Seite 1 von 1

Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 12:19
von Berolinensis
Ich lese im Moment gerade das Berliner Brevier-Proprium für den alten Ritus Korrektur (das dann hoffentlich demnächst gedruckt wird). Für das Fest der aller heiligen Päpste am 4. Juli ist dort dritte Lesung eine Predigt des hl. Bernhard (In Festo S. Malachi, Ep.).

Dort schreibt der hl. Bernhard u.a.:
Exsúltent in Dómino eórum spíritus, quod leváti póndere corpóreæ molis, nulla jam fæculénta vel terréna matéria prægravántur, quo minus tota alacritáte ac vivacitáte corpóream omnem et incorpóream transéuntes creatúram, pergant toti in Deum, et adhæréntes illi, unus sint cum eo spiritus in ætérnum.
Ist eine solche Sicht des Leibes als bloßer beschwerender Gewichtsmasse wirklich katholisch? Das kommt mir doch arg platonisch vor.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 13:25
von taddeo
Berolinensis hat geschrieben:Ich lese im Moment gerade das Berliner Brevier-Proprium für den alten Ritus Korrektur (das dann hoffentlich demnächst gedruckt wird). Für das Fest der aller heiligen Päpste am 4. Juli ist dort dritte Lesung eine Predigt des hl. Bernhard (In Festo S. Malachi, Ep.).

Dort schreibt der hl. Bernhard u.a.:
Exsúltent in Dómino eórum spíritus, quod leváti póndere corpóreæ molis, nulla jam fæculénta vel terréna matéria prægravántur, quo minus tota alacritáte ac vivacitáte corpóream omnem et incorpóream transéuntes creatúram, pergant toti in Deum, et adhæréntes illi, unus sint cum eo spiritus in ætérnum.
Ist eine solche Sicht des Leibes als bloßer beschwerender Gewichtsmasse wirklich katholisch? Das kommt mir doch arg platonisch vor.
Das "bloß" steht aber im Text nicht drin, soweit ich sehe.
Daß der Leib ein Gewicht ist, das uns von den himmlischen Dingen wegzieht, ist ja eine Tatsache und theologisches Allgemeingut. Ich würde diese dichterische Umschreibung der "Erdenschwere" nicht überbewerten. Der Inhalt des Textes ist ja zuerst der Jubel darüber, daß die Heiligen sich schon nicht mehr mit diesem Phänomen rumplagen müssen.
(Ich weiß ja nicht, welche Figur der heilige Bernhard hatte. Wenn der Satz von Thomas von Aquin wäre, würde ich sagen "der muß es ja gewußt haben" ...) ;D

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 14:40
von Robert Ketelhohn
Berolinensis hat geschrieben:In Festo S. Malachi, Ep.
Malachiæ. – Natürlich ist der Gedanke bereits platonisch, aber darum keineswegs
unchristlich – im Gegenteil –, weil die (verherrlichte) Leiblichkeit, wenn auch an
dieser Stelle gerade nicht erwähnt, keineswegs ausgeschlossen oder geleugnet ist,
wie Taddeo zu Recht feststellt.

Wenn du den Zusammenhang nachlesen willst:
http://www.documentacatholicaomnia.eu/ ... i,_MLT.pdf
(dort col. 489).

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 15:14
von Berolinensis
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Berolinensis hat geschrieben:In Festo S. Malachi, Ep.
Malachiæ. –
Weißt du, wie nervig es ist, jedes Mal in dem Text "ae" durch die æ-Ligatur zu ersetzen? Da kann dann schon mal eins verlorengehen. Aber danke für den Hinweis.
Natürlich ist der Gedanke bereits platonisch, aber darum keineswegs
unchristlich – im Gegenteil –, weil die (verherrlichte) Leiblichkeit, wenn auch an
dieser Stelle gerade nicht erwähnt, keineswegs ausgeschlossen oder geleugnet ist,
wie Taddeo zu Recht feststellt.
Hm. Die Leiblichkeit wird nicht geleugnet, natürlich nicht, aber es klingt (fæculénta) doch ziemlich nach Luthers Madensack, während der Leib doch selbst etwas Gutes ist. Wenn du etwas Zeit (und Lust) hast, würde ich das gern noch etwas genauer hören.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 15:17
von cantus planus
taddeo hat geschrieben:
Berolinensis hat geschrieben:Ich lese im Moment gerade das Berliner Brevier-Proprium für den alten Ritus Korrektur (das dann hoffentlich demnächst gedruckt wird). Für das Fest der aller heiligen Päpste am 4. Juli ist dort dritte Lesung eine Predigt des hl. Bernhard (In Festo S. Malachi, Ep.).

Dort schreibt der hl. Bernhard u.a.:
Exsúltent in Dómino eórum spíritus, quod leváti póndere corpóreæ molis, nulla jam fæculénta vel terréna matéria prægravántur, quo minus tota alacritáte ac vivacitáte corpóream omnem et incorpóream transéuntes creatúram, pergant toti in Deum, et adhæréntes illi, unus sint cum eo spiritus in ætérnum.
Ist eine solche Sicht des Leibes als bloßer beschwerender Gewichtsmasse wirklich katholisch? Das kommt mir doch arg platonisch vor.
Das "bloß" steht aber im Text nicht drin, soweit ich sehe.
Daß der Leib ein Gewicht ist, das uns von den himmlischen Dingen wegzieht, ist ja eine Tatsache und theologisches Allgemeingut. Ich würde diese dichterische Umschreibung der "Erdenschwere" nicht überbewerten. Der Inhalt des Textes ist ja zuerst der Jubel darüber, daß die Heiligen sich schon nicht mehr mit diesem Phänomen rumplagen müssen.
(Ich weiß ja nicht, welche Figur der heilige Bernhard hatte. Wenn der Satz von Thomas von Aquin wäre, würde ich sagen "der muß es ja gewußt haben" ...) ;D
Ich erinnere, einen Tag zu spät allerdings, auch an den Heiligen Franziskus, der seinen Leib "Bruder Esel" nannte...

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 15:42
von Berolinensis
cantus planus hat geschrieben:Ich erinnere, einen Tag zu spät allerdings, auch an den Heiligen Franziskus, der seinen Leib "Bruder Esel" nannte...
Aber das ist ja nun das genaue Gegenteil, oder?

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 15:49
von Gamaliel
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Wenn du den Zusammenhang nachlesen willst:
http://www.documentacatholicaomnia.eu/ ... i,_MLT.pdf
(dort col. 489).
Ebenfalls eine schöne, übersichtliche Zusammenstellung der "Opera omnia" vom hl. Bernhard (auch dieser Predigt) gibt es hier:
http://www.binetti.ru/bernardus/73.shtml


Für die nicht Lateinkundigen gäbe es hier eine englische Übersetzung der Predigt (die von Berolinensis angefragte Stelle befindet sich auf Seite 158, am Ende der Absatznummer 6).
http://www.archive.org/stream/stbernard ... 8/mode/2up

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 16:09
von Berolinensis
Auch von dir, Gamaliel, wäre ich interessiert zu hören, wie du inhaltlich diesen prima facie-Widerspruch auflöst, wenn du Zeit haben solltest.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 17:33
von Gamaliel
In der Sache kann ich da leider nichts beitragen. Person und Schriften des hl. Bernhard sind mir zuwenig vertraut, um eine Einschätzung seiner Ausdrucksweise bieten zu können.

Einige Gedanken: Da es sich bei vorliegendem Text nicht um eine dogmatische Abhandlung handelt, sehe ich die gewählte Formulierung nicht wirklich als problematisch an. Gerade vor den damaligen sittlichen Mißständen im (Ordens-)Klerus und in der Annahme, daß der hl. Bernhard gut über Wesen und Wirkungen der Erbsünde Bescheid wußte, erscheint mir die Formulierung sogar durchaus nachvollziehbar. Die Aszetik etwa betrachtet auch besonders die negativen Seiten, die mit der Leiblichkeit des Menschen verbunden sind und eine Predigt lebt nicht (unbedingt) von feinen theologischen Unterscheidungen, sondern sie muß (auch) "griffig" sein. (Freilich darf sie trotzdem nicht sachlich falsch sein.)

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 19:37
von Berolinensis
Ja, so wird es wohl sein, Gamaliel. Mir stieß die Stelle heute morgen beim Lesen irgendwie seltsam auf, aber da das sonst niemandem so zu gehen scheint...
Robert, wenn du dennoch noch etwas dazu zu sagen hast, wäre ich aber immer noch interessiert.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 21:21
von Robert Ketelhohn
Entschuldige, daß ich im Augenblick keine Zeit habe, da tiefer einzusteigen. Bloß
ein paar Hinweise darum. Als erstes fiel mir spontan Lothar von Segni (nachmals
Innozenz III.) mit seiner Schrift de contemptu mundi oder de miseria humanæ condi-
cionis
ein. Schau dir das Inhaltverzeichnis durch, die Thematik wird bereits daran
deutlich.

Innozenz steht hier ganz in der Vätertradition, welcher der platonische Begriff vom
Leib als carceri animæ durchaus zueigen geworden ist, wenn man von Augustin ab-
sieht, der ihn nach meinem Eindruck wohl meidet. Die stoische Tradition mit Cice-
ro und Seneca kennt ihn ebenso. Jedenfalls ist die moderne positive Wertung des
irdischen Leibes (die mir auch hier immer wieder begegnet, etwa in Diskussionen
über sauberen und glücklichmachenden Beischlaf) der kirchlichen Tradition ganz
fremd. Das Elend dieses Leibes der gefallenen Natur wird mal mehr, mal weniger
thematisiert, mal gar nicht, mal ausgedehnt in aller Schärfe: aber nie bestritten. Der
selbstmörderische Volkssturm auf die Evidenz ist erst der Moderne gelungen.

Heute wird diese Haltung der Kirche gemeinhin als „Leibfeindlichkeit“ geschmäht
und von den zeitgenössischen Lehrern der Kirche, wo nicht verurteilt, da peinlich
verborgen. Dabei ist es durchaus keine Feindschaft gegen den Leib an sich, auf des-
sen verherrlichte Auferstehung man ja sehnlich hoffte. Interessanterweise hat man
genau dies heute weitestgehend ad acta gelegt. Man mutet dem Leib ist bester gno-
stischer Manier allen nur denkbaren Schmutz zu und erklärt das zu Leibesfreund-
schaft. Nach der kirchlichen Überlieferung strebt dagegen der ganze Mensch auf
die Einung zu, unter Führung der geistigen Seele. Dionysius der Areopagit war bis
an die Schwelle der Neuzeit der wichtigste Lehrer dieses Strebens. Auf Grundlage
der Schrift, zuvörderst Pauli: ταλαίπωρος ἐγὼ ἄνϑρωπος· τίς με ῥύσεται ἐκ τοῦ
σώματος τοῦ ϑανάτου τούτου – infelix ego homo quis me liberabit de corpore mortis
hujus
.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 21:37
von Berolinensis
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Entschuldige, daß ich im Augenblick keine Zeit habe, da tiefer einzusteigen. Bloß
ein paar Hinweise darum. Als erstes fiel mir spontan Lothar von Segni (nachmals
Innozenz III.) mit seiner Schrift de contemptu mundi oder de miseria humanæ condi-
cionis
ein. Schau dir das Inhaltverzeichnis durch, die Thematik wird bereits daran
deutlich.

Innozenz steht hier ganz in der Vätertradition, welcher der platonische Begriff vom
Leib als carceri animæ durchaus zueigen geworden ist, wenn man von Augustin ab-
sieht, der ihn nach meinem Eindruck wohl meidet. Die stoische Tradition mit Cice-
ro und Seneca kennt ihn ebenso. Jedenfalls ist die moderne positive Wertung des
irdischen Leibes (die mir auch hier immer wieder begegnet, etwa in Diskussionen
über sauberen und glücklichmachenden Beischlaf) der kirchlichen Tradition ganz
fremd. Das Elend dieses Leibes der gefallenen Natur wird mal mehr, mal weniger
thematisiert, mal gar nicht, mal ausgedehnt in aller Schärfe: aber nie bestritten. Der
selbstmörderische Volkssturm auf die Evidenz ist erst der Moderne gelungen.

Heute wird diese Haltung der Kirche gemeinhin als „Leibfeindlichkeit“ geschmäht
und von den zeitgenössischen Lehrern der Kirche, wo nicht verurteilt, da peinlich
verborgen. Dabei ist es durchaus keine Feindschaft gegen den Leib an sich, auf des-
sen verherrlichte Auferstehung man ja sehnlich hoffte. Interessanterweise hat man
genau dies heute weitestgehend ad acta gelegt. Man mutet dem Leib ist bester gno-
stischer Manier allen nur denkbaren Schmutz zu und erklärt das zu Leibesfreund-
schaft. Nach der kirchlichen Überlieferung strebt dagegen der ganze Mensch auf
die Einung zu, unter Führung der geistigen Seele. Dionysius der Areopagit war bis
an die Schwelle der Neuzeit der wichtigste Lehrer dieses Strebens. Auf Grundlage
der Schrift, zuvörderst Pauli: ταλαίπωρος ἐγὼ ἄνϑρωπος· τίς με ῥύσεται ἐκ τοῦ
σώματος τοῦ ϑανάτου τούτου – infelix ego homo quis me liberabit de corpore mortis
hujus
.
Danke, Robert, vielleicht bin ich da wirklich - Nachkonzilskind, das ich nunmal bin - etwas von der von dir geschilderten modernen Tendenz beeinflußt. Insofern war dieser Strang jetzt schon hilfreich. Wenn du mal später Zeit haben solltest, noch etwas mehr zu schreiben, ist der Strang ja noch da, und ich würde es gerne lesen.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Dienstag 5. Oktober 2010, 22:39
von maliems
schließe mich dem Dank an.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 10:42
von HeGe
taddeo hat geschrieben:(Ich weiß ja nicht, welche Figur der heilige Bernhard hatte. Wenn der Satz von Thomas von Aquin wäre, würde ich sagen "der muß es ja gewußt haben" ...) ;D
Ich zitiere mal hierzu die Internetseite der Abtei Heiligenkreuz:
Abtei Heiligenkreuz hat geschrieben:Bernhard lebte die Askese, die er von seinen Mönchen verlangte, selbst so entschieden, dass er sich durch seine Härte und sein stetes Fasten ein unheilbares Magenleiden zuzog, dem er schließlich auch erliegen sollte.
Quelle: http://www.stift-heiligenkreuz.org/Wer- ... ard..html

Von der Figur des Thomas von Aquin dürfte er daher sehr weit entfernt gewesen sein, wenigstens nach seinem Eintritt in Cîteaux. ;)

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 10:48
von taddeo
Na dann - die Thomistik scheint also gesünder zu sein als die Mystik.
(Cantus, merk Dir das! :huhu: )

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 10:50
von cantus planus
Berolinensis hat geschrieben:Danke, Robert, vielleicht bin ich da wirklich - Nachkonzilskind, das ich nunmal bin - etwas von der von dir geschilderten modernen Tendenz beeinflußt.
Man wird's einfach nicht los, gell? Das merke ich auch immer wieder.
Was dennoch sehr lehrreich ist, denn da sieht man, wie tief sowas sitzt.

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 11:11
von Linus
Gibts irgendwo eine (kurze zusammenfassende) Schrift auf deutsch, die die Überlieferung der kirche des Verhältnisses Leib-Seele darlegt? :hae?: :hae?: :hae?: :hae?: :hae?:

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 11:20
von Robert Ketelhohn
Kaum …

Re: Pondus corporeæ molis

Verfasst: Mittwoch 6. Oktober 2010, 11:37
von Linus
:heul:
mein latein und auch mein kirchenenglisch sind nicht wirklich gut.