Es wurde unterschiedlich praktiziert. In den USA bspw. galt schon seit der Synode von Baltimore (1884) eine Spezialregelung, wonach unerlaubt (also ohne Annullierung der Vorehe) Wiederverheiratete sich die automatische Exkommunikation als Tatstrafe zuzogen. Eine explizite Verhängung als Spruchstrafe war somit nicht nötig. Das galt bis 1977, als die amerikanischen Bischöfe in Rom die Aufhebung dieser Sondererlaubnis erlangten (dargestellt bei Edward Peters, Excommunication and the Catholic Church, Ascension Press, 2006, S. 14).taddeo hat geschrieben:Offensichtlich war das vorher differenzierter geregelt. Im CIC/1917 ist in can. 2356 von den "bigami" die Rede, also denen, die trotz bestehenden Ehebandes eine zweite Eheschließung versucht haben, und sei es nur eine zivile. Diese Personen waren dadurch von selbst "infames" (Ehrenverlust als Tatstrafe, gibt es heute nicht mehr); darüber hinaus waren sie je nach Schwere der Schuld mit der Exkommunikation oder dem persönlichen Interdikt zu bestrafen, wenn sie eine Ermahnung des Ordinarius ignorierten und weiter in ihrem Verhalten verharrten. Das mußte dann aber eine Spruchstrafe sein, das trat nicht automatisch ein. Wie das tatsächlich praktiziert wurde, ist mir nicht bekannt.Zarahfication hat geschrieben:War das schon immer so oder erst seit dem Vatikanum II?taddeo hat geschrieben:Nein, aber auf Wiederverheiratung steht keine Exkommunikation. Weder als Tat- noch als Spruchstrafe.
(In den katholischen Ostkirchen gibt es übrigens gar keine Tatstrafen, dafür aber kleine und große Exkommunikation.)
In Deutschland war es noch in den 1950er Jahren üblich, die Strafe explizit von der Kanzel zu verkünden. Wie Taddeo schon sagte, war „Bigamie infolge Wiederverheiratung trotz eines bestehenden kirchlichen Ehebandes“ nach dem CIC von 1917 eine Straftat und zog „bei verstärktem Vorsatz den von selbst eintretenden rechtlichen Ehrverlust“ (Infamie) nach sich (zit. Richard Strigl, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1979, S. 770). Wie "verstärkter Vorsatz" genau definiert ist, weiß ich übrigens nicht. Schon der Ehrverlust führte aber natürlich zur Vorenthaltung der Sakramente. Danach lief das so ab, dass den Betroffenen (wohl über den Ortspfarrer) eine bfl. Monitio (Abmahnung) zugestellt wurde mit der Aufforderung, den irregulären Zustand innerhalb einer gewissen Frist zu beenden (also den verbotenerweise angetrauten Partner zu verlassen). Geschah das nicht, wurde vom Bistum ein Strafurteil ausgefertigt (Exkommunikation oder Personalinterdikt, also "kleine" Exkommunikation), das in der Kirche unter den Abkündigungen vom Pfarrer öffentlich vorgelesen wurde.
Bekannte Fälle sind der Staatsrechtler Carl Schmitt, der seit 1925 bis zum Tod seiner zweiten Frau im Jahre 1950 exkommuniziert war, oder Karlheinz Deschner, der 1951 eine geschiedene Frau geheiratet hatte. Deschner hat die "Oberhirtliche Strafsentenz" des Bischofs von Würzburg (der junge Julius Döpfner), die damals von der Kanzel verkündet wurde, übrigens 2004 selbst veröffentlichen lassen, nachdem Georg Denzler ihm nicht glauben wollte, dass er tats. wegen verbotener Eheschließung exkommuniziert gewesen war (interessantes Zeitdokument und eine der wenigen Veröffentlichungen Deschners, die mich bei hist. Nachforschungen jemals weitergebracht haben).
Offenbar wurde dann aber ab einem gewissen Zeitpunkt während der Konzilszeit (wann genau, habe ich nicht herausbekommen, wohl aber spätestens 1970, vllt. auch je nach Bistum verschieden) in Deutschland von der bfl. Mahnung und anschließenden Verhängung der Spruchstrafe abgesehen. Damit waren die Leute einfach nur kirchenrechtlich ehrlos und als Straftäter am Sakramentenempfang (wie auch sonstiger aktiver Mitwirkung am kirchlichen Leben) gehindert, eine förmliche Exkommunikation erfolgte jedoch nicht mehr. Das war die Situation, bis 1983 das neue Kirchenrecht in Kraft trat.
Erst seit 1983 sind wvG keine Straftäter mehr. Der Canon 915 im CIC/1983, der den Kommunionausschluss der so genannten öffentlichen Sünder regelt, ist im neuen Recht spezifisch mit Blick auf diesen Personenkreis geschaffen worden (das war eigtl. bekannt, aber in der Literatur selten deutlich gesagt, wurde aber kürzlich von Markus Graulich nochmal ausdrücklich klargestellt in ders. (Hg.) Zwischen Jesu Wort und Norm, S. 149). Deshalb werden solche öffentlichen Sünder von manchen Kirchenrechtlern (recht treffend) als "Quasi-Straftäter" bezeichnet: Sie fallen nicht unters Strafrecht, aber die Rechtslogik des Sakramentenausschlusses folgt der Strafrechtslogik. Deshalb ist auch im Sinne der Aussagen des Päpstl. Rates für die Gesetzestexte in seiner einschlägigen Verlautbarung von 2000 klar, dass die Kirche nichts darüber aussagt, ob es sich bei den so genannten öffentlichen Sündern tatsächlich im moralischen Sinn um Sünder handelt, wie in der aktuellen Diskussion von Gegnern der Synode häufig unreflektiert behauptet wird. Gerade diese Diskrepanz zwischen rechtlichem Status ("Quasi-Straftäter") und tats. Gnadenstand der Betroffenen ist das eigtl. so sehr aufstoßende Dilemma, das mithilfe einer etwas differenzierteren Behandlungsweise evtl. durch eine Neuregelung auf der kommenden Synode behoben werden könnte.