Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Rund um den traditionellen römischen Ritus und die ihm verbundenen Gemeinschaften.
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ad-fontes
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Re: Trappistenabtei Mariawald

Beitrag von ad-fontes »

Fridericus hat geschrieben:Nein! Gerade das Gegenteil war der Fall. Papst Johannes XXIII. war in liturgischen Dingen sehr "konservativ", konservativer als sein Vorgänger und sein Nachfolger.
Und die Einfügung des hl. Joseph in den Canon war nur ein Ausrutscher?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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ad-fontes
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von ad-fontes »

ar26 hat geschrieben:@ Kreuzzeichen
Damit hast Du Frage von Maurus indes nicht beantwortet. Daß zwischen SC und der Umsetzung des MR 1970 Lücken klaffen, die man nur mit dem "Geist des Konzils" erklären kann. Lässt sich nicht wegdiskutieren. Einige Punkte:

1. Das von SC (Nr. 23) angeordnete Verbot, der Liturgie etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, wird die durch die vielen Wahlmöglichkeiten konterkariert. De Iure ist es möglich, statt Gloria, Credo usw. ein x-beliebiges Lied, das von keiner Hierarchie aprobiert wurde, zu ersetzen. Was in den deutschsprachigen Ländern häufig passiert. Frag mal, wer von den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern Gloria oder Credo (N-C) auf deutsch wirklich kann.

2. Zum Gebrauch der lat. Sprache (SC 36) braucht es keine weiteren Ausführungen. Latein findet praktisch nicht mehr statt. Kaum ein Gottesdienstbesucher kann das Ordinarium in Latein beten, was SC gerade nicht wollte (SC 54).

3. Durch die Möglichkeit des Weglassens und Ersetzens im MR 1970 wird der Sinn der einzelnen Messteile vernebelt, was SC gerade nicht wollte (SC 50).

Zwar konnte sich die Reformpartei mit dem Text von SC durchsetzen, jedoch handelt es sich im Gegensatz zum MR 1970 nicht um eine Revolutionsagenda.
Nein, bereits in SC findet sich Fragwürdiges. Ein mehrjähriger Lesezyklus (soweit ich weiß, von Guardini inspiriert), war der Todesstoß für die überlieferte Liturgie.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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ad-fontes
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von ad-fontes »

Protasius hat geschrieben: Also auf Deutsch würde das bei mir eine etwas holprige Eigenübersetzung aus dem Lateinischen, weil ich das in Summe bisher einmal gebetet habe. Auf Latein kein Problem, aber auf Deutsch ...
Die aber wahrscheinlich qualitätvoller wäre als die offiziellen Texte. Ich belasse es bei einem Hinweis auf die grauenvolle Fassung des Apostolikum.
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Maurus
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Re: Trappistenabtei Mariawald

Beitrag von Maurus »

ad-fontes hat geschrieben:
Fridericus hat geschrieben:Nein! Gerade das Gegenteil war der Fall. Papst Johannes XXIII. war in liturgischen Dingen sehr "konservativ", konservativer als sein Vorgänger und sein Nachfolger.
Und die Einfügung des hl. Joseph in den Canon war nur ein Ausrutscher?
Konservativ heißt in dem Fall (und auch in anderen) nicht, dass Änderungen jedweder Art undenkbar sind. Es heißt, in schwerwiegenden Dingen vorsichtig zu sein. Und da ist es schon etwas anderes, ob man dem Kanon einen Heiligen hinzufügt oder den Ritus der Heiligen Woche(!) reformiert.

Sagt wohlgemerkt jemand, der die pianische Reform durchaus begrüßt.

conscientia
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von conscientia »

ar26 hat geschrieben:@ Kreuzzeichen
Damit hast Du Frage von Maurus indes nicht beantwortet. Daß zwischen SC und der Umsetzung des MR 1970 Lücken klaffen, die man nur mit dem "Geist des Konzils" erklären kann. Lässt sich nicht wegdiskutieren. Einige Punkte:

1. Das von SC (Nr. 23) angeordnete Verbot, der Liturgie etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, wird die durch die vielen Wahlmöglichkeiten konterkariert. De Iure ist es möglich, statt Gloria, Credo usw. ein x-beliebiges Lied, das von keiner Hierarchie aprobiert wurde, zu ersetzen. Was in den deutschsprachigen Ländern häufig passiert. Frag mal, wer von den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern Gloria oder Credo (N-C) auf deutsch wirklich kann.

2. Zum Gebrauch der lat. Sprache (SC 36) braucht es keine weiteren Ausführungen. Latein findet praktisch nicht mehr statt. Kaum ein Gottesdienstbesucher kann das Ordinarium in Latein beten, was SC gerade nicht wollte (SC 54).

3. Durch die Möglichkeit des Weglassens und Ersetzens im MR 1970 wird der Sinn der einzelnen Messteile vernebelt, was SC gerade nicht wollte (SC 50).

Zwar konnte sich die Reformpartei mit dem Text von SC durchsetzen, jedoch handelt es sich im Gegensatz zum MR 1970 nicht um eine Revolutionsagenda.
Hi,

die vielen Missbräuche haben mMn nicht viel mit dem Geist des Konzils zu tun, eher mit der Kennedy-Willy-Brandt-Reformwut, die in den 70er, 80er Jahren die westliche Welt erfasst hat.

Zu 1. Es gibt zu viele Wahlmöglichkeiten, klar. Aber alles ist vom apostolischen Stuhl oder der territorialen Autorität wohlgeordnete Liturgie. Das Ersetzen des Messordinariums durch Liederchen, der liederliche Gottesdienst insgesamt, ist von der Geschichte her ein Problem des deutschen Sprachraums. Schon vor der Liturgiereform gab es die Betsingmesse und das Deutsche Amt, allerdings musste da der Priester noch das Ordinarium beten, mit der Umsetzung der Liturgiereform haben die Bischofskonferenzen lediglich eine Sache glatt gezogen, die sich schon etabliert hatte. Umsetzung der Liturgiereform im Geist des Konzils hätte bedeutet: Gloria und Credo (NC) lateinisch und deutsch auswendig lernen, aber dazu waren Priester wie Laien zu faul.

Zu 2. Auch da ist der Grund die Faulheit, aber man redet gegen eine unsichtbare Wand. Mittlerweile wollen Seminaristen und junge Priester intellektuell nicht mehr auf der Höhe der Zeit sein. Selig die im Geiste Armen, sagt man sich. Da will man auch kein Latein mehr können.
Keine Folge des Konzils, sondern Folge der Reformwut und Ära-Kohl-Denkfaulheit im deutschen Sprachraum.

Zu 3. Das ist richtig.
Man muss allerdings dem Ordo Missae 1970 zugute halten, dass er einen Kompromiss darstellt, weil sich
die nachkonziliare Kommission nicht dafür entscheiden konnte, etwa im Eröffnungsteil der Messe entschiedene Schnitt zu setzen.
Das ist die eigentliche Ursache für die vielen Möglichkeiten des Weglassens und Ersetzen im MR 1970.
Warum muss jede Sonntagsmesse auch in einfachen Verhältnissen mit dem Herrunterrezitieren des Eröffnungsteils einer frühmittelalterlichen römischen Papstmesse beginnen? Ich empfände es nicht als revolutionär, wenn der Priester nach dem Einzug, der von Psalmengesang begleitet ist, sagte: "Der Herr sei mit euch", die Gemeinde antwortete: "Und mit deinem Geiste", sich dann alle setzten und der Lektor mit der Ersten Lesung begänne.
Es gäbe noch mehr Beispiele, aber das ist an sich OT.

Mmn liegen die Grundprobleme woanders: 1. Die Priester meinen immer noch, sie wären in der Gottesdienstfeier nicht Diener des Allerhöchsten gemäß einem liturgierechtlich fixierten Amt, sondern sie wären die Herren der Liturgie und auch der versammelten Gemeinde. Darum erlauben sie sich so viel Eigenmächtigkeiten.
2. Priester kennen sich im aktuellen Liturgierecht nur aus, wenn es ihre tragende Rolle zementiert.
3. Pastoral- und Gemeindereferenten meinen, es den Priestern zeigen zu müssen, und ahmen diese nach, wo es nur geht.

4. DIE GANZE KIRCHE - auch die Priester - LEIDET AN EINEM MANGELNDEN VERSTÄNDNIS FÜR PSALMEN (UND IHREN GEBRAUCH IN DER LITURGIEFEIER), FÜR DIE LITURGISCHE TRADITION EINSCHLIESSLICH DER FESTSTEHENDEN UND WECHSELNDEN TEXTE DER HL. MESSE SOWIE FÜR DEN GENIUS DER LITURGIE.

Für dieses Verständnis wird in Seminarien und Fakultäten, Religionsunterricht, Katechese, Erwachsenenbildung und Predigten viel zu wenig getan, denn die Priester können es selber nicht.

Ciao!
Zuletzt geändert von conscientia am Mittwoch 5. Dezember 2012, 20:30, insgesamt 1-mal geändert.

conscientia
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von conscientia »

ad-fontes hat geschrieben:
ar26 hat geschrieben:[..]
Nein, bereits in SC findet sich Fragwürdiges. Ein mehrjähriger Lesezyklus (soweit ich weiß, von Guardini inspiriert), war der Todesstoß für die überlieferte Liturgie.
Nicht unbedingt. Lesezyklen haben sich immer wieder einmal geändert. - Au0erdem setzt SC 51 lediglich, dass die Schatzkammer des Gotteswortes weiter aufgetan werde. -
Wenn ich die Fans der außerordentlichen Form richtig verstehe, kommt es diesen eher auf die vom MR 1570 festgesetzte Form der Messfeier an (die im 20. Jh. festgesetzten Aufweichungen der Buß- und Fastendisziplin scheint man gern mitzunehmen), als auf die Aufteilung der Bibellesungen.

OT: Gibt es eigentlich in Holland noch altkath. Gemeinden, die die außerordentliche Messe mit allem Drum und Dran, wenn auch auf Holländisch halten?

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marcus-cgn
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Re: Trappistenabtei Mariawald

Beitrag von marcus-cgn »

Maurus hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:
Fridericus hat geschrieben:Nein! Gerade das Gegenteil war der Fall. Papst Johannes XXIII. war in liturgischen Dingen sehr "konservativ", konservativer als sein Vorgänger und sein Nachfolger.
Und die Einfügung des hl. Joseph in den Canon war nur ein Ausrutscher?
Konservativ heißt in dem Fall (und auch in anderen) nicht, dass Änderungen jedweder Art undenkbar sind. Es heißt, in schwerwiegenden Dingen vorsichtig zu sein. Und da ist es schon etwas anderes, ob man dem Kanon einen Heiligen hinzufügt oder den Ritus der Heiligen Woche(!) reformiert.

Sagt wohlgemerkt jemand, der die pianische Reform durchaus begrüßt.
Die Einführung des hl. Josef in den Kanon kann - so würde ich das sehen - als ein geschickt initierter Präzedenzfall betrachtet werden. Als Vorgang auf den ersten Blick nicht weiter problematisch, für Kirchenrechtler bzw. Liturgiewissenschaftler aber durchaus eine Zäsur, da man bis dahin davon ausging, der Kanon sei - seit dem Tridentinum - unveränderbar. Spätere "Operationen" an der Messe konnten sich auf diesen Schritt berufen.

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marcus-cgn
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von marcus-cgn »

conscientia hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:
ar26 hat geschrieben:[..]
Nein, bereits in SC findet sich Fragwürdiges. Ein mehrjähriger Lesezyklus (soweit ich weiß, von Guardini inspiriert), war der Todesstoß für die überlieferte Liturgie.
Nicht unbedingt. Lesezyklen haben sich immer wieder einmal geändert. - Au0erdem setzt SC 51 lediglich, dass die Schatzkammer des Gotteswortes weiter aufgetan werde. -
Wenn ich die Fans der außerordentlichen Form richtig verstehe, kommt es diesen eher auf die vom MR 1570 festgesetzte Form der Messfeier an (die im 20. Jh. festgesetzten Aufweichungen der Buß- und Fastendisziplin scheint man gern mitzunehmen), als auf die Aufteilung der Bibellesungen.
Das kann man auch wieder so und so sehen.

Einerseits ist es unstrittig, dass die Perikopenordnung von 1570 unvollkommen ist. Das kann man schon daran sehen, dass das Römische Messbuch ja viel älter ist und die Perikopen bis 1570 immer mal wieder verschoben und ausgetauscht wurden, so dass 1570 ein ziemlicher "Flickenteppich" für verbindlich erklärt wurde, der für die einzelnen Sonntage ziemlich heterogene Formulare anbot. Hier hätte eine Reform durchaus die ürsprüngliche Zusammenstellung der Perikopen restaurieren können, soweit das aus heutiger Sicht einen Sinn ergibt.

Die Schaffung einer zusätzlichen Lesereihe wäre an sich auch unproblematisch gewesen, allerdings kann ich mir vorstellen, dass über diesen Punkt alles ins rutschen geriet bis am Ende nichts mehr vom alten Messbuch übrig blieb.

- Anstatt einer zusätzlichen Reihe sollten es drei werden.
- Dadurch wurde das Messbuch zu dick.
- Das Lektionar wurde ausgegliedert.
- Man wollte eine kontinuierliche Reihe ohne das Nachschalten von Sonntagen (und Wochentagen, denn die kamen jetzt dazu!).
- Dafür musste die Gliederung des Kirchenjahres geändert werden.
- Als man sich dann die Feier des Jahreskreises ausgedacht hatte war es nicht mehr weit bis zu der Idee, die Perikopen dort nicht mehr in Bezug zu einer Jahreszeit (Erscheinung, Pfingsten, Quartember) zu setzen, sondern der Erzählung der Evangelien zu folgen.

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Maurus
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Re: Trappistenabtei Mariawald

Beitrag von Maurus »

marcus-cgn hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:
Fridericus hat geschrieben:Nein! Gerade das Gegenteil war der Fall. Papst Johannes XXIII. war in liturgischen Dingen sehr "konservativ", konservativer als sein Vorgänger und sein Nachfolger.
Und die Einfügung des hl. Joseph in den Canon war nur ein Ausrutscher?
Konservativ heißt in dem Fall (und auch in anderen) nicht, dass Änderungen jedweder Art undenkbar sind. Es heißt, in schwerwiegenden Dingen vorsichtig zu sein. Und da ist es schon etwas anderes, ob man dem Kanon einen Heiligen hinzufügt oder den Ritus der Heiligen Woche(!) reformiert.

Sagt wohlgemerkt jemand, der die pianische Reform durchaus begrüßt.
Die Einführung des hl. Josef in den Kanon kann - so würde ich das sehen - als ein geschickt initierter Präzedenzfall betrachtet werden.
Kann, könnte - das ist die Story, die man sich von interessierter Seite dazu zurechtgelegt hat. Beweisen lässt sich das nicht.

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Protasius
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von Protasius »

marcus-cgn hat geschrieben:Einerseits ist es unstrittig, dass die Perikopenordnung von 1570 unvollkommen ist. Das kann man schon daran sehen, dass das Römische Messbuch ja viel älter ist und die Perikopen bis 1570 immer mal wieder verschoben und ausgetauscht wurden, so dass 1570 ein ziemlicher "Flickenteppich" für verbindlich erklärt wurde, der für die einzelnen Sonntage ziemlich heterogene Formulare anbot. Hier hätte eine Reform durchaus die ürsprüngliche Zusammenstellung der Perikopen restaurieren können, soweit das aus heutiger Sicht einen Sinn ergibt.
Hättest du dazu noch etwas mehr? Das klingt interessant.
Zuletzt geändert von holzi am Sonntag 9. Dezember 2012, 20:51, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Zitat korrigiert
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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marcus-cgn
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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von marcus-cgn »

Protasius hat geschrieben:
marcus-cgn hat geschrieben:Einerseits ist es unstrittig, dass die Perikopenordnung von 1570 unvollkommen ist. Das kann man schon daran sehen, dass das Römische Messbuch ja viel älter ist und die Perikopen bis 1570 immer mal wieder verschoben und ausgetauscht wurden, so dass 1570 ein ziemlicher "Flickenteppich" für verbindlich erklärt wurde, der für die einzelnen Sonntage ziemlich heterogene Formulare anbot. Hier hätte eine Reform durchaus die ürsprüngliche Zusammenstellung der Perikopen restaurieren können, soweit das aus heutiger Sicht einen Sinn ergibt.
Hättest du dazu noch etwas mehr? Das klingt interessant.
Ja, werde ich gerne machen, dauert aber noch ein paar Tage, möchte auch gerne die Quellen dazu liefern.

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Re: Einer von fünf: die Entwicklung der Tradition

Beitrag von marcus-cgn »

Protasius hat geschrieben:
marcus-cgn hat geschrieben:Einerseits ist es unstrittig, dass die Perikopenordnung von 1570 unvollkommen ist. Das kann man schon daran sehen, dass das Römische Messbuch ja viel älter ist und die Perikopen bis 1570 immer mal wieder verschoben und ausgetauscht wurden, so dass 1570 ein ziemlicher "Flickenteppich" für verbindlich erklärt wurde, der für die einzelnen Sonntage ziemlich heterogene Formulare anbot. Hier hätte eine Reform durchaus die ürsprüngliche Zusammenstellung der Perikopen restaurieren können, soweit das aus heutiger Sicht einen Sinn ergibt.
Hättest du dazu noch etwas mehr? Das klingt interessant.
Die Entstehung der Perikopenordnung im Römischen Meßbuch bis zum Jahre 1570 ist natürlich ein weites Feld. Ich kann hier nur ein paar Eckpunkte liefern.

Zunächst zwei Vorbemerkungen:

1.) Das Römische Meßbuch wurde schon seit dem frühen Mittelalter auch von anderen Kulturräumen mit beeinflusst, so dass sich sowohl gallische, als auch germanische Elemente ihn ihm wiederspiegeln.

2.) Bei der Verteilung der Perikopen und der Gesangstücke folgte man öfters dem Prinzip der "Bahnlesung". Das ist also keine Erfindung des NOM. Allerdings standen insgesamt weniger Perikopen zur Auswahl, so dass es immer wieder Lücken zwischen den einzelnen Bibelabschnitten gab. Man hat es also mehr mit einer Auswahl wichtiger Bibelstellen zu tun, die allerdings nicht selten der Reihe nach dran kamen. Ein gutes Beispiel liefert eine Bahnlesung aus dem Römerbrief. Der Anfang wurde wohl bewußt auf Heiligabend gelegt. Andere Teile des Römerbriefs wurden dann - relativ spät (8. Jhd.?) - auf die Sonntage nach Erscheinung gelegt. Einige passende Perikopen auch auf den 1. und 2. Advent. An diesem kurzen Beispiel kann man sehen, dass offenbar nur die beiden Perikopen vom 1. und 2. Advent (die also aus der Reihe "gerissen" wurden) einen inhaltlichen Bezug zu dem betreffenden Sonntag nehmen sollten. Die Lesung von Heiligabend, sowie die vom 1. bis zum 4. Sonntag nach Erscheinung wurden offenbar nach dem Prinzip der Bahnlesung auf die jeweiligen Tage plaziert.

- Soweit nur die Vorbemerkung -

Als Beispiel für Verschiebungen von Perikopen und Zerlegung urspünglicher Formulare kann die Zeit nach Pfingsten herhalten. Auch hier bedarf es einer kurzen Erläuterung: Bekanntlich gab - und gibt es bis heute - unterschiedliche Möglichkeiten diesen Zeitraum zu gliedern. Das Hauptproblem liegt darin, dass dieser Zeitabschnitt wegen dem wechselnden Ostertermin unterschiedlich lang ist. In Rom gab es wohl noch um das 5. Jahrhundert die Praxis, die Sonntage nach dem Fest der hll. Petrus und Paulus an zu zählen, später (im September) dann ab dem Fest des hl. Cyprian. Das Problem mit dem wechselnden Ostertermin (und die dadurch zu schließende Lücke in den Sonntagsmessen) wurde somit unmittelbar auf die Zeit nach Pfingsten gelegt. Bei der später üblichen Zählung von 24 Sonntagen nach Pfingsten verlagerte sich diese Problematik auf das Ende des Kirchenjahres. Diese verschiedenen Gliederungsmöglichkeiten muss man im Auge behalten, um die spätere Zusammenstellung der Sonntagsmessen zu verstehen.

Kernstück der heutigen Sonntage nach Pfingsten ist eine vorgregorianische Gruppe von 16 Sonntagsmessen (Perikopen mit Gesangstücken und Orationen). Das erste Lesung dieser Gruppe setzt mit dem 6. Sonntag nach Pfingsten an. Die Lesereihe der 16 Sonntagsmessen begann also mit urspünglich mit diesem Sonntag. Man stand hier wohl noch unter dem Einfluss der Tradition, wonach die Sonntage nach dem Fest der hll. Petrus und Paulus an gezählt wurden. Schaut man sich die Lesungen der ersten Sonntage nach Pfingsten an stellt man fest, dass hier viermal Lesungen aus den katholischen Briefen auftauchen. Hierbei handelt es sich um Überreste von 10 Sonntagsmessen die im 5. Jahrhundert - zur Zeit des hl. Leo - an den Sonntagen nach Erscheinung des Herrn gelesen wurden. Später hat man dann aus diesen Formularen die Messen nach Ostern gebildet und die überschüssigen Perikopen auf die Sonntage zwischen Pfingsten und dem Fest der hll. Petrus und Paulus verlagert. Als man die Sonntage nach Pfingsten in der heutigen Form konzipiert hat (etwa 8. Jh.), wurde für die Leseordnung diese Tradition beibehalten, so dass die Perikopenreihe der 16 Sonntagsmessen erst mit dem 6. Sonntag nach Pfingsten ansetzte. Für die Gesänge hat man sich dagegen entschieden, sie bereits mit dem 1. Sonntag nach Pfingsten beginnen zu lassen. Abgesehen vom Graduale wurden also Gesangstücke und Perikopenordnung getrennt. Allerdings stehen heute auch Lesung und Evangelium nicht mehr in der urspünglich gewählten Weise zusammen. Hintergrund dafür war der Umstand, dass der 1. Sonntag nach Pfingsten lange Zeit kein Meßformular hatte, denn an den Sonntagen nach den Quatembersamstagen fand früher keine Messe statt. Als man auch für diese Sonntage Messen zusammenstellte entschied man dafür das Evangelium Lk 6, 36-42 (vom 5. Sonntag) auf den 1. Sonntag nach Pfingsten zu legen. Die neu entstandene Lücke am 5. Sonntag wurde dadurch geschlossen, dass man alle Evangelien um einen Sonntag nach vorne schob.

Die ursprünglichen 16 Sonntagsmessen sind also zusammenhängend nicht mehr erhalten. Gesänge, Lesung und Evangelium wurden getrennt. Ähnliches kann man auch für andere Abschnitte des Kirchenjahres feststellen.

Quellenhinweise:
L.C. Mohlberg, Sacramentarium Gregorianum, München 1925
H. Lietzmann, Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar, München 1921
Th. Klauser, Das Römische Capitulare Evangeliorum, München 1925

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