Marcus hat geschrieben:
Du unterstellst also u.a. den konservativen Christen, die den christlichen Glauben bewahren, reinhalten und an die künftigen Generationen so weitergeben wollen, vom modernen Zeitgeist eingenommen zu sein? Schon in der alten Kirche wurde der Kirchenbann gegen uneinsichtige Häretiker verhängt und es kam wegen Lehrdifferenzen zu Spaltungen.
Spaltung tut weh und sollte auch vermieden werden. Wenn Spaltung allerdings der einzigste Ausweg ist, um in der Wahrheit zu bleiben, muss sie sein. Es gibt nur eine Wahrheit, so dass entgegenstehende Lehren nicht zugleich rechtgläubig sein können.
In der Tat verträgt der moderne Zeitgeist keine Demut mehr, und zwar Demut vor dem Wort Gottes.
Nur, dass wir beide uns nicht falsch verstehen. Meine Kritik richtet sich gegen bestimmte Kirchen und deren Führungen und nicht gegen das jeweilige Kirchenvolk. Ich gehe davon aus, dass Jesus Christus in jeder Kirche eine Herde hat. Daher erkenne ich auch grundsätzlich jeden Getauften, der Jesus Christus als Seinen Herrn und Heiland anerkennt, und mit dem ich das Nizänische Glaubensbekenntnis zusammen beten kann, auch als Mitbruder oder Mitschwester in Christo an.
Hallo Marcus,
ich will darauf mal im Zusammenhang antworten. Mir würden zu vielen einzelnen Aussagen Deines Postings Entgegnungen einfallen, aber das führt nur zu Grabenkämpfen. Daher will ich lieber einmal versuchen, meine Haltung in dieser Frage zu skizzieren.
Wenn ich den von Dir hier genannten Gruppen vorwerfe, dem Zeitgeist verfallen zu sein, dann bezieht sich das nicht nur auf diese Gruppen allein. Ich bin der Ansicht, daß andere Gruppen innerhalb der Kirche diesem "Ungeist" ebenso verfallen sind, und zwar genau die, die die entgegengesetzten Positionen vertreten. Pressure Groups wie WSK oder IKVU sind nicht besser als die Piusbrüder, und die Weihen von irgendwelchen Donaunixen sind ebenso schisamtisch und nichtig wie die Weihen von Lefebrve oder der schwedischen Missionsprovinz. Wie bereits oben angedeutet fängt das Problem für mich schon bei der Rhetorik an, die diese Gruppen verwenden. Natürlich verstehen sich die Konservativen als die Bewahrer des alten Glaubens, den sie unverfälscht an die zukünftigen Generationen weitergeben wollen. Das ist ihr Selbstbild. Aber stimmt es auch?
Die Rhetorik dieser Gruppen läßt sich herrlich nachvollziehen, wenn man auf ihre Terminologie eingeht: Es gibt nur eine Wahrheit, und wer die Wahrheit nicht vertritt, ist Häretiker, von dem man sich zu trennen hat. Das klingt einleuchtend und läßt sich historisch belegen. Schließlich hat es die alte Kirche auch so gemacht.
Sobald man aber anfängt, das ganze in personale Kategorien zu transferieren, funktioniert das Spiel schon nicht mehr: Die Wahrheit ist für uns Christen in erster Linie eine Person: Christus selbst. Wenn nun der Bruder oder die Schwester ebenso an Christus hängt wie wir und wir trennen uns von ihnen, dann muß dies zwangsläufig von einer Trennung vom Herrn selbst führen. Wir hängen nur dann an Christus, wenn wir zusammenbleiben. Sobald wir uns trennen, treibt einer unweigerlich vom Zentrum ab...
Ich gebe gerne zu, daß ich mit Eurer evangelischen Lehr- und Bekenntnisvergottung sowieso nichts anfangen kann. Sowohl der Akt des Glaubens wie das Sein der Kirche sind in meinen Augen von anderen Dingen bestimmt. Die Kirche ist da, wo der Herr sich selbst in seinen heiligen Sakramenten der Gemeinschaft der Heiligen mitteilt. "Lehre" ist zwar wichtig, aber doch nicht zentral. Die Kirche ist immer ein bereits gegebenes, sie muß nicht durch die rechte Lehre hergestellt werden. Kirche entsteht auch nicht einfach dort, wo diese Lehre gepflegt wird. Das genau ist das katholische Verständnis von Sukzession: Die Lehre kann nicht ohne Anbindung an eine Person gedacht werden, daher stehen die Bischöfe für die Weitergabe der Lehre. Aber das führt natürlich ab vom Thema.
Ich habe einfach viel zu viele Fragen, auf die die Schwarz/Weiß-Sicht der Konservativen keine Antwort gibt:
Ich erkenne in anderen Christen ein echtes Streben nach Heiligkeit, einen genuinen Glauben und einen klaren Willen, dem Wort des Herrn zu folgen. Bei vielen von ihnen ist all dies viel stärker und erkennbarer als bei mir selbst. Trotzdem haben sie in manchen Dingen eine andere Überzeugung als ich und können das auch hinreichend begründen. Ich kann zwar ihre Haltung ablehnen. Aber ich kann ihnen weder den Glauben, noch das ernsthafte Bemühen um Erkenntnis absprechen, noch kann ich ihnen vorwerfen, nicht ehrlich zu sein. Auf welcher Grundlage kann ich also gegen sie vorgehen?
Ich frage mich ferner, warum erst die Fragen der Sexualethik und der Rolle der Frau in der Kirche zu diesen extremen Spannungen führen. Theologisch und dogmatisch haben wir eine Entwicklung hinter uns, die in den letzten Jahrhunderten wesentlich brisantere Themen aufgebracht hat. Sowohl Sexualethik wie FO berühren beide nicht das christliche Dogma in seinem Kern. Trotzdem sind diese Themen die kontroversesten Themen seit langem. Warum? Ich glaube, daß es sich hier um Konflikte handelt, die für etwas ganz anderes stehen. Diese wirklichen Ursachen gilt es erst einmal freizulegen und zu benennen. Mein Wunsch wäre daher, diese Themen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren auch nicht mehr zu diskutieren. Bis dahin ist vielleicht klarer, welche Konflikte da tatsächlich in verdeckter Form an die Oberfläche kommen und wir können die Sache von der Wurzel her angehen.
Historische Ehrlichkeit: Dieser Punkt ist oben bereits angeklungen. Die gegenwärtig kontrovers diskutierten Themen stehen eben nicht auf der gleichen Ebene wie die Christologie oder Trinitätslehre. Es ist daher unredlich, die Konservativen von heute mit den Anti-Arianern des vierten Jahrhunderts zu vergleichen. Oder kann sich jemand eine Ergänzung zum Nicänum vorstellen mit den Worten "Und ich glaube an das Priestertum des Mannes". Man sollte bei allem Dissens in diesen Fragen nicht außer acht lassen, daß wir hier zunächst einmal auf der Ebene der Ethik und der kirchlichen Disziplin diskutieren, also ähnlich der Frage, ob Zinsnehmen erlaubt ist oder nicht.
Du hast noch angesprochen, daß es keine Demut vor dem Wort Gottes mehr gibt. Da würde ich auch zurückfragen wollen: Was ist denn das Wort Gottes? (Diese Frage ist nicht blöd gemeint oder so simpel, wie sie vielleicht klingt.) Wenn wir Demut vor dem Wort Gottes einfordern, müssen wir klar wissen, wovon wir sprechen. Wie verorten wir die Bibel und ihre Aussagen in unserem Sein als Kirche? Das Wort gilt mir und den anderen. Wie spricht Gott durch sein Wort? Wie höre ich dieses Wort? Welche Macht hat das Wort? Wenn ich Demut vor dem Wort Gottes einfordere, kann ich nur fragen, warum ich meine, das mächtig wirkende Wort Gottes selbst verstärken zu müssen, oder sogar, ob ich das Recht habe, Gott und seinem Wort selbst ins Handwerk zu pfuschen. Wenn mein Mitchrist das Wort nicht so versteht wie ich, kann ich dann ihn verklagen? Oder muß ich wie Bonhoeffer sagen, daß das Wort Gottes vor allem dann zum göttlichen Wort wird, wenn ich es nicht gegen den anderen, sondern gegen mich lese? Demut vor dem Wort Gottes kann ich eigentlich nicht von anderen einfordern, sondern nur von mir selbst. Das "Wort Gottes" wird in dem Moment zu einem stumpfen Schwert, in dem ich es als meinen Besitz betrachte und als Waffe gegen jemand anderen gebrauchen will!
Soviel mal für den Moment...
Tschüß
SD