Jesus und der Flächentarifvertrag

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Tacitus
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Jesus und der Flächentarifvertrag

Beitrag von Tacitus »

Auf den Seiten des Instituts für unternehmerische Freiheit habe ich eine interessante Auslegung zum Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) gefunden.

Die Frage, ob es vom Weinbergbesitzer gerecht war, denen, die eine Stunde vor Feierabend gekommen sind, den gleichen Lohn zu zahlen, wie denen, die bereits seit dem frühen Morgen arbeiteten, beschäftigte die Exegeten zu allen Zeiten.
Von Siegfried Herzog hier mal eine andere Sicht der Dinge und zwar aus der Perspektive des Ökonomen.

Ich bringe nur Auszüge, wer den ganzen Artikel lesen will, kann das tun und zwar hier:
http://www.unternehmerischefreiheit.de/
Siegfried Herzog hat geschrieben:
...
Zum einen bekräftigt Jesus die Gerechtigkeit der Vertragsfreiheit: der Herr des Weinbergs darf mit jedem einzelnen einen Vertrag abschließen, der frei verhandelt wird und dessen Gültigkeit nicht davon beeinflusst wird, welche Verträge der Herr des Weinbergs mit anderen abschließt. Jesus hebt darauf ab, dass der erste Arbeitsvertrag frei vereinbart und von beiden Seiten als gerecht akzeptiert war. Dem Arbeiter widerfährt dann Gerechtigkeit, wenn dieser Vertrag erfüllt wird – und das wird er.
Jesus bekräftigt hier Regelgerechtigkeit gegenüber Verteilungsgerechtigkeit. Er sagt nicht, dass es gerecht sei, dass jeder gleich viel bekommt. Er weist nur darauf hin, dass der Herr des Weinbergs gegenüber dem Kritiker den vereinbarten Vertrag erfüllt hat, und dass der Herr das Recht hat, mit anderen andere Verträge zu schließen, die den ersten bei der Beurteilung seines eigenen Vertrages nichts angehen. Die „Kurzarbeiter“ haben also den Tageslohn nicht erhalten, weil sie ihn für ihre Familien brauchen, sondern weil der Herr des Weinbergs entschieden hat, sie so zu bezahlen.

Das von Jesus beschriebene Szenario legt also eine Reihe von ökonomisch rationalen Gründen nahe, warum der Gutsbesitzer unterschiedliche Arbeitsverträge abschließt, die die „Kurzarbeiter“ progressiv begünstigen. Dazu kommt, dass es nicht in seinem längerfristigen Interesse ist, wenn Familien in seinem Ort Not leiden. Er muss sonst befürchten, dass Arbeiter abwandern, und da er offenbar schon Probleme hat, morgens genügend zu finden, ist es durchaus in seinem Interesse, die verbliebenen gut zu behandeln. Jesus Zuhörer wissen, wie es bei der Weinlese und auf einem Marktplatz zugeht, und verstehen deshalb, warum der Gutsbesitzer mehrfach zum Markt läuft und warum er gegen Abend immer dringender Arbeiter sucht. Sie kennen auch die Situation eines Tagelöhners mit Familie, die auf Essen warten.
Die Gerechtigkeit des Gutsbesitzers ergibt sich daher wohl aus einer Kombination der sich stets ändernden Bedingungen auf dem Marktplatz und der Großzügigkeit des Gutsbesitzers, bei der aufgeklärtes Eigeninteresse eine plausible Rolle spielt. Das Verhalten des Gutsbesitzers ist daher ökonomisch rationaler, als es auf den ersten Blick aussieht.

Entscheidend ist, dass es für den Lohn kein objektives Kriterium gibt, das für den ganzen Tag gilt, sondern dass er situativ ausgehandelt wird und dann gerecht ist, wenn er von beiden Vertragsparteien beim Vertragsabschluß als gerecht betrachtet wird. Genau das verspricht der Gutsbesitzer jedem und genau dieses Versprechen löst er ein. Genau das ist aber auch der Gerechtigkeitsbegriff, der der Marktwirtschaft zugrunde liegt – Verträge, die frei verhandelt werden, und die von beiden Parteien als vorteilhaft betrachtet werden, führen zu Gerechtigkeit – und nicht der Blick auf die Verteilung. Der wird als Neid demaskiert. Aus Sicht dieses Gleichnisses spricht daher viel für eine sehr differenzierte Lohnfindung – und nichts für Flächentarifverträge.

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Edi
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Beitrag von Edi »

Es gibt doch schon lange die differenzierte Lohnfindung. Die Tarifverträge, die auch nur für Mitglieder beider Tarifpartien gelten, regeln nur den Lohn, der mindestens bezahlt werden muss. Der echte Lohn liegt meist deutlich höher.
Diese Bibelstelle würde ich für diese Dinge aber nicht auch noch heranziehen wollen.

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Ewald Mrnka
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Beitrag von Ewald Mrnka »

Natürlich war es gerecht, allen Arbeitern den gleichen Lohn auszubezahlen.

Er hat den Arbeitern den Lohn gegeben den er ihnen versprochen hatte.

Ungerecht dagegen wäre es gewesen, wenn er sein Versprechen nicht eingehalten hätte, das heißt den einen weniger, den anderen mehr ausbezahlt hätte.

Gnade ist übrigens prinzipiell ein Akt der Ungerechtigkeit. Daher heißt es auch "Gnade vor Recht ergehen lassen".

Hier handelt es sich nämlich um den Fall von Erteilender Gerechtigkeit. Gegensatz: Ausgleichende Gerechtigkeit.

Das verstehen aber unsere herrschenden Bonzen hierzulande nicht. Die verwechseln nämlich GERECHTIGKEIT mit GLEICHHEIT, weil sie ausschließlich vergiftete politische Kampfparolen (Wieselworte) im Kopfe haben.

Aber unser Herr und Heiland wollte mit seinem Gleichnis etwas ganz anderes sagen. Wir müssen daher auch das Heilige Evangelium nicht vor Proleten rechtfertigen.

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Nikodemus
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Beitrag von Nikodemus »

Also ich bin nun etwas skeptisch, was die Betrachtung des Gleichnisses durch Hrn. Herzog angeht.

Ich finde es schon sehr problematisch, wenn Gerechtigkeit (nur) als Vertragserfüllung definiert wird. Das scheint mir ein Rückfall hinter das AT (vom NT ganz zu schweigen) zu sein. Wer sich für das Gleichnis interessiert sollte auch den Vers lesen, der ihm vorangeht (Mt 19,30: Viele aber, die jetzt die ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein).
Gottes Prinzip ist eben in erster Linie die Gnade, nicht die Belohnung. Gott handelt nicht marktwirtschaftlich nach dem Motto: tust du dies, tu ich das.
Die murrenden Arbeiter verlangen ja gerade eine Bezahlung nach marktwirtschaftlichem Maßstab (viel Arbeit = viel Bezahlung), die der Gutsherr aber nicht gewährt. Wer auf bei Gott auf Lohn schielt bekommt ihn nicht, Gott gibt aus Gnade und über die verhandelt er nicht. Gnade durchbricht die Gerechtigkeit und ist nicht verhandelbar.

Alles Gute,

Nikodemus
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Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Ein weiteres Problem ist, dass nicht alle Arbeitgeber wie Jesus sind. Weil das so ist, bedarf es verbindlicher Regeln. Außerdem ist jeder Arbeitgeber frei, über den üblichen Lohn (heute könnte man sagen: über Tariflohn) hinaus Menschen mehr Lohn (bezogen auf die Arbeitsstunden) zu bezahlen, wie es der Gutsbesitzer im Gleichnis getan hat. Einen umgekehrten Schluss zu ziehen (ich darf auch weniger bezahlen, hauptsache ich vereinbare das mit dem Arbeitnehmer selbst) - das gibt das Gleichnis nicht her.

Dass Jesus mit seinem Gleichnis nur die Vertragsgerechtigkeit im Sinn hatte, kann mir keiner erzählen.

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

Nikodemus hat geschrieben:Wer bei Gott auf Lohn schielt bekommt ihn nicht
Konzil von Trient, 31. Kanon über die Rechtfertigung hat geschrieben:Wer sagt, der Gerechtfertigte sündige, wenn er im Blick auf den ewigen Lohn gut handelt: der sei mit dem Anathema belegt.

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Ewald Mrnka
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Beitrag von Ewald Mrnka »

Pelikan hat geschrieben:
Nikodemus hat geschrieben:Wer bei Gott auf Lohn schielt bekommt ihn nicht
Konzil von Trient, 31. Kanon über die Rechtfertigung hat geschrieben:Wer sagt, der Gerechtfertigte sündige, wenn er im Blick auf den ewigen Lohn gut handelt: der sei mit dem Anathema belegt.
Und beide Aussagen sind richtig.

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asderrix
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Beitrag von asderrix »

Ewald Mrnka hat geschrieben:
Pelikan hat geschrieben:
Nikodemus hat geschrieben:Wer bei Gott auf Lohn schielt bekommt ihn nicht
Konzil von Trient, 31. Kanon über die Rechtfertigung hat geschrieben:Wer sagt, der Gerechtfertigte sündige, wenn er im Blick auf den ewigen Lohn gut handelt: der sei mit dem Anathema belegt.
Und beide Aussagen sind richtig.
Das ersteres richtig ist, muss mir nicht begründet werden, aber bei dem Zweiten, kann ich mir das nur so erklären, dass es richtig ist, weil es auf einem Konzil so festgelegt wurde, und Konzile haben immer Recht, sonst würde mir jetzt gar nicht so schnell ne Begründung einfallen.

Es-Ergo-Cogito
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Beitrag von Es-Ergo-Cogito »

Pelikan hat geschrieben:
Nikodemus hat geschrieben:Wer bei Gott auf Lohn schielt bekommt ihn nicht
Konzil von Trient, 31. Kanon über die Rechtfertigung hat geschrieben:Wer sagt, der Gerechtfertigte sündige, wenn er im Blick auf den ewigen Lohn gut handelt: der sei mit dem Anathema belegt.
Nikodemus hat nicht Recht mit seiner Aussage, denn, auch, wenn es sich nur um Angst handelt, des ewigen Lohnes verlustig zu gehen, wenn Nikodemus sündigte, so wird ihm dennoch der Lohn zuteil, wenn er mit Blick auf den Lohn die Gebote hält, ...auch wenn die Liebe des Nikodemus noch nicht vollkommen ist.
Dies wiederum ist die Aussage des 31. Kanon ...und der Kreis schliesst sich.

In etwa diese Richtung zielt m.E. auch die Erkenntnis von Amma Sarrha:

Wiederum sagte sie: Auch der Menschen wegen Almosen zu geben, ist gut. Denn wenn es auch nur wegen der Menschen geschieht, so geht es dennoch schließlich auf das göttliche Wohlgefallen hinaus.

Apophthegmata Patrum - 890 (Amma Sarrha, 7)
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Nikodemus
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Korrektur

Beitrag von Nikodemus »

vielleicht muss ich meine Aussage tatsächlich korrigieren, nämlich dahingehend, dass der Mensch gegenüber Gott keinen Anspruch auf Verdienste anmelden könnte, wenn nicht Gott vorher dem Menschen aus Gnade sowohl den Anspruch auf Verdienst als auch aus Gnade - in Zusammenwirkung mit der menschlichen Freiheit - das Handeln, das zur Einlösung der geschenkten Anspruchs führt schenkt.

Alles Gute,

Nikodemus
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Es-Ergo-Cogito
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Re: Jesus und der Flächentarifvertrag

Beitrag von Es-Ergo-Cogito »

Tacitus hat geschrieben:[..]
Die Frage, ob es vom Weinbergbesitzer gerecht war, denen, die eine Stunde vor Feierabend gekommen sind, den gleichen Lohn zu zahlen, wie denen, die bereits seit dem frühen Morgen arbeiteten, beschäftigte die Exegeten zu allen Zeiten.
[..]
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam machen, der bisher unberücksichtigt blieb:

Tacitus schreibt, die Arbeiter seien gekommen,...
dies ist jedoch nicht richtig...
...vielmehr lag die Aktivität des SUCHENS in dem zitierten Gleichnis BEIM ARBEITGEBER(!). Die Arbeiter wurden als auf dem Marktplatz zur Arbeit bereitstehende Arbeitssuchende vom Arbeitgeber GEFUNDEN... und zwar (jetzt kommt das worauf ich hinaus will) zu einer Zeit (zu vorgerückter Stunde) wo es FÜR DEN ARBEITGEBER - nach heutigem Verständnis - keinen Sinn macht nach Arbeitskräften zu suchen, geschweige denn, sie auch einzustellen... Die Arbeiter ANTWORTETEN: "NIEMAND HAT UNS ANGEWORBEN." Hier ist der Vektor exakt anders herum, als jener, welcher in unserem Verständnis/Urteil über "Arbeitslose" existiert.... Der Alo soll sich möglichst billig/wohlfeil dem AG anbieten/-biedern bzw. verkaufen, um den Profit des AG zu mehren.... dann ANTWORTET der AG...

...nein... der AG im Gleichnis wird nicht aktiv um seinen Profit zu mehren, sondern er sieht seine Hauptaufgabe als Arbeitgeber im wahrsten Sinne des Wortes darin "ARBEIT zu GEBEN"...

...vielleicht liegt hier der Schlüssel zur Wende am Arbeitsmarkt!

Zitat Einheitsübersetzung:

20:6
Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder
einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier
den ganzen Tag untätig herum?
20:7
Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!

(Mt 20,1ff)

Der echte Arbeitgeber erträgt es nicht, Leute untätig herumstehen zu sehen, ganz im Gegensatz zu den falschen "Arbeitgebern"!
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