Seite 1 von 1

Religiöse Lyrik?

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 14:55
von mal
Neulich sprach mich jemand an, der zum ersten Mal ein (neueres!) religiöses Gedicht gelesen hatte. Er war sehr erstaunt, dass es heute so etwas gibt. Meine Frage ans Forum: Was haltet ihr von der neuen religiösen Lyrik? Kennt ihr welche? Gefällt sie euch? "Bringst" das für den Glauben? Oder eher nicht?
Pax et Bonum
mal

Re: Religiöse Lyrik?

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 15:20
von lancelot
mal hat geschrieben:Neulich sprach mich jemand an, der zum ersten Mal ein (neueres!) religiöses Gedicht gelesen hatte. Er war sehr erstaunt, dass es heute so etwas gibt. Meine Frage ans Forum: Was haltet ihr von der neuen religiösen Lyrik? Kennt ihr welche? Gefällt sie euch? "Bringst" das für den Glauben? Oder eher nicht?
Pax et Bonum
mal
Gute Lyrik bringt immer was - egal ob religiös oder nicht. Schlechte Lyrik bleibt schlecht, auch wenn sie religöse Themen berührt. Wahrscheinlich ist manches, was als "religiös lyrisch" gehandelt wird, gar keine Lyrik, sondern gut gemeinte Gesinnungsdichtung. Solche Beispiele wären für mich Elli Michler oder teilweise auch Christa Peikert-Flaspöhler, auch Paul Konrad Kurz (obwohl es von Kurz einige sehr gute Gedichte gibt, die die Zeit überdauern werden). (Mit dem Vorwurf des "Elitären" lebe ich gerne.)

Mit "weltlicher" Lyrik, die offen ist für Religion und Glauben, kann ich mehr anfangen. Beispiele dafür gibt es beim Lyrik-Projekt.

Am tiefsten ergriffen haben mich gute "religiöse" Gedichte von großen Dichtern, z.B. dieses Morgengedicht von e.e.cummings:
i thank You God for most this amazing
day:for the leaping greenly spirits of trees
and a blue true dream of sky;and for everything
wich is natural which is infinite which is yes

(i who have died am alive again today,
and this is the sun's birthday;this is the birth
day of life and love and wings:and of the gay
great happening illimitably earth)

how should tasting touching hearing seeing
breathing any-lifted from the no
of all nothing-human merely being
doubt unimaginable You?

(now the ears of my ears awake and
now the eyes of my eyes are opened)
Oder auch manches von T.S. Eliot, W.H. Auden und Robert Frost.

Abgefahren und anspruchsvoll, aber sehr sehr katholisch sind die "Anathemata" von David Jones, ebenfalls mit einigen unsterblichen Passagen.

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 20:41
von lancelot
Karg, dicht, sperrig. Biblisch:

Peter Baumhauer: Am Ufer des Zeitlands

Beispiel:
Birg
in den alten
krügen der väter
den deinen
was dir auf dem herzacker
wächst

lichthirse
dürftiges korn

mit mühsalsicheln
müssen wir ernten

um tag für tag
dem hunger zu wehren
der aufsteht
am abend
der kommt
in der nacht

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 21:04
von Erich_D
lancelot hat geschrieben:Karg, dicht, sperrig. Biblisch:

Peter Baumhauer: Am Ufer des Zeitlands

Beispiel:
Birg
in den alten
krügen der väter
den deinen
was dir auf dem herzacker
wächst

lichthirse
dürftiges korn

mit mühsalsicheln
müssen wir ernten

um tag für tag
dem hunger zu wehren
der aufsteht
am abend
der kommt
in der nacht
Celan-Verschnitt

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 21:13
von Robert Ketelhohn
wird ein text
ein gedanke
durch zeilenumbrüche
kleinschreibung auch
und den willen des setzers den es nicht
mehr gibt
zum gedicht?

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 21:25
von Lucia
Ich liebe die Texte von Lothar Zenetti. Dieser hier steht z. B. auch im Gotteslob (allerdings mit einer völlig unsingbaren Melodie):
Segne dieses Kind

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es sehen lernt mit seinen eigenen Augen
Das Gesicht seiner Mutter
Und die Farben der Blumen
Und den Schnee auf den Bergen
Und das Land der Verheißung

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es hören lernt mit seinen eigenen Ohren
Auf den Klang seines Namens
Auf die Wahrheit der Weisen
Auf die Sprache der Liebe
Und das Wort der Verheißung

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es greifen lernt mit seinen eigenen Händen
Nach der Hand seiner Freunde
Nach Maschinen und Plänen
Nach dem Brot und den Trauben
Und dem Land der Verheißung

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es reden lernt mit seinen eigenen Lippen
Von den Freuden und Sorgen
Von den Fragen der Menschen
Von den Wundern des Lebens
Und dem Wort der Verheißung

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es gehen lernt mit seinen eigenen Füßen
Auf den Straßen der Erde
Auf den mühsamen Treppen
Auf den Wegen des Friedens
In das Land der Verheißung

Segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen

Daß es lieben lernt mit seinem ganzen Herzen.
Und hier z. B. gibt's noch mehr von ihm.

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 21:58
von Erich_D
Ich weiss nicht, ob es religiöse Lyrik ist, aber wenn ich schon Paul Celan erwähnte ...

Assisi (1955)

Umbrische Nacht.
Umbrische Nacht mit dem Silber von Glocke und Ölblatt.
Umbrische Nacht mit dem Stein, den du hertrugst.
Umbrische Nacht mit dem Stein.

Stumm, was ins Leben stieg, stumm.
Füll die Krüge um.

Irdener Krug.
Irdener Krug, dran die Töpferhand festwuchs.
Irdener Krug, den die Hand eines Schattens für immer verschloß.
Irdener Krug mit dem Siegel des Schattens.

Stein, wo du hinsiehst, Stein.
Laß das Grautier ein.

Trottendes Tier.
Trottendes Tier im Schnee, den die nackteste Hand streut.
Trottendes Tier vor dem Wort, das ins Schloß fiel.
Trottendes Tier, das den Schlaf aus der Hand frißt.

Glanz, der nicht trösten will, Glanz.
Die Toten – sie betteln noch, Franz.

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 22:35
von Robert Ketelhohn
Häßlich stinkt der Sumpf, dampft giftig der Morast.
Tödlich faßt er jeden Fuß, der ihn betritt –
Und dennoch lockt’ sein Irrlicht meinen Schritt
Stets aufs neue. Ach, ich kannt’ den argen Gast

Gar wohl, ich wußt’ um jenen auch, der zum Palast
Erkoren sich dies Reich – was war die List, womit
Er alles Wägen der Vernunft müh’los zerschnitt?
Daß ich so ganz vergaß, wie sehr ich ihm verhaßt?

Der kennt besser als ich selber meine Seele,
Weiß zu greifen ihre Schwachheit, sie zu töten,
Daß sein schweres Joch im ew’gen Tod mich quäle.

Er ist stärker, als ich bin in meinen Nöten –
Und doch, mir scheint ein mächtig Licht, so ich’s erwähle,
Deß Blutes Ströme heilsam alle Sümpfe röten.

Verfasst: Donnerstag 29. Juli 2004, 23:13
von Lucia
von wem ist das?

Verfasst: Freitag 30. Juli 2004, 07:49
von lancelot
Robert Ketelhohn hat geschrieben:wird ein text
ein gedanke
durch zeilenumbrüche
kleinschreibung auch
und den willen des setzers den es nicht
mehr gibt
zum gedicht?
Daß ein Gedicht in Verse gegliedert, ist vielleicht sogar die einzige Gemeinsamkeit von Gedichten, oder? Es geht offensichtlich ohne Endreime, ohne Metrum, ohne Metaphern, ohne Empfindsamkeit und Subjektivität.

Ergo: Weil sie die Mindestanforderungen erfüllt, würde Deine Frage zu einem Gedicht, aber nicht unbedingt zu einem guten. Vielleicht auch nur zur Veralberung von Gedichten in Gedichtform. Und weil das alles ist, nehmen wir es zur Kenntnis und vergessen es.

Verfasst: Freitag 30. Juli 2004, 21:38
von mal
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Häßlich stinkt der Sumpf, dampft giftig der Morast.
Tödlich faßt er jeden Fuß, der ihn betritt –
Und dennoch lockt’ sein Irrlicht meinen Schritt
Stets aufs neue. Ach, ich kannt’ den argen Gast

Gar wohl, ich wußt’ um jenen auch, der zum Palast
Erkoren sich dies Reich – was war die List, womit
Er alles Wägen der Vernunft müh’los zerschnitt?
Daß ich so ganz vergaß, wie sehr ich ihm verhaßt?

Der kennt besser als ich selber meine Seele,
Weiß zu greifen ihre Schwachheit, sie zu töten,
Daß sein schweres Joch im ew’gen Tod mich quäle.

Schließe mich Lucia Hünermann an: Von wem ist das??
Pax et Bonum
mal

Er ist stärker, als ich bin in meinen Nöten –
Und doch, mir scheint ein mächtig Licht, so ich’s erwähle,
Deß Blutes Ströme heilsam alle Sümpfe röten.

Verfasst: Freitag 30. Juli 2004, 21:41
von mal
Hoppla, da ist meine Frage nicht mit drauf gekommen. Also nochmal:
Schließe mich Lucia Hünermann an: Von wem ist das?
Pax et Bonum
mal

Verfasst: Freitag 30. Juli 2004, 21:46
von Robert Ketelhohn
Na, steht doch da (in deinem eigenen Beitrag).

Verfasst: Freitag 30. Juli 2004, 22:18
von Erich_D
Robert Lowell: Mr. Edwards and the Spider
I saw the spiders marching through the air, / Ich sah die Spinnen durch die Luft marschieren,
Swimming from tree to tree that mildewed day / von Baum zu Baum schwimmend an jenem moderigen Tage
In latter August when the hay / im späteren August, als das Heu
Came creaking to the barn. But where / knarrend in die Scheune kam. Aber wo
The wind is westerly, / der Wind von Westen kommt,
Where gnarled November makes the spiders fly / wo der knorrige November die Spinnen
Into the apparitions of the sky, / in die Erscheinungen des Himmels treibt,
They purpose nothing but their ease and die / haben sie nichts im Sinne als ihre Ruhe und sterben
Urgently beating east to sunrise and the sea; / eilig nach Osten dem Sonnenaufgang und dem Meere zu drängend.

What are we in the hands of the great God? / Was sind wir in der Hand des großen Gottes?
It was in vain you set up thorn and briar / Vergeblich habt ihr Dorn und Hecke
In battle array against the fire / in Schlachtenordnung gegen das Feuer gesetzt
And treason crackling in your blood; / und gegen Verrat, der in eurem Blute knistert;
For the wild thorns grow tame / denn der wilde Dorn wird zahm
And will do nothing to oppose the flame; / und wird nichts tun, der Flamme zu begegnen;
Your lacerations tell the losing game / eure Wunden zeugen von dem verlorenen Spiel,
You play against a sickness past your cure. / das ihr gegen eine Krankheit, die ihr nicht mehr heilen könnt, spielt.
How will the hands be strong? How will the heart endure? / Wie sollen die Hände stark sein? Wie soll das Herz ausharren?

A very little thing, a little worm, / Ein sehr kleines Ding, ein kleiner Wurm,
Or hourglass-blazoned spider, it is said, / oder eine Spinne mit dem Zeichen des Stundenglases kann, so heißt es,
Can kill a tiger. Will the dead / einen Tiger töten. Wird der Tote
Hold up his mirror and affirm / seinen Spiegel zeigen und
To the four winds the smell / den vier Winden den Geruch
And flash of his authority? It's well / und das Aufblitzen seiner Autorität bekräftigen? Es ist gut,
If God who holds you to the pit of hell, / wenn Gott, der euch über den Abgrund der Hölle hält,
Much as one holds a spider, will destroy / ganz so, wie man eine Spinne hält, eure Seele
Baffle and dissipate your soul. As a small boy / zerstören, verwirren und zerreißen wird. Als kleiner Junge

On Windsor March, I saw the spider die / sah ich im Windsor-Moor die Spinne sterben,
When thrown into the bowels of fierce fire: / als sie mitten ins wütende Feuer geworfen wurde:
There's no long struggle, no desire / es gibt keinen langen Kampf, kein Verlangen,
To get up on its feet and fly-- / sich auf die Füße zu stellen und zu fliehen -
It stretches out its feet / sie streckt die Füße
And dies. This is the sinner's last retreat; / und stirbt. Das ist des Sünders letzte Zuflucht;
Yes, and no strength exerted on the heat / ja, und keine auf die Hitze ausgeübte Kraft
Then sinews the abolished will, when sick / versieht den aufgegebenen Willen dann mit neuen Sehnen, wenn sie, krank
And full of burning, it will whistle on a brick. / und voller Glut, auf einen Ziegel pfeifen wird.

But who can plumb the sinking of that soul? / Aber wer kann das Sinken dieser Seele ergründen?
Josiah Hawley, picture yourself cast / Josiah Hawley, stell Dir vor, du wärest
Into a brick-kiln where the blast / in einen Ziegelofen geworfen, wo die Hitze
Fans your quick vitals to a coal-- / deinen lebendigen Körper zu Kohle bläst -
If measured by a glass, / Wie lange würde er,
How long would it seem burning! Let there pass / wenn man mit einer Stopuhr mißt, zu brennen scheinen! Laß da
A minute, ten, ten trillion; but the blaze / eine Minute, zehn, zehn Billionen vorübergehen; doch die Flamme
Is infinite, eternal: this is death, / ist unendlich, ewig: das ist der Tod,
To die and know it. This is the Black Widow, death. / zu sterben und es zu wissen. Das ist die Schwarze Witwe, der Tod.

Verfasst: Samstag 31. Juli 2004, 16:05
von mal
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Na, steht doch da (in deinem eigenen Beitrag).
Hm, :kratz: also von Thomas Merton ist es nicht, ... von mal auch nicht, ... bleibt nur noch dieser, wie hieß der gleich, ähh, Richard Kehenton, nein Rüdiger Hohneketel, ach was: jetzt hab ichs: Robert Ketelhohn. Ist es DER Ketelhohn? Uii.
Das Gedicht ist gut!!
:ja:
Ein liebes Pax et Boum
mal

Verfasst: Sonntag 1. August 2004, 17:09
von Fichtel-Wichtel
Hat sich mal vor einigen Jahren bereits auf einem Flohmarkt vor meinen Augen in Positur geworfen.
ERNST EGGIMANN Jesus Texte
Kleine Kostprobe!
jesus
wennich die augen schließe
im sandsturm
zeig mir den spurlosen weg
den man sitzend geht

damit ich später
mit offenen augen
besser sehe

führe mich in die wüste
wo du vierzig tage
gefastet hast
der ort
wo du herkommst
liegt in mir

Hab nur mal eben so das Büchelchen aufgeschlagen und das dann hier eingetragen .
Gruß ,
Fichtel - Wichtel



P.S.Der schreibt auch alles klein

Verfasst: Montag 2. August 2004, 17:11
von Marlene
Religiöse Lyrik, Lyrik mit religiösen Themen ... natürlich gibt es auch da unterschiedliche Qualitäten. Ich beschäftige mich seit einigen Jahren intensiv damit. Mich haben bestimmte Gedichte dazu gebracht, mich zum ersten Mal in meinem Leben intensiv mit der Bibel auseinander zu setzen.

Hier ist mein absolutes Lieblingsgedicht:

HÖRE DU

der sein Gesicht
nie freundlich
in mein Fenster stellte

Name
der mir ein Haar
als Maß bot

dem ich nachging
in das Aderwerk
meiner Verzweigung

zufiel ins Bilderlose
zur Wechselgabe wurde
Atemzug um Atemzug

Lisa Mayer

********************

Und für die, die es interessiert, gibt es dazu auch noch eine Interpretation:
http://www.stift-neuburg.de/Lyrik/lyrik5.htm

Religiöse Lyrik

Verfasst: Dienstag 3. August 2004, 20:36
von Mariamante
Jesu Trost

Bist du in Not, ich bin dir nah
die Liebe mein ist immer da,
du darfst dein Herz nur nicht verschließen,
damit die Gnaden reichlich fließen.

Vertrau, und glaube fest,
dass niemals dich dein Gott verlässt,
dass er dich trägt und hält
durch allen Kummer dieser Welt.

Und will der Teufel dich betrüben
so sollt du im Gebet dich üben,
dort findest du zu mir mein Kind,
und ich will heilen dich geschwind.

In meinem Herzen wirst du alles finden
und wenn selbst beste Freunde schwinden:
Ich bin dir treu gerade dort
wo alle fliehen von dir fort.

Re: Religiöse Lyrik?

Verfasst: Samstag 6. Oktober 2012, 13:39
von Niels
Lothar Zenetti, der uns mit unzähligen Liedern, Gedichten und Aphorismen beglückt hat, hat kürzlich sein Diamantenes Priesterjubiläum gefeiert: http://www.fr-online.de/frankfurt/fraue ... 18122.html
:wein:

Re: Religiöse Lyrik?

Verfasst: Samstag 6. Oktober 2012, 17:34
von Robert Ketelhohn
Gualterus a Castellione
talem threnum cecinit
Walther von Châtillon
solche Klage sang
IPropter Sion non tacebo,
sed ruinas Rome flebo,
     quousque iustitia
rursus nobis oriatur
et ut lampas accendatur
     iustus in ecclesia.
Zions wegen muß ich trauern,
Romas tiefen Fall bedauern,
     bis dort wieder mit der Zeit
die Gerechtigkeit sich gründet,
fackelgleich sich neu entzündet
     in der Kirche Redlichkeit.
XIVDulci cantu blandiuntur
ut Sirenes, et loquuntur
     primo quedam dulcia:
,,Frare, ben je te cognosco,
certe nichil a te posco,
     nam tu es de Francia.
Die da süße Reden schwingen,
wie Sirenen lieblich singen,
     daß es süß zu Anfang heißt:
,,Heda, Bruder, keine Bange,
nein, von dir ich nichts verlange,
     der aus Frankreich hergereist.
XVTerra vestra bene cepit
et benigne nos excepit
     in portu concilii.
nostri estis, nostri! cuius?
sacrosancte sedis huius
     speciales filii.
Euer Land hat wohl begonnen,
war uns hilfreich wohl gesonnen,
     bot uns des Konziles Port.
Unser seid ihr, unser! Wessen?
Teure Söhne, unvergessen
     seid ihr hier am heiligen Ort.
XVINos peccata relaxamus
et laxatos collocamus
     sedibus ethereis.
nos habemus Petri leges
ad ligandos omnes reges
     in manicis ferreis.“
Wir befreien und befinden,
die der Sünden wir entbinden,
     führen wir im Himmel ein,
schalten frei mit Petri Rechten,
alle Könige zu knechten,
     schließen sie in Eisen ein.“
XVIIIta dicunt cardinales,
ita solent di carnales
     in primis allicere.
sic instillant fel draconis,
et in fine lectionis
     cogunt bursam vomere.
Dies der Kardinäle Worte,
also üppig diese Sorte
     Fleischesgötter anfangs protzt.
Also Drachengift sie träufeln,
bis am Schluß vor diesen Teufeln
     unsre Börse doch noch kotzt.
XVIIICardinales, ut predixi,
novo iure Crucifixi
     vendunt patrimonium.
Petrus foris, intus Nero,
intus lupi, foris vero
     sicut agni ovium.
Kardinäle, wie ich sagte,
dreist verschachern das beklagte
     Erbe des Gekreuzigten.
Innen Nero, Petrus außen,
innen Wölfe, aber draußen
     Schäflein, die mit Schafen gehn.
XIXTales regunt Petri navem,
tales habent eius clavem,
     ligandi potentiam.
hi nos docent, sed indocti,
hi nos docent, et nox nocti
     indicat scientiam.
Solche halten Petri Steuer,
solche seinen Schlüssel heuer,
     haben heut zu binden Macht;
ungelehrte wollen lehren,
ohne Wissen Wissen mehren,
     also lehrt die Nacht die Nacht.

Re: Religiöse Lyrik?

Verfasst: Samstag 6. Oktober 2012, 17:39
von Peregrin
Hat nichts an Aktualität verloren.