällt das Offertorium ganz weg?

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ar26
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Re: Entwicklung der tridentinischen Messe

Beitrag von ar26 »

Zum Vergleich des römischen mit den anderen lat. Riten bzw. dieser Riten insgesamt gibt es eine Synopse im Internet. Aus der geht hervor, daß die Gabenbereitung im alten Dominikanerritus vor der Hl. Messe stattfand, ähnlich wie im byzant. Ritus.

Ansonsten sollte man das ganze mal eingehender analysieren. Richtig ist zweifellos, daß sich die lat. Riten in vielerlei Hinsicht bei den Klerikergebeten unterscheiden. Aber die für mich als Laien in der Hl. Messe vorrangig wahrnehmbare und mehr und mehr verinnerlichte Grundstruktur ist die gleiche. Augenscheinlich könnte ich an einer Hl. Messe im alten Dominikanerritus teilnehmen ohne mich fremd zu fühlen.
...bis nach allem Kampf und Streit wir dich schaun in Ewigkeit!

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Clemens
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Re: Entwicklung der tridentinischen Messe

Beitrag von Clemens »

Danke für den lehrreichen Link! :doktor:

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taddeo
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Re: Sieben Jahre Motu Proprio Summorum Pontificum - Eure Bilanz

Beitrag von taddeo »

Protasius hat geschrieben:Der eigentliche gallikanische Ritus, wie er im ca. 4. - 7. Jhd. in Gallien gefeiert wurde, ist uns ja mangels Quellen kaum zugänglich.
Klaus Gamber schreibt dazu in seinem Büchlein "Die Meßfeier nach altgallikanischem Ritus" (Regensburg 1984) im Vorwort:
Der altgallikanische Meßritus, der in seiner im 6. Jh. für uns erfaßbaren Ausprägung, wie zu zeigen sein wird, auf die östliche, näherhin kleinasiatisch-syrische Liturgie des 4. Jh. zurückgeht, war einst überall im Abendland, mit Ausnahme des Erzbistums Rom, das Mittelitalien umfaßte, verbreitet. Er wurde jedoch im Frankenreich um 750 durch einen Erlaß König Pippins, hinter dem vor allem kirchenpolitische Erwägungen standen, abgeschafft und durch den stadtrömischen ersetzt, um in der Folgezeit nur noch, wenn auch weiterentwickelt und dem römischen angepaßt, als "mozarabischer" Ritus in Spanien (Toledo) und als "ambrosianischer" in Teilen Oberitaliens (Mailand) bis in die Gegenwart weiterzuleben.
Das heißt also, daß der stadtrömische Ritus zunächst nur eng begrenzt gebraucht wurde, während der gallikanische Ritus der in Europa übliche war, aus der syrischen Liturgiefamilie stammte und daß sowohl der mozarabische als auch der ambrosianische Ritus Formen des gallikanischen, nicht des stadtrömischen Ritus sind. Charakteristisch für den gallikanischen Ritus waren u. a. die Bereitung der Opfergaben VOR der Messe (= Proskomidie) in der Sakristei, der Gesang des Trishagion in lateinischer UND griechischer Sprache vor den Lesungen, dann eine Propheten- und eine neutestamentliche Lesung vor dem Evangelium, eine "Deprecatio pro populo" (= Fürbittlitanei); im Opfergottesdienst ein Einzug mit den Opfergaben und eine Verlesung der Diptychen (= der Spender dieser Gaben). Alles Dinge, die so eher an östliche Liturgien erinnern als an das, was wir heute unter "tridentinischer Ritus" kennen.

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Protasius
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Re: Entwicklung der tridentinischen Messe

Beitrag von Protasius »

Ich war jetzt von den liturgischen Büchern des Dominikanerordens ausgegangen, und habe dort wie auch im Lyoneser Ritus und Sarum Use festgestellt, daß die Gabenbereitung (also Vermischung von Wein und Wasser) zumindest beim Hochamt während oder während der Zwischengesänge geschieht, also nicht vor, sondern während der Messe an der Kredenz bzw. einem Seitenaltar. Während des Offertoriums findet dann nur die eigentliche Opferung und die Inzensation statt.

Daß die Gabenbereitung vor dem Stufengebet geschieht, habe ich gerade beim Nachschauen im Dominikanerritus nur für die stille Messe gesehen, mit der ich mich nicht so ausgiebig beschäftigt habe, weil ich Hochämter als Vollform der Messe interessanter finde.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

Kilianus
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Re: Entwicklung der tridentinischen Messe

Beitrag von Kilianus »

Ui.
Peter B. Steiner hat geschrieben:Wesentliches Merkmal einer absolutistischen Regierung ist, daß alles für das Volk, aber nichts durch das Volk geschieht. In der tridentinischen Messe wird das Volk in den Kirchenbänken ruhiggestellt und von vorne „bezelebriert", von oben „bepredigt" und von hinten mit Musik „zugedröhnt".
Daß das Volk von vorne "bezelebriert" werde, scheint mir gar trefflich die Zelebration versus populum zu berschreiben. :pfeif:

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marcus-cgn
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Re: Sieben Jahre Motu Proprio Summorum Pontificum - Eure Bilanz

Beitrag von marcus-cgn »

taddeo hat geschrieben: Genau genommen, war es nicht einmal ein "stadt-römisches" Missale, was da verwendet wurde, sondern das Missale der römischen Kurie.
...
Bis Papst Gregor gab es ja nicht mal in der Stadt Rom ein offizielles "römisches" Meßbuch; sein Liber Sacramentorum war ausschließlich für die päpstliche Liturgie mit ihren Stationsgottesdiensten bestimmt, die andere Zelebranten überhaupt nicht brauchten.
Damit wird aber ein wichtiger Entwicklungsstrang für das Römische Meßbuch angesprochen. Das aufwendige Prozessionswesen der Statio, vom Lateran zur jeweiligen Stationskirche, war die Klammer des Papstes mit seiner Urbs. In weltlich-politischer Hinsicht orientierte sich das Zeremoniell des Papsthofes immer mehr an kaiserlichen Ritualen. In liturgischer Hinsicht lieferten die Stationskirchen und deren Patrone Anknüpfungspunkte für die Ausgestaltung der Messformulare. Die Spuren lassen sich noch in der heute gebräuchlichen Ausgabe des alten Messbuches nachverfolgen. Die Geschichte lebt in diesem einzigartigen Glaubensdokument fort, darin besteht sein besonderer Wert.

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Siard
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Re: Entwicklung der tridentinischen Messe

Beitrag von Siard »

Kilianus hat geschrieben:Ui.
Peter B. Steiner hat geschrieben:Wesentliches Merkmal einer absolutistischen Regierung ist, daß alles für das Volk, aber nichts durch das Volk geschieht. In der tridentinischen Messe wird das Volk in den Kirchenbänken ruhiggestellt und von vorne „bezelebriert", von oben „bepredigt" und von hinten mit Musik „zugedröhnt".
Daß das Volk von vorne "bezelebriert" werde, scheint mir gar trefflich die Zelebration versus populum zu berschreiben. :pfeif:
:ja:

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ad-fontes
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Re: Sieben Jahre Motu Proprio Summorum Pontificum - Eure Bilanz

Beitrag von ad-fontes »

taddeo hat geschrieben: Genau genommen, war es nicht einmal ein "stadt-römisches" Missale, was da verwendet wurde, sondern das Missale der römischen Kurie. Das freilich geht mit wenigen Änderungen auf Papst Gelasius I. (492-496) zurück, mit kleineren Änderungen durch Papst Gregor I. (590-604) [...]
Nein, das geht auf das sog. Gregorianum zurück (Redigiert oder zusammengestellt unter Papst Honorius I., jedenfalls nach der Kirchweihe von St. Maria ad martyres, vormals Pantheon). Papst Gelasius wird ein anderes Sakramentar zugeschrieben, aber ebenfalls aus dem 7. Jh., überliefert und erg. allein in einer einzigen Handschrift aus Chelles aus dem frühen 8. Jh.
taddeo hat geschrieben: Bis Papst Gregor gab es ja nicht mal in der Stadt Rom ein offizielles "römisches" Meßbuch; sein Liber Sacramentorum war ausschließlich für die päpstliche Liturgie mit ihren Stationsgottesdiensten bestimmt, die andere Zelebranten überhaupt nicht brauchten.
Doch sehr wohl, als Stellvertreter des Papstes. Vermutlich einer der Gründe für die Zusammenstellung der Meßformulare in einem Codex. Auch die Tage, die keine Stationsliturgie hatten, wurden ergänzt bzw. sind Bestandteil. Das Paduenese beispielsweise diente den Klerikern an St. Peter (um 680). Es enthellt auch Formulare für die Sonntage nach Pfingsten, die sich ebenfalls im Gelasianum mixtum finden (hier mit der für Gelasiana üblichen Alia-Oration nach der Collecta).
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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