Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Thomas_de_Austria
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Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Als ein interessantes Thema, möchte ich hier kurz einen Strang eröffnen (ich hoffe, diesen gibt es nicht bereits), in dem man zu Gottes Wesen, Eigenschaften, Akzidentien, Strebungen, ihren Definitionen, ihrem Vorhandensein etc. diskutieren kann, vor allem, da dies auch für genügend andere Themen relevant sein kann.

Als Beispiel möchte ich gleich etwas zum Wesen Gottes und eine Seiner Eigenschaften skizzieren:

Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Dazu:

i. Gott ist einheitlich.
ii. Gott ist mit sich selbst identisch (und das vollkommen).
iii. Die Liebe ist aber etwas anderes als Gott, sie ist von Ihm unterschieden (das sollte eigentlich schon rein sprachlich offen zu Tage liegen: Das Wort Gott ist kein Homonym für den Begriff Gott und den Begriff Liebe; ich kann nicht sinnvoll sagen, ich bin "vergottet", wenn ich verliebt bin o. ä.; der Begriff "Liebe" bezieht sich auf eine völlig andere Bestimmung, als der Begriff "Gott" usw. usf.).
iv. Wenn Gott wesentlich (auch) die Liebe ist, ist eine Differenz in Gott.
v. Eine Differenz in Gott würde Gottes Einheitlichkeit aufheben.

Das widerspricht aber den ersten beiden Prämissen:
Die Liebe kann also nicht wesentlich Gott sein.


Außerdem:

i. Gottes Wesen zu begreifen, ist unmöglich (vgl. diverse Kirchenväter, St. Thomas in der "Summe" I, q. 12, a. 7 etc.).
ii. Das Wesen der Liebe zu begreifen ist möglich.
iii. Wenn Gott wesentlich (auch) die Liebe ist, ist es gleichzeitig möglich und unmöglich Gottes Wesen zu begreifen.

Das ist nun aber offensichtlich widersprüchlich:
Die Liebe kann also nicht wesentlich Gott sein.
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Donnerstag 12. August 2010, 23:52, insgesamt 1-mal geändert.

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Juergen
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Juergen »

Und dennoch heißt es in der Schrift: "Gott ist die Liebe".
Demnach hast Du bewiesen, daß die Schrift lügt.
:pfeif:
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Wieso hieß dann die erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. Deus caritas est? :hmm:

Wohlgemerkt est! :hae?:

Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Juergen hat geschrieben:Und dennoch heißt es in der Schrift: "Gott ist die Liebe".
Demnach hast Du bewiesen, daß die Schrift lügt.
:pfeif:
Zwei Schlaue, ein Gedanke! :freude: :freude: :freude:

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Und dennoch heißt es in der Schrift: "Gott ist die Liebe".
Demnach hast Du bewiesen, daß die Schrift lügt.
Das "ist" in der Schrift, drückt wohl kaum eine Identitätsbeziehung aus, würde ich behaupten, im Sinne eines "="-Zeichens. Mir persönlich ist nämlich auch keine vierte Hypostase namens "Ἔρως" oder von mir aus auch "Αγάπη" bekannt ...

Ich würde eher sagen, dass - wenn es denn so ist - bewiesen habe, dass eine bestimmte Interpretation der Schrift, nicht "recht stimmig" ist, um es freundlich auszudrücken.
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Donnerstag 12. August 2010, 21:19, insgesamt 1-mal geändert.

Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Und dennoch heißt es in der Schrift: "Gott ist die Liebe".
Demnach hast Du bewiesen, daß die Schrift lügt.
Das "ist" in der Schrift, drückt wohl kaum eine Identitätsbeziehung aus, würde ich behaupten, im Sinne eines "="-Zeichens. Mir persönlich ist nämlich auch keine vierte Hypostase namens "Ἔρως" oder von mir aus auch "Αγάπη" bekannt ...
Die Liebe ist die Relation zwischen den drei göttlichen Personen.
Der Sohn wird in Liebe gezeugt und der Hl. Geist in Liebe hervorgebracht!
Gleichermaßen lieben sowohl der Sohn als auch der Hl. Geist den Vater als die unantastbare Majestät Gottes!

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Marion
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Marion »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Ich kann kein Latein :traurigtaps:
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Gamaliel
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Gamaliel »

Marion hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Ich kann kein Latein :traurigtaps:
Schau mal da. Etwa in der Seitenmitte, dort wo "Cap. 3" steht, findest Du (direkt danach) eine Übersetzung. (Das Ganze gibt's auch hier auf Englisch; Seite 4, Nr. 100 für den vorliegenden Satz.)
Zuletzt geändert von Gamaliel am Donnerstag 12. August 2010, 21:43, insgesamt 1-mal geändert.

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Marion
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Marion »

Danke Gamaliel ;)
Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Juergen hat geschrieben:Und dennoch heißt es in der Schrift: "Gott ist die Liebe".
Demnach hast Du bewiesen, daß die Schrift lügt.
Das "ist" in der Schrift, drückt wohl kaum eine Identitätsbeziehung aus, würde ich behaupten, im Sinne eines "="-Zeichens. Mir persönlich ist nämlich auch keine vierte Hypostase namens "Ἔρως" oder von mir aus auch "Αγάπη" bekannt ...
Wie sieht das mit "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" aus?
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Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Das Interessanteste ist ja, dass, gesetzt dem Fall, dass "Liebe" die Kategorie "Relation" sei, dies dann auch heißen würde, dass Gott nicht seiner Substanz nach, Liebe ist, sondern nur akzidentiell (und das ganz abgesehen davon, dass wohl auch eher nicht stimmt - "Summe" I, q. 3, a. 6).

Übrigens lässt sich wohl von Gott, als Subjekt, die Liebe aussagen, aber dass die Liebe tatsächlich Gott sei, dem stimmt nun wirklich niemand zu, der nicht gerade an den antiken "Amor" glaubt ...

Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Übrigens lässt sich wohl von Gott, als Subjekt, die Liebe aussagen, aber dass die Liebe tatsächlich Gott sei, dem stimmt nun wirklich niemand zu, der nicht gerade an den antiken "Amor" glaubt ...
Nein, die innergöttliche Liebe ist präziser mit Agape zu bezeichnen!

Kirchenjahr
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Kirchenjahr »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
i. Gott ist einheitlich.
ii. Gott ist mit sich selbst identisch (und das vollkommen).
iii. Die Liebe ist aber etwas anderes als Gott, sie ist von Ihm unterschieden (das sollte eigentlich schon rein sprachlich offen zu Tage liegen: Das Wort Gott ist kein Homonym für den Begriff Gott und den Begriff Liebe; ich kann nicht sinnvoll sagen, ich bin "vergottet", wenn ich verliebt bin o. ä.; der Begriff "Liebe" bezieht sich auf eine völlig andere Bestimmung, als der Begriff "Gott" usw. usf.).
iv. Wenn Gott wesentlich (auch) die Liebe ist, ist eine Differenz in Gott.
v. Eine Differenz in Gott würde Gottes Einheitlichkeit aufheben.

Das widerspricht aber den ersten beiden Prämissen:
Die Liebe kann also nicht wesentlich Gott sein.


Außerdem:

i. Gottes Wesen zu begreifen, ist unmöglich (vgl. diverse Kirchenväter, St. Thomas in der "Summe" I, q. 12, a. 7 etc.).
ii. Das Wesen der Liebe zu begreifen ist möglich.
iii. Wenn Gott wesentlich (auch) die Liebe ist, ist es gleichzeitig möglich und unmöglich Gottes Wesen zu begreifen.

Das ist nun aber offensichtlich widersprüchlich:
Die Liebe kann also nicht wesentlich Gott sein.
Marion hat geschrieben: Wie sieht das mit "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" aus?
@ Thomas Nr.1: Ersetze Liebe durch Weg, Warheit und Leben. Diese Art der Schlussfolgerung führt zu nichts.

@ Thomas Nr. 2: Wenn ii. nicht wahr ist, dann liegt auch kein Widerspruch vor. Und ii. ist nicht zwingend wahr. Das Begreifen der Liebe zwischen den drei Personen müßte möglich sein, während das Wesen Gottes selbst unbegreiflich wäre. Begreifst Du aber schon die Liebe zwischen den drei Personen nicht, dann hättest Du zumindest für Dich deine eigenen Schlußfolgerungen widerlegt.

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

@Marion:

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe diesen Ausspruch Jesu immer im übertragenen Sinne verstanden, wobei man hier auch differenzieren muss: Der Weg dürfte wohl am allerwenigsten Anspruch auf ein wörtliches Verständnis haben (Gott ist wesenhaft kein Feld-, Wald- oder sonstiger Weg).
Mit dem Leben sieht es schon wieder anders aus. Leben, verstanden, im Sinne von Sein Sein, kommt Gott natürlich im höchsten Maße zu (wobei man in der modernen Philosophie bzw. Logik, für gewöhnlich davon ausgeht, dass Sein keine Eigenschaft von irgendetwas ist, aber das wäre jetzt wieder eine andere Baustelle). Biologisch-materialistisches Leben hingegen, kommt Gott wohl nicht zu, Er ist reiner Geist. Mir scheint hier eher ein rhetorische Figur (Metonymie) vorzuliegen, auch und gerade, wenn man – was wir ja tun – annimmt, dass Gott Schöpfer und Ursache allen Lebens ist.
Bzgl. der Wahrheit ist zu sagen, dass sie nach St. Thomas in "Über die Wahrheit" (1.1 c) zu den sog. Transzendentalien gehört, also zu den Grundlagen, die allem Seienden als Modus zukommt; sie wurden, als reine Bestimmungen, auch von Gott geschaffen und stehen in einer Teilhabebeziehung zu Ihm (bzgl. ihres Seins), aber als Eigenschaften gefasst, würde ich jetzt einmal sagen, dass es sich, bzgl. des Wesens Gottes, auch so verhält, wie bzgl. der Eigenschaft "Liebe".

Das nur so in Kürze. Ich komme gar nicht mehr hinterher, mit dem Schreiben hier und anderswo - entschuldige bitte, @Marion.

---
@ Thomas Nr.1: Ersetze Liebe durch Weg, Warheit und Leben. Diese Art der Schlussfolgerung führt zu nichts.
Ja, Ihrer Meinung nach. Gerade, wenn ich "Liebe" durch das Genannte ersetze, sehe ich ganz klar, dass so etwas notwendig ist, denn dass Gott wesenhaft irgendein Weg sei, wirkt auf mich weniger erbaulich, um nicht zu sagen, schwachsinnig ...
@ Thomas Nr. 2: Wenn ii. nicht wahr ist, dann liegt auch kein Widerspruch vor. Und ii. ist nicht zwingend wahr. Das Begreifen der Liebe zwischen den drei Personen müßte möglich sein, während das Wesen Gottes selbst unbegreiflich wäre. Begreifst Du aber schon die Liebe zwischen den drei Personen nicht, dann hättest Du zumindest für Dich deine eigenen Schlußfolgerungen widerlegt.
Netter Versuch. Wenn ich (oder auch sonst irgendjemand - jeder muss ja nicht alle Bestimmungen begreifen können, was ja an sich klar ist, das liegt aber nicht an den Bestimmungen; es würde auch reichen, wenn sie bisher nur ein einziger endlicher Verstand begriffen hätte bzw. es möglich für einen endlichen Verstand möglich ist, sie zu begreifen) einen korrekten (wahren und zutreffenden) Begriff der (reinen) Bestimmung "Liebe" bilde, habe ich sie bereits "begriffen"; ich muss dazu überhaupt keine relationale Beziehung zwischen zwei oder mehr Entitäten, denen die Bestimmung "Liebe" zukommt, begreifen.
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Donnerstag 12. August 2010, 23:48, insgesamt 5-mal geändert.

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Berolinensis
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Berolinensis »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Als ein interessantes Thema, möchte ich hier kurz einen Strang eröffnen (ich hoffe, diesen gibt es nicht bereits), in dem man zu Gottes Wesen, Eigenschaften, Akzidentien, Strebungen, ihren Definitionen, ihrem Vorhandensein etc. diskutieren kann, vor allem, da dies auch für genügend andere Themen relevant sein kann.

Als Beispiel möchte ich gleich etwas zum Wesen Gottes und eine Seiner Eigenschaften skizzieren:

Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Dazu:

i. Gott ist einheitlich.
ii. Gott ist mit sich selbst identisch (und das vollkommen).
iii. Die Liebe ist aber etwas anderes als Gott, sie ist von Ihm unterschieden (das sollte eigentlich schon rein sprachlich offen zu Tage liegen: Das Wort Gott ist kein Homonym für den Begriff Gott und den Begriff Liebe; ich kann nicht sinnvoll sagen, ich bin "vergottet", wenn ich verliebt bin o. ä.; der Begriff "Liebe" bezieht sich auf eine völlig andere Bestimmung, als der Begriff "Gott" usw. usf.).
iv. Wenn Gott wesentlich (auch) die Liebe ist, ist eine Differenz in Gott.
v. Eine Differenz in Gott würde Gottes Einheitlichkeit aufheben.

Das widerspricht aber den ersten beiden Prämissen:
Die Liebe kann also nicht wesentlich Gott sein.
Thomas,

ich fürchte, hier liegst du daneben. Der Grund scheint mir in Punkt iii deiner Darlegung zu sein.

Denn gerade wegen der absoluten Einfachheit Gottes, auf die du zurecht hinweist, ist Gott als actus purus nicht nur sein Sein, sondern auch sein Erkennen und sein Wollen (S. th. I 19, 1: Et sicut suum intelligere est suum esse, ita suum velle.). Da die Affekte wie die Liebe aber Betätigung dieses mit seinem Sein identischen Wollens sind, gilt insoweit dasselbe. "Der Grundaffekt ist die Liebe, die in Gott mit der Wesenheit real identisch ist." (Ott, § 24, 3)

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Sempre
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Sempre »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Der Weg dürfte wohl am allerwenigsten Anspruch auf ein wörtliches Verständnis haben (Gott ist wesenhaft kein Feld-, Wald- oder sonstiger Weg).
Und keine Stalltür (Joh. 10,9).

Gruß
Sempre
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

@Berilonensis:

Ich sehe schon, was los ist. Danke für diese Stellen, ehrlich. Ludwig (Ott) und ich, gehen da von zwei verschiedenen Dingen aus. Das Schlüsselwort ist "Affekt" - der bestimmte Affekt "Liebe" und die reine Bestimmung "Liebe". Das eine ist eine bestimmte Willensbetätigung Gottes, Sein "reales Wesen" und der Rest ist die Bestimmung dieser Willensbetätigung Gottes.

'Tschuldige, wegen der Kürze, aber ich komme kaum hinterher (musste jetzt ja auch schnell im Ott nachschlagen).

Nachtrag: Dank deines Ott-Verweises, erkennt man jetzt auch, wie genau die berühmte Stelle "Deus est caritas" zu verstehen ist. Dort bezeichnet das Wort "Liebe" einen bestimmten Grundaffekt. Als Willensbetätigung ist dieser Grundaffekt - vereinfacht gesagt - mit dem Willen Gottes identisch, der Wille Gottes ist Gottes "reine Wirklichkeit", das ist Sein Wesen. Das kann (und muss) ich so stehen lassen. Dem ist zuzustimmen.

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Juergen
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Juergen »

Marion hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Ich kann kein Latein :traurigtaps:
Kann man lernen, wenn man will und nicht zu faul ist. :narr:
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Juergen hat geschrieben:
Marion hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:Von Boëthius aus dem "Traktat über die Trinität" (III, erster Satz) stammt Folgendes:
Deus vero a deo nullo differt, ne vel accidentibus vel substantialibus differentiis in subjecto positis distent. Ubi vero nulla est differentia, nulla est omnino pluralitas, quare nec numerus; igitur unitas tantum.
Ich kann kein Latein :traurigtaps:
Kann man lernen, wenn man will und nicht zu faul ist. :narr:
Ja, ich werde mich bemühen, nach Möglichkeit alles in Übersetzung zur Verfügung zu stellen bzw. Angaben zu auffindbarer Literatur zu machen. Gamaliel hat ja ohnehin schon Übersetzungen verlinkt (ich hab' auch per PN eine gesendet); ich hoffe, dass es dbzgl. keine Probleme mehr gibt.

Kirchenjahr
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Kirchenjahr »

Thomas_de_Austria hat geschrieben: Wenn ich einen korrekten Begriff der Bestimmung "Liebe" bilde, habe ich sie bereits "begriffen"; ich muss dazu überhaupt keine relationale Beziehung zwischen zwei oder mehr Entitäten, denen die Bestimmung "Liebe" zukommt, begreifen.
Ich lasse ausdrücklich dahingestellt, ob das richtig ist.

Konsequent folgernd schlage ich vor: Ersetze "Liebe" durch "Gott" und Du hast IHN begriffen.

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Robert Ketelhohn
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ihr seid ja ziemlich vom Thema abgekommen. Ich lasse mich davon mal nicht
schrecken und sondere verknüpfungshalber Hinweise auf Beiträge ab, die m.
E. auf unterschiedliche Weise zum Strangthema beitragen können:
http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=19577#p19577
http://kreuzgang.org/viewtopic.php?f=21 ... 1#p32381
http://kreuzgang.org/viewtopic.php?p=34854#p34854
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Folgendes wollte ich wieder hierher zurückverlegen, da es bei der Ausgliederung eines Teils des Strangs, in den anderen rübergerutscht ist.
Konsequent folgernd schlage ich vor: Ersetze "Liebe" durch "Gott" und Du hast IHN begriffen.
Es macht einen leichten Unterschied, mit einem endlichen Verstand, einen korrekten (also wahren, zutreffenden und dafür vollständigen!) Begriff von etwas Endlichem zu bilden oder aber, von etwas Unendlichen, Unlimitierten etc. So etwas geht per definitionem nicht ...

---

Was Robert hier so verlinkt hat (die "unerschaffenen Energien Gottes") und praktisch in der orth. Theologie "entwickelt" wurde, ist ja auch vom Platonismus her zu verstehen und nicht vom Aristotelismus. Die Harmonisierung zwischen den westl., von der aristotelischen Scholastik geprägten Begrifflichkeit und der östl., eher platon., gestaltet sich wohl auch ähnlich schwierig, wie die Klärung der Begriffe, für die wir hier jetzt sogar einen eigenen Strang haben.

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Hier zu Gott selbst, nach St. Thomas, ein paar grundlegende Bemerkungen, entnommen aus der "Summe der Theologie" I, q. 3.

Aus der Einleitung:
Sed quia de Deo scire non possumus quid sit, sed quid non sit, non possumus considerare de Deo quomodo sit, sed potius quomodo non sit.
[Aber weil wir von Gott nicht wissen können, was Er ist, sondern was Er nicht ist, können wir von Gott nicht erwägen, wie/von welcher Art Er ist, sondern nur wie/von welcher Art Er nicht ist.]
Potest autem ostendi de Deo quomodo non sit, removendo ab eo ea quae ei non conveniunt, utpote compositionem, motum, et alia huiusmodi.
[Es kann gezeigt werden, wie Gott nicht ist, indem man von Ihm abzieht/wegnimmt, was Ihm nicht zukommt, wie etwa Zusammengesetztheit, Bewegung und anderes derart.]

Der erste Artikel behandelt dann die Frage "Ob Gott ein Körper sei? " Worauf St. Thomas antwortet:
Impossibile est igitur Deum esse corpus.
[Es ist daher unmöglich, dass Gott ein Körper ist.]

Er führt, um das zu beweisen (darauf bezieht sich das "igitur"), drei Gründe an, nämlich erstens, dass Gott das erste unbewegte Bewegende sei und selbst folglich kein bewegter Körper sein könne, da es dazu ja von einem anderen Ding hätte bewegt werden müssen, was aber per definitionem Unsinn ist. Zweitens weil es ein erstes Sein geben muss, das in Wirklichkeit ("in actu") ist und nicht in Möglichkeit ("in potentia"), da es etwas geben muss, was die Dinge von der Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt und dieses muss ein verwirklichtes Sein sein. In Gott ist aber nichts "in potentia", sondern Gott ist voll aktualisiert/verwirklicht, sozusagen. Jeder Körper aber ist in Möglichkeit, da sich ein "Kontinuum" unendlich teilen lässt. Gott kann also kein Körper sein. Der dritte Grund ist derjenige, dass Gott das edelste Seiende ist, was aus dem Gesagten offensichtlich wird. Es ist aber unmöglich, dass ein Körper das edelste Sein ist, da ein Körper entweder lebt oder nicht lebt. Es ist aber offensichtlich, dass ein belebter Körper edler als ein unbelebter ist. Der Körper belebt sich aber nicht selbst, sondern wird durch die Seele belebt, daraus folgt, dass das, wodurch der Körper belebt wird, also die Seele, edler ist, als der Körper. Wenn Gott ein Körper wäre, wäre Er also nicht das edelste Sein, was nicht mit dem Obersatz übereinstimmt und folglich nicht sein kann.

Hier noch einmal dieselbe Sache aus der "Summe wider die Heiden" (Cap. XX):
Quod Deus non est corpus

Ex praemissis etiam ostenditur quod Deus non est corpus.
Omne enim corpus, cum sit continuum, compositum est et partes habens. Deus autem non est compositus, ut ostensum est. Igitur corpus non est.
Praeterea. Omne quantum est aliquo modo in potentia: nam continuum est potentia divisibile in infinitum; numerus autem in infinitum est augmentabilis. Omne autem corpus est quantum. Ergo omne corpus est in potentia. Deus autem non est in potentia, sed actus purus, ut ostensum est. Ergo Deus non est corpus.
[Gott ist kein Körper

Aus der Prämisse (dem Vorhergehenden), wird auch gezeigt, dass Gott kein Körper ist.
Jeder Körper ist nämlich, weil er ein Kontinuum/Ausgedehntes ist, zusammengesetzt und hat Teile. Gott aber ist nicht zusammengesetzt, wie gezeigt worden ist. Daher ist er auch kein Körper.
Außerdem. Jedes Quantum ist in irgendeiner Weise in Möglichkeit: Denn das Ausgedehnte ist potentiell unendlich teilbar; die Zahl aber ist unendlich vermehrbar. Jeder Körper aber ist ein Quantum. Also ist jeder Körper in Möglichkeit. Gott aber ist nicht in Möglichkeit, sondern ist reine Wirklichkeit, wie gezeigt worden ist. Also ist Gott kein Körper.
]

Im zweiten Artikel geht es darum, "ob Gott aus Form und Materie zusammengesetzt sei". St. Thomas antwortet:
Respondeo dicendum quod impossibile est in Deo esse materiam. Primo quidem, quia materia est id quod est in potentia. Ostensum est autem quod Deus est purus actus, non habens aliquid de potentialitate. Unde impossibile est quod Deus sit compositus ex materia et forma. Secundo, quia omne compositum ex materia et forma est perfectum et bonum per suam formam, unde oportet quod sit bonum per participationem, secundum quod materia participat formam. Primum autem quod est bonum et optimum, quod Deus est, non est bonum per participationem, quia bonum per essentiam, prius est bono per participationem. Unde impossibile est quod Deus sit compositus ex materia et forma. Tertio, quia unumquodque agens agit per suam formam, unde secundum quod aliquid se habet ad suam formam, sic se habet ad hoc quod sit agens. Quod igitur primum est et per se agens, oportet quod sit primo et per se forma. Deus autem est primum agens, cum sit prima causa efficiens, ut ostensum est. Est igitur per essentiam suam forma; et non compositus ex materia et forma.
[Ich antworte auf das Gesagte, dass es unmöglich ist, dass in Gott Materie ist. Erstens, weil die Materie dasjenige ist, was in Möglichkeit steht. Es ist aber gezeigt worden, dass Gott reine Wirklichkeit ist und nichts von irgendeiner Potenzialität hat. Daher ist es unmöglich, dass Gott ein Zusammengesetztes aus Materie und Form sei. Zweitens, weil alles aus Stoff und Form Zusammengesetzte, vollkommen und gut durch seine Form ist, weswegen es durch Partizipation/Teilhabe gut ist, nach der Teilhabe der Materie an der Form. Das erste Gute und Beste aber, das Gott ist, ist nicht durch Partizipation/Teilhabe gut, da durch das Wesen gut, vor durch Teilhabe gut kommt (= höherrangiger/günstiger ist). Es ist daher unmöglich, dass Gott ein Zusammengesetztes aus Materie und Form sei. Drittens, weil jedwedes Tätige durch/aufgrund seiner Form tätig ist, weswegen etwas, wie es sich zu seiner Form verhält, so auch dazu verhält, dass es tuend ist. Was daher das Erste, durch sich selbst Tätige ist, für das gehört es sich, dass es erstig und Form durch sich (selbst - oder: an sich) sei. Gott ist aber das erste Tätige, da Er die erste Wirkursache ist, wie gezeigt worden ist. Er ist daher durch Sein eigenes Wesen Form; und nicht ein Zusammengesetztes aus Materie und Form.]
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Mittwoch 18. August 2010, 21:35, insgesamt 1-mal geändert.

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Gamaliel
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Gamaliel »


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Niels
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Niels »

Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Wenn Gott kein Körper ist, ist Jesus dann nicht Gott?

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Niels
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Niels »

Raphael hat geschrieben:Wenn Gott kein Körper ist, ist Jesus dann nicht Gott?
Hypostatische Union: die göttliche und die menschliche Natur sind in Jesus Christus vereint - und als Mensch hatte er einen "Körper" (besser: Leib).
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

Raphael

Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Raphael »

Niels hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Wenn Gott kein Körper ist, ist Jesus dann nicht Gott?
Hypostatische Union: die göttliche und die menschliche Natur sind in Jesus Christus vereint - und als Mensch hatte er einen "Körper" (besser: Leib).
Als Mensch ist er Körper und nicht hat einen Körper. Deine Erklärung hört sich nach Adoptianismus an! ;)

Im Übrigen ist (und nicht hatte) er jetzt auch noch "Körper", nämlich im Auferstehungsleib! :)

Thomas_de_Austria
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Und hier noch zur Frage, warum Gott reine Wirklichkeit/Akt ist, aus der "Summe wider die Heiden" (Cap. XVI):
Quod in Deo non est potentia passiva

Si autem Deus aeternus est, necesse est ipsum non esse in potentia.
Omne enim id in cuius substantia admiscetur potentia, secundum id quod habet de potentia potest non esse: quia quod potest esse, potest non esse. Deus autem secundum se non potest non esse: cum sit sempiternus. In Deo igitur non est potentia ad esse.
Adhuc. Quamvis id quod quandoque est in potentia quandoque actu, prius sit tempore in potentia quam in actu, tamen simpliciter actus est prior potentia: quia potentia non educit se in actum, sed oportet quod educatur in actum per aliquid quod sit in actu. Omne igitur quod est aliquo modo in potentia, habet aliquid prius se. Deus autem est primum ens et prima causa, ut ex supra dictis patet. Non igitur habet in se aliquid potentiae admixtum.
Item. Illud quod est per se necesse esse, nullo modo est possibile esse: quia quod est per se necesse esse, non habet causam,; omne autem quod est possibile esse, habet causam, ut supra ostensum est. Deus autem est per se necesse esse. Nullo igitur modo est possibile esse. Nihil ergo potentiae in sua susbtantia invenitur.
Item. Unumquodque agit secundum quod est actu. Quod igitur non est totus actus, non toto se agit, sed aliquo sui. Quod autem non toto se agit, non est primum agens: agit enim alicuius participatione, on per essentiam suam. Primum igitur agens, quod Deus est, nullam habet potentiam admixtam, sed est actus purus.
Adhuc. Unumquodque, sicut natum est agere inquantum est actu, ita natum est pati inquantum est potentia: nam "motus est actus potentia existentis" [Phys. III 1]. Sed Deus est omnino impassibilis ac immutabilis, ut patert ex dictis. Nihil ergo habet de potentia, scilicet passiva.
Item. Videmus aliquid esse in mundo quod exit de potentia in actum. Non autem. Non autem educit se de potentia in actum: quia quod est potentia, nondum est; unde nec agere potest. Ergo oportet esse aliquid aliud prius, quo educatur de potentia in actum. Et iterum, si hoc est exiens de potentia in actum, oportet ante hoc aliquid aliud poni, quo reducatur in actum. Hoc autem in infinitum procedere non potest. Ergo oportet devenire ad aliquid quod est tantum actu et nullo modo in potentia. Et hoc dicimus Deum.
[In Gott ist keine passive Potenz

Wenn aber Gott ewig ist, ist es notwendig, dass Er nicht in Möglichkeit ist.
Jedes Ding, dessen Substanz Möglichkeit beigemischt ist, kann nach dem, was es an Möglichkeit hat, auch nicht sein: da was sein kann, auch nicht sein kann. Gott kann aber aufgrund Seiner selbst nicht, nicht sein: da Er ewig-seiend/immerwährend ist. In Gott kommt daher keine Möglichkeit zum Sein hinzu.
Zudem. Wenn auch dasjenige, was manchmal in Möglichkeit ist, manchmal in Wirklichkeit sein kann, der Zeit nach früher in Möglichkeit, als in Wirklichkeit ist, so ist dennoch die einfache/schlechthinnige Wirklichkeit vor der Möglichkeit: da sich die Möglichkeit nicht selbst in die Wirklichkeit überführt, sondern sie muss durch irgendetwas in die Wirklichkeit überführt werden, was schon in Wirklichkeit ist. Jedes Ding, das in irgendeiner Weise in Möglichkeit ist, hat etwas, was früher ist als es selbst. Gott aber ist das erste Sein und die erste Ursache, wie aus dem oben Gesagten ersichtlich ist. Daher hat Er in Sich nichts an Möglichkeit beigemischt.
Ebenso. Jenes, was durch sich notwendiges Sein/seinsnotwendig ist, kann auf keine Weise mögliches Sein/seinsmöglich sein: da das, was durch sich seinsnotwendig ist, keine Ursache hat; aber alles mögliche Sein/Seinsmögliche hat eine Ursache, wie aus dem oben Gesagten ersichtlich ist. Gott ist aber durch sich notwendiges Sein/seinsnotwendig. Daher ist Er auf keine Weise mögliches Sein/seinsmöglich. Also ist keine Möglichkeit in Seiner Substanz aufzufinden.
Ebenso. Ein jedes Ding wirkt insofern, als es in Wirklichkeit ist. Was daher nicht gänzlich verwirklicht ist, wirkt nicht im Ganzen, sondern nur mit einem Teil seiner selbst. Was aber nicht gänzlich wirkt, ist nicht das erste Wirkende/Tätige: es wirkt nämlich durch irgendeine Teilhabe/Partizipation, nicht durch sein eigenes Wesen. Das erste Wirkende/Tätige, das Gott ist, hat daher keine Möglichkeit beigemischt, sondern ist reine Wirklichkeit.
Zudem. Wie es einem jeden Ding natürlich/angelegt ist zu wirken, insoweit es in Wirklichkeit ist, so ist es natürlich zu (er-)leiden, insoweit es in Möglichkeit ist: denn "die Bewegung ist die Wirklichkeit, eines sich in der Möglichkeit Befindlichen". Gott aber ist gänzlich leidensunfähig und unwandelbar, wie aus dem Gesagten ersichtlich. Er hat also nichts von Möglichkeit bzw. passiver Möglichkeit (an Sich).
Ebenso. Wir sehen etwas in der Welt, was von der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergeht. Nichts aber überführt sich selbst von Möglichkeit, in die Wirklichkeit: denn was in Möglichkeit ist, ist nichts/noch nicht; daher kann es nicht wirken. Also muss es etwas zuvor geben, was die Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt. Und vor diesem, wenn es von der Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt wird, muss wiederum etwas anderes angenommen werden, durch das es in die Wirklichkeit überführt wird. Das kann aber nicht in die Unendlichkeit fortlaufen. Also muss man zu etwas gelangen, was einzig Wirklichkeit ist und auf keine Art Möglichkeit. Und das nennen wir Gott.
]
Das Ganze dürfte vor allem für Sempre ( :huhu: ) interessant sein, da hier auch der Kontingenzbeweis anklingt.
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Mittwoch 18. August 2010, 22:53, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Gamaliel hat geschrieben:Weitere Lektüre: ;)
S. Bonaventuræ in primum librum sententiarum expositio (tom. ii)
ejusdem breviloquium
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Wo wir gerade bei der Literatur dazu sind: Kann man eigentlich irgendwo im dt./österr. Handel (jenseits der Antiquariate) mehr von Boëthius erstehen, als seine "Trostschrift" (ich denke da vor allem an seine theolog. Schriften, speziell an seinen Trinitätstraktat)?

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Niels
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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Niels »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Gamaliel hat geschrieben:Weitere Lektüre: ;)
S. Bonaventuræ in primum librum sententiarum expositio (tom. ii)
ejusdem breviloquium
Ubi est Ovi, illustris discipulus eius? :huhu:
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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Re: Substanz, Eigenschaften, Strebungen etc. Gottes

Beitrag von Niels »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Wo wir gerade bei der Literatur dazu sind: Kann man eigentlich irgendwo im dt./österr. Handel (jenseits der Antiquariate) mehr von Boëthius erstehen, als seine "Trostschrift" (ich denke da vor allem an seine theolog. Schriften, speziell an seinen Trinitätstraktat)?
Hier gibt's einiges zum Download: http://www.archive.org/search.php?query ... +d.+524%22
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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