Mary hat geschrieben:Hallo Evagrios,
ich habe diese Bitte von Monergist nochmal nach vorne geholt. Ich war damals sehr gespannt auf Deine Antwort (deinem Verständnis der Heilsgeschichte), aber soweit ich sehe, hast Du diese Antwort noch nicht gegeben.
Lg Maria
Mein Verständnis von Heilsgeschichte? Und das in wenigen Sätzen? Ich will es versuchen. Wasserdicht ist das ganze wahrscheinlich nicht hundertprozentig:
1. Der Urstand
Gott hat den Menschen als sein Ebenbild geschaffen, und zwar als Mann und Frau. Darin ist der Mensch Höhepunkt und Krone der Schöpfung, nämlich als vernunftbegabtes, zur Antwort berufenes Wesen. Mit Augustinus würde ich sagen: Der Mensch war im Urstand fähig, nicht zu sündigen (posse non peccare).
Gott hatte dem Menschen sein Gebot gegeben: eine Ordnung des Lebens in der Gemeinschaft mit Gott, was im Bild des Paradiesgartens ausgedrückt wird. Hätte der Mensch sich in dieser Ordnung bewährt, so wäre er wohl direkt vergottet worden (wobei ich mir darüber klar bin, dass solche Wendungen wie „hätte er“ und „dann wäre er“ unsere Vorstellungen von Zeit voraussetzen. Die Zeit, wie wir sie erleben, ist jedoch Folge des Falles, ebenso die Natur, die uns umgibt etc.).
2. Der Fall
Der Versucher trat nun an den Menschen heran und stellte ihm in Aussicht zu werden wie Gott. Die Bedingung dafür war, dass der Mensch mit der Vertrauensbeziehung mit Gott brach und dem Versucher sein Vertrauen schenkte. Den Teufel stelle ich mir hierbei durchaus als personale Realität vor, denn nur so kann begründet werden, woher das Böse kam, das den Menschen in Versuchung geführt hat. Klar ist mir, dass die Frage nach dem Woher dadurch letztlich nicht beantwortet wird, denn auch beim Versucher stellt sich ja die Frage, woher er versucht wurde und böse wurde.
Nun, der Mensch brach die Vertrauensbeziehung mit Gott, indem er die göttliche Ordnung brach. Oben habe ich ja erläutert, dass es bei der göttlichen Ordnung, beim Gesetz Gottes um mehr als um einen äußerlichen Normenkatalog geht. In jedem der Gebote ist das erste Gebot mit gesetzt, wie Martin Luther meiner Meinung nach plausibel ausgeführt hat. Auch dazu habe ich ja schon geschrieben.
3. Was Sünde ist
Jetzt kommt das Entscheidende des Sündenfalls: Sünde ist vornehmlich Sünde und Aufruhr gegen Gott. Psalm 51,6: „An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan.“ Ich halte dies für entscheidend, weil nun anhand der verschiedenen biblischen Gottesprädikate ausgeführt werden müsste, was Sünde ist:
• Weil Gott das Leben ist, ist Sünde Abkehr vom Leben, Hinwendung zum Tod und Verfallenheit an den Tod. Wichtig: Der Tod ist Folge des Zornes Gottes und nicht lediglich ein von Gott losgelöstes Geschehen (Psalm 90,7ff).
• Weil Gott der König aller Könige ist, ist Sünde Beleidigung seiner Majestät.
• Weil Gott der Herr aller Herren ist, ist Sünde Bruch der göttlichen Rechtsordnung. Die Folge ist, dass die Verdammnis die gerechte Strafe des Sünders ist.
• Und schließlich auch: Weil der Mensch dem Teufel Gehorsam erwiesen hat, ist er dessen Sklave geworden und dieser quasi sein rechtmäßiger Herr. Er gehört zu dessen Reich.
Wahrscheinlich gibt es noch weitere Gottesprädikate, von denen her man entfalten könnte, was es bedeutet, dass wir an Gott allein gesündigt und übel vor ihm getan haben. Die verschiedenen Aspekte lassen sich auch nicht feinsäuberlich trennen, sondern beschreiben das Phänomen der Sünde aus je einem anderen Blickwinkel.
4. Der gefallene Mensch
Der Mensch wird aus dem Paradies verstoßen. Dies ist Trennung von Gott, Trennung von der Gemeinschaft mit ihm. Weil der Mensch gesündigt hat, steht es ihm nun nicht mehr frei, nicht zu sündigen, sondern er muss sündigen. Augustin: der Mensch kann nicht nicht sündigen (non posse non peccare). Dieses Verhängnis betrifft alle Menschen (Erbsünde). Die einzige Ausnahme vielleicht: Maria, die im Moment ihrer Empfängnis von der Sünde erlöst wurde, die sie als Tochter Evas ansonsten ebenso betroffen hätte. Und dann natürlich Jesus Christus selbst, der – nicht durch Gnade, sondern von seinem Wesen her als wahrer Mensch und wahrer Gott – ohne Sünde war und diesen Stand in seinem irdischen Leben bewahrt und bewährt hat und darin das Gegenbild zu Adam geworden ist.
Die Geschichte zeigt und zeigte bis heute, dass ja auch tatsächlich alle Menschen Sklaven der Sünde sind, und dies nicht erst durch einen späteren Fall, sondern von Geburt an.
5. Die durch Christus geschehene Erlösung
Wir Menschen können uns nicht selbst erlösen. Deshalb ist Gott selber in seinem Sohn Mensch geworden, um durch Kreuz und Auferstehung einerseits Sühne zu schaffen und andererseits das neue Leben der Vergöttlichung zu verwirklichen:
• Christus hat den Tod als Folge des Zornes Gottes getragen.
• Christus hat durch seinen Tod stellvertretend Genugtuung geleistet.
• Christus hat in seinem Tod das gerechte Urteil über den Sünder stellvertretend erlitten.
• Christus hat in seinem Tod das Lösegeld gezahlt und uns aus dem Reich des Teufels freigekauft.
• Weitere Aspekte des Todes Jesu wären sicher noch zu nennen…
Da es bei der Erlösung aber nicht bloß um die Beseitigung der Strafe für die Sünde etc., sondern um die Vergöttlichung des Menschen geht, macht erst die Auferstehung Jesu sein Werk vollständig:
• Als der Auferstandene tritt er für die Seinen vor Gott ein.
• Als der Auferstandene ist er der Richter im Jüngsten Gericht.
• Als der Auferstandene ist er das Leben in Person. Durch die Teilhabe an ihm fließt dieses Leben auf die Glaubenden über.
• Als der Auferstandene ist er der Beginn und Ursprung der umfassenden Erneuerung des Kosmos.
• Weitere Aspekte der Auferstehung Jesu wären sicher noch zu nennen…
6. Die Zueignung der Erlösung
Erlösung vollzieht sich nun als Rechtfertigung dessen, der im Glauben am Leben der Kirche, des Leibes Christi, teilhat:
• Forensische Rechtfertigung: Gott sieht den Glaubenden schon jetzt als gerecht um Christi willen an. Die Glaubenden stehen nicht mehr unter dem Zorn, sondern unter der Gnade Gottes. Diese Gnade wirkt aber auch an ihnen, damit kommen wir zum zweiten Aspekt von Rechtfertigung.
• Effektive Rechtfertigung: Die Glaubenden sind durch die Teilnahme am Leben der Kirche (Wort, Sakramente, Gebet etc.) in einen Prozess der Vergottung hineingenommen. An diesem Prozess nehmen wir aktiv teil. Dieser Prozess findet in der Ewigkeit seinen Abschluss (Auferstehung zum ewigen Leben). Dort werden wir sein, wie er ist (nach seiner menschlichen Natur). Wir werden also im Jüngsten Gericht nicht mehr „nur“ als gerecht angesehen, sondern sind es dort tatsächlich auch. Insofern ist das ewige Leben sowohl reine Gnade, reines Geschenk, als auch Lohn.
Forensische und effektive Rechtfertigung sind also in dieser Weltzeit zu unterscheiden, sie kommen aber am Jüngsten Tag gewissermaßen zur Deckung: die forensische Rechtfertigung findet ihr Ziel und Ende (telos) in der effektiven Rechtfertigung.
Wir sind also als Glaubende schon erlöst und werden trotzdem erst noch erlöst werden. Wir sind auf dem Weg, das zu werden, was wir sind. Wenn wir aber einmal sein werden, was wir schon jetzt in Gottes Augen sind, dann werden wir nicht mehr sündigen können (Augustinus: non posse peccare), weil wir ganz und gar der Natur Gottes teilhaftig sein werden, weil wir ihn erkennen werden, gleichwie wir erkannt sind.