Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Ostkirchliche Themen.
Evagrios Pontikos
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Re: @ Evagrios

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:In der Orthodoxie war man sich stets bewusst, dass anthropomorphe Redeweise nicht dem göttlichen Sein entspricht, sondern ein Zugeständnis an die Beschränktheit der Menschen und ihrer Sprache ist. Wer aber die Anthropomorphismen als das eigentliche Wesen Gottes versteht, hat aus orthodoxer Sicht ein falsches Gottesbild.
Unter dieser Denkvoraussetzung könnte man dann aber strenggenommen von der Menschwerdung Gottes nicht sprechen. Denn dass sich im Erbarmen Jesu mit den Sündern Gott selber über diese erbarmt, wirklich erbarmt, was ja ein "Anthropomorphismus" ist, kann eben nicht ander als "anthropomorph" ausgesat werden. Oder nochmals, was ich schon oben geschrieben habe: Die ewige Geburt des Sohnes aus dem Vater und der Hervorgang des Geistes aus dem Vater sind Begriffe, die von Veränderungen sprechen, was aber eine Kategorie des Geschöpflichen wäre. Trotzdem treffen sie auf Gott zu und beeinträchtigen, für uns geheimnisvoll verborgen, nicht die Unveränderlichkeit Gottes. Ebenso beeinträchtigen, beschädigen anthropomorphe Begriffe wie "Zorn" oder "Strafe", wiederum für uns geheimnisvoll verborgen, das Wesen Gottes nicht. Denn Gott zeigt sich uns (in Gesetz und Evangelium) als der Richtende und Rettende, als der Zornige und der Erbarmende. Gott ist aber so, wie er sich zeigt.

Meine Frage wäre: Bedeutet nicht die Einstufung der entsprechenden biblischen Texte als einer lediglich metaphorischen Redeweise, eine "Bibelkritik ohne Bibelkritik" zu betreiben?

Mir fällt nämlich auf, dass in der neutestamentlichen Exegese ungefähr seit Semler ein "historischer Jesus", für den das Vaterunser und das Gleichnis vom verlorenen Sohn als authentische Texte angesehen werden, gegen einen Paulus, für den die Sühnetheologie und andere Texte als Beleg angesehen wird, ausgespielt wird. Jene kritischen Exegeten ziehen als Konsequenz eine formgeschichtliche Kritik der Evangelientexte (z.B. auch die Gleichnisse vom Abendmahl oder von den bösen Weingärtnern). Eure Argumentation wäre gewissermaßen eine Konsequenz in anderer Richtung. Ich will das nicht als Vorwurf verstanden wissen, sondern nur als Beobachtung in den Raum stellen.

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Hallo Evagrios,

vielen Dank für Deine Vertiefungen, leider habe ich gegenwärtig nicht so viel Zeit, dazu Stellung zu nehmen.

Für mich machen Deine Ausführungen deutlich, dass - wie ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe - hier ein echter Dissens vorliegt und nicht nur zwei verschiedene Betrachtungen. Hier zerredet also niemand Einheit, sondern es gibt keine. Wenn man gleiche Begriffe verwendet, diese aber unterschiedlich ausfüllt, dann hat man noch nicht einen gemeinsamen Nenner. Das haben Lutheraner und Römer bei der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwar so getan, aber dadurch wird es nicht richtig.

Man kann sich hier die Finger wund schreiben, aber die Orthodoxie wird nicht anerkennen, dass Gott, der Vater ein Opfer benötigt um "Gerechtigkeit" zu ventilieren - woraus ergibt sich diese Notwendigkeit und was in aller Welt soll so mächtig sein, dass es Gott bindet? - und auch nicht, dass Gottes "Gerechtigkeit" überhaupt in irgendeiner Form Gerichtssaal-Ähnlichkeit aufweist sowie dass unsere Gerechtigkeit forensische Züge trägt. Gott rettet uns nicht vor sich selbst. Es ist doch absurd, den Sieg über den Teufel zu proklamieren, wenn Gott nach Deinen Ausführungen der ist, der bedroht und der, der die Strafe erlässt. Da ist kein Platz für den Widersacher, weil Gott beide Rollen in sich vereint.

Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Bibel nicht ernst genommen wird, sondern dieses Buch des Heiligen Geistes wird korrekt nur dort ausgelegt, wo der Heilige Geist ist, nämlich in DER Kirche. Und die Kirchenväter erklären eben eindeutig, wie die bildlichen Begriffe aufzufassen sind, die im Übrigen reichlich in der Bibel verwendet werden, ohne dass sie einer wörtlich nimmt. Man kann sich eben nicht 2000 Jahre später losgelöst von der Tradition in ein Seminar setzen und in einem Workshop die Bibel verstehen und Anderen erklären.

Um es offen zu sagen, ausgesprochen hässlich finde ich Deinen Versuch, der Orthodoxie zum Einen unterzujubeln, dass die lutherische Sühnelehre etc. 1000 Jahre im Osten akzeptiert worden sei (und dass man überhaupt kein Problem damit gehabt habe, diese "eins zu eins" zu akzeptieren) sowie zum Anderen, dass hier überhaupt nur eine moderne Orthodoxie vertreten werde, die es früher nie gab. Als Beleg führst Du regelmäßig irgendwelche westlichen "Intimkenner" der Orthodoxie an. Das klingt jetzt wenig freundlich, aber nach orthodoxem Verständnis sind diese Herrschaften nicht getauft, haben nicht den Heiligen Geist empfangen und sind ganz gewiss nicht dazu in der Lage, hier ein sachgerechtes Urteil abzugeben. Aber auch aus rein menschlicher Perspektive stellt sich die Frage, was Du sagen würdest, wenn ich Dir erzählte, dass in irgendeinem süd-georgischen Dorf jemand exakt die CA auslegen könnte...

Ich habe auch schon einmal darauf hingewiesen, dass die Ikonen und die liturgischen Texte eindeutig belegen wie schon immer der Tod Christi verstanden wurde, als Sieg über Tod, Sünde und Teufel und nicht als Werkzeug einer verquasten göttlichen "Gerechtigkeit". Es gibt keine Ikonen zur forensischen Rechtfertigung. Dieses Konzept der Existenzstellvertretung machen die Römer im Übrigen ja auch nicht mit.

Trotzdem viele Grüße
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

... und trotzdem konnte mir noch keiner erklären, warum eine anthropomorphe Redeweise einerseits als metaphorisch eingestuft wird, auf der anderen Seite aber dass der Sohn "geboren aus dem Vater vor aller Zeit" und dass der Hl. Geist "aus dem Vater hervorgeht" nicht metaphorisch sei. Denn wäre es metaphorisch, wären wir beim ketzerischen Modalismus angelangt.

Auf diese Anfragen hätte ich gerne eine Antwort, die mir auch einleuchtet. Man kann nicht einmal die Bibel wörtlich nehmen (Christus als der einziggeborene Sohn Gottes, z.B. nach Johannes 1) und das andere Mal nicht (z.B. die Rede vom Zorn Gottes oder von der Sühne). Eine Theologie, die jede anthropomorphe Rede sofort als metaphorisch entmythologisiert und dadurch entschärft, landet bei einer stoischen Gotteslehre und kann die Trinität nur noch im modalistischen Sinne interpretieren, aber nicht mehr als tatsächliche inntertrinitarische Vorgänge einer Geburt bzw. eines Hervorgangs. Es tut mir leid, aber das leuchtet mir nicht ein.

... und dann, anstatt eine Antwort zu versuchen, gleich die Ketzerhüte zu verteilen, ist zwar eine Flucht nach vorne, aber, weil eine Flucht, trotzdem wenig hilfreich... ;)
Zuletzt geändert von Evagrios Pontikos am Mittwoch 28. April 2010, 22:10, insgesamt 1-mal geändert.

Mary
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Re: @ Evagrios

Beitrag von Mary »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: Nun zum Gleichnis des verlorenen Sohnes: Das Gleichnis redet vor allem von dem, was Lutheraner als Evangelium bezeichnen. Das Gesetz kommt dort eher indirekt zur Geltung. Evangelium bedeutet: Gott zeigt sich uns als der Erbarmende in Jesus Christus.
Das ist mir zu knapp. Ich wäre froh um eine ausführlichere Erklärung, wie das "Gesetz indirekt zur Geltung komme" und was genau dieses "Gott zeigt sich uns als der Erbarmende in Jesus Christus" aussagen soll.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Deine Frage an mich könnte ich ja auch ebenso an Dich stellen: Wie gehst Du als Orthodoxe z.B. mit dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Lukas 20,9ff) um oder mit dem Gleichnis vom großen Abendmahl (Mt 22,1ff)?
Gerne.
Lukas 20,9 ist eine "Nacherzählung" der Geschichte des Volkes Gottes (Weinberg) mit Gott (Besitzer), dass Gott nicht die Früchte des Weinbergs bekommen hat und wie er Prophet um Prophet gesandt hat,... und eine Prophetie im Hinblick auf den Tod Jesus (des Sohnes des Besitzers) und darauf, dass andere Winzer (die Heiden, die in die Kirche kommen werden) den Weinberg bekommen werden, der den anderen Winzern (die Juden, die Jesus verwarfen, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die ja dann auch prompt verstanden, wer gemeint war) weggenommen wurde.
Ein Gleichnis der Liebe Gottes und der Sorge um sein Volk. Und auch davon, dass Gott sich nicht aufdrängt, seine Güter dann denen gibt, die sie schätzen und der wissenden Geduld mit den "schlechten Winzern". Wer schliesst hier aus? Die Winzer sich selbst, würde ich sagen.

Matthäus 22,1 spricht ebenfalls von der Einladung Gottes an sein Volk, an seinen Gütern teilzuhaben. Davon, dass das Volk die Einladung ausschlägt, ja sogar die Diener Gottes umbringt. Davon, dass dann die Gäste ausserhalb gesucht werden (die Heiden).
Eine Knacknuss ist der Mann ohne Hochzeitskleid. Das Hochzeitskleid hat der König selbst zur Verfügung gestellt. Der Gast wollte es nicht, wollte das Königreich zu seinen eigenen Bedingungen. Das Hochzeitskleid ist das Taufkleid, und weiter gefasst das Leben in Glaube, Reue und Umkehr. (wozu auch Gott verhilft, man muss aber mitwirken, Stichwort Synergie). Auch der, der das Hochzeitskleid verweigert, richtet sich selbst. (Joh 3,18)

Jetzt warte ich gespannt auf deine ausführlichere Erklärung zum verlorenen Sohn und dem barmherzigen Vater....

Lg Maria
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

Evagrios Pontikos
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Re: @ Evagrios

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Mary hat geschrieben:Lukas 20,9 ist eine "Nacherzählung" der Geschichte des Volkes Gottes (Weinberg) mit Gott (Besitzer) ... Und auch davon, dass Gott sich nicht aufdrängt, seine Güter dann denen gibt, die sie schätzen und der wissenden Geduld mit den "schlechten Winzern". Wer schliesst hier aus? Die Winzer sich selbst, würde ich sagen.
Im Großen und Ganzen widerspreche ich Dir nicht. Aber trotzdem die Rückfrage: Ist Deine Deutung in der Summe dann doch nicht etwas zu harmonisch? Vers 15bff: "Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben."
Mary hat geschrieben:Matthäus 22,1 spricht ebenfalls von der Einladung Gottes an sein Volk, an seinen Gütern teilzuhaben. Davon, dass das Volk die Einladung ausschlägt, ja sogar die Diener Gottes umbringt. Davon, dass dann die Gäste ausserhalb gesucht werden (die Heiden).
Eine Knacknuss ist der Mann ohne Hochzeitskleid. Das Hochzeitskleid hat der König selbst zur Verfügung gestellt. Der Gast wollte es nicht, wollte das Königreich zu seinen eigenen Bedingungen. Das Hochzeitskleid ist das Taufkleid, und weiter gefasst das Leben in Glaube, Reue und Umkehr. (wozu auch Gott verhilft, man muss aber mitwirken, Stichwort Synergie). Auch der, der das Hochzeitskleid verweigert, richtet sich selbst. (Joh 3,18)
Ich widerspreche Dir nicht. Du hast, denke ich, richtig ausgelegt, auch das Hochzeitskleid als die geschenkte Taufgnade. Aber auch hier meine Rückfrage. Ist das nicht etwas zu harmonisch gedacht? Vers 13: "Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße etc." Übrigens könnte man hier sogar noch fragen, ob nicht genau das ausgesprochen ist, was nicht nur in der Antike mit "Majestätsbeleidigung" gemeint gewesen wäre: Der unwürdige Festteilnehmer brüskiert den König, der in seiner Güte das Kleid sogar geschenkt hat.

Nun zum Verlorenen Sohn:

Mit den beiden Söhnen spielt Jesus zunächst offensichtlich auf zweierlei Menschen an, denen er im Volk Israel begegnet ist:

Da ist der jüngere Sohn, der sein Erbe verprasst hat, nachdem er vom Vaterhaus weggelaufen ist, hinein in eine vermeintliche Freiheit, die sich am Ende als Verlorenheit herausgestellt hat. Hiermit sind jene gemeint, die in den Evangelien immer wieder als „Zöllner und Sünder“ von pharisäischer und schriftgelehrter Seite zusammengefasst werden.

Und dann ist da der ältere Sohn, der treu beim Vater geblieben ist und nie eine Freude gegönnt hat. Vielleicht weil er den Vater als missgünstig und streng eingeschätzt hat? Hiermit sind jene gesetzestreuen Juden gemeint, die in aufrichtiger Frömmigkeit das Mosegesetz befolgt haben.

Wichtig ist zweierlei: Die Treue des älteren Sohnes, also die Frömmigkeit der gesetzestreuen Juden, wird von Jesus nicht getadelt. Ausdrücklich hebt er hervor: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir…“ Auf der anderen Seite wird dem jüngeren Sohn eine Rückkehr ohne Vorwürfe, ohne Vorleistungen etc. ermöglicht. Dies war eine Provokation gegenüber den Bußbedingungen des damaligen Judentums reuigen Sündern gegenüber. Ein Sünder, der Buße tat, musste bestimmte Vorleistungen erbringen, bevor seine Buße anerkannt worden ist. Jesus dagegen spricht von einer freien Gnade Gottes, von der Tür, die offen steht.

Für den älteren Sohn entsteht so eine Entscheidungssituation: Wird er sich vom Vater abwenden? Oder wird er einstimmen in die Freude des Vaters über die Rückkehr des jüngeren Sohnes? Vor dieselbe Entscheidungssituation waren die damaligen schriftgelehrten Juden gestellt: Würden sie Jesus, der gekommen ist die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten, ablehnen? Oder würden sie einstimmen in die Freude Gottes (vgl. Verse 5+9+10+32) über den einen Sünder, der Umkehrt und Buße tut?

Was ich mit Gesetz und Evangelium beim Gleichnis vom verlorenen Sohn meine: Das Evangelium ist, dass uns in diesem Gleichnis zugesagt wird, dass Gott uns mit offenen Armen empfängt. Die Liebe des Vaters hat Gestalt gewonnen in jener Liebe des Vaters, der sich in seinem Warten auf die Rückkehr des jüngeren Sohnes sogar dem Spott der Leute aussetzt: denn offensichtlich hält er täglich Ausschau nach dem Sohn und läuft ihm, als er ihn erblickt, eilends entgegen (Vers 20). Zum einen sahen ihn die Leute sicher, wie er jeden Tag wohl an der Tür des Hauses oder am Zaun des Gehöfts Ausschau hielt. Zum anderen lief man in der Antike nicht. Das war würdelos. Damit blamierte man sich vor anderen. Aber, so sagt Jesus, so ist Gott. Jesus handelt so, in einer für die Leute anstößigen Weise, weil Gott so ist. Diese Aussage ist das Evangelium.

Nun das Gesetz: Gesetz bedeutet, dass Gott durch sein Wort die Sünde aufdeckt und uns so zum Evangelium hintreibt. Im Gleichnis wird unsere Sünde aufgedeckt darin, dass uns gesagt wird: Wir haben uns von Gott abgewandt und uns dem Prassen (Vers 13) hingegeben. D.h. wir haben uns vom Ewigen abgwandt und unser Herz an das Zeitliche, an das Geschaffene gehängt. „Woran du nun dein Herz hängst, das ist dein Gott!“ (Martin Luther zum ersten Gebot)

Dann ist das Gleichnis darin Gesetz, dass es uns das Ende des Weges weg von Gott zeigt: Der Weg der Sünde, der Abkehr von Gott, führt ganz nach unten, sprichwörtlich zu den Schweinen. Schweine stehen für Unreinheit. Unreinheit bedeutet Trennung von Gott. Der Hunger steht dafür, das „Brot des Lebens“ entbehren zu müssen, am ungestillten Hunger nach Leben zugrunde gehen zu müssen.

Das Gesetz begegnet uns schließlich zum Dritten darin, dass es uns die Furchtbarkeit der Sünde dadurch aufdeckt, dass es uns den Vater in der oben gezeigten Weise vor Augen stellt. Unsere Sünde muss offenbar so schlimm sein, dass Gott sich unseretwillen regelrecht blamiert, um uns zu gewinnen. In Jesus geht er uns nach und macht sich so zum Spott der gesetzestreuen Schriftgelehrten, die gerade darin Gott nicht erkennen. Wie schlimm es um uns steht, wird daran erkennbar, welchen Weg Gott gegangen ist, um uns zu gewinnen: nämlich in Jesus Christus als der gute Hirte, der dem verlorenen Schaf nachgeht (es ist kein Zufall, dass in Lukas 15 drei Gleichnisse vom Verlorenen zusammengestellt werden: drei ist eine besondere Zahl, es brauch mehr als ein Gleichnis).

In all dem "motiviert" uns das Gesetz, sich dem Vater in dankbarer Liebe zuzuwenden, also das Evangelium in diesem Gleichnis für uns ganz persönlich zu hören und zu glauben. Man spricht in der lutheischen Theologie von der Dialektik von Gesetz und Evangelium und meint damit ein Wechselspiel dieser beiden Aspekte, die in uns etwas in Bewegung bringen, nämlich uns zum Glauben, zur Buße, zur Liebe bewegen.

Was ganz am Ende noch zu bedenken ist: Das Gleichnis kann nicht vom Erzähler des Gleichnisses gelöst werden. Christus erzählt es. Er stellt uns durch dieses Gleichnis Gott vor Augen. Und er wird aufgrund dieses Gleichnisses und vieler anderer Worte und Taten schließlich gekreuzigt werden. Die Gnade, von der er also in diesem Gleichnis erzählt, kann nicht losgelöst werden vom Kreuz, auf das sein Weg schon zugeht (Lukas 9,21ff). Das Kreuz aber ist zweierlei: Zum einen das unbedinge Durchhalten der Zuwendung zu den Sündern. Jesus bleibt den Sündern zugewandt (vgl. Lukas 23,34). Sogar im Sterben hält Jesus an der Gemeinschaft mit ihnen fest, was sich ja dann auch im Wort an den Schächer besonders zeigt. Zum anderen nimmt Jesus aber das Kreuz nicht von den Menschen, sondern von Gott an. Gerade in den Leidensankündigungen tritt dies hervor: Das göttliche „Muss“ steht für Jesus über seinem Weg. Warum muss Jesus sterben? Hier kommt beides zusammen: Weil er die Gemeinschaft mit den Sündern durchhält und weil die Strafe für die Sünde der Tod ist.

Jetzt könnte natürlich eingewandt werden: „Aber das steht ja im Gleichnis vom verlorenen Sohn gar nicht drin!“ Doch, sage ich, indem Jesus es erzählt. Es kann nicht von seiner Person, vom Weg, auf dem er sich schon befindet, getrennt werden. Es ist kein religiöser Text, der losgelöst von ihm erzählt werden könnte. Sondern das Gleichnis ist mit seiner Person und seinem Werk untrennbar verwoben. Oder anders gesagt: Dass die Tür beim Vaterhaus offen steht, ist Folge des Weges und Werkes Jesu. Er hat es vollbracht.

Verfehlt wäre es nun, wenn wir sagen würden, Gott „braucht“ den Sühnetod Jesu, um uns zu vergeben. „Brauchen“ ist eine Kategorie der geschaffenen Welt: wir brauchen Nahrung, um zu leben etc. Ebenso wäre es aber verfehlt zu sagen, Gott "braucht" den Sühnetod Jesu "nicht". Wie Gott gehandelt hat, lässt sich nicht auf die Bedingungen der Möglichkeit seines Handelns hinterfragen. Sondern: Gott hat so gehandelt, um Sühne zu schaffen: Indem er Christus in den Tod gibt, schenkt er uns das Leben. Indem er ihn seinen Zorn treffen lässt, wendet er uns seine Gnade zu. Indem Christus stirbt, ist unsere Antastung seiner Majestät weggenommen.

Mary
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Re: @ Evagrios

Beitrag von Mary »

Hallo Evagrios,
Evagrios Pontikos hat geschrieben: Aber trotzdem die Rückfrage: Ist Deine Deutung in der Summe dann doch nicht etwas zu harmonisch? Vers 15bff: "Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben."
Nun ja... es geht den bösen Weingärtnern am Ende übel, das ist wahr. Ich bin auch keine Vertreterin der Allversöhnung. Das böse Ende ist die Folge (nicht Strafe!) des bösen Tuns und der mangelnden Umkehrbereitschaft dieser Weingärtner und auch hierin ist das Gleichnis prophetisch, denn tatsächlich ist ja der Tempel zerstört worden.

Was du zum "verlorenen Sohn" geschrieben hast, kann ich bis hierhin
....Aber, so sagt Jesus, so ist Gott. Jesus handelt so, in einer für die Leute anstößigen Weise, weil Gott so ist. Diese Aussage ist das Evangelium.
ziemlich unterschreiben.

Auch bei den Wirkungen des Gesetzes gehe ich einig, das ist ja auch das Gedankengut von Paulus.
Den Gedanken, dass Gott sich "blamiert" kann ich allerdings nicht so recht nachvollziehen. Ja, das Wort vom Kreuz ist "Torheit"... aber dennoch.
Gott hat sich erniedrigt, indem er SEINE Schöpfung angezogen hat. Aber blamiert?

Dann allerdings wird es etwas akrobatischer :ja: Aus meiner Sicht vermischst Du Deinen Glauben über die Erlösungslehre mit dem, was wirklich da steht, und insofern stimmt schon, dass mein Einwand ist:
Jetzt könnte natürlich eingewandt werden: „Aber das steht ja im Gleichnis vom verlorenen Sohn gar nicht drin!“
Ich erlaube mir mal, die entsprechenden Stellen zu markieren...

Natürlich stimmt...
Was ganz am Ende noch zu bedenken ist: Das Gleichnis kann nicht vom Erzähler des Gleichnisses gelöst werden. Christus erzählt es. Er stellt uns durch dieses Gleichnis Gott vor Augen. Und er wird aufgrund dieses Gleichnisses und vieler anderer Worte und Taten schließlich gekreuzigt werden.


Aber dann...
Warum muss Jesus sterben? Hier kommt beides zusammen: Weil er die Gemeinschaft mit den Sündern durchhält und weil die Strafe für die Sünde der Tod ist.
...Dass die Tür beim Vaterhaus offen steht, ist Folge des Weges und Werkes Jesu. Er hat es vollbracht.

Verfehlt wäre es nun, wenn wir sagen würden, Gott „braucht“ den Sühnetod Jesu, um uns zu vergeben. „Brauchen“ ist eine Kategorie der geschaffenen Welt: wir brauchen Nahrung, um zu leben etc. Ebenso wäre es aber verfehlt zu sagen, Gott "braucht" den Sühnetod Jesu "nicht". Wie Gott gehandelt hat, lässt sich nicht auf die Bedingungen der Möglichkeit seines Handelns hinterfragen. Sondern: Gott hat so gehandelt, um Sühne zu schaffen: Indem er Christus in den Tod gibt, schenkt er uns das Leben. Indem er ihn seinen Zorn treffen lässt, wendet er uns seine Gnade zu. Indem Christus stirbt, ist unsere Antastung seiner Majestät weggenommen.
Alle die fettmarkierten Stellen passen nicht zur orthodoxen Lehre. Christus wird nicht in den Tod gegeben, er geht freiwillig durch den Tod hindurch. Es wurde keine Sühne geschaffen (im Sinne von Satisfaktion).
Die Tür zum Vaterhaus hat immer offengestanden (sagt ja das Gleichnis aus!), aber die Menschen haben die offene Tür nicht mehr gesehen, haben sich vom Widersacher einreden lassen, dass sie nicht zurückkönnten zum Vater... :ja:

Ich wünsche Dir eine gute Nacht
Maria
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Evagrios Pontikos
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Re: @ Evagrios

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Mary hat geschrieben:Hallo Evagrios,
Evagrios Pontikos hat geschrieben: Aber trotzdem die Rückfrage: Ist Deine Deutung in der Summe dann doch nicht etwas zu harmonisch? Vers 15bff: "Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben."
Nun ja... es geht den bösen Weingärtnern am Ende übel, das ist wahr. Ich bin auch keine Vertreterin der Allversöhnung. Das böse Ende ist die Folge (nicht Strafe!) des bösen Tuns und der mangelnden Umkehrbereitschaft dieser Weingärtner und auch hierin ist das Gleichnis prophetisch, denn tatsächlich ist ja der Tempel zerstört worden...
Liebe Mary,

angeregt durch diesen Thread habe ich begonnen, meine "Bibliothek der Kirchenväter" zur Hand zu nehmen und nachzuschauen, was dort zu Begriffen wie "Zorn", "Gericht" oder "Strafe" steht. Durch den Registerband zur ersten Reihe ist das nicht so schwer. Außerdem habe ich mal begonnen, die "Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens" von Johannes von Damaskus zu lesen, die auch in der Bibliothek der Kirchenväter enthalten ist.

Gestern war ich also dem Begriff "Zorn" auf der Spur. Zu unserer Diskussion sind vor allem zwei Stellen interessant. Eine bei Augustinus in seinem "Enchridion", und eine bei Origenes in seinem bedeutenden Werk "Gegen Celsus".

Zuerst die Stelle bei Augustinus: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2258-9.htm
Augustinus hat geschrieben:33. Ein gerechter Fluch lastete also auf dem Menschengeschlecht und alle waren Kinder des Zornes. Von diesem Zorn steht geschrieben: „Alle unsere Tage schwinden dahin und wir vergehen in deinem Zorne; unsere Jahre sind wie Spinnengewebe zu achten1 “, und auch Job sagt von ihm: „Der vom Weibe geborene Mensch lebt nur kurze Zeit und der Zorn lastet auf ihm2 ." Der Herr Jesus aber redet von diesem Zorn folgendermaßen: „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber nicht an den Sohn glaubt, der hat das Leben nicht, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm3 . „Jesus sagt nicht: „Der Zorn Gottes wird über ihn kommen“, sondern: „Er bleibt über ihm“; denn jeder Mensch kommt eben damit beladen schon auf die Welt. Darum sagt auch der Apostel [Paulus]: „[Denn] auch wir waren von Natur aus Kinder des Zornes, wie die übrigen4 .“ Weil nun die Menschen von diesem Zorn schon infolge der Erbsünde getroffen waren, die um so schwerer und verderblicher auf ihnen lastete, je größer und zahlreicher die Sünden waren, die sie selbst noch hinzufügten, so bedurfte es eines Mittlers, d.h. eines Versöhners, um diesen Zorn durch Darbringung eines ganz einzigartigen Opfers, von dem alle Opfer des Gesetzes und der Propheten nur Schattenbilder waren, zu besänftigen. Darum sagt der Apostel: „Denn wenn wir, als wir noch seine Feinde waren, mit Gott kraft des Todes seines Sohnes versöhnt wurden, so werden wir um so mehr jetzt, da wir nun durch sein Blut versöhnt worden sind, durch ihn vom Zorne gerettet werden5 .“ Wenn es aber [an diesen Stellen] heißt, Gott sei zornig, so ist damit keine solche Aufregung gemeint, wie sie im Herzen eines zürnenden Menschen vorhanden ist; vielmehr ist das Wort nur von menschlichen Gemütsbewegungen übertragen und seiner [Gottes] rächenden Strafe, die immer nur eine gerechte ist, ist der Name Zorn beigelegt. Daß wir also durch den Mittler mit Gott versöhnt werden und den Heiligen Geist empfangen, so daß wir aus Feinden [Gottes] seine Kinder werden – „denn alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Kinder Gottes6 “ –, das ist die Gnade Gottes durch Jesus Christus, unsern Herrn.
Augustinus macht hier eine wichtige Unterscheidung: Zorn Gottes meint nicht die Gemütsbewegung wie bei einem zürnenden Menschen, sondern die gerechte Strafe Gottes. Außerdem ist wichtig, dass er das, worauf ich schon oben einmal hingewiesen habe, vertritt: der Zorn (als Strafe Gottes verstanden) kommt nicht in einem zeitlich versetzten Strafen auf den Sünder, nachdem er gesündigt hat, sondern beides findet quasi gleichzeitig statt, weshalb der Zorn über dem Ungläubigen "bleibt" und nicht erst in einem zweiten Akt über ihn "kommt". Summa: Augustinus rechnet mit einem strafenden Handeln Gottes und nicht bloß einseitig mit einem Verderben, das wir selber über uns bringen, wie Du es, wenn ich es richtig verstanden habe, meinst.

Diesen Gedankengang meine ich auch sonst bei Autustinus immer so vorgefunden zu haben.

Nun Origenes: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel141-71.htm Diese Passage ist sehr lang, deshalb nur ein Auszug:
Origenes hat geschrieben:Wir reden zwar nun von einem "Zorne Gottes", denken aber dabei nicht an eine "Leidenschaft", die sich an ihm finde, sondern bezeichnen damit nur ein strengeres Zuchtmittel, das zur Erziehung bei denen angewandt wird, die sich vieler und schwerer Sünden schuldig gemacht haben. Denn dass der sogenannte "Zorn Gottes" und sein "Grimm"zur Erziehung gehört, und dass die Schrift nur dies sagen will, erhellt aus den Worten im sechsten Psalm: "Herr, strafe mich nicht in deinem Grimm, und züchtige mich nicht in deinem Zorn!"1 . Und bei Jeremia heißt es: "Züchtige uns, o Herr, aber nach Urteil und nicht im Grimme, damit du uns nicht etwa aufreibst!" ... Dass aber "der Zorn" keine "Leidenschaft Gottes" ist, sondern dass jeder sich diesen durch seine Sünden zuzieht, das will Paulus an dieser Stelle klar machen: "Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, seiner Geduld und seiner Langmut, und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? Aber mit deinem Starrsinn und der Unbußfertigkeit deines Herzens häufest du dir Zorn auf am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes"6 . Wie könnte sich nun jeder "Zorn aufhäufen am Tage des Zornes", wenn bei "Zorn" an eine "Leidenschaft"7 zu denken wäre? Und wie könnte "die Leidenschaft des Zornes" ein Erziehungsmittel sein? Und wenn die Schrift uns mahnt, überhaupt nicht zu zürnen, und im sechsunddreißigsten Psalm befiehlt: "Steh ab vom Zorne und laß den Grimm"8 , und durch den Mund des Paulus spricht: "Leget auch ihr das alles ab: Zorn, Heftigkeit, Bosheit, Lästerung, Schandrede"9 , so könnte sie doch wohl nicht Gott selbst "die Leidenschaft zuschreiben", von der sie uns ganz frei machen will. ...
Origenes deckt sich hier so ziemlich mit Augustinus. An einer Stelle merkt man vielleicht seine Lehre der Allversöhnung durchschimmern, für die er ja dann später auch verurteilt worden ist, nämlich darin, dass der "Zorn Gottes" nur erzieherisch, also nur zum Heil führend verstanden wird. Dass der Zorn als ewiges Gericht möglich ist, hätte Origenes ja so nicht vertreten. Egal nun, wichtig ist, dass er Zorn wie Augustinus als ein Strafen Gottes ansieht, und zwar vergleichbar mit dem eines Erziehers. Dies setzt voraus, dass Origenes (wie Augustinus) Gott als aktiv tätig denkt. Auch hier also: beides kommt zusammen, wir Menschen, die uns durch unsere Sünde die Strafe zuziehen, und Gott, der aktiv der Strafende ist. Bei beiden Stellen fällt ebenso auf, dass zwar Begriffe wie Zorn und andere als nur im übertragenen Sinne von Gott verstanden werden wollen, nicht aber der Begriff der Strafe.

Bei Johannes von Damaskus, der ja in seiner "Darlegung" das Standardwerk orthodoxer Dogmatik geschaffen, hat, konnte ich bisher nur querlesen. Ich bin erst am Anfang mit dem gründlicheren Lesen. Aber ich meine, dass auch er ganz unbefangen von "Strafe" redet und diese nicht methaporisch verstanden wissen will.

Und dann habe ich noch bei Sergej Bulgakov (Die Orthodoxie: Die Lehre der orthodoxen Kirche, Trier: Paulinus Verlag, 2. Auflage 24) nachgelesen, was er über das Jüngste Gericht schreibt (S. 277):
Bulgakov hat geschrieben:Die Lehre vom Jüngsten Gericht ist der Orthodoxie, soweit sie im Wort Gottes enthalten ist, mit der ganzen christlichen Welt gemeinsam. Die letzte Aufteilung in Schafe und Böcke, Tod und Hölle, Verfluchung und Verstoßung, ewige Qualen für die einen und himmlisches Königreich, ewige Seligkeit, Schau des Angesichts Gottes für die anderen, das ist das Resultat des Erdenweges der Menschheit. Ein Gericht setzt ja nicht nur die Möglichkeit der Rechtfertigung, sondern auch die der Verurteilung voraus, das ist eine offensichtliche Weisheit. Jeder Mensch, der seine Sünden bekennt, muß erkennen, dass, wenn niemand anders, so doch er die Verurteilung Gottes verdient hat… Der Vater urteilt durch den Sohn, der Heilige Geist hingegen begnadigt und heilt als Vollender die Geschwüre der Sünde, die Wunden der Welt.
Diese Zeilen kann ich voll mitsprechen. Noch interessanter, wie Bulgakov in aller Selbstverständlichkeit sagt, dass Christus „Gott ein Sühneopfer der Gerechtigkeit“ darbrachte (S. 165). Zwar weist auch Bulgakov darauf hin, dass die Orthodoxie weder die römisch-katholische Satisfaktionslehre, noch die protestantische forensische Rechtfertigungslehre vertritt. Er kann aber trotzdem sagen (S. 168f):
Bulgakov hat geschrieben:Ohne die Gerechtigkeit und die Wahrheit Gottes zu schmälern, die erfüllt werden muß [!], stellt die Orthodoxie in das Zentrum der Lehre vom Heil die Liebe Gottes, die zur Rettung der Welt durch ihre Vergöttlichung Gottes Sohn nicht geschont hat… Die Erlösung ist das freiwillige Opfer Christi, der die Sünde des Menschen auf sich genommen hat. Dieses Opfer wird durch sein ganzes Leben dargebracht, das voll von Bitterkeit und Leiden ist, und durch seinen Kreuzestod. Im Garten von Gethesmane wird dieser freiwillig angenommene, als Kelch des Leidens, der ihm vom Vater gereicht wird, das Opfer von Gotgatha ist Erbarmen und Vergeltung der Gerechtigkeit Gottes gegenüber. Es ist das Geheimnis der Erlösung durch das Eintreten des Einen für die ganze Menschheit. Zuweilen wird dieser Gedanke auch in der orthodoxen Theologie in den Termini des Anselm von Canterbury als Genugtuung (satisfactio) ausgedrückt. Dennoch fällt der Gedanke von der Wahrheit Gottes hier unbedingt mit dem Gedanken von der Liebe Gottes zum Menschen zusammen, der zärtlichen und rettenden Liebe. Die Erlösung durch die Inkarnation ins nicht nur die Befreiung des Menschen von der Sünde durch die Verdienste und das Kreuzesopfer des Erlösers, sie ist auch die neue endgültige Schöpfung des Menschen als Gott der Gnade nach, nicht nur durch die Allmacht Gottes, wie die erste Schöpfung, sondern auch durch seine opfernde Liebe.“
Ich sehe meine Gedanken sehr nahe bei denen Bulgakovs, sowohl beim Gedanken des gerecht strafenden Richters, als auch bei dem des im Kreuzesopfer Christi als Erbarmen und Vergeltung. Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit muss erfüllt werden, sagt Bulgakov. Es wäre deshalb auch aus orthodoxer Sicht, so meine ich, eine falsche Alternative zu sagen, dass im Blick auf die Erlösung nicht Gott ein Problem habe, sondern wir. Es ist diese göttliche "Muss", dass z.B. immer wieder in den Leidensankündigungen Jesu anklingt, und auf das ich ja oben hingewiesen habe.

Nun ist es doch ein recht langer Beitrag geworden... :roll:

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Ein Hinweis am Rande: Einige Lehren des Origines wurde vom 2. Konzil von Konstantinopel verurteilt, in den Lehren des Augustinus und des Bulgakov finden sich nach orthodoxer Auffassung gravierende Mängel.

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Niels
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Niels »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Ein Hinweis am Rande: Einige Lehren des Origines wurde vom 2. Konzil von Konstantinopel verurteilt
Die Apokatastasis-Lehre.
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Kirchenjahr
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Kirchenjahr »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben: In den Lehren ... des Bulgakov finden sich nach orthodoxer Auffassung gravierende Mängel.
Welche Mängels sind das konkret? Immerhin war Sergej Bulgakov orthodoxer Theologe. Oder hat Bulgakov etwa falsch argumentiert (Argument: "Zuweilen wird dieser Gedanke auch in der orthodoxen Theologie in den Termini des Anselm von Canterbury als Genugtuung (satisfactio) ausgedrückt)"?

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Ich verweise an dieser Stelle jeden Interessierten noch einmal auf folgende Abhandlung, die ich auch schon in den "orthodoxen Links" angegeben habe: Valerie A. Karras - "Beyond Justification, an Orthodox perspective" (ausführliche Darstellung des ganz anderen Ansatzes der Orthodoxie in Bezug auf die "Rechtfertigung"):http://www.stpaulsirvine.org/html/Justification.htm

Zwei Kernaussagen hieraus:

The question is whether Luther’s soteriology – and, for that matter, other forms of Western atonement soteriology – are truly based on the christology of the early Fathers, especially those behind the dogmatic formulations of the ecumenical councils. Both the dogmatic definitions and the supplementary patristic writings surrounding the christological controversies seem to indicate a negative answer to the question. Far from emphasizing atonement as satisfaction or a forensic notion of justification, these writings express an understanding of human salvation rooted not simply in a particular activity of Jesus Christ, but in the very person of Jesus Christ. Gregory of Nyssa, writing more than a millennium before the development of the Lutheran doctrine of “imputed righteousness,” in the context of the controversy over the extreme form of Arianism known as Eunomianism, rejects the notion that one could be “totally righteous” in a legal but not existential sense. Human beings are not restored to communion with God through an act of spiritual prestidigitation where God looks and thinks he sees humanity, but in fact is really seeing his Son. Justification must be as organic and existential as sin is:

Humanity’s justification through forgiveness of sins is not a mere covering over man’s sins, but a real destruction of them. It is not a mere external decision but a reality. Sins are forgiven truly and really. God does not declare someone to be justified if he [or she] is not really free. We understand this teaching better if we remember the relation between Adam and Christ.

As we became not only apparently but really sinful because of Adam, so through Christ the Second Adam we become really justified


und:

The Cross thus acquires ontological rather than forensic significance.[61] This is why juridical notions of atonement and justification cannot truly be reconciled with the soteriology underlying the christology of the ecumenical councils. John Breck identified this as the primary reason why Eastern soteriology never developed along Western lines: “… none of the traditional Western theories of justification, atonement, etc., really necessitates personal divine involvement in the death that accomplishes our redemption.” In other words, the soteriology implicit in the christological definitions of the ecumenical councils is based on the assumption that Christ saves us primarily by who he is as opposed to what he does, although the importance of the latter is affirmed as well, e.g., in the Nicene Creed, without however defining the exact manner in which his actions were salvific.

Thus, as many theologians have noted, the Orthodox understanding of Christ’s crucifixion, derived from soteriological christology, is diametrically opposed to the Anselmian theory of satisfaction which underpins both Catholic and Lutheran notions of justification. God is not a judge in a courtroom, and Christ did not pay the legal penalty or “fine” for our sins. His redemptive work was not completed on the Cross, with the Resurrection as a nice afterword. The eternal Son of God took on our fallen human nature, including our mortality, in order to restore it to the possibility of immortality. Jesus Christ died so that he might be resurrected. Just as Christ is homoousios with the Father in his divinity, we are homoousios with him in his humanity; it is through our sharing of his crucified and resurrected human nature that our own human nature is transformed from mortality to immortality. John Meyendorff summarizes the significance of the Cross for the Christian East as follows:

… In the East, the Cross is envisaged not so much as the punishment of the just one, which “satisfies” a transcendent Justice requiring a retribution for one’s sins. As George Florovsky rightly puts it: “the death on the Cross was effective, not as a death of an Innocent One, but as the death of the Incarnate Lord.” The point was not to satisfy a legal requirement, but to vanquish the frightful cosmic reality of death, which held humanity under its usurped control and pushed it into the vicious circle of sin and corruption.


Lasst euch nicht irre machen, liebe Orthodoxe: Die Sichtweise der Orthodoxen Kirche ist seit 2000 Jahren dieselbe, selbst wenn man bisweilen auch hiervon Abweichendes liest. Die Orthodoxie hat aber nie die Garantie dafür übernommen, dass jeder, der sich orthodox nennt, alle Lehrfragen richtig beantwortet oder ein heiliges Leben führt. Was aber wird heutzutage nicht alles von Lutheranern weltweit so publiziert?

Hier wird keine "neue Orthodoxie" dargestellt, sondern die Erfinder einer neuen Religion wollen uns deren Inhalt als den unsrigen unterschieben. In den USA gibt es hingegen viele Protestanten aller möglicher Richtungen, die den anderen Weg gegangen sind und nach intensiver Betrachtung der Kirchenväter festgestellt haben, dass ihre Erlösungsmodelle Konstrukte des Jahres 1000 aufwärts sind. Viele sind dann orthodox geworden. Und auch in Deutschlang gibt es im Rahmen der evangelischen Kirchen ja fast auch keinen mehr, der diese Theorien vertritt (dass man sich dort jedoch nicht auf die hergebrachte Lehre zurückgezogen hat, sondern in zahlreiche liberale Irrtümer verfallen ist, steht auf einem anderen Blatt).

Viele Grüße
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Zum obigen Augustinus-Zitat möchte ich noch folgendes hervorheben: nach Augustinus wird der Zorn Gottes (im Sinne von Strafe) durch das Opfer Jesu Christi "besänftigt". Hat das Anselm, Thomas von Aquin und dann Luther (bei allen Unterschieden untereinander) so viel anders gesagt? Nur so viel zum Vorwurf, dass mit Anselm ein so großer Bruch mit der Tradition gekommen sei.

Und dann zu Bulgakov: Laut Klappentext war er einerseits ein bedeutender orthodoxer Theologe des 20. Jahrhunderts, andererseits aber für seine "Sophia-Lehre" auch umstritten. Zu dieser Lehre kann ich nichts sagen. In den von mir zitierten Passagen und auch im Buch selber spielt sie jedoch keine Rolle, meine ich. Das Buch beschränkt sich darauf, eine Darstellung der Lehre der orthodoxen Kirche zu sein. Es gilt als Klassiker, auch in der Sicht orthodoxer Theologen.

Mary
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Mary »

Lieber Evagrios,

wie wir Orthodoxen zu Augustinus und Origenes stehen, haben andere hier schon angedeutet.

Grundsätzlich zum Lesen der Kirchenväter:
Wir gehen nicht so ran, dass wir alles, was je einer der Väter geschrieben oder gesagt hat, unbesehen als orthodoxe Wahrheit nehmen. Auch Kirchenväter können irren. Der Massstab ist der Glaube der Kirche.
Was Du machst, ist ziemlich protestantisch: Einzelne Verse rauspflücken und als Beweise anführen. Das funktioniert aber bei den Vätern ebenso wenig wie bei der Bibel. :neinfreu:

Wie also kann man - kannst Du - authentische Orthodoxie kennenlernen?
Nimm dir eine Lektüre, meinetwegen den Johannes Damaskenus, oder vielleicht den Sergius Heitz "Christus in Euch: Hoffnung auf Herrlichkeit" http://www.amazon.de/gp/search?index=bo ... 352556832
Oder aber, weit besser, lebe und bete mit der Kirche eine Zeitlang mit. Nicht nur ein paar Tage, sondern mindestens Monate. Schau mal bsp. hier: http://www.orthodoxia.de/Liturgie.htm
Im (Mit-)beten erschliesst sich die Theologie der Kirche am Besten. Du hast ja selbst ein orthodoxes Gebet in Deiner Signatur... mal für den Anfang.

Ich vermute, dass auch Du dann die Unterschied, die Du jetzt so gerne wegreden möchtest, sehen und erfahren wirst.

Ich habe mir heute einmal mehr die Frage gestellt (in der Liturgie stehend), was denn die Folge unserer Gespräche und Erkenntnisse für unser Leben und unsere Erlösung sind?

Wir werden vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi stehen, das ist sicher.
Was wird uns dann helfen?

Ich vermute, dass der, der sich dann zu rechtfertigen versucht, verloren ist.
Ob er Gott jetzt "vorrechnet", dass er jeden Sonntag in der Kirche war und nicht in Todsünde verstarb, oder ob er vorrechen will, dass doch Christus die Strafe schon getragen habe und er dies im Glauben angenommen habe, oder ob er vorrechnet, wie toll er seine Theosis angestrebt hat, oder vorrechnet, dass es doch "wiedergeboren" sei... kommt kaum sehr draufan.
Ich glaube, dass uns dann einzig die Demut retten kann. Die Demut vor Gottes Grösse, das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit und die Bitte: "Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, der Sünderin."
In allergrösstem Vertrauen auf die Barmherzigkeit und Menschenliebe Gottes, der "nicht den Tod des Sünders wünscht, sondern dass er umkehre und lebe".

(lies dazu auch Joel 2, 12 und weitere)

In einem Vortrag meines geschätzten Father Stephen Freeman von ancientfaithradio habe ich heute einen Satz gehört, den ich Dir zum Abschied schreibe:
Holding orthodox opinions is not the same thing as the life of the orthodox faith.
In diesem Sinne.... ziehe ich mich mal für eine Weile aus dem Kreuzgang zurück.
Lg Maria
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

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lutherbeck
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von lutherbeck »

Ich glaube, dass uns dann einzig die Demut retten kann. Die Demut vor Gottes Grösse, das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit und die Bitte: "Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, der Sünderin."
In allergrösstem Vertrauen auf die Barmherzigkeit und Menschenliebe Gottes, der "nicht den Tod des Sünders wünscht, sondern dass er umkehre und lebe".
:daumen-rauf:
"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

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Florianklaus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Florianklaus »

Ich halte jetzt mal, absichtlich polemisch überspitzt, zwei häufig wiederkehrende Argumentationsmuster von einigen Byzantinern hier fest:

"Dies Buch eines orthodoxen Theologen oder der Kirchenvater den Du hier zitierst, ist aber in diesem oder jenen Punkt nicht oder nicht richtig orthodox und deshalb gilt das, was ich und Theologe oder Kirchenvater XY hierzu sagen."

Beliebt ist auch (wenn die Argumente ausgehen?):

"Das kannst Du so nicht verstehen, Du mußt mit uns beten und leben und Dir Dein Hirn von Weihrauchschwaden vernebeln lassen, dann kommst Du vielleicht irgendwann auch auf den Trichter".

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lutherbeck
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von lutherbeck »

Florianklaus hat geschrieben:Ich halte jetzt mal, absichtlich polemisch überspitzt, zwei häufig wiederkehrende Argumentationsmuster von einigen Byzantinern hier fest:

"Dies Buch eines orthodoxen Theologen oder der Kirchenvater den Du hier zitierst, ist aber in diesem oder jenen Punkt nicht oder nicht richtig orthodox und deshalb gilt das, was ich und Theologe oder Kirchenvater XY hierzu sagen."

Beliebt ist auch (wenn die Argumente ausgehen?):

"Das kannst Du so nicht verstehen, Du mußt mit uns beten und leben und Dir Dein Hirn von Weihrauchschwaden vernebeln lassen, dann kommst Du vielleicht irgendwann auch auf den Trichter".
Nun, derartige Argumentationsversuche habe ich aber außer von Orthodoxen auch schon von Katholiken oder Lutheranern gehört...

Und so wird eben doch jeder nach seiner Fasson selig - oder was?

:hae?:
"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

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Florianklaus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Florianklaus »

Wo denn?

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lutherbeck
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von lutherbeck »

Florianklaus hat geschrieben:Wo denn?
An vielen Stellen; jeder zitiert gerne aus seinen eigenen Quellen um seine eigene Rechtgläubigkeit zu beweisen und die anderen des Irrtums zu bezichtigen...

Machen auch Politiker so...

Aber wo liegt denn jetzt bloß die Wahrheit?

:hae?:
"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Mary hat geschrieben:
Wir werden vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi stehen, das ist sicher.
Was wird uns dann helfen?

I
Hallo Mary,

das war ja hier sozusagen mittelbar auch das Thema. Der Kirche war aber schon immer klar, dass der Mensch aufgrund seiner eigenen Werke niemals vor einem Gott, der nicht die geringste Missetat ungestraft lässt, bestehen könnte. Diese Erkenntnis des Martin Luther war also alles andere als revolutionär und hätte keiner Reformation bedurft, sondern einer Orientierung auf das schon Existente. Dort hätte er dann jedoch herausgefunden, dass Gott nicht in diesem Sinn "gerecht" ist und dass nicht die Schaffung einer künstlichen "Gerechtigkeit" die Lösung ist, sondern dass Seine Gerechtigkeit darin besteht, an uns festzuhalten und uns zu unserer Bestimmung zu führen. Letztlich ist das die Erkenntnis, dass man vor der Liebe Gottes und Seinem unbedingten Heilswillen für uns keine Angst zu haben braucht - "love casts out fear"...

Für Deine Frage bedeutet das, dass wir uns "nur" darauf einlassen müssen, dass sich dieser Wille auch an uns vollzieht. Das ist das, was Gott "fordert". Um mir einmal einen ökumenischen Anstrich zu geben, hat mir dieser Gedanke auch bei dem ermordeten Pfr. Milch aus Hattersheim (jetzt FSSPX) immer sehr gut gefallen. Er war in vielen Punkten sehr orthodox, leider hat man seine Theoloigie inzwischen in eine Kiste getan und in den Keller gebracht...

So schrieb er etwa zum ersten Passionssonntag 1985 http://www.spes-unica.de/milch/texte/te ... onssonntag u. a. Folgendes:

Und dann offenbart sich, daß der wohlanständige, brave, rechtschaffene, pflichttreue Bürger genauso total des Erbarmens bedarf wie die letzte Dirne und der letzte Zöllner. Und das behagt den Menschen nicht. Weg mit diesem unbequemen, nahen Gott! Weg mit Ihm! Tötet Ihn, der uns herausreißt aus dem bequemen Miteinander! – Man nennt dieses Miteinander sehr euphemistisch "Gemeinschaft". Heraus, du ganz allein, ganz allein! Und das wollen die Leute nicht. Sie wollen lieber mit ... mit ... mit ... Deshalb dieses bequeme Nachlaufen dem progressistischen Unheil. Da geht's so schön 'miteinander' zu. Aber Er sagt: "Nein! Schau nicht nach rechts oder nach links. Du kannst dich mit niemandem herausreden und entschuldigen. Du bist gefragt!" "Ja aber ich habe, ich habe..." "Interessiert Mich nicht! Ich will von dir keine Tribute. Ich will gar nichts von dir, Ich will dich!" Das ist ja das, womit sich manche Leute so trösten. Sie meinen, vor dem Thron des Richters aufwarten zu können mit Aufzählungen! "Ich habe nur eine Frage an dich: Warst du von Mir besessen? Hast du JA gesagt? War dein Dasein ein einziges JA-Wort, ein einziges Interesse für Mich? Hast du es verstanden? Hat's dich gepackt, JA oder NEIN?" "Ja aber ich habe doch, ich habe..." "Interessiert Mich doch gar nicht!" "Ich war doch sonntags in der Kirche. Ich habe doch nichts Böses getan. "Interessiert Mich nicht! Hast du JA gesagt zu Mir – JA oder NEIN, ALLES oder NICHTS?" – Das ist sehr unbequem. Das macht Feinde. Das wirbelt Staub auf. Darum ist es ein großer Unsinn zu meinen, die Qualität einer Predigt bemesse sich am Zulauf, an der Zustimmung der Hörer. Großer Irrtum. Die Qualität bemißt sich an Gunst und Haß. Es schafft schon Haß, wenn man den bequemen, braven, treuen, pflichttreuen Spießern ihr gutes Gewissen ausredet. Das schafft schon Haß und ist sehr unbequem. Die Predigt des Herrn ist ganz und gar nicht gefällig. Raus, aus deinem guten Gewissen! Von Angesicht zu Angesicht: das ist der Herr. So steht Er da vor den Juden, gibt Sich kund. Sie werfen mit Steinen auf Ihn aufgrund Seiner Predigt, aufgrund Seines Anspruches. Und den haben wir geerbt, diesen Anspruch. Und daraufhin muß uns die Welt hassen.


Ich denke, so kann man es sagen.

Viele Grüße
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Mary
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Mary »

Florianklaus hat geschrieben:...und deshalb gilt das, was ich und Theologe oder Kirchenvater XY hierzu sagen."
Nein, Florianklaus,
es gilt, was DIE KIRCHE sagt... und vor allem, was sie lebt.
Florianklaus hat geschrieben:Beliebt ist auch (wenn die Argumente ausgehen?):

"Das kannst Du so nicht verstehen, Du mußt mit uns beten und leben und Dir Dein Hirn von Weihrauchschwaden vernebeln lassen, dann kommst Du vielleicht irgendwann auch auf den Trichter".
Glaube ist keine Sache der Argumente. Sondern des Lebens. So ist das nun mal, und das ist mir heute wieder neu klar geworden.

@Monergist:
Ja, ich denke, so könnte man es sagen.

Maria
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Lutheraner
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Lutheraner »

Mary hat geschrieben:
Florianklaus hat geschrieben:Beliebt ist auch (wenn die Argumente ausgehen?):

"Das kannst Du so nicht verstehen, Du mußt mit uns beten und leben und Dir Dein Hirn von Weihrauchschwaden vernebeln lassen, dann kommst Du vielleicht irgendwann auch auf den Trichter".
Glaube ist keine Sache der Argumente. Sondern des Lebens. So ist das nun mal, und das ist mir heute wieder neu klar geworden.
Das hier ist ein Diskussionsforum. Da wird halt gerne diskutiert. ;)
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

Raphael

Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Raphael »

Mary hat geschrieben:Wir werden vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi stehen, das ist sicher.
Was wird uns dann helfen?
Wieso sollte der Richterstuhl Christi furchtbar sein?
Wer - außer IHM - ist ein wirklich gerechter Richter?

Außerdem:
Wenn man sich das Weltgericht tatsächlich wie eine weltliche Gerichtsszene vorstellen möchte, dann hat JESUS doch eher die Aufgabe eines Rechtsanwaltes, der den Gläubigen vor dem VATER, der den Gerichtsvorsitz innehat und das endgültige Urteil spricht, gegen die Vorwürfe des ewigen Anklägers (=Satan), verteidigt.




Und um das auch klarzustellen: Bei der "weltlichen Gerichtsszene" handelt es sich um eine bildliche Vorstellung und keine faktische Beschreibung zukünftiger Ereignisse aufgrund von Privatoffenbarungen.

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taddeo
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von taddeo »

Raphael hat geschrieben:
Mary hat geschrieben:Wir werden vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi stehen, das ist sicher.
Was wird uns dann helfen?
Wieso sollte der Richterstuhl Christi furchtbar sein?
Raphael,

dieser Ausdruck geht jedem, der die byzantinische Liturgie näher kennt, in Fleisch und Blut über. In der Fürbittlitanei nach dem "Großen Einzug" heißt es dort:
Ein christliches Ende unseres Lebens, schmerzlos, ohne Schande und friedlich und eine gute Rechenschaft vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi lasset vom Herrn uns erflehen.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Gerne möchte ich an dieser Stelle versuchen, ein kleines Resümee der bisherigen Diskussion ziehen, um dann einen weiteren Aspekt einzubringen:

Wenn ich richtig sehe, standen bisher vor allem zwei Fragen im Zentrum, die voneinander abhängen:

1. Straft Gott die Sünde bzw. den Sünder?


Letztlich ist es diese Frage, die sich auch in den Fragen nach dem Zorn Gottes und dem Gericht Gottes verbergen. Hierbei ist „Zorn“ nach Auskunft der altchristlichen Väter nicht in menschlicher Weise als Gemütswallung Gottes zu verstehen, sondern meint Strafe.

Wenn die Frage nach der Strafe mit Ja beantwortet wird, führt dies zu einer zweiten Frage:

2. Hat Jesus Christus am Kreuz Gottes Strafe stellvertretend getragen?

Wird die erste Frage verneint, so erübrigt sich die zweite Frage. Wird sie bejaht, so stellt sich die zweite Frage nach Jesu stellvertretendem Erleiden der Strafe Gottes für unsere Sünden.

Nun ist mein Eindruck, dass die orthodoxen Geschwister die erste Frage nach der Strafe Gottes für die Sünde verneinen. Nicht Gott straft den Sünder, so habe ich es verstanden, sondern das Ergehen des Sünders (geistlicher und leiblicher Tod) ist ein Geschehen, das der Sünder selbst bewirkt, indem er sich von Gott abwendet. Beides wird als scharfe, sich ausschließende Alternative verstanden: Gott selber tut hier nichts, der Sünder tut alles. Gott ist nur derjenige, der im Werk Christi rettet, nicht aber derjenige, der die Sünder straft:
Monergist hat geschrieben:...Der Tod ist das Resultat der Trennung der ersten Menschen von Gott, des Herausfallens aus der Gemeinschaft mit Ihm, nicht das Urteil eines zornigen Gottes. Dieser Zustand - die Unterwerfung unter die Macht der Sünde - hat sich auf die gesamte Menschheit ausgebreitet (das ist die Erbsünde), sodass alle unter der Herrschaft des Teufels und damit der Sünde gefangen waren und im Hades endeten, wie sehr sie sich auch bemühten...
Monergist hat geschrieben:Der Tod ist kein Verdammungsurteil Gottes, sondern das Resultat der Trennung des Menschen von Gott, das Verfehlen seiner Bestimmung.
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Die Orthodoxie erkennt "Zorn" ausdrücklich als Metapher. Tasächlich ist nicht Gott zornig, sondern der Mensch hat sich entfernt…
In all diesen Postings, die nur eine Auswahl darstellen sollen, wird deutlich, dass Ihr der Meinung seid, dass Gott nicht aktiv strafend wirksam sei, sondern tätig sei der Mensch in seiner Abwendung von Gott.

Diese Meinung kommt für mich allerdings nicht zur Deckung einerseits mit den biblischen Aussagen, dann auch mit den Aussagen der Kirchenväter und schließlich mit den Aussagen zeitgenössischer orthodoxer Theologen am Beispiel Bulgakovs, die durchaus vom Strafen Gottes reden können, ohne dass dies den selbstverschuldeten Charakter des Todesgeschicks des Menschen beeinträchtigen würde.

Nun habe ich allerdings eine Rückfrage, womit ich einen neuen Aspekt in die Diskussion einbringen will: Wenn Gott nicht der ist, der die Sünde straft, sondern wir es sind, die uns die Folgen der Sünde eigenverschuldet zuziehen, wenn also diese beiden Aussagen in einem sich ausschließenden Gegensatz verstanden werden, welchen Sinn macht dann das Gebet der Kirche um Gottes Erbarmen, sei es in der Liturgie als immer wieder angestimmtes „Kyrie eleison!“, sei es im persönlichen Gebet als der Anruf „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich Sünder!“ Ich habe das Kyrie eleison immer so verstanden, dass wir Gott bitten, trotz all der Sünden, die wir Tag für Tag immer wieder begehen, uns für diese Sünden nicht zu strafen, sondern uns vielmehr weiterhin gnädig zu sein, das heißt uns mehr und mehr von der Sünde zu reinigen und Christus ähnlich zu machen, natürlich mit unserer Mitwirkung durch Gebet, Buße und Gehorsam gegen seine Gebote.

Wenn aber nun Gott überhaupt nicht straft, welchen Sinn macht dann das Gebet um das Erbarmen Gottes?
Zuletzt geändert von Evagrios Pontikos am Montag 3. Mai 2010, 12:28, insgesamt 1-mal geändert.

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: Nun habe ich allerdings eine Rückfrage, womit ich einen neuen Aspekt in die Diskussion einbringen will: Wenn Gott nicht der ist, der die Sünde straft, sondern wir es sind, die uns die Folgen der Sünde eigenverschuldet zuziehen, wenn also diese beiden Aussagen in einem sich ausschließenden Gegensatz verstanden werden, welchen Sinn macht dann das Gebet der Kirche um Gottes Erbarmen, sei es in der Liturgie als immer wieder angestimmtes „Kyrie eleison!“, sei es im persönlichen Gebet als der Anruf „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich Sünder!“ Ich habe das Kyrie eleison immer so verstanden, dass wir Gott bitten, trotz all der Sünden, die wir Tag für Tag immer wieder begehen, uns für diese Sünden nicht zu strafen, sondern uns vielmehr weiterhin gnädig zu sein, das heißt und uns mehr und mehr von der Sünde zu reinigen und Christus ähnlich zu machen, natürlich mit unserer Mitwirkung durch Gebet, Buße und Gehorsam gegen seine Gebote.
Wenn aber nun Gott überhaupt nicht straft, welchen Sinn macht dann das Gebet um das Erbarmen Gottes?
Ich habe das Kyrie Eleison eigentlich so verstanden, dass der Mensch damit Gott flehentlich um die Heilung der Seele bittet. Gerade dies macht deutlich, dass bei der Heilung eben doch Gott derjenige ist, der wirklich aktiv heilt (auch wenn der Mensch dabei auch kooperieren muss).

Um dies mit einem weltlichen Vergleich zu verdeutlichen (wohl wissen, dass dies nicht wirklich den Kyrie-Ruf erschöpfend erklären kann): der Mensch merkt, dass er irgendwie doch häufig nicht das tut, was für seine Seele zur Gesundung notwendig wäre, weil er sich doch seinen Leidenschaften hingibt. Dann könnte man den Kyrie-Ruf so deuten, dass der Mensch zu seinem Arzt (hier Gott) zurückkehrt und ihn darum anfleht, dass er ihm dennoch weiter hilft und die Seele heilt, auch wenn man selbst als Mensch häufig dagegen anarbeitet.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Florianklaus »

Das "Kyrie" ist doch in seinem Ursprung ein Huldigungsruf, mit dem in der Antike siegreichen Kaisern oder Feldherrn zugejubelt wurde. In dieser Funktion (Huldigungsruf an Christus) wurde es m.W. in die Liturgie übernommen. Eine Interpretation als Bitte um Nachlaß der Sünden kam erst viel später. Eine direkte Verknüpfung mit dem Sündenbekenntnis gibt es wohl erst im NOM.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von taddeo »

Florianklaus hat geschrieben:Das "Kyrie" ist doch in seinem Ursprung ein Huldigungsruf, mit dem in der Antike siegreichen Kaisern oder Feldherrn zugejubelt wurde. In dieser Funktion (Huldigungsruf an Christus) wurde es m.W. in die Liturgie übernommen. Eine Interpretation als Bitte um Nachlaß der Sünden kam erst viel später. Eine direkte Verknüpfung mit dem Sündenbekenntnis gibt es wohl erst im NOM.
Das ist unsere westliche Sichtweise. In den Ostkirchen ist das Kyrie eleison seit jeher als Antwort auf die Fürbittlitaneien gebräuchlich und wird dort an manchen Festtagen hundertfach (am Stück!) wiederholt. Da geht es eindeutig nicht (nur) um Huldigung, sondern um die Erbarmungsbitte. Auch das westliche Stundengebet kennt das Kyrie/Christe/Kyrie eleison als Erbarmungsruf vor dem Pater noster.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Die Antwort von Anselmus ist korrekt.

Wie hier schon dargestellt, sind wir "therapiebedürftig" und nicht in der Lage uns selbst zu heilen, so sehr wir uns auch anstrengen. Nur in dem "Therapiezentrum" Kirche indes stehen die dafür erforderlichen Mittel, das sind die Mysterien und die Anleitung durch geistliche Väter, bereit. Diese sind allerdings kein magischer Hokuspokus und vollziehen sich auch nicht gegen den Willen der Menschen. Sondern denjenigen, die sich auf "die Straße der Rettung" begeben und glaubend den Weg der Askese beschreiten, ihre Herzen reinigen, hilft der Herr mit Seiner Gnade zum Ziel. Das ist Synergie. Ohne diese Hilfe, ist aber - wie gesagt - alles Mühen vergebens. Deshalb flehen wir selbstverständlich um das Erbarmen Gottes, unsere schwachen oder vielleicht auch nur minimalen, Ansätze in Gnaden anzusehen.

Oft erscheint es mir auch so, als würden westliche Betrachter den östlichen Standpunkt so interpretieren, als würde unsere Schuld klein geredet werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Ich hätte meine Großmutter etwa schändlichst bestehlen könne und sie hätte mir dennoch niemals böse sein können, so bin ich mir sicher. Gleichwohl wäre meine Tat abscheulich gewesen.

"And this also must be noted: that God does not punish someone in the future; rather, each person makes himself receptive to the partaking of God. And the partaking of God is bliss, while the non-partaking of Him is punishment (Hell)..." "...those sinners who desire sin, albeit not having the materials of sin, shall be punished as though devoured by fire and worm, with no solace whatsoever. What is "hell", if not the deprival of something desired?"

Saint John of Damascus (676 - 749)
"Against Manichaeans" PG 94 , 1545 D – 1548 A, and 1573 C.



Viele Grüße
Zuletzt geändert von Monergist am Montag 3. Mai 2010, 13:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

Monergist hat geschrieben:Oft erscheint es mir auch so, als würden westliche Betrachter den östlichen Standpunkt so imnterpretieren, als würde unsere Schuld klein geredet werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Ich hätte meine Großmutter etwa schändlichst bestehlen könne und sie hätte mir dennoch niemals böse sein können, so bin ich mir sicher. Gleichwohl wäre meine Tat abscheulich gewesen.
Ich möchte besonders in diesem Bezug noch einmal auf einen Vorwurf zurückkommen, dass Orthodoxe manchmal einen "Das müsst ihr erstmal selbst mitgemacht haben"-Joker zücken würden, um Diskussionen zu umgehen. Denn hier zeigt sich aus meiner eigenen Erfahrung, dass es einfach stimmt, dass man sich erst dann überhaupt ein Bild machen kann, wenn man orthodoxe spiritualität selbst erfahren hat.

Wenn man mal in einer göttlichen Liturgie war, kommt man nach dem 50ten Kyrie Ruf und zahlreichen "lasst vom Herrn uns erflehen" nicht mehr auf die Idee, dass die Orthodoxen ihre Schuld klein reden würden.

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Florianklaus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Florianklaus »

Anselmus hat geschrieben:
Monergist hat geschrieben:Oft erscheint es mir auch so, als würden westliche Betrachter den östlichen Standpunkt so imnterpretieren, als würde unsere Schuld klein geredet werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Ich hätte meine Großmutter etwa schändlichst bestehlen könne und sie hätte mir dennoch niemals böse sein können, so bin ich mir sicher. Gleichwohl wäre meine Tat abscheulich gewesen.
Ich möchte besonders in diesem Bezug noch einmal auf einen Vorwurf zurückkommen, dass Orthodoxe manchmal einen "Das müsst ihr erstmal selbst mitgemacht haben"-Joker zücken würden, um Diskussionen zu umgehen. Denn hier zeigt sich aus meiner eigenen Erfahrung, dass es einfach stimmt, dass man sich erst dann überhaupt ein Bild machen kann, wenn man orthodoxe spiritualität selbst erfahren hat.

Wenn man mal in einer göttlichen Liturgie war, kommt man nach dem 50ten Kyrie Ruf und zahlreichen "lasst vom Herrn uns erflehen" nicht mehr auf die Idee, dass die Orthodoxen ihre Schuld klein reden würden.

Wer soll denn hier auf diese Idee gekommen sein? Habe ich etwas überlesen?

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taddeo
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von taddeo »

Anselmus hat geschrieben:Ich möchte besonders in diesem Bezug noch einmal auf einen Vorwurf zurückkommen, dass Orthodoxe manchmal einen "Das müsst ihr erstmal selbst mitgemacht haben"-Joker zücken würden, um Diskussionen zu umgehen. Denn hier zeigt sich aus meiner eigenen Erfahrung, dass es einfach stimmt, dass man sich erst dann überhaupt ein Bild machen kann, wenn man orthodoxe spiritualität selbst erfahren hat.
Das gilt aber umgekehrt ganz genauso von der "lateinischen" Spiritualität - nur mit dem Unterschied, daß es bei uns mittlerweile ungleich schwieriger geworden ist, eine solche authentisch zu erfahren. In diesem Punkt tut sich die Orthodoxie wesentlich leichter.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Anselmus hat geschrieben:...Gerade dies macht deutlich, dass bei der Heilung eben doch Gott derjenige ist, der wirklich aktiv heilt (auch wenn der Mensch dabei auch kooperieren muss).
Dass Gott in Bezug auf das Heil aktiv ist, das ist ja unstrittig in diesem Thread. Strittig ist aber, dass Gott die Sünde straft. "Erbarmen" (im Sinne von "gnädig sein") ist nun aber, so meine ich, der biblische Gegenbegriff zu "Zorn" (im Sinne von Strafe verstanden, nicht als Gefühlswallung; dies hatten wir ja auch, so meine ich, inzwischen geklärt). Als Erläuterung könnte man Psalm 6 und Psalm 38 eventuell heranziehen. Oder ich denke an die Gebete im "Orthodoxen Gebetsbuch", die ich gerne immer wieder bete, z.B. beim Morgengebet das Gebet des Hl. Basilios des Großen:
Hl. Basilios der Große hat geschrieben:Vom Schlaf aufgestanden, danke ich Dir, Heilige Dreieinigkeit, dass Du Dich in Deiner großen Güte und Langmut nicht über mich Trägen und Sündigen erzürnt hast mit meinen Vergehen, sondern nach Deiner Gerechtigkeit menschenfreundlich warst und mich, der ich in Verzweiflung darniederlag, aufgerichtet hast...
Beide Aspekte sind in diesem Gebet des Basilios enthalten: das Bewusstsein dafür, dass Gott Grund gehabt hätte, sich über mich zu erzürnen (im Sinne von: meine Sünde zu strafen), und der Dank dafür, dass Gott dies nicht getan, sondern mich zu Beginn eines neuen Tages aufgerichtet hat.

Oder der Hl. Antiochos beim Abendgebet:
Hl. Antiochos hat geschrieben:Allherscher, Väterliches Wort, der Du Vollkommen bist, Jesus Christus, um Deiner großen Barmherzigkeit willen verlasse mich, Deinen Knecht, niemals, sondern weile immer in mir, Jesus, Guter Hirte Deiner Schafe, überantworte micht nicht dem Kampf der Schlange, und überlasse mich nicht dem Ansinnen des Teufels, denn in mir liegt der Same der Verwesung. Du, angebeteter Herr Gott, vor dem wir niederfallen, Heiliger König, Jesus Christus, bewahren mich in meinem Schlaf durch das Unvergängliche Licht, Deinen Heiligen Geist, durch den Du Deine Jünger geheiligt hast...
Auch hier beide Aspekte: Die Bitte, nicht zu strafen, indem Christus uns verlässt und dem Teufel überantwortet, sondern durch den Hl. Geist zu bewahren.

Ebenso im Spätabend- und Mitternachtsgottesdienst, wo der Priester die Hl. Dreieinigkeit anruft:
... lass uns Elende nicht in unseren bösen Werken sterben und nicht dem Urheber des Bösen, dem Neider und Verderber, zum Hohn sein...
was ja die gerechte Strafe für unsere Sünde wäre, sondern:
... Du aber erweise uns Deine Wohltaten ungeschmälert, wir bitten Dich, die wir täglich und stündlich Dich erzürnen durch die Übertretung Deiner werten und lebendigmachenden Gebote; erlasse und vergib uns alles, was wir in unserem ganzen vergangenen Leben bis zur gegenwärtigen Stunde in Werken und Gedanken gesündigt haben...
Auch hier finden sich beide Aspekte: die Bitte nicht zu strafen, sondern (weiterhin) Gottes Wohltaten gewährt zu bekommen.

Noch ein besonders eindrucksvolles Zeugnis ist das Gebet des Hl. Ephräm des Syrers, das in der heiligen vierzigtägigen Fastenzeit vom Priester gesprochen wird:
Hl. Ephräm der Syrer hat geschrieben:Herr und Gebieter meines Lebens, gib mir nicht den Geist der Trägheit, des Verzagens, der Herrschsucht und der Schwatzhaftigkeit
was ja die gerechte Strafe für unsere Sünde wäre, sondern
Schenke vielmehr mir, Deinem Diener, den Geist der Keuschheit, der Demut, der Geduld und der Liebe.
Dann könnte noch das Gebet zum Empfang der Gaben aus der Göttlichen Liturgie angeführt werden:
Möge mir die Teilnahme an Deinem heiligen Mysterium nicht zum Gericht oder zur Verdammnis gereichen, Herr, sondern zur Heilung der Seele und des Leibes.
Man könnte noch viele Gebete aus dem Gebetsbuch der orthodoxen Kirche anführen. Durchgängig begegnet dieses Motiv des "Nicht - Sondern". Dass Gott sich also über uns erbarmen möge, was im Kyrie-Eleison-Ruf die orthodoxe Frömmigkeit wie ein roter Faden durchzieht, bedeutet erläutert und ausgeführt also offenbar, dass Gott uns nicht strafen möge wegen unserer Sünde, was gerecht und verständlich wäre, sondern uns weiterhin gnädig sein möge und uns von unserer Sünde reinigen und Christus mehr und mehr ähnlicher machen möge, denn er ist "gut und menschenfreundlich".

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