ad-fontes hat geschrieben:Bernado hat geschrieben:Berolinensis hat geschrieben:Das wäre ja nun wirklich äußerst verquer. Daß einem vielleicht mal in einer konkreten Situation so ein Gedanke kommt, kann ich mir ja vorstellen, aber daß das zum Prinzip des Handelns gemacht wird? Wirklich nicht.
Mein eindruck ist der, daß das zwar keine ausgearbeitete und durchdachte Strategie ist, aber im Hinterkopf immer mitschwingt: Warum sollen wir die Leute mit der vollen Härte des Gesetzes belästigen, der sie doch nicht gerecht werden können.
Passt gut in den Gesamtbefund der (semi-)pelagianistischen Tendenzen. Und in die Unfähigkeit, sich das Leben des Christen als Kampf vorzustellen: Im Widerstand gegen das Böse, gegen die Umwelt, soweit vom Bösen beherrscht, gegen sich selbst, soweit von der Erbsünde (was'n das schon wieder?) makuliert.
Der Feststellung dieser Tendenzen stimme ich vollauf zu. Allerdings habe ich Verständnisschwierigkeiten bei der Beschreibung ebenderselben als "semipelagianisch".
Als Movens der "Frohbotschafts- statt Drohbotschaftsverkünder" sehe ich eher die Allerversöhnungslehre.
Mein Gedankengang - den ich nicht unbedingt zur Aufnahme in die nächsten Lehrbücher vorschlagen möchte - war der:
In der Tradition des Pelagius stehend, neigen moderne Pastoraltheologen dazu, das "Tun" überzubewerten und den Anteil der dem Mensche gewährten Gnade am Erlösungswerk gering zu schätzen. Diagnose: Allgemeine Transzendenzschwäche. Bis in welche Extreme diese Überbewertung des Tuns führt, sieht man bei dem soeben veröffentlichten DBK-Papier über die Caritas, das die persönliche Beziehung zu Gott fast ganz durch die Hinwendung zum nächsten (möglichst in organisierter und bürokratisierter Art) ersetzt.
Andererseits haben sie aber auch keine besonders hohe Meinung von dem, was der Mensch leistern kann oder was Gott von ihm erwartet - auch das ordnet sich in den Befund der "Allgemeinen Transzendenzschwäche" ein, insbesondere auch in der Form, die Personalität Gottes und die Intensität seines Gnadenhandelns am einzelnen Menschen zu unterschätzen.
Und hier kommen nun in der Tat auf paradoxe Weise Allerlösungsgedanken hinein. Weil sie mit dem, was sich zwischen dem einzelnen Menschen und dem persönlichen, für jeden Einzelnen gestorbenen Gott abspielt oder abspielen sollte, nicht so recht etwas anfangen können, ersetzen sie das konkrete Gnadenhandeln und das darauf gerichtete/daraus hervorgehende Handeln des Menschen durch eine allgegenwärtige und allumfassende Gnadenwolke: wir sind schon erlöst und müssen uns nur noch zum Bewußtsein dessen emporschwingen. Womit man in der Tat Pelagius den Rücken kehrt und bei einem anderen Paradigma anlangt. Aber nicht, indem man dieses Denkschema der Allerlösung zum Ausgangspunkt hätte, sondern aus einem frustrierten Selbsterlösungsdenken heraus.
Widersprüchlich? Ich denke schon. Und möglicherweise liegt der Widerspruch auf meiner Seite. Aber andererseits: wer wollte behaupten, die klassischen oder modernistischen Härsierereien seienaus widerspruchsfreiem Denken hervorgegangen?