Mary hat geschrieben:Lukas 20,9 ist eine "Nacherzählung" der Geschichte des Volkes Gottes (Weinberg) mit Gott (Besitzer) ... Und auch davon, dass Gott sich nicht aufdrängt, seine Güter dann denen gibt, die sie schätzen und der wissenden Geduld mit den "schlechten Winzern". Wer schliesst hier aus? Die Winzer sich selbst, würde ich sagen.
Im Großen und Ganzen widerspreche ich Dir nicht. Aber trotzdem die Rückfrage: Ist Deine Deutung in der Summe dann doch nicht etwas zu harmonisch? Vers 15bff: "Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben."
Mary hat geschrieben:Matthäus 22,1 spricht ebenfalls von der Einladung Gottes an sein Volk, an seinen Gütern teilzuhaben. Davon, dass das Volk die Einladung ausschlägt, ja sogar die Diener Gottes umbringt. Davon, dass dann die Gäste ausserhalb gesucht werden (die Heiden).
Eine Knacknuss ist der Mann ohne Hochzeitskleid. Das Hochzeitskleid hat der König selbst zur Verfügung gestellt. Der Gast wollte es nicht, wollte das Königreich zu seinen eigenen Bedingungen. Das Hochzeitskleid ist das Taufkleid, und weiter gefasst das Leben in Glaube, Reue und Umkehr. (wozu auch Gott verhilft, man muss aber mitwirken, Stichwort Synergie). Auch der, der das Hochzeitskleid verweigert, richtet sich selbst. (Joh 3,18)
Ich widerspreche Dir nicht. Du hast, denke ich, richtig ausgelegt, auch das Hochzeitskleid als die geschenkte Taufgnade. Aber auch hier meine Rückfrage. Ist das nicht etwas zu harmonisch gedacht? Vers 13: "Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße etc." Übrigens könnte man hier sogar noch fragen, ob nicht genau das ausgesprochen ist, was nicht nur in der Antike mit "Majestätsbeleidigung" gemeint gewesen wäre: Der unwürdige Festteilnehmer brüskiert den König, der in seiner Güte das Kleid sogar geschenkt hat.
Nun zum Verlorenen Sohn:
Mit den beiden Söhnen spielt Jesus zunächst offensichtlich auf zweierlei Menschen an, denen er im Volk Israel begegnet ist:
Da ist der jüngere Sohn, der sein Erbe verprasst hat, nachdem er vom Vaterhaus weggelaufen ist, hinein in eine vermeintliche Freiheit, die sich am Ende als Verlorenheit herausgestellt hat. Hiermit sind jene gemeint, die in den Evangelien immer wieder als „Zöllner und Sünder“ von pharisäischer und schriftgelehrter Seite zusammengefasst werden.
Und dann ist da der ältere Sohn, der treu beim Vater geblieben ist und nie eine Freude gegönnt hat. Vielleicht weil er den Vater als missgünstig und streng eingeschätzt hat? Hiermit sind jene gesetzestreuen Juden gemeint, die in aufrichtiger Frömmigkeit das Mosegesetz befolgt haben.
Wichtig ist zweierlei: Die Treue des älteren Sohnes, also die Frömmigkeit der gesetzestreuen Juden, wird von Jesus nicht getadelt. Ausdrücklich hebt er hervor: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir…“ Auf der anderen Seite wird dem jüngeren Sohn eine Rückkehr ohne Vorwürfe, ohne Vorleistungen etc. ermöglicht. Dies war eine Provokation gegenüber den Bußbedingungen des damaligen Judentums reuigen Sündern gegenüber. Ein Sünder, der Buße tat, musste bestimmte Vorleistungen erbringen, bevor seine Buße anerkannt worden ist. Jesus dagegen spricht von einer freien Gnade Gottes, von der Tür, die offen steht.
Für den älteren Sohn entsteht so eine Entscheidungssituation: Wird er sich vom Vater abwenden? Oder wird er einstimmen in die Freude des Vaters über die Rückkehr des jüngeren Sohnes? Vor dieselbe Entscheidungssituation waren die damaligen schriftgelehrten Juden gestellt: Würden sie Jesus, der gekommen ist die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten, ablehnen? Oder würden sie einstimmen in die Freude Gottes (vgl. Verse 5+9+10+32) über den einen Sünder, der Umkehrt und Buße tut?
Was ich mit Gesetz und Evangelium beim Gleichnis vom verlorenen Sohn meine: Das Evangelium ist, dass uns in diesem Gleichnis zugesagt wird, dass Gott uns mit offenen Armen empfängt. Die Liebe des Vaters hat Gestalt gewonnen in jener Liebe des Vaters, der sich in seinem Warten auf die Rückkehr des jüngeren Sohnes sogar dem Spott der Leute aussetzt: denn offensichtlich hält er täglich Ausschau nach dem Sohn und läuft ihm, als er ihn erblickt, eilends entgegen (Vers 20). Zum einen sahen ihn die Leute sicher, wie er jeden Tag wohl an der Tür des Hauses oder am Zaun des Gehöfts Ausschau hielt. Zum anderen lief man in der Antike nicht. Das war würdelos. Damit blamierte man sich vor anderen. Aber, so sagt Jesus, so ist Gott. Jesus handelt so, in einer für die Leute anstößigen Weise, weil Gott so ist. Diese Aussage ist das Evangelium.
Nun das Gesetz: Gesetz bedeutet, dass Gott durch sein Wort die Sünde aufdeckt und uns so zum Evangelium hintreibt. Im Gleichnis wird unsere Sünde aufgedeckt darin, dass uns gesagt wird: Wir haben uns von Gott abgewandt und uns dem Prassen (Vers 13) hingegeben. D.h. wir haben uns vom Ewigen abgwandt und unser Herz an das Zeitliche, an das Geschaffene gehängt. „Woran du nun dein Herz hängst, das ist dein Gott!“ (Martin Luther zum ersten Gebot)
Dann ist das Gleichnis darin Gesetz, dass es uns das Ende des Weges weg von Gott zeigt: Der Weg der Sünde, der Abkehr von Gott, führt ganz nach unten, sprichwörtlich zu den Schweinen. Schweine stehen für Unreinheit. Unreinheit bedeutet Trennung von Gott. Der Hunger steht dafür, das „Brot des Lebens“ entbehren zu müssen, am ungestillten Hunger nach Leben zugrunde gehen zu müssen.
Das Gesetz begegnet uns schließlich zum Dritten darin, dass es uns die Furchtbarkeit der Sünde dadurch aufdeckt, dass es uns den Vater in der oben gezeigten Weise vor Augen stellt. Unsere Sünde muss offenbar so schlimm sein, dass Gott sich unseretwillen regelrecht blamiert, um uns zu gewinnen. In Jesus geht er uns nach und macht sich so zum Spott der gesetzestreuen Schriftgelehrten, die gerade darin Gott nicht erkennen. Wie schlimm es um uns steht, wird daran erkennbar, welchen Weg Gott gegangen ist, um uns zu gewinnen: nämlich in Jesus Christus als der gute Hirte, der dem verlorenen Schaf nachgeht (es ist kein Zufall, dass in Lukas 15 drei Gleichnisse vom Verlorenen zusammengestellt werden: drei ist eine besondere Zahl, es brauch mehr als ein Gleichnis).
In all dem "motiviert" uns das Gesetz, sich dem Vater in dankbarer Liebe zuzuwenden, also das Evangelium in diesem Gleichnis für uns ganz persönlich zu hören und zu glauben. Man spricht in der lutheischen Theologie von der Dialektik von Gesetz und Evangelium und meint damit ein Wechselspiel dieser beiden Aspekte, die in uns etwas in Bewegung bringen, nämlich uns zum Glauben, zur Buße, zur Liebe bewegen.
Was ganz am Ende noch zu bedenken ist: Das Gleichnis kann nicht vom Erzähler des Gleichnisses gelöst werden. Christus erzählt es. Er stellt uns durch dieses Gleichnis Gott vor Augen. Und er wird aufgrund dieses Gleichnisses und vieler anderer Worte und Taten schließlich gekreuzigt werden. Die Gnade, von der er also in diesem Gleichnis erzählt, kann nicht losgelöst werden vom Kreuz, auf das sein Weg schon zugeht (Lukas 9,21ff). Das Kreuz aber ist zweierlei: Zum einen das unbedinge Durchhalten der Zuwendung zu den Sündern. Jesus bleibt den Sündern zugewandt (vgl. Lukas 23,34). Sogar im Sterben hält Jesus an der Gemeinschaft mit ihnen fest, was sich ja dann auch im Wort an den Schächer besonders zeigt. Zum anderen nimmt Jesus aber das Kreuz nicht von den Menschen, sondern von Gott an. Gerade in den Leidensankündigungen tritt dies hervor: Das göttliche „Muss“ steht für Jesus über seinem Weg. Warum muss Jesus sterben? Hier kommt beides zusammen: Weil er die Gemeinschaft mit den Sündern durchhält und weil die Strafe für die Sünde der Tod ist.
Jetzt könnte natürlich eingewandt werden: „Aber das steht ja im Gleichnis vom verlorenen Sohn gar nicht drin!“ Doch, sage ich, indem Jesus es erzählt. Es kann nicht von seiner Person, vom Weg, auf dem er sich schon befindet, getrennt werden. Es ist kein religiöser Text, der losgelöst von ihm erzählt werden könnte. Sondern das Gleichnis ist mit seiner Person und seinem Werk untrennbar verwoben. Oder anders gesagt: Dass die Tür beim Vaterhaus offen steht, ist Folge des Weges und Werkes Jesu. Er hat es vollbracht.
Verfehlt wäre es nun, wenn wir sagen würden, Gott „braucht“ den Sühnetod Jesu, um uns zu vergeben. „Brauchen“ ist eine Kategorie der geschaffenen Welt: wir brauchen Nahrung, um zu leben etc. Ebenso wäre es aber verfehlt zu sagen, Gott "braucht" den Sühnetod Jesu "nicht". Wie Gott gehandelt hat, lässt sich nicht auf die Bedingungen der Möglichkeit seines Handelns hinterfragen. Sondern: Gott hat so gehandelt, um Sühne zu schaffen: Indem er Christus in den Tod gibt, schenkt er uns das Leben. Indem er ihn seinen Zorn treffen lässt, wendet er uns seine Gnade zu. Indem Christus stirbt, ist unsere Antastung seiner Majestät weggenommen.