Heilsweg oder Gnadenquell?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Samuel
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Heilsweg oder Gnadenquell?

Beitrag von Samuel »

Eine Frage, die mich derzeit beschäftigt:
Ist das Christentum Heilsweg oder Gnadenquell?

Zur Erläuterung der Frage ein Exkurs in den Buddhismus:
Buddha lehrte einen Heilsweg: Durch Befolgen des edlen achtfältigen Pfades erlangt der Mensch die Befreiung von der Anhänglichkeit an die Welt.
Im heutigen tibetanischen Buddhismus wird nicht mehr meditiert, sondern es werden Räucherstäbchen vor Buddhastatuen angezündet: Man erspart es sich, selbst den Heilsweg zu gehen, sondern bittet den Buddha darum, einem die entsprechenden Gnaden zukommen zu lassen.

Hier stellt sich nun die Frage:
Inwiefern ist auch im Christentum eine solche Wandlung vom Heilsweg zum Gnadenquell geschehen?
Und: Kann das funktionieren?

Zum Beispiel: Wenn ich nicht verzeihen kann, so ist das ein Gift in mir. Von diesem Gift werde ich gereinigt durch Verzeihen.
Kann ich diese Gnade der Reinigung auch erlangen, ohne verzeihen zu müssen?

Ein anderes Beispiel: Besitz kann mich versklaven. Von der Anhänglichkeit an den Besitz werde ich nach der Lehre Jesu frei, indem ich den Besitz veräußere und das Geld den Armen gebe. Kann ich von dieser Anhänglichkeit auch ohne tatsächlichen Verzicht (sondern aus Gnade) frei werden?

Ich habe hier bewusst Beispiele gewählt, die in gewisser Weise der Erfahrung zugänglich sind.
Die eigentlich entscheidende Frage in diesem Zusammenhang wäre ja: Werde ich aus Gnade oder durch Werke gerettet?
Über diese Frage kann man trefflich diskutieren, was auch ausgiebig geschehen ist, aber sie entzieht sich der Erfahrung.

Ich selbst neige immer mehr dazu (wie ja die Anlage dieses Postings nahe legt) den Glauben als Heilsweg zu begreifen,
allerdings eröffnet durch die zuvorkommende Liebe Gottes.

Gruß und Segen Samuel
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

Pilgerer
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Re: Heilsweg oder Gnadenquell?

Beitrag von Pilgerer »

Samuel hat geschrieben:Ich selbst neige immer mehr dazu (wie ja die Anlage dieses Postings nahe legt) den Glauben als Heilsweg zu begreifen,
allerdings eröffnet durch die zuvorkommende Liebe Gottes.
Im Christentum hängen meiner Ansicht nach Gnade und Heil zusammen: Aus Gnade lässt Gott uns an Jesus Christus teilhaben, und gleichzeitig ist diese Teilhabe das Heil der Seele. Lass Jesus Christus in deine Seele eintreten und sie erfüllen, dann hast du beides auf einmal. Er will dein innerer Bischof und Hirte sein, der dir die Reichtümer Gottes zusagt. Er kann sanft, gemäß der jeweiligen Persönlichkeit führen.
Diese einzigartige Bedeutung der Person Jesus Christus unterscheidet das Christentum markant von den anderen Religionen. Ohne ihn wäre das Christentum eine von vielen Religionen. Mit Ihm ist es die "Königin aller Religionen" und Erfüllung aller religiösen Sehnsüchte. Das entscheidende Heilselement ist die persönliche Bekanntschaft mit Gott durch Jesus Christus. Es gibt nichts Höheres als Gott, weder im Himmel noch auf der Erde.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Samuel
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Re: Heilsweg oder Gnadenquell?

Beitrag von Samuel »

Pilgerer hat geschrieben:Im Christentum hängen meiner Ansicht nach Gnade und Heil zusammen: Aus Gnade lässt Gott uns an Jesus Christus teilhaben, und gleichzeitig ist diese Teilhabe das Heil der Seele. Lass Jesus Christus in deine Seele eintreten und sie erfüllen, dann hast du beides auf einmal. Er will dein innerer Bischof und Hirte sein, der dir die Reichtümer Gottes zusagt. Er kann sanft, gemäß der jeweiligen Persönlichkeit führen.
Danke, Pilgerer, für dein schönes Posting. Ich kann dir nur zustimmen.
Wenn du dazu bereit bist, das mitzuteilen, würde es mich interessieren, wie du in deinem Leben die Führung Christi erfährst.

Um mal in Vorleistung zu gehen: Für mich geht es in die Richtung, mich mehr so anzunehmen, wie ich bin. (Das klingt abgedroschen, hat aber für mich tatsächlich große Bedeutung, da in mir tief verwurzelt das Gefühl ist/war, ich würde erst akzeptabel, wenn ich mich in diesem oder jenem Punkt ändern würde.)
Und dies hat - wenn ich darüber nachdenke - dann doch weniger mit Tun zu tun, als vielmehr mit sich beschenken lassen, aufmerksam werden, wahrnehmen, was da ist.

Gruß und Segen
Samuel
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Pilgerer
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Re: Heilsweg oder Gnadenquell?

Beitrag von Pilgerer »

Samuel hat geschrieben:Wenn du dazu bereit bist, das mitzuteilen, würde es mich interessieren, wie du in deinem Leben die Führung Christi erfährst.
Es kommt immer darauf an, inwieweit ich mich tatsächlich von ihm führen lasse. Ich bekenne, es nicht genügend zu tun, sei es aus Schwäche oder Kleinglauben. Dennoch sehe ich grundsätzlich den vor uns liegenden Weg, dass wir auf Jesus hören und uns dadurch verändern lassen. Er ist nicht auf die Bibel oder das Tabernakel beschränkt, sondern ist unser lebendiger Herr, der in uns leben will und hier als Hirte, Sämann und König auftreten will.
Wenn wir das Gleichnis vom Sämann nehmen und mit den übrigen Worten der Evangelien verknüpfen, dann ergibt sich das folgende Tatsache:
Jesus ist der Sämann. Er sät die Worte Gottes, d.h. Sich Selbst. Wenn wir ihn also hören (z.B. in der Lesung des Evangeliums), ihn lesen oder im Sakrament essen, dann empfangen wir die Samenkörner. In dem Moment, in dem wir das Wort Christi (und Gottes) in uns aufnehmen, wiederholt sich das Kreuz: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht." (Johannes 12,24). Golgatha ist in uns! Das Kreuz vergegenwärtigt sich immer dann, wenn wir das Wort Christi in uns aufnehmen und in unser Wesen aufgehen lassen. Jesus sagte zum Satan: "Der Mensch lebt .. von einem jeden Wort Gottes, das aus dem Munde Gottes ausgeht" (Matthäus 4,4). Wenn Jesus so Anteil an uns hat, dann brauchen wir das Gericht nicht fürchten. Denn wir haben als Seine Glieder Anteil an Jesu Stellung vor Gott, den Engeln und der ganzen Schöpfung.
Die Frage, die sich für uns stellt, ist: sind wir bereit Jesus in uns aufzunehmen und Teil unseres eigenen Wesens zu werden? Erlauben wir Ihm, eins mit uns zu werden? Oder wollen wir lieber unser eigenes Ego bewahren?

Es ist für die Christen entscheidend, Jesus in sich aufzunehmen. Erst dann wird die Wiedergeburt der Taufe spürbar, die uns zum "Volk Christi" macht und eine Linie zwischen uns und den Nichtchristen zieht. Als göttlicher Logos ist er die Wahrheit, das Leben und die Gerechtigkeit. Die Wahrheit enthält Gottes Vergebung. Sie gilt bedingungslos allen Menschen, und durch sie macht Gott sich jedem Menschen "zum Nächsten" wie der barmherzige Samariter. Sie gilt auch den Antichristen. Doch solange die Menschen die Wahrheit Gottes nicht aufnehmen, die in Jesus Christus erschienen ist, bleiben sie in der Lüge gefangen. Sie haben - im tiefsten Innern - Lust an der Zerstörung, an der der anderen wie der eigenen. Damit hängt logisch zusammen, dass sie zornig gegenüber sich selbst sind und sich aufgrund jeder Fehltat selbst verdammen. Sie leben daher in der Illusion vom Zorn Gottes. Darum gilt:
"Joh 3,36 Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm."
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Reinhard
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Re: Heilsweg oder Gnadenquell?

Beitrag von Reinhard »

Samuel hat geschrieben:Eine Frage, die mich derzeit beschäftigt:
Ist das Christentum Heilsweg oder Gnadenquell?
...
Die eigentlich entscheidende Frage in diesem Zusammenhang wäre ja: Werde ich aus Gnade oder durch Werke gerettet?
...
Nun bin ich kein Theologe, aber durch mein persönliches Thema "Innere Heilung" vor allem aus dieser Perspektive an diesem Thema dran.
(Gegen den Buddhismus habe ich so meine Vorbehalte. Vor allem in der Hinsicht, dass z.Z. auch in der Kirche ein gewisser relativistischer / holistischer / ... Trend en vogue ist !)

Um Deine beiden Beispiele aufzugreifen:
wenn ich meine Schuld beichte, ist sie vergeben, allein durch Gottes Gnade. (denn ich kann sie nicht mehr aus der Welt schaffen).
Die Folgen, oder Spuren der Sünde in meinem Leben (und ggf. im Leben anderer) sind aber noch da, und da bin ich erstmal verantwortlich, etwa dran zu tun, mit Gottes Hilfe. Hier wäre der Glaube eher "Heilsweg".

Allgemeiner: die Wirksamkeit des Glaubens in der unsichtbaren Welt ist eher Gnade, die Heiligung unseres Lebenswandels eher Heilsweg. Wobei das ja auch nicht scharf abzugrenzen ist, denn wenn wir für einen Verstorbenen beten oder einen Ablass für ihn erwirken, gehört das ja wieder zu "Heilsweg", und wenn Gott die Spuren der Sünde (eigen oder fremder) in meinem Leben durch ein besonderes Eingreifen heilt, dann ist das ganz bestimmt nicht mein Verdienst, sondern Seine Gnade.
Wichtig ist hier auch die klare Unterscheidung zwischen Schuld und Schuldgefühl, denn, auch wenn eine Schuld gebeichtet und vergeben ist, kann uns ein Schuldgefühl noch jahrelang nachlaufen. Das ist also ganz und gar nicht das selbe, aber beides soll durch Gottes Gnade (und Handeln) und unser Mittun heil werden.

Ähnlich bei dem Besitz: Das naheliegende ist die tatsächliche Armut, wie sie ja auch in den evangelischen Räten steht. Das wäre "Heilsweg", aber aus sich allein noch keine Erlösung. Erst durch die Gnade Gottes wirkt uns diese Armut zum Heil.
Umgekehrt ist die äußere Armut nicht einmal eine notwendige Vorbedingung: aus der durch Gnade geschenkten inneren Freiheit heraus kann dieser Schritt durchaus übergangen werden (cf. 1 Kor 7:29-31) und in dem Fall kehrt sich die Reihenfolge wieder um: zuerst die Gnade, und daraus der Heilsweg.

Ein entweder - oder scheint mir hier nicht möglich, es sei denn um den Preis der Verkürzung des Evangeliums.
Sehr wohl hüten müssen wir uns allerdings vor der Auffassung, wir könnten selbst unser Heil bewirken, durch unsere Leistung oder unseren Verdienst. Dazu brauchen wir zwingend die Gnade (cf. Eph 2:8f ) - nicht einmal den Glauben können wir uns selbst aneignen !

Hierin irren also der Zeitgeist, der Buddhismus und der real existierend Humanismus, mit ihrem impliziten "wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen". Ein Heilsweg ohne die Gnade Gottes artet in Selbsterlösung aus.

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