Problematische Bibelstellen

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Marion hat geschrieben:Man kann nur Sünden bereuen.
Nein.
Roger ;) Man kann sich auch irren - also nur meinen man hätte was falsches gemacht oder unterlassen.
Oder gibt es noch mehr was man bereuen kann?
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Robert Ketelhohn
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Manche Leute sollen gelegentlich sogar bereuen, geheiratet zu haben.
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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Manche Leute sollen gelegentlich sogar bereuen, geheiratet zu haben.
Also irren oder meinen geirrt zu haben.
Gott irrt nicht und meint auch nicht geirrt zu haben.
Daß Gott reuen könnte passt auch in diesem Fall nicht.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Marion hat geschrieben:Dankeschön :)
Mich hats fast vom Hocker gehauen als ich das las:
Gott reut es :erschrocken:
Das ist ein völlig anderes Gottesbild
Als anthropomorphe Redeweise kann man das schon recht verstehen,
wie auch den Zorn Gottes, beispielshalber.
Ich kann das überhaupt nicht recht verstehen. Und erst recht nicht am Aschermittwoch. Da wird Asche auf die Menschenhäupter gestreut und durch diesen sehr schlecht übersetzten Vers nebenher noch ein bisschen auf Gottes Haupt.
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Bernado
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Bernado »

Marion hat geschrieben:Ich kann das überhaupt nicht recht verstehen. Und erst recht nicht am Aschermittwoch. Da wird Asche auf die Menschenhäupter gestreut und durch diesen sehr schlecht übersetzten Vers nebenher noch ein bisschen auf Gottes Haupt.
Ich bitte zu unterscheiden zwischen dem, was man in der Bibel mit angemessener Anstrengungen verstehen kann - und dem, was immer wieder Übersetzer (mal mit, mal ohne schlechten Willen) daraus machen.
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Robert Ketelhohn
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Marion, was an der Stelle – Übersetzung hin oder her – auf jeden Fall drinsteht,
ist ein Sinneswandel Gottes. Wie aber kann das sein? Er, der Unwandelbare, soll
seinen Sinn wandeln?

Gott handelt gegenüber uns und an uns Menschen, in unserer Geschichte. Dar-
um dürfen wir ihn insofern auch als geschichtlichen Gott verstehen, der in die
Geschichte herabsteigt. So begegnet er uns in gewisser Weise nach Menschen-
art. Viel höher, viel mächtiger – aber sein absolutes Sein können wir nicht ver-
stehen. Darum greift unsere Vorstellung immer wieder nach anthropomorphen
Bildern. Schon wenn wir beten: da erwarten wir „Antwort“ – und ziehen den
Ewigen in unserm Verständnis bereits in die Zeit hinein.

Und genauso ist es mit einem „Sinneswandel“ Gottes. Der Herr handelt heute
so an mir, morgen anders. Da erscheint’s mir, als habe Gott seinen Sinn gewan-
delt. In Wahrheit liegt der Wandel bei mir, aber das kann ich nicht wirklich er-
fassen. Darum redet die Schrift zu mir nach Maßgabe meines Verständnisses.
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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

Ob Gott seinen Sinn wandelt oder ob wir hören müssen daß Er ihn wandelt (obwohl Er ihn nicht wandelt), damit wir etwas verstehen können, weiß ich nicht. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Wörtlich juxta LXX ungefähr: „… weil er erbarmend und mitleidend ist, langmü-
tig und vielerbarmend und den Sinn wandelnd hinsichtlich der Übel“ (… ὅτι ἐλε-
ήμων καὶ οἰκτίρμων ἐστίν, μακρόϑυμος καὶ πολυέλεος καὶ μετανοῶν ἐπὶ ταῖς
κακίαις).
Was du mir hier übersetzt hast habe ich anders verstanden, als daß Er Seinen Sinn wandelt.
Ich verstand das so: Er wandelt den Sinn des Bösen. Das Böse hat einen bösen Sinn. Aber Er wandelt da was rein, rüber, raus, sodaß auch aus dem Übel noch was Gutes rauskommt.
(mir ist nun aber schon klar, daß ich das wohl falsch verstanden habe - ich könnte mit dir auch nicht darüber rumdiskutieren wie das zu verstehen ist - ich kann nicht mal hebräisch)

Ich bleibe allerdings dabei, daß es nicht nur nicht nötig ist zu sagen Gott reue irgendetwas, (und davon steht ja in der wörtlichen Überetzung von dir auch nichts!) weil man Ihm damit automatisch Sünde oder und Irrtum oder auch nur einen gemeinten Irrtum unterschiebt, sondern daß das schädlich ist.
Was dabei rauskommt sieht man an meinem Gespräch mit Lutherbeck. Ein falsches Gottesbild. Ein Gott der sich besseren will. Das kann nicht gut sein für gar nichts :dudu:

Lieber Bernado,
du hast mich gerügt. Ich habe aber nicht verstanden für was :tuete: Ich könnte also auch bei bestem Willen keine Besserung geloben.
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Berolinensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Berolinensis »

Marion hat geschrieben:Ich bleibe allerdings dabei, daß es nicht nur nicht nötig ist zu sagen Gott reue irgendetwas, (und davon steht ja in der wörtlichen Überetzung von dir auch nichts!) weil man Ihm damit automatisch Sünde oder und Irrtum oder auch nur einen gemeinten Irrtum unterschiebt, sondern daß das schädlich ist.
Diese Beschwerde mußt du dann aber bitte dem Heiligen Geist, der ja der Hauptautor der Heiligen Schrift ist, vortragen. Ich empfehle hier mal Dei Verbum, 11 ff.

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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

Berolinensis hat geschrieben:
Marion hat geschrieben:Ich bleibe allerdings dabei, daß es nicht nur nicht nötig ist zu sagen Gott reue irgendetwas, (und davon steht ja in der wörtlichen Überetzung von dir auch nichts!) weil man Ihm damit automatisch Sünde oder und Irrtum oder auch nur einen gemeinten Irrtum unterschiebt, sondern daß das schädlich ist.
Diese Beschwerde mußt du dann aber bitte dem Heiligen Geist, der ja der Hauptautor der Heiligen Schrift ist, vortragen. Ich empfehle hier mal Dei Verbum, 11 ff.
Es steht doch (hier auf jedenfall mal) gar nicht in der heiligen Schrift, daß Gott reut - Das steht doch nur in der Übersetzung. Oder hab ich nun was übersehen? Es gibt meinerseits keine Beschwerde an den Heiligen Geist :D
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Berolinensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Berolinensis »

Marion hat geschrieben:Es steht doch (hier auf jedenfall mal) gar nicht in der heiligen Schrift, daß Gott reut - Das steht doch nur in der Übersetzung. Oder hab ich nun was übersehen? Es gibt meinerseits keine Beschwerde an den Heiligen Geist :D
Hat doch Robert oben ausführlich erläutert.

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Linus
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Linus »

Marion hat geschrieben:Also irren oder meinen geirrt zu haben.
Gott irrt nicht und meint auch nicht geirrt zu haben.
Daß Gott reuen könnte passt auch in diesem Fall nicht.
Nein. Dinge können ja auch weder positiv noch negativ sondern schlicht neutral bewertet werden. Im nachhinein betrachtet wäre eine eindeutige entscheidung für schwarz oder weiß vielleicht sinnvoller gewwesen. Wobei die entscheidung fürs neurteale dunkelbunt an ich weder gut noch schlecht ist.
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Bernado
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Bernado »

Marion hat geschrieben:Lieber Bernado,
du hast mich gerügt. Ich habe aber nicht verstanden für was :tuete: Ich könnte also auch bei bestem Willen keine Besserung geloben.
War nicht als Rüge gemeint. Aber Robert hatte darauf aufmerksam gemacht, daß zumindest in der Septuaginta metanoein steht - seinen Sinn wandeln - und nicht bereuen. Von daher sollte also der Versuch des Verständnisses ausgehen und nicht von deutschen Übersetzungen, die einen Teil der Bedeutung von "seinen Sinn wandeln" herausgreifen und dadurch ein falsches Bild entstehen lassen.

Da hatte ich den Eindruck, daß Du Roberts in meinen Augen sehr leicht nachvollziehbarer Erklärung nicht gefolgt warst - und da wollte ich ein bißchen schubsen.

Wobei die Sache in Wirklichkeit ja auch gar nicht so leicht ist. Auch in "metanoein" steckt ein Element des Wandels, das dem unwandelbaren Gott nicht wirklich gerecht wird, wie oben ausgeführt. Wenn man nicht Exeget aus eigener Kompetenz ist (ich jedenfalls bin das nicht), sollte man wirklich nicht versuchen, solche "Problemstellen" der Schrift selbst auszulegen, sonder sie so verstehen, wie die Kirche sie versteht - und auch das ist beim heutigen Lehr- und Übersetzungschaos schwierig. Und wo es über drei oder 4 Sprachen und 20 oder 30 Jahrhunderte hinweggeht, sind Probleme nun mal nicht zu vermeiden. Gott hat die Bibel eben nicht als fix und fertiges Buch auf die Erde heruntergeworfen, sondern er hat sich ein Volk erzogen, das am Anfang noch in der Vielgötterei und in Menschenopfer verstrickt war, und das durch seine Offenbarung er schrittweise - so wie es seiner Fassungskraft entsprach - auf dem Weg der Erkenntnis voranbrachte. Die Bibel dokumentiert auch diesen Erziehungsprozess mit all seinen langsamen Fortschritten und schnellen Rückschlägen.

D.h. die Aussagen des AT entsprechen auch verschiedenen Erkenntnisstufen - wenn man das nicht als Prozess (über Jahrhunderte!) sieht, sondern als auf S. 27 steht so, und auf S. 352 steht anders, dann wird es schwierig. Den dazu erforderlichen Überblick haben aber die meisten nicht, woher auch, und daran scheitert die ganze "sola scriptura"-Geschichte, weil die praktisch nie wirklich "die Schrift" in den Blick bekommt, sondern immer nur "Stellen".

Und jetzt nehme ich ganz fest mein Bett in den Blick.
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Clemens
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Clemens »

Ich hab jetzt nicht alles hier gelesen, darum verzeiht bitte, falls ich denselben Hinweis - wie ein anderer - nochmal bringen sollte.

Habt ihr hier schon mal über Gen.6,6 und Ex.32,14 nachgedacht?
(Das sind die beiden Stellen, die mir spontan einfallen, in denen ganz anthropomorph über Gottes Reue geschrieben steht.)
Von allen Gottesgaben ist die Intelligenz am gerechtesten verteilt. Jeder ist zufrieden mit dem, was er hat und freut sich sogar, dass er mehr hat, als die anderen.

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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

Ich danke euch allen für die Mühe!
Das hat etwas lang gedauert, aber nun hab ich es verstanden
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Hoffentlich bin ich diesmal in dieser Diskussion richtig ...!
Es geht I. um Röm 1, 4:
Nova Vulgata:
qui constitutus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum, Iesu Christo Domino nostro,
Einheitsübersetzung:
der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.
Mich interessiert:
1. Welche Präposition in der Vulgata steht,
2. Welche im Griechischen (habe leider gerade keine griechische Ausgabe da).

II. um Kol 1, 15-17:
Nova Vulgata:
15 qui est imago Dei invisibilis,
primogenitus omnis creaturae,
16 quia in ipso condita sunt universa in caelis et in terra,
visibilia et invisibilia,
sive throni sive dominationes
sive principatus sive potestates.
Omnia per ipsum et in ipsum creata sunt,
17 et ipse est ante omnia,
et omnia in ipso constant.
EÜ:
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, / der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen / im Himmel und auf Erden, / das Sichtbare und das Unsichtbare, / Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; / alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, / in ihm hat alles Bestand.
Hier ist meine Frage, wie das "primogenitus omnis creaturae"/"Erstgeborene der ganzen Schöpfung" verstehen muss. Also dass es nicht im Sinne eines Teils der Schöpfung gemeint ist, ist klar, das zeigt ja dann auch Vers 17. Aber was heißt diese Bezeichnung dann?

Vulpius
Domum superborum demolietur Dominus.

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Sempre
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Sempre »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben: Es geht I. um Röm 1, 4:
Nova Vulgata:
qui constitutus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum, Iesu Christo Domino nostro,
Vulgata:
qui praedestinatus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum, Iesu Christi Domini nostri
Gruß
Sempre
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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Robert Ketelhohn
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Hoffentlich bin ich diesmal in dieser Diskussion richtig ...!
Es geht I. um Röm 1, 4:
Nova Vulgata:
qui constitutus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum, Iesu Christo Domino nostro,
Einheitsübersetzung:
der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.
Mich interessiert:
1. Welche Präposition in der Vulgata steht,
2. Welche im Griechischen (habe leider gerade keine griechische Ausgabe da).
Nova Vulgata und Einheitsübersetzung sind da schlicht häretisch. – Dazu habe ich vor Zeiten einmal folgendes geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Marlene hat geschrieben:»Könntest du mal bitte ein Beispiel konkret geben? Damit ich mir eine Vorstellung machen kann, und mit geschärftem Auge lese?«
Das wird etwas umständlich und mühsam (auch für dich selber). Aber ich will’s mal versuchen. Als Beispiel nehme ich die salutatio des Römerbriefs (Rm 1,1-7); konkret geht es mir um einen Begriff im Vers 4, wie gleich näher zu erläutern sein wird (andere interessante Übersetzungsfragen dieser Passage lasse ich beiseite). Hier zunächst der Text:
Παῦλος (Rm 1,1-7) hat geschrieben:1 Παῦλος δοῦλος ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ, κλητὸς ἀπόστολος, ἀϕωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον Θεοῦ,
2 ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προϕητῶν αὐτοῦ ἐν γραϕαῖς ἁγίαις,
3 περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα,
4 τοῦ ὁρισϑέντος υἱοῦ ϑεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν[,] ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν,
5 δι‘ οὗ ἐλάβομεν χάριν καὶ ἀποστολὴν εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔϑνεσιν ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ,
6 ἐν οἷς ἐστε καὶ ὑμεῖς κλητοὶ ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ,
7 πᾶσιν τοῖς οὖσιν ἐν ῾Ρώμῃ ἀγαπητοῖς Θεοῦ, κλητοῖς ἁγίοις· χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ Θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ.
Meine möglichst wörtliche Übersetzung mit einigen Erläuterungen:
1 Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes [und: im Evangelium Gottes]*,
2 das vorherverkündigt wurde durch seine Propheten in heiligen Schriften,
3 über seinen Sohn, geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleische,
4 abgegrenzt** als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Totenauferstehung Jesu Christi, unseres Herrn [oder: … aus der Auferstehung Toter, ‹über› Jesus Christus, unsern Herrn,]***
5 durch welchen wir empfangen haben Gnade und Apostelamt zum Gehorsam des Glaubens bei allen Völkern [und: … Apostelamt, im Gehorsam des Glaubens, bei allen Völkern]† um seines Namens willen,
6 unter welchen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi:
7 allen Geliebten Gottes, die zu Rom sind, den berufenen Heiligen: Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

* Εἰς εὐαγγέλιον Θεοῦ: vielschichtige Wendung; εὐαγγέλιον (evangelium) läßt man besser unübersetzt, da man mit jeder Wahl Bedeutungen ausgrenzt. Θεοῦ kann gen. subj. oder obj. sein, gemeint also sowohl des Apostels Verkündigungsdienst (Predigt über Gott) als auch Gottes eigenes Wort, das der Apostel empfangen hat. Εἰς gibt nicht nur die Richtung (hier übertragen: den Zweck) an, sondern gilt auch im Neuen Testament schon lokal (Frage: wo?), was sich später in der Κοινὴ mit dem Wegfall der alten Lokal-Präposition ἐν vollends durchgesetzt hat; mitzudenken ist also: „im Evangelium Gottes“. Der Doppelsinn ist im Deutschen nicht übersetzbar. (Paulus braucht das übrigens durchaus nicht doppeldeutig gemeint zu haben, doch was er tatsächlich gemeint hat, halte ich hier für kaum entscheidbar.)

** ὁρισϑείς, -ϑέντος: Dies ist der Begriff, welchen ich unten anhand anderer Übersetzungen näher untersuchen möchte. Lateinisch entspräche definitus, deutsch „abgegrenzt“; der deutsche Begriff „definiert“ ist semantisch zu einseitig festgelegt, als daß er hier paßte. Was ist gemeint? Mit Sicherheit kein konstitutiver Akt, sondern die kraft der Auferstehung erfolgte definitive Klärung oder Offenlegung der Gottessohnschaft.

*** Bezug nicht eindeutig: Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου kann Genitivattribut zur direkt davorstehenden festen Wendung ἀνάστάσις νεκρῶν sein (so die Hauptübersetzung), kann aber auch als Fortsetzung der von περὶ abhängigen Reihe von Ausdrücken verstanden werden: περὶ τοῦ υἱοῦ … τοῦ γενομένου … τοῦ ὁρισϑέντος … ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου (so die in Klammern angegebene Variante].

† Εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔϑνεσιν: Wiederum ist das εἰς doppeldeutig: Entweder spricht Paulus vom Glaubensgehorsam der Völker, dem sein Apostelamt dient, oder er redet von seinem eigenen Glaubensgehorsam, in welchem er das Apostelamt bei allen Völkern angenommen habe. Wiederum kaum entscheidbar.
Es wäre interessant, das komplette Stück in verschiedenen Übertragungen zu vergleichen, doch will ich hier, wie angekündigt, beim Kernpunkt bleiben: dem Begriff ὁρισϑείς. Beginnen müssen wir mit den lateinischen Versionen. Die aus verschiedenen Quellen zusammengetragenen Fragmente der Vetus latina liegen mir zwar nicht vor, doch erschließe ich ihre Rezensionen für die fragliche Stelle provisorisch aus Tertullian (für die Afra) und Rufin (für die Itala); falls jemand mit genaueren Zitaten aushelfen kann, bin ich dankbar.
Die [i]Afra[/i] hat geschrieben:1:3 ‹de Filio suo› qui factus est ex semine David ‹secundum carnem›
1:4 qui definitus est Filius Dei ‹in virtute› secundum Spiritum …
(Die Passagen in spitzen Klammern ‹ ›, die Tertullian bei der Zitation ausläßt, sind hier nach der Vulgata ergänzt; viel anders kann man das auf Latein nicht formulieren. Quelle: Tertullian, adv. Praxean 27,11.)
Hier wird ὁρισϑείς mit definitus wiedergegeben, also mit der strikten etymologischen Entsprechung.
Die [i]Itala[/i] hat geschrieben:1:3 de Filio suo qui secundum carnem ex semine factus est David
1:4 qui prædestinatus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum Jesu Christi Domini nostri
(Quelle: Rufin, lateinische Fassung von: Origenes, comm. in Rom. 1,5.)
Die einschlägigen Passagen stammen überwiegend nicht von Origenes, sondern sind Zusatz Rufins; so insbesondere die sprachliche Erläuterung, man müsse auf Latein eigentlich destinatus übersetzen, nicht prædestinatus, also nicht „vorherbestimmt“, sondern einfach „bestimmt“. Daran ist zumindest richtig, daß prædestinatus keine adäquate Übersetzung ist. Mutmaßlich hat der alte Paulus-Übersetzer durch das „vorher“ die Präexistenz des Sohnes klarer fassen wollen, dieses Ziel aber doch gerade verfehlt. Bloßes „bestimmt“ trifft es jedoch auch nicht besser.

Nur am Rande sei vermerkt, daß für sanctificatio – „Heiligung“ besser sanctitas – „Heiligkeit“ stehen müßte. Jesu Christi Domini nostri ist als Genitiv-Attribut auf die resurrectio bezogen, nicht Teil des Präpositionalausdrucks (evangelium de…), was ja, wie oben erläutert, nach dem Griechischen auch möglich wäre.
Die [i]Vulgata[/i] hat geschrieben:1:3 de Filio suo qui factus est ex semine David secundum carnem
1:4 qui prædestinatus est Filius Dei in virtute secundum Spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum Jesu Christi Domini nostri
Die Vulgata – ob hier von Hieronymus bearbeitet, bleibt offen – übernimmt also den Text der Itala. Deren geringfügig abweichende Wortstellung mag auf Rufin zurückgehen. Jedenfalls wird die Übersetzung nicht verbessert.

Die Nova Vulgata stellen wir einweilen noch zurück. Zunächst die deutschen Fassungen:
Martin Luther hat geschrieben:1:3 von seinem Sohn, der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch
1:4 und kräftiglich erweiset ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiliget, seit der Zeit er auferstanden ist von den Toten, nämlich Jesus Christus, unser Herr
Luther erfaßt den Sinn des Begriffs ὁρισϑείς sehr klar und gibt ihn zutreffend interpretierend mit „erweiset“ („erwiesen“) wieder. Verfehlt ist die Interpretation von ἐν δυνάμει („in Kraft“) als adverbiale Bestimmung zu ὁρισϑείς (»kräftiglich erweiset«). Hinsichtlich des Geists, »der da heiliget«, ist Luther von der Vulgata abhängig, statt bei der griechischen Vorlage zu bleiben. Das »nämlich Jesus Christus, unser Herr« scheint etwas unverbunden hinterherzuklappern, setzt jedoch voraus, daß die griechische Entsprechung als Genitiv-Attribut verstanden ist; nur muß Luther, weil er die „Auferstehung“ verbal wiedergibt, auch am Ende des Verses die Syntax umbauen. Das ἐξ temporal wiederzugeben (»seit der Zeit«) ist zwar nicht falsch, schließt aber andere mögliche Bedeutungen (etwa die kausale) unnötig aus.
Die revidierte „Lutherbibel“ (1984) hat geschrieben:1:3 von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch,
1:4 und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten.
Zunächst die kleineren Änderungen: »Jesus Christus, unserm Herrn« ist hier als Teil des Präpositionalausdrucks verstanden, aber dichter an diesen herangezogen, nämlich vom Schluß des Verses 4 an den Anfang von Vers 3. Der „Same“ gilt in unserer ethischen Zeit als Pfui-Wort und wurde durch „Geschlecht“ ersetzt. Luthers »kräftiglich« immerhin wurde korrekt durch »in Kraft« ersetzt und an den richtigen Platz gestellt.

Entscheidend aber ist: Statt daß die Sohnschaft Jesu aus der Auferstehung erwiesen ist, soll sie nun erst durch diese konstituiert sein. Erst »durch die Auferstehung« sei Jesus »eingesetzt« worden »als Sohn Gottes«. Das ist weder paulinisch noch kirchlich, sondern reinster Adoptianismus, an dem Paul von Samosata seine Freude gehabt hätte.
Die „Elberfelder“ hat geschrieben:1:3 über seinen Sohn, (der aus dem Samen Davids gekommen ist dem Fleische nach,
1:4 und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Totenauferstehung) Jesum Christum, unseren Herrn.
Zur Konstruktion: Auch hier wird »Jesum Christum, unseren Herrn« als Teil des Präpositionalausdrucks verstanden; um den syntaktischen Zusammenhang zu verdeutlichen, ist das längere Zwischenstück in Parenthese gesetzt.

Unser Schlüsselwort ὁρισϑείς wird wie beim originalen Luther zutreffend mit „erwiesen“ wiedergegeben.
Die „revidierte Elberfelder“ hat geschrieben:1:3 über seinen Sohn, der aus der Nachkommenschaft Davids gekommen ist dem Fleische nach,
1:4 [und] als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt dem Geiste der Heiligkeit nach auf Grund der Toten-Auferstehung: Jesus Christus, unseren Herrn.
Hier fällt zweierlei auf: Erstens schämt man sich auch bei den Elberfelder Nachfolgern des Wortes „Same“ und findet einen Ersatzbegriff: „Nachkommenschaft“. Zweitens läßt man Jesus, ganz wie in der revidierten Lutherbibel, auch erst »auf Grund der Toten-Auferstehung« zum Sohn Gottes »eingesetzt« werden.
Franz Eugen Schlachter hat geschrieben:1:3 betreffs seines Sohnes, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch
1:4 und erwiesen als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geiste der Heiligkeit durch die Auferstehung von den Toten, Jesus Christus, unser Herr
Schlachter übersetzt zutreffend, sinngemäß in den Spuren Luthers. Lediglich das »Jesus Christus, unser Herr« klappert als unverbundene Apposition hinterher. Die revidierte Schlachterbibel (1998 fürs NT) liegt mir nicht vor; ich könnte mir allerdings vorstellen, daß man hier dem Sinn treu geblieben ist.
Die „Einheitsübersetzung“ hat geschrieben:1:3 das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids,
1:4 der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.
Hier wieder die üblichen „revidierten“ Symptome: Der peinliche Same wird ausgemerzt, Christus wird als Sohn Gottes erst durch die Auferstehung eingesetzt.

Weitere Zitate erspare ich euch. Der Befund ist überall ähnlich. Die revidierten (oder ganz neuen) Übersetzungen seit den sechziger Jahren setzen auf Adoptianismus. Überall wird Christus erst durch die Auferstehung „eingesetzt“. So in der offiziellen italienischen Bibel der CEI (»costituito Figlio di Dio«; die »Traduzione interconfessionale in lingua corrente« treibt den Adoptianismus sogar noch weiter: »ma sul piano dello Spirito …, Dio lo ha costituito Figlio suo«, also nicht: »er ist eingesetzt«, sondern: »Gott hat ihn eingesetzt«); so auch in der offiziellen Nova Vulgataconstitutus est Filius Dei«); so in der russischen Version der »International Bible Society« (»был поставлен Сыном Божьим«, während freilich nach der offiziellen Übersetzung des Moskauer Patriarchats Jesus immer noch als Sohn Gottes offenbar wurde – »открылся Сыном Божиим«).

Bei den englischen Bibeln scheint es etwas anders zu sein. Vorherrschend ist von der King-James-Übersetzung bis zur »New International Version« die Formulierung: »was declared to be the Son of God«. Einige neuere lassen das »to be« weg (z. B. »New American Standard Bible«), was eine gravierende Änderung des Sinns bedeutet („wurde erklärt zum“ statt „es wurde erklärt, daß er war“), andere sagen sogar noch deutlicher: »was shown as« (z. B. »The Message«, die aber sonst sehr frei verfährt). Eine sehr interessante (und treffende, wie ich finde) Übersetzung bietet Darby: »marked out Son of God«.

Abgesehen von verschiedenen Einzelbeobachtungen läßt sich also eine adoptianistische Gesamttendenz klar erkennen, die im deutschen Bereich nicht nur bei den Protestanten, sondern auch offiziell-katholisch ebenso durchgeschlagen ist wie bei der italienischen Bischofskonferenz und sogar mitten im Vatikan. Dasselbe ließe sich auch an zahlreichen andern Beispielen verdeutlichen.
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:II. um Kol 1, 15-17:
Nova Vulgata:
15 qui est imago Dei invisibilis,
primogenitus omnis creaturae,
16 quia in ipso condita sunt universa in caelis et in terra,
visibilia et invisibilia,
sive throni sive dominationes
sive principatus sive potestates.
Omnia per ipsum et in ipsum creata sunt,
17 et ipse est ante omnia,
et omnia in ipso constant.
EÜ:
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, / der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen / im Himmel und auf Erden, / das Sichtbare und das Unsichtbare, / Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; / alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, / in ihm hat alles Bestand.
Hier ist meine Frage, wie das "primogenitus omnis creaturae"/"Erstgeborene der ganzen Schöpfung" verstehen muss. Also dass es nicht im Sinne eines Teils der Schöpfung gemeint ist, ist klar, das zeigt ja dann auch Vers 17. Aber was heißt diese Bezeichnung dann?
Sieh da: http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=322531#p322531
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Vulpius Herbipolensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Vielen Dank!

Momentan ist mir die griechische Formulierung irgendwie an klarsten. Wie aber kommt man im Lateinischen dann von ὁρίζειν auf praedestinare und was ist damit gemeint? Und warum hat man beim Übersetzen plötzlich Interesse daran, den Text so adoptianistisch klingen lassen?
Sieh da: viewtopic.php?p=322531#p322531
... das paulinische Verständnis erstgeborener (der ganzen Schöpfung) ...
Ja, aber wie muss ich diese Bezeichnung verstehen?

Vulpius
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Und noch etwas: Wie weit reicht eigentlich das Bedeutungsspektrum von ὁρίζειν? - und warum will niemand antworten? :traurigtaps:

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Robert Ketelhohn
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

ad 1): Die Vulgata übersetzt da im Gefolge der Itala schlicht falsch. Die modernen
Übersetzungen einschließlich der Nova Vulgata verschlimmern das noch zu reiner
Ketzerei. Luthers Übersetzung traf’s gut. (Das habe ich allerdings oben alles schon
geschrieben.)

ad 2): Wie hast du den „Erstgeborenen der ganzen Schöpfung“ zu verstehen? –
Nun, erstens liegt hier ein Genitivus obiectivus vor, kein subiectivus, denn sonst
hätte die Schöpfung diesen „Erstgeborenen“ ja geboren haben müssen. Also eher
„für die ganze Schöpfung“. Damit ist auch bereits klar, daß bildliche Redeweise
vorliegt. – Weshalb und inwiefern? –
»ὅτι ἐν αὐτῷ ἐκτίσϑη τὰ πάντα ἐν τοῖς
οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ τῆς γῆς, τὰ ὁρατὰ καὶ τὰ ἀόρατα, εἴτε ϑρόνοι εἴτε κυριότη-
τες εἴτε ἀρχαὶ εἴτε ἐξουσίαι· τὰ πάντα δι' αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν ἔκτισται, καὶ
αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν – weil in ihm alles
erschaffen ward, was im Himmel und was auf Erden ist, das Sichtbare und das
Unsichtbare, seien es Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewal-
ten: alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; und er ist vor allem, und alles be-
steht in ihm.«
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Vulpius Herbipolensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

... denn sonst
hätte die Schöpfung diesen „Erstgeborenen“ ja geboren haben müssen. Also eher
„für die ganze Schöpfung“. Damit ist auch bereits klar, daß bildliche Redeweise
vorliegt. – Weshalb und inwiefern? – »ὅτι ἐν αὐτῷ ἐκτίσϑη τὰ πάντα ἐν τοῖς
οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ τῆς γῆς, τὰ ὁρατὰ καὶ τὰ ἀόρατα, εἴτε ϑρόνοι εἴτε κυριότη-
τες εἴτε ἀρχαὶ εἴτε ἐξουσίαι· τὰ πάντα δι' αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν ἔκτισται, καὶ
αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν.
Vielen Dank, das war es, was ich wissen wollte!

Nocheinmal die andere Frage: Wie weit reicht eigentlich das Bedeutungsspektrum von ὁρίζειν? Wäre ohne Kontext ein "einsetzen z. B. in ein Amt" theoretisch möglich? Vermutlich nicht - oder?

Vulpius
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Robert Ketelhohn
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Nein, obgleich einige Wörterbücher, namentlich zum Bibelgriechischen, anderes behaupten. – Das Wort ὁρίζειν bedeutet „abgrenzen, begrenzen; trennen, scheiden; festsetzen, bestimmen, erklären (definieren)“, entsprechend lat. definire. Es ist abgeleitet von ὁ ὅρος – „die Grenze; das Ziel, der Zweck“, lat. finis; eine Ableitung ist ὁ ὁρίζων, -οντος – „der Horizont“.

Für die angebliche Bedeutung „jmd.n einsetzen als oder zu“ wird nur ein einziger Beleg aus der profanen Litteratur angeführt, aus einem Epigramm des Meleagrus (Anthologia Palatina XII,158,7): »σὲ γὰρ ϑεὸν ὥρισε δαίμων«. Abgesehen von der problematischen Überlieferung jener Anthologie und der Exzeptionalität der Stelle (wäre sie denn exzeptionell im genannten Sinn zu verstehen) liegt die Bedeutung „einsetzen als“ hier jedoch ganz fern, sondern es ist ganz normal zu übersetzen: „der Daimon (das Numen) hat dich zum Gott bestimmt ‹sc. mir, dem Dichter, bzw. dem Ich des Epigramms›“.

Darüber hinaus werden zwei Schriftbelege angeführt, nämlich:
  • Act 10,42 καὶ παρήγγειλεν ἡμῖν κηρύξαι τῷ λαῷ καὶ διαμαρτύρασϑαι ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ ὡρισμένος ὑπὸ τοῦ ϑεοῦ κριτὴς ζώντων καὶ νεκρῶν.
  • Act 17,31 καϑότι ἔστησεν ἡμέραν ἐν ᾗ μέλλει κρίνειν τὴν οἰκουμένην ἐν δικαιοσύνῃ ἐν ἀνδρὶ ᾧ ὥρισεν, πίστιν παρασχὼν πᾶσιν ἀναστήσας αὐτὸν ἐκ νεκρῶν.
Beide werden üblicherweise nicht um ihrer selbst willen gebracht, sondern ausdrücklich mit dem Ziel, die Bedeutung „einsetzen zu“ für Rm 1,4 zu erweisen. Jedoch sind auch diese beiden Stellen nicht stichhaltig. Act 10,42 ist schlicht zu übersetzen: „… daß dieser der von Gott festgesetzte Richter der Lebenden und der Toten ist“; Act 17,31 aber: „… einen Tag, an welchem er richten will den Erdkreis in Gerechtigkeit in einem Mann, in welchem er ‹es, sc. den Erdkreis zu richten› festgesetzt hat“. In keinem Fall geht es also um einen konstitutiven Einsetzungsakt.

Mitunter sind Stellen mit doppeltem Akkusativ (wie im oben zitierten Epigramm des Meleagrus) im Sinn von „etw. festsetzen als“ zu verstehen, wie etwa die Wendung ϑάνατον ζημίαν ὁρίζω – „setze den Tod als Strafe fest (= verhänge die Todesstrafe)“. In aller Regel handelt es sich aber um Begriffsdefinitionen und dergleichen, wie etwa: τὴν ἡδονὴν ὁρίζω ἀγαϑόν („erkläre das Vergnügen für etwas Gutes“), oder: ταὐτὸν τὸ σῶμα καὶ οὐσίαν („für dasselbe den Leib und das Sein“), oder: τοὺς εὐεργέτας ἀνδρας ἀγαϑούς („die Wohltäter für gute Leute“).

Rm 1,4 liegt nun eine passivische Konstruktion vor, ähnlich Act 10,42. Theoretisch können wir sie in eine aktivische Konstruktion mit doppeltem Akkusativ umwandeln, etwa τὸν υἱὸν ὥρισε υἱὸν ϑεοῦ; allein uns fehlt das Subjekt (in der passivischen Konstruktion: von wem „definiert“?). Sagen wir also hilfsweise: „Irgendwer oder keiner hat abgegrenzt [definivit] den Sohn als Sohn Gottes.“ – Was also: „festgesetzt“, „bestimmt“, „erklärt“, „definiert“? – „Als Sohn“ oder „zum Sohn“ „bestimmt“ man jemanden nicht: das wäre eine „Annahme“. Meint man das, sagt man es auch: „Ich nehme ihn als Sohn [an Sohnes Statt] an.“

Es kann darum um keine faktische oder funktionale „Festsetzung“ oder „Bestimmung“ gehen, sondern nur um eine Art Begriffdefinition. Also etwa: „… den Sohn als Sohn Gottes [oder: für den Sohn Gottes, aber nicht: zum Sohn Gottes] erklärt“. Den doppelten Akkusativ in einen Nebensatz aufgelöst: „… vom Sohn erklärt, daß er Sohn Gottes ist“. Luthers „erwiesen als“ scheint mir diesen Sinn gut wiederzugeben. Man könnte auch sagen: „klargestellt“, „herausgestellt“ o. ä.
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Vielen Dank!

Mein guter Gemoll hat mich da mit einem unkommentierten "einsetzen" hängen gelassen.
Danke!

Vulpius
Domum superborum demolietur Dominus.

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Lioba
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Lioba »

Frage zum Begriff hassen in Bezug auf Gott.
Wer zu mir kommt und hasst nicht Vater und Mutter
Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.
Wie sind diese Aussagen richtig zu deuten?
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

maliems
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von maliems »

Am Wochenende könnte ich in die Kommentare schauen. Kannst Du bitte die Bibelstellen angeben?

Auf Anhieb aus dem Bauch heraus: Vater und Mutter hassen geht natürlich nicht im harten Sinne des Wortes. Hassen als Gegenteil von Lieben ist hier dasselbe wie "weniger lieben".

Und Esau: Hier wird bei den Vätern vermutlich eine allegorische Exegese angewandt worden sein: Jakob steht für die Verheißung, Esau für das Gesetz

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lifestylekatholik
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von lifestylekatholik »

Lioba hat geschrieben:Frage zum Begriff hassen in Bezug auf Gott.
Wer zu mir kommt und hasst nicht Vater und Mutter
Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.
Wie sind diese Aussagen richtig zu deuten?
Darüber gab’s hier schon mal eine nicht ganz unergiebige Diskussion. (Robert zitierte unter anderem Gregor den Großen.)
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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Lioba
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Lioba »

@maliems- Matthaus 10, 37 ff
Maleachi 1 , 1ff noch mal zitiert in Römer 9, 11ff

@ allgemein- danke für links und Hinweise!
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

maliems
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von maliems »

Danke für die Bibelstellen. Ich schenke mir aber die Suche in den Kommentar angesichts des oben genannten Strangs, den ich nicht kannte, um nichts zu doppeln.

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Marion
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Marion »

denn sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; / hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, / damit sie sich nicht bekehren / und ihnen nicht vergeben wird
(Mk 4;12)
Wie ist diese Stelle zu verstehen?

Irgendwie passt das nicht mit dem zusammen, daß Gott jedem die Chance gibt gerettet zu werden.
Christus vincit - Christus regnat - Christus imperat

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Gamaliel
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Gamaliel »

Marion hat geschrieben:
denn sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; / hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, / damit sie sich nicht bekehren / und ihnen nicht vergeben wird
(Mk 4;12)
Wie ist diese Stelle zu verstehen?

Irgendwie passt das nicht mit dem zusammen, daß Gott jedem die Chance gibt gerettet zu werden.
Das, was Gott bloß zuläßt, wird in der Hl. Schrift oft so dargestellt, als ob er es selbst bewirkt hätte (vgl. im selben Sinn auch z.B. Mt 13,15; Joh 12,40; Apg 28,27; Röm 11,8)

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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von LePenseur »

@Gamaliel:
Das, was Gott bloß zuläßt, wird in der Hl. Schrift oft so dargestellt, als ob er es selbst bewirkt hätte
Jaja, das ist ein alter Dreh der Theologenzunft, der mittlerweile halt doch etwas zu peinlich ist, was da manchmal in der "Heiligen Schrift" verzapft wird ...

Mit etwa derselben Berechtigung könnte man zur "Ehrenrettung" Hitlers behaupten, daß das, was Hitler bloß zulassen wollte, in "Mein Kampf" so dargestellt würde, als ob er es bewirken werde ... in der Tat, eine sehr überzeugendes Argument! ;)

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Anselmus
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Re: Problematische Bibelstellen

Beitrag von Anselmus »

LePenseur hat geschrieben:Mit etwa derselben Berechtigung könnte man zur "Ehrenrettung" Hitlers behaupten, daß das, was Hitler bloß zulassen wollte, in "Mein Kampf" so dargestellt würde, als ob er es bewirken werde ... in der Tat, eine sehr überzeugendes Argument! ;)
Da vergleichst du aber Äpfel mit Birnen. Werden Hitlers Taten deswegen verurteilt, weil man davon in "Mein Kampf" liest oder weil er sie nun mal veranlasst hat? Weiterhin liegt der Unterschied darin, dass Hitler sein Buch selbst geschrieben hat. Im Gegensatz zur heiligen Schrift, welche zwar göttliche inspiriert, aber dennoch von Menschen aufgeschrieben wurde. Der Vergleich hinkt also hinten und vorne.

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