Kilianus hat geschrieben: Wenn man den Begriff der Notwendigkeit zu eng faßt, so landen wir tatsächlich in der liturgischen Gefriertruhe - und damit im Widerspruch zur Tradition, die ja auch eine Tradition der (maßvollen) Veränderung ist.
Beispiele: War es unbedingt notwendig, die Osternacht wieder in der Nacht zu feiern? (Heils-)Notwendig jedenfalls war es wohl nicht. Sinnvoll schon. War es unbedingt notwendig, im römischen Ritus die Zahl der Schriftlesungen zu erhöhen? Kaum. Trotzdem halte ich (bei aller Kritik an den Details der Leseordnung) die grundsätzliche Abfolge AT-Psalm-Epistel-Halleluja-Evangelium durchaus für gelungen - und vermisse sie in der ao. Form. War es unbedingt notwendig, mit dem 65er-Ritus Teile der Messe vom Altar zu lösen? Sicher nicht. Um der Zeichenhaftigkeit willen halte ich aber auch diesen Schritt für sinnvoll.
Was heißt das nun für die Frage der Ministrantinnen? Ich habe noch immer den Eindruck, daß hier die Schwelle für die Notwendigkeit der Veränderung so hoch gelegt wird, daß man konsequenterweise auch elekrisches Licht in den Kirchen verbieten müßte.
Die von dir aufgezählten Beispiele sind interessant. Die Rück-Verlegung der Osternacht war (von ärgerlichen Detailänderungen abgesehen) die Wiederherstellung eines verlorenen in sich stimmigen Zustandes. Man müßte mal untersuchen, warum er verloren gegangen war. Mnachmal stößt man bei so einer Suche auf bedenkenswerte Gründe, manchmal auch auf weniger gute. (z.B. Bequemlichkeit der Kleriker. Es gibt immer eine menschliche "Schwerkraft", die den Ritus nach unten ziehen will.)
Wiederherstellung der drei Lesungen - auch das eine (allerdings wohl sehr früh) verloren gegangene Gewohnheit. Sie ist ja auch schon wieder dabei, verloren zu gehen. Einmal wegen der erwähnten Schwerkraft ("Das dauert uns alles zu lange"), dann aber auch wegen gewisser Systemprobleme. Die Abstimmung ist schwierig, die Lesungen aus dem AT sind oft schwer vermittelbar und können die Aufmerksamkeit töten usw. Ich will hier nicht in eine Detaildiskussion der Leseordnungsreform eintreten. Theologisch habe ich gegen die Dreizahl der Lesungen keine Einwände - pastoral-praktisch sehr starke.
Lösung der Wort-Messe vom Altar war noch nicht einmal die Wiederherstellung eines verlorengegangenen Zustandes, sondern nur der Versuch, einen in den feierlichen Formen (Levitenamt, Pontifikalamt, Papstmesse) noch bestehenden Zustand für alle Formen verbindlich zu machen. Und genau bei diesem "für alle verbindlich" lag wohl ein Denkfehle. Es hatte seinen Grund, daß sich die schlichte Alltagsform der Messfeier auf den Altar konzentrierte, und diese Gründe konnten nicht dadurch beseitigt werden, daß man ihre Folge negierte.
Auch hier sind meine praktischen Einwände größer als die theologischen. Die gibt es aber auch: Man kann in der starken Aufwertung des Altars und der betonung des latreutischen Charakters der zum Altar hin vorgetragenen Lesungen z.B. beim gesungenen Amt durchaus auch einen Gewinn sehen. Aber keinen, der mit Zähnen und Klauen zu verteidigen wäre, denn die Verständlichkeit der Lesung in der Muttersprache und ihr ebenfalls einleuchtender Vortrag zum Volk hin stellen ebenfalls einen Gewinn dar.
Ich will noch ein weiteres Beispiel anführen: Während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit war die Kommunion des Volkes aus nachvollziehbaren, aber nicht gut zu heißenden Gründen immer spärlicher geworden und schließlich aus der Messe herausgedrängt worden. Opfer und Opfermahl wurden getrennt, die Eucharistische Frömmigkeit verlor, wenn man so sagen darf, ein Bein. Diese Fehlentwicklung wurde bis zur Jahrhundertmitte des 20. Jh. nahezu geräuschlos korrigiert - liturgische Bewegung, Klerus, Kurie und Papst wirkten hier zwar nicht völlig problemlos, aber doch produktiv Hand in Hand. Ich habe nie gehört, daß irgendwelche Nostalgiker deswegen einen Aufstand gemacht hätten.
Die drei von Dir genannten Veränderungen und meine Nr. 4 haben gemeinsam, daß sie voll aus der Tradition heraus zu begründen sind, daß es praktisch unmöglich ist, schwerwiegende Gegenargumente theologischer oder pastoraler Art zu finden, sondern höchstens solche der Praktikabilität. (Die man nicht geringschätzen soll.)
Und genau das trifft nun mal für die Messdienerinnen nicht zu. Hier wurde zugunsten einer Konzession an den Zeitgeist eine uralte und wohlbegründete (wenn auch nicht dogmatisch zu bewehrende) Gewohnheit aufgegeben und etwas eingeführt, was es nie zuvor gegeben hat und was das Denken von Priestern und Gemeinden hinsichtlich des Geschehens am Altar tiefgreifend und m. E. negativ beeinflusst hat. Dabei spielt das Geschlecht der Messdienerinnen eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Die Einführung der Messdienerinnen war sozusagen krönender Abschluss einer gewollten Entwicklung, die den Altarraum seiner Sakralität entkleidete, den Altar "der Gemeinde zurückgeben" und die Mitwirkung der Laien in jeder Form demonstrativ hervorhob - während die des geweihten Priesters zurückgedrängt und säkularen Denkmustern ("Vorsteher") angepasst wurde.
Ich will die dahinter stehenden Motive nicht von vornherein und insgesamt verdächtigen ("freimaurerische Verschwörung"). Es gab auch viel gut Gemeintes. Aber angesichts der heute erkennbaren Ergebnisse (weitgehender Verlust des Glaubens an die Realpräsenz, weitgehender Verlust des Opferverständnisses, weitgehender Verlust des Wissens um die Aufgabe und Rolle des Priesters, fast völliges Verschwinden des "vertikalen" vor dem "horizontalen" Verständnis der "Gemeindemesse") angesichts all dessen bestätigt sich auch hier wieder die alte Einsicht, daß "gut gemeint" oft das Gegenteil von "gut" ist. Nichts von dem, was die Reform Gutes versprochen hat, ist eingetreten - statt dessen hat die Entwicklung auf eine schiefe Bahn geführt, die nicht nur die katholische Identität, sondern das Glaubensgut in seinem Kern beschädigt hat.
Ohne ein Eingeständnis dessen und ohne das Ziehen geradezu dramatischer und demonstrativer Konsequenzen wird man diese Entwicklung nicht aufhalten, geschweige denn zurückdrängen können. Die Rücknahme der unter Einschränkungen erteilten Erlaubnis zur Beschäftigung von Messdienerinnen wird m. E. ein Bestandteil dieser Konsequenzen sein müsen - wobei ich mir über die praktischen Probleme durchaus im Klaren bin. Runter gehts immer leichter als aufwärts.