Der normativen Kraft des Faktischen gehe ich meiner Ansicht nach nicht da (übrigens ist das ein Weg, den die Kirche selbst oft beschritten hat), aber dass meine Thesen nicht von jedem geteilt werden (können), dass ist mir klar.Raphael hat geschrieben:Mein lieber Maurus, trotz einiger berechtigter Anliegen ("Das Schaf muss den Hirten auch verstehen können!"), gibst du hier zu schnell der normativen Kraft des Faktischen nach!Maurus hat geschrieben:Man darf meines Erachtens nicht außer Acht lassen, dass sich die kirchlichen Lehren hinsichtlich des Verbots der künstlichen(!) Empfängnisverhütung auf den Bereich des ehelichen Lebens beziehen, in dem gemäß kirchlicher Lehre der ausschließliche Platz für genitale Sexualität ist. Entsprechend wird das Verbot auch begründet, daher läuft es ins Leere, wenn es sich um eine Frau handelt, die vergewaltigt wird, also gar nicht in irgendeiner Weise geschlechtlich verkehren will.
Den Ärger über die "Aufweichung" von HV - verbunden mit der Einsicht, dass letztlich die sich strikt an das kirchliche Gebot haltenden Katholiken die Dummen sind - kann ich irgendwo nachvollziehen. Das Dokument ist leider nicht gerade das am besten durchdachteste in der Kirchengeschichte. Es wirft zahllose Fragen auf, die von den Gläubigen kaum selbst beantwortet werden können, also beispielsweise warum der Begriff des Mittels auf mechanische oder biochemische eingegrenzt wurde; warum ein solches Verhalten "ehrbar", aber dennoch verboten sein soll; warum hier plötzlich der Natur ihr Lauf gelassen werden muss (das tun Mediziner doch auch sonst nicht); in wie fern es wirklich sinnvoll ist, das Sittengesetz mit der bleibenden (Rest-)Angst vor einer Schwangerschaft zu verteidigen. Kaum einsichtig ist auch die geschürte Furcht davor, dass staatliche Behörden solche Verfahren zur zwangsweisen Geburtenkontrolle nutzen könnten. Staaten, die das wollen nehmen Zwangsabtreibungen, Zwangsterilisierungen und/oder drakonische Strafen für Übertreter vor, aber sie verteilen keine Kondome, weil sie gar nicht kontrollieren können, ob diese auch verwendet werden. Ein autoritärer Staat aber will alles kontrollieren.
Für meine Begriffe ist ein wirklich sehr berechtigtes - heute noch mehr als damals - Anliegen durch HV eher konterkariert worden. Nichtmal Otto-Normalkatholik lässt sich heute noch was von der Kirche in diesen Angelegenheiten sagen. Das ist auch eine Folge von HV. Das Schaf muss den Hirten auch verstehen können.
In dem Fall aber finde ich, dass du es dir etwas zu leicht machst. Die in ihrer Legitimität fraglichen Erklärungen waren nicht zuletzt die Reaktion auf das bereits bestehende (und von Paul VI. in HV auch vorausgesehene) Unverständnis vieler Gläubiger. Letztendlich sind diese Erklärungen im kollektiven Gedächtnis der Allgemeinheit auch wesentlich schlechter verankert. Das Pillenverbot kennt schließlich fast jeder, aber außerhalb eines engeren Kreises kennt zumindest heute keiner mehr die "Königsteiner Erklärung".Raphael hat geschrieben:Das Problem bei HV war die Kakophonie des Hirtenchores (Mariatrost, Königstein) auf der Schablone des "Konzilsgeistes":
Wir wissen zwar nicht, was wir wollen, aber das mit aller Kraft!
Das Hauptproblem ist meines Erachtens, dass Paul VI. in HV zwar Geburtenkontrolle erlaubt, die Methodik aber auf eine natürliche Verhütung eingrenzt. Dabei ist bei einer Frau, die zB nach drei Kindern 30 Jahre lang mit Hilfe eines Zykluscomputers verhütet auch nicht mehr gegeben, dass sie der Natur ihren Lauf lässt oder bei der geschlechtlichen Vereinigung mit ihrem Ehepartner grundsätzlich offen für Nachwuchs ist. Das ist doch bloß eine Fiktion. Wo soll denn da der moralische Unterschied zu einer Pille oder einem Kondom sein?
Der tatsächlich Unterschied aber - und das ist für die Außenwirkung fatal - ist, dass bei der Methode mit Zykluscomputer natürlich enthaltsame Tage eingeplant werden müssen. Ausgerechnet diese Methode wird empfohlen. Damit setzt sich HV dem Verdacht aus, bloß die menschliche Sexualität kontrollieren zu wollen. Versteh mich nicht falsch, ich glaube nicht, dass das so beabsichtigt war. Nur wie etwas beabsichtigt war und wie es dann ankommt, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. An diesem Problem krankt die kirchliche Lehrverkündigung seit Jahrzehnten. Paulus wusste noch, dass er den Juden eine Jude und den Heiden ein Heide sein musste. Er wusste also, dass er die Art seiner Lehrverkündigung auf die Rezipienten anpassen musste. Den kirchlichen Lehrern von heute scheint dieses Prinzip nicht bekannt zu sein (Vorsicht: Polemik!). Da werden einfach ein paar Sätze rausgehauen und die Gutwilligen an der Basis sind dann die Dummen, die das denen, die daraufhin erstaunt Anfragen stellen, mühsam erklären müssen.