Jarom1 hat geschrieben:Daher meine (vielleicht naive) Frage: Wie Rolle spielt die Philosophie des Aristoteles und (damit verbunden) der Scholastik für die Katholische Kirche heute? Wie grundlegend ist die Philosophie für die Ausgestaltung der Lehre?
Sempre hat geschrieben: Das Werk des Aristoteles ist zwar Grundlage für Thomas von Aquin, Thomas geht aber weit über Aristoteles hinaus und integriert auch u.a. die Partizipationslehre des Plato, die Aristoteles kritisiert hatte.
Das ist ein wichtiger, inhaltlich auch zutreffender Hinweis. St. Thomas war kein Aristoteles sklavisch ergebener Schreiber, sondern passte ab und an etwas an und akzentuierte so manches anders als Aristoteles. Schon alleine, wenn man die "De ente et essentia" mit der "Metaphysik" oder den "Kategorien" vergleicht, fällt einem das auf. Gewisse Inhalte, die bei Aristoteles noch offen sind, behandelt St. Thomas in eindeutiger Weise (z. B. das, was man heute das "Leib-Seele-Problem" nennt). Auch floss nicht nur indirekt, sondern vereinzelt auch direkt (neu-)platon. Gedankengut in die Philosophie des Heiligen ein. So waren z. B. einige Schriften im Umlauf, die man damals fälschlicherweise Aristoteles zuschrieb. Der sog. "Liber de causis" ist so ein Fall: Wohl ein von arab. Kompilatoren zusammengestelltes Exzerpt eines prokleischen Werks, galt er im Abendland lange Zeit als eine "Theologia Aristotelis" und Ergänzung zur "Metaphysik". Man verfasste dazu Kommentare etc. St. Thomas erkannte in diesem Fall allerdings schon (da ihm bereits das Werk, aus dem die Zusammenstellung erfolgt war - die "Elementatio theologica" -, in der Übersetzung von Wilhelm von Moerbeke vorlag), dass es sich nicht um eine Schrift des Aristoteles handelt. Trotzdem übte dieses Buch (und andere neuplaton. Schriften) durchaus einen gewissen Einfluss auf St. Thomas und ganz allgemein auf den damaligen Philosophiebetrieb aus. Beachten sollte man m. E. auch:
[quote="R. Schönberger, "
Thomas von Aquin zur Einführung" (Junius-Verlag), S. 26"]
Ein mittelalterlicher Kommentator hat ein prinzipiell anderes Verhältnis zu dem von ihm kommentierten Text als ein moderner Autor, sei er Philologe oder Philosoph oder selbst theologischer Exeget. Es geht ihm nicht primär um eine »historische« Erläuterung eines Textes, darum also, was ein Autor gemeint hat, dem dieser mithin zustimmen könnte, wenn man ihn noch fragen könnte. Die Maßgeblichkeit eines Textes beruht nicht wie in einem historistischen Zeitalter auf einem sog. »Einfluß«, sondern auf der Wahrheitsunterstellung. Die moderne Trennung von eigenem Gedanken mit selbst definiertem Anspruch auf Wahrheit und/oder Originalität einerseits und Erläuterung eines fremden Textes andererseits ist auf diese Zeit nicht ohne weiteres übertragbar. Aber gleichwohl hat man auch in der Scholastik um die Auslegung des Aristoteles und Augustinus, des Boethius und Dionysius ausgiebig gestritten. Bei Thomas findet man immer wieder die Konfrontation verschiedener Deutungen mit dem, was der Autor gemeint hat (»intentio auctoris«). Er hebt eigens einmal hervor, daß von Glaubenaussagen nicht abhängen darf, wie man Aristoteles deutet: »Ich sehe nicht ,was es mit der Lehre des Glaubens zu tun habe, wie die Worte des Aristoteles interpretiert werden.« (Resp. de 43 art., a 34; ed. Leon. XLII, 333) Und doch bleibt wahr, daß man die Kommentare des Thomas als Ausdruck von dessen eigener Lehrmeinung lesen darf.
[/quote]
Aristoteles ist trotzdem - wenn auch oftmals stark modifiziert bzw. mit dem Neuplatonismus "synthetisiert" - für die Scholastik von fundamentaler Bedeutung.
overkott hat geschrieben:Auch wenn wir uns die Logik des Gottesbeweises bei Thomas selbst zusammenreimen müssen [...]
Mit der Logik (sc. "Logik" im Sinne von der Lehre vom vernünftigen, gültigen Schließen, wie das gegenwärtig verstanden wird - im Sinne von Frege und der analytischen Philosophie) des Heiligen ist alles in Ordnung.