Frage zum Sündenbock

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
heiliger_raphael
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Frage zum Sündenbock

Beitrag von heiliger_raphael »

Guten Abend,

derzeit beschäftige ich mich etwas mit der Entwicklung des "Opfers" bzw. der Sündenvergebung vom Alten Testament bis hin zu Jesu Christus. Dabei bin ich auf den Sündenbock gestoßen, bzw. auf "beide Böcke".
Der eine wurde dem Herrn als Sündengabe dargebracht, und der andere, nachdem ihm die Sünden auferlegt wurden, zur Sühne in die Wüste gejagd.
Worin besteht nun genau der Unterschied und wieso wurde der eine Bock dem Herrn als Sündenopfer dargeboten, dem anderen aber die Sünden auferlegt? Hier ist mir der Unterschied nicht ganz verständlich.
Unklar ist mir auch etwas, hat aber mit dem Sündenbock nicht direkt was zu tun, warum heute das Sühneopfer in der modernen Liturgie/Theologie eigentlich gar keine Rolle mehr spielt, in Jesaja wird ja eindeutig von Sühneopfer gesprochen (und wenn ich Außenstehenden versuche den Kreuzestod Christi zu erklären wirkt für die nachvollziehbarer, dass Gott in seiner Liebe das Eine Sühneopfer für alle Menschen annahm als wenn ich vermitteln will, dass er aus Liebe seinen eigenen Sohn getötet hat).

Danke und einen schönen Abend
heiliger_raphael

Tinius
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Tinius »

Lies dich mal in diese schwierige Thematik ein:

http://www.reformiert-info.de/5159--56-7.html

Es lohnt sich.

Einer der Artikel ist dieser:

http://www.reformiert-info.de/5655--56-7.html

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overkott
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von overkott »

Das Opfer ( von lat. offerre = darbringen ) beginnt in der Bibel nach der Vertreibung aus dem Paradies mit Kain und Abel. Diese bringen ihr Dankopfer dar, geben also den ersten, makellosen Teil der Ernte Gott als Dank zurück. Das Opfer zur Erlösung von Schuld ( vgl. Lösegeld ) ist nicht nur eine Frage der Beziehung zu Gott, sondern auch der Bereinigung von zwischenmenschlicher Schuld durch eine Art Schadenersatz.

Jesus hat die säkularisierte, also veräußerlichte Opferpraxis seiner Zeit kritisiert. Damit steht er in prophetischer Tradition, die sich in den Psalmen und bei den Propheten zeigt. Jesus geht es ums Prinzip: um die Bekehrung des Herzens. Er stellt die zwischenmenschliche Versöhnung vor das Opfer. Dieses betont er auch im Vaterunser. Darüber hinaus findet sich eine vielschichtige Stelle zum Opfer bei der Frage nach dem Tod von Galiläern, deren Blut sich mit dem von Opfertieren vermischte.

Jesu Tod als Opfer zu interpretieren, entspricht vor allem der priesterlichen Tradition, nach der Jesus selbst als Hoher Priester und Opfer betrachtet wird. Diese Tradition reflektiert viele alttestamentliche Motive. Vor allem hat Jesus seinen Tod durch die Einsetzungsworte des Altarsakraments selbst zum Opfer erklärt. Paulus setzt im Korintherbrief diesen Gedanken fort. Opfer und Mahl gehören zusammen. Das entspricht auch der bisherigen religiösen Praxis der neuen Gläubigen aus dem hellenistischen Umfeld. Offenbar verzehrten diese tatsächlich Opferfleisch. Heute haben die meisten Menschen keine Erfahrung mit ähnlichen Kulten. Deshalb stören sie sich zuweilen an den Wandlungsworten. Dabei handelt es sich jedoch um ein geistliches Geschehen. Die kommunizierende Gemeinde vergegenwärtigt sich in der Eucharistie, dass sie Körperschaft Christi ist. So wie ein Brot aus vielen Körnern besteht und der Leib Christi viele Glieder hat, werden die vielen Gläubigen in der Kommunion mit Gott eins, so wie der Sohn mit dem Vater im Geist eins ist. Wer sich vor dem Opfer mit seinem Bruder versöhnt hat, wird durch das Opferlamm Gottes von Schuld gereinigt.

heiliger_raphael
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von heiliger_raphael »

Vielen Dank Euch beiden! :)

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

heiliger_raphael hat geschrieben:Unklar ist mir auch etwas, hat aber mit dem Sündenbock nicht direkt was zu tun, warum heute das Sühneopfer in der modernen Liturgie/Theologie eigentlich gar keine Rolle mehr spielt, in Jesaja wird ja eindeutig von Sühneopfer gesprochen
Dass das Sühneopfer in der heutigen Theologie keine Rolle spielt, kann man so nicht sagen.
Über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu wird von vielen katholischen und besonders
von evangelischen Theologen eher viel diskutiert und veröffentlicht:

http://www.explizit.net/Archiv/Der-Opfe ... retationen
http://www.youtube.com/playlist?list=PL33AA5D2DD9815143

Die vielfätigen Deutungen des Opfertodes Jesu werden oft unter dem Begriff der Stellvertretung zusammengefasst:
http://www.youtube.com/watch?v=yXPWEAo6qKY

Auf katolischer Seite hat sich besonders Hans Urs von Balthasar mit dieser Thematik beschäftigt:

"Will man die Unterscheidung der Geister auf die Frage anwenden, wer in der Kirche
sich zum unverkürzten Mysterium Jesu Christi bekennt und wer in einem Vorhof verbleibt
- so wird man auf den Quellpunkt der urchristlichen Christologie zurückgehen müssen,
der ohne Zweifel im Wörtchen "pro nobis" liegt, bezogen auf das Kreuz und erwiesen durch die Auferstehung...
Aber nicht erst Paulus, sondern schon die älteste Jerusalemer Reflexion
auf das Ärgernis des Kreuzes hat vom Gedanken der Stellvertretung her alles Licht empfangen:
Von diesem soteriologischen Platztausch her wird das eigentliche Wesen Jesu erhellt
und von ihm her das wahre Bild des trinitarischen Gottes.
Das Leiden Jesu Christi ist nicht nur ein Symbol, an dem man den immer schon vorhandenen,
bisher aber nicht klar hervortretenden Versöhnungsgswillen Gottes ablesen kann,
sondern der Akt dieser Versöhnung selbst.."
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

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overkott
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von overkott »

Peti hat geschrieben:
heiliger_raphael hat geschrieben:Unklar ist mir auch etwas, hat aber mit dem Sündenbock nicht direkt was zu tun, warum heute das Sühneopfer in der modernen Liturgie/Theologie eigentlich gar keine Rolle mehr spielt, in Jesaja wird ja eindeutig von Sühneopfer gesprochen
Dass das Sühneopfer in der heutigen Theologie keine Rolle spielt, kann man so nicht sagen.
Über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu wird von vielen katholischen und besonders
von evangelischen Theologen eher viel diskutiert und veröffentlicht:

http://www.explizit.net/Archiv/Der-Opfe ... retationen
http://www.youtube.com/playlist?list=PL33AA5D2DD9815143

Die vielfätigen Deutungen des Opfertodes Jesu werden oft unter dem Begriff der Stellvertretung zusammengefasst:
http://www.youtube.com/watch?v=yXPWEAo6qKY

Auf katolischer Seite hat sich besonders Hans Urs von Balthasar mit dieser Thematik beschäftigt:

"Will man die Unterscheidung der Geister auf die Frage anwenden, wer in der Kirche
sich zum unverkürzten Mysterium Jesu Christi bekennt und wer in einem Vorhof verbleibt
- so wird man auf den Quellpunkt der urchristlichen Christologie zurückgehen müssen,
der ohne Zweifel im Wörtchen "pro nobis" liegt, bezogen auf das Kreuz und erwiesen durch die Auferstehung...
Aber nicht erst Paulus, sondern schon die älteste Jerusalemer Reflexion
auf das Ärgernis des Kreuzes hat vom Gedanken der Stellvertretung her alles Licht empfangen:
Von diesem soteriologischen Platztausch her wird das eigentliche Wesen Jesu erhellt
und von ihm her das wahre Bild des trinitarischen Gottes.
Das Leiden Jesu Christi ist nicht nur ein Symbol, an dem man den immer schon vorhandenen,
bisher aber nicht klar hervortretenden Versöhnungsgswillen Gottes ablesen kann,
sondern der Akt dieser Versöhnung selbst.."
Gerade dieses Zitat von B. erklärt nicht, sondern behauptet: Wer nicht so denkt wie ich, glaubt das Sakrament verkürzt.

Soweit Theologie nicht nur die Fortsetzung des unbelegten Behauptens mit Fremdworten bedeutet, sondern geisteswissenschaftlich verständlich machen will, ist das Zitat unzureichend.

heiliger_raphael
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von heiliger_raphael »

Peti hat geschrieben: Dass das Sühneopfer in der heutigen Theologie keine Rolle spielt, kann man so nicht sagen.
In der Liturgie nach dem Konzil ist es natürlich auch noch vorhanden, die Betonung des Opfercharakters hängt aber sehr vom zelebrierenden Priester ab. Der eine betont das Opfer, der andere betont eher den Charakter einer Gedächtnisfeier, gemeinsames Abendmahl.
Beide Priester vollziehen trotzdem das Opfer. Insofern ist es natürlich vorhanden, es wird nur unterschiedlich "verkauft".

Mir sind die damit in Verbindung stehenden Argumentationslinien teilweise verständlich. Einerseits verstehe ich eine Argumentation, die ich auch bei Youtube fand (bin mir gerade nicht sicher, ob es in einem der o.g. Videos war), dass ein Opfer fordernder Gott, der immer und immer wieder das Opfer als Sühne fordere, nicht das Bild des liebenden Gottes ist. Und dieses eine Sühneopfer vor 2 Jahren vollzogen wurde und Vergebung heute in der Beichte passiere. Möglicherweise kann ich über diesen Gedanken auch die starke Ausprägung der Gedächtnisfeier bei den Protestanten verstehen, die nun auch schrittweise in die Kirche immer mehr Verbreitung findet.

Andererseits wirkt dieses Ansatz sehr nach "Wir basteln uns ein Gottesbild". "Weil es für uns rational nicht greifbar ist, schaffen wir es ab." Die Argumentation täuscht auch an, dass die Theodizee-Frage geklärt ware, die Frage, inwieweit die Liebe Gottes mit dem Leiden - auch mit dem Leiden Christi - in Einklang zu bringen ist. Wir klammern das Leiden und das Opfer aus, weil es nicht zu unserer Vorstellung von Gott passt, halte ich für einen Schritt in die falsche Richtung.

Da Christus nach der Wandlung in Brot und Wein wirklich ist, vollzieht sich, unabhängig einer Betonung eines Gedächtnisses, objektiv ein Opfer des Priesters (als Jesu Christi) seiner selbst. Vielleicht ist den Menschen generell eher unangenehm, auf die Schattenseite der LIebe zu blicken, ein stetiges Aufopfern kennen die meisten "Liebesbeziehungen" heutzutage nicht mehr, weil jede Last, die anfällt, nicht als Herausforderung, sondern als Trennungsgrund zugunsten der nächsten Liebesbeziehung gesehen wird. Dieses "Ich (er)trage Deine Schwächen und Fehler (mit)", das kennen Menschen, die jahrelang in Beziehung oder Ehe sind.

Die Frage scheint mir theologisch ziemlich komplex zu sein. Vielleicht frage ich an dieser Stelle auch mal, wieso in der katholischen Messe jeden Tag ein Opfer vollzogen wird. Der Sühnetheologie folgend ist es für mich insofern nachvollziehbar: die tagtäglichen Schwächen, Fehler und Grenzüberschreitungen der Menschen, das sich Versündigen am Nächsten, töten Christus jeden Tag auf's Neue. Und lassen sich den Priester in persona Christi jeden Tag hingeben, für unsere Sünden. Ein tägliches Versöhnungsopfer. Wenn es sich zu sehr auf das Abendmahl verlagert, wozu wird dann noch ein Opfer gefeiert? Wäre es dann nicht fast logisch, nur noch ein Abendmahl zu feiern, ohne Wandlung, als Gedächtnis, so wie es die Protestanten tun?

Wenn die Gedanken etwas zu ausschweifend sind, bitte ich das zu entschuldigen, aber ich versuche das historisch und theologisch für mich zu greifen.

Falls noch jemand mitliest, den ähnliche Fragen, wie mich beschäftigen, der Artikel ist auch interessant http://www.kath.de/lexikon/philosophie_ ... enbock.php

heiliger_raphael

Ralf

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Ralf »

Zur Theologie des Sündenbocks empfehle ich René Girard.

Als Zusammenschau von von Balthasar und Girard kann das Werk von Raymund Schwager gelten.

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

overkott hat geschrieben:
Peti hat geschrieben: "Will man die Unterscheidung der Geister auf die Frage anwenden, wer in der Kirche
sich zum unverkürzten Mysterium Jesu Christi bekennt und wer in einem Vorhof verbleibt
- so wird man auf den Quellpunkt der urchristlichen Christologie zurückgehen müssen,
der ohne Zweifel im Wörtchen "pro nobis" liegt, bezogen auf das Kreuz und erwiesen durch die Auferstehung...
Aber nicht erst Paulus, sondern schon die älteste Jerusalemer Reflexion
auf das Ärgernis des Kreuzes hat vom Gedanken der Stellvertretung her alles Licht empfangen:
Von diesem soteriologischen Platztausch her wird das eigentliche Wesen Jesu erhellt
und von ihm her das wahre Bild des trinitarischen Gottes.
Das Leiden Jesu Christi ist nicht nur ein Symbol, an dem man den immer schon vorhandenen,
bisher aber nicht klar hervortretenden Versöhnungsgswillen Gottes ablesen kann,
sondern der Akt dieser Versöhnung selbst.."
Gerade dieses Zitat von B. erklärt nicht, sondern behauptet: Wer nicht so denkt wie ich, glaubt das Sakrament verkürzt.
Soweit Theologie nicht nur die Fortsetzung des unbelegten Behauptens mit Fremdworten bedeutet, sondern geisteswissenschaftlich verständlich machen will, ist das Zitat unzureichend.

Das Zitat allein ist natürlich unzureichend. Aber gerade von Balthasar hat in seinem umfangreichen Gesammtwerk versucht,
sich geisteswissenschaftlich vertändlich zu machen.
Man kann ihn als einen der wichtigsten Theologen des letzten Jahrhunderts
und auch als Inspirator der Theologie Joseph Ratzingers bezeichnen.
Sowohl bei Ratzinger als auch bei v. B. hat der Begriff der Stellvertretung eine überragende Bedeutung.
V.B. hatte bereits sein germanistisch-philosophisches Studium als Doktor der Philosophie abgeschlossen,
als er Jesuit wurde. Und die gesammte dramatische Literatur von der griechischenTragödie bis zur
Gegenwart verarbeitet er in seinen theologischen Hauptwerken. Ein zweiter wichtiger Zugang ist für v.B. die
Erfahrung der Heiligen.
Von diesen beiden Bereichen her erarbeitet v.B. einen Zugang zum Gedanken der Sühne von Schuld und des stellvertretenden Leidens.
Und so zum stellvertrendenden Leben und Sterben des Gottessohnes.
http://www.balthasar-stiftung.org/image ... 767.pdf
http://www.katholisch.de/de/katholisch/ ... thasar.php
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

heiliger_raphael
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von heiliger_raphael »

Ralf hat geschrieben:Zur Theologie des Sündenbocks empfehle ich René Girard.

Als Zusammenschau von von Balthasar und Girard kann das Werk von Raymund Schwager gelten.
Besten Dank dafür. Die entsprechenden Bücher habe ich mal auf meine langfristige To-Read-Liste gesetzt.

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overkott
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von overkott »

Peti hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Peti hat geschrieben: "Will man die Unterscheidung der Geister auf die Frage anwenden, wer in der Kirche
sich zum unverkürzten Mysterium Jesu Christi bekennt und wer in einem Vorhof verbleibt
- so wird man auf den Quellpunkt der urchristlichen Christologie zurückgehen müssen,
der ohne Zweifel im Wörtchen "pro nobis" liegt, bezogen auf das Kreuz und erwiesen durch die Auferstehung...
Aber nicht erst Paulus, sondern schon die älteste Jerusalemer Reflexion
auf das Ärgernis des Kreuzes hat vom Gedanken der Stellvertretung her alles Licht empfangen:
Von diesem soteriologischen Platztausch her wird das eigentliche Wesen Jesu erhellt
und von ihm her das wahre Bild des trinitarischen Gottes.
Das Leiden Jesu Christi ist nicht nur ein Symbol, an dem man den immer schon vorhandenen,
bisher aber nicht klar hervortretenden Versöhnungsgswillen Gottes ablesen kann,
sondern der Akt dieser Versöhnung selbst.."
Gerade dieses Zitat von B. erklärt nicht, sondern behauptet: Wer nicht so denkt wie ich, glaubt das Sakrament verkürzt.
Soweit Theologie nicht nur die Fortsetzung des unbelegten Behauptens mit Fremdworten bedeutet, sondern geisteswissenschaftlich verständlich machen will, ist das Zitat unzureichend.

Das Zitat allein ist natürlich unzureichend. Aber gerade von Balthasar hat in seinem umfangreichen Gesammtwerk versucht,
sich geisteswissenschaftlich vertändlich zu machen.
Man kann ihn als einen der wichtigsten Theologen des letzten Jahrhunderts
und auch als Inspirator der Theologie Joseph Ratzingers bezeichnen.
Sowohl bei Ratzinger als auch bei v. B. hat der Begriff der Stellvertretung eine überragende Bedeutung.
V.B. hatte bereits sein germanistisch-philosophisches Studium als Doktor der Philosophie abgeschlossen,
als er Jesuit wurde. Und die gesammte dramatische Literatur von der griechischenTragödie bis zur
Gegenwart verarbeitet er in seinen theologischen Hauptwerken. Ein zweiter wichtiger Zugang ist für v.B. die
Erfahrung der Heiligen.
Von diesen beiden Bereichen her erarbeitet v.B. einen Zugang zum Gedanken der Sühne von Schuld und des stellvertretenden Leidens.
Und so zum stellvertrendenden Leben und Sterben des Gottessohnes.
http://www.balthasar-stiftung.org/image ... 767.pdf
http://www.katholisch.de/de/katholisch/ ... thasar.php
Wissenschaftlich wäre ein Vergleich Bonaventura und Balthasar - Kontinuität und Wandel der Tradition weisheitlicher Theologie ein wichtiges Thema: Gottes offenbartes Wort im Drama der Schöpfungsgeschichte.

Der Christ als Stellvertreter oder als representative, wie gestern eine Amerikanerin formulierte, ist dabei von hervorragender Bedeutung.

Raphael

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Raphael »

Ralf hat geschrieben:Zur Theologie des Sündenbocks empfehle ich René Girard.
:daumen-rauf:

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

Kritik an Girard übt Karl Heinz Menke (wie z. B. auch Hans Urs von Balthasar) in seinem Aufsatz:
"Musste einer für alle sterben?":

"Die analytische Kraft Girards ist bewundernswert. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass sich um den verstorbenen Theologen
Raymund Schwager in Innsbruck eine ganze Schule gebildet hat,
die Girards Phänomenologie theologisch rezeptiert.
Ohne die Leistungen dieser Schule bestreiten zu wollen, zähle ich mich selbst zu den Kritikern dieses Versuchs."

Aus "Für uns gestorben: Sühne - Opfer - Stellvertretung". In:
http://www.amazon.de/F%C3%BCr-uns-gesto ... 3788724366

Als Stärken Girards nennt Menke die Erklährung der Einzigartigkeit Christi
und der universalen Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen.
Kritisch sieht Menke, dass Girard die Einzigartigkeit Christi vor allem in der "Demaskierung
eines universalen Verhängnisses sieht, und seine "Naturalisierung der Sünde".
Das "pro nobis" bekommt so den Sinn des Bahnbrechens und des Vorbilds.

Mehr dazu auch in Menkes Christus Buch: "Jesus ist Gott der Sohn".
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

Ralf

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Ralf »

Peti hat geschrieben:Kritik an Girard übt Karl Heinz Menke (wie z. B. auch Hans Urs von Balthasar) in seinem Aufsatz:
"Musste einer für alle sterben?":

"Die analytische Kraft Girards ist bewundernswert. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass sich um den verstorbenen Theologen
Raymund Schwager in Innsbruck eine ganze Schule gebildet hat,
die Girards Phänomenologie theologisch rezeptiert.
Ohne die Leistungen dieser Schule bestreiten zu wollen, zähle ich mich selbst zu den Kritikern dieses Versuchs."

Aus "Für uns gestorben: Sühne - Opfer - Stellvertretung". In:
http://www.amazon.de/F%C3%BCr-uns-gesto ... 3788724366

Als Stärken Girards nennt Menke die Erklährung der Einzigartigkeit Christi
und der universalen Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen.
Kritisch sieht Menke, dass Girard die Einzigartigkeit Christi vor allem in der "Demaskierung
eines universalen Verhängnisses sieht, und seine "Naturalisierung der Sünde".
Das "pro nobis" bekommt so den Sinn des Bahnbrechens und des Vorbilds.

Mehr dazu auch in Menkes Christus Buch: "Jesus ist Gott der Sohn".
Hm. Das Buch von Menke steht bei mir im Regal gelesen habe ich es schon und fand es super, aber auch anspruchsvoll (ist schon ein paar Jährchen her). Da ich aber sehr viel von Karl-Heinz Menke halte, eigentlich sind alle seine Werke zu empfehlen, werde ich mir diese Kritik noch einmal genauer ansehen (wo steht das denn in dem umfangreichen Buch genau?)

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

Schau einfach im Personenregister unter Girard nach.
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

Ralf

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Ralf »

Merci.

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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

Ich halte Menkes Kritik für berechtigt.
Er ist ein sehr stark von Hans Urs von Balthasar geprägter Theologe.
In seiner Habilitationsschrift "Stellvertretung" übernimmt er v.B.s Stellvertretungsbegriff.
In "Kennt uns Jesu-kennen wir ihn" gibt von Balthasar eine kurze Definition
der Stellvertretung Jesu Christi (in seiner "Theodranatik" entwickelt er das auf hunderten von Seiten):
"Das Durchleiden dessen, was der Anteil des Sünders gewesen wäre."
Diese Dimension fällt bei Girard und Schwager weg.
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

Raphael

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Raphael »

Peti hat geschrieben:Ich halte Menkes Kritik für berechtigt.
Er ist ein sehr stark von Hans Urs von Balthasar geprägter Theologe.
In seiner Habilitationsschrift "Stellvertretung" übernimmt er v.B.s Stellvertretungsbegriff.
In "Kennt uns Jesu-kennen wir ihn" gibt von Balthasar eine kurze Definition
der Stellvertretung Jesu Christi (in seiner "Theodranatik" entwickelt er das auf hunderten von Seiten):
"Das Durchleiden dessen, was der Anteil des Sünders gewesen wäre."
Diese Dimension fällt bei Girard und Schwager weg.
Letzteres ist eine steile und noch dazu unbegründete These .............

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

Stimmt, das ist in dieser Kürze zu“steil“.
Da müßte man zwischen Girard und Schwager genauer unterscheiden,
und auch zwischen Schuldübertragung und Schuldübernahme.
Vielen Christen ist heute der Zugang zum Begriff des Opfers erschwert.
Hier ist natürlich Girard sehr hilfreich.
Neben den berechtigten Würdigungen gibt es schon ernstzunehmende Kritik an Girard:
Von Balthasar stellt ihn in ein Reihe von soteriologischen Entwürfen, die die Bedeutung des Kreuzes unterbieten:
Entsühnung der Welt von ihrer Sünde geschieht nach ihm nicht dadurch, dass die Menschen ihre Sünden
auf den Sündenbock Jesus werfen, dieser sie annimmt und auf sich sitzen lässt, sondern im
„Tragen der Weltsünde durch Jesus“
Nach Menke anerkennt von Balthasar in Bezug auf die Girard-Rezeption von Schwager
einige Korrekturen, hält aber den Kern seiner Girard-Kritik auch ihm gegenüber aufrecht.

Auch Spaemann nennt z.B. die Opfertheorie Girards die heute wohl wichtigste,
wenn auch keineswegs befriedigende Theorie.
http://www.kath-info.de/opfer.html

Auf einen anderen Autor hat Niels schon mal hingewiesen:
Niels hat geschrieben: Angenendt, Arnold: Die Revolution des geistigen Opfers.
Habe gerade eine Rezension gefunden: http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/b ... 5644.html
Sein Ergebnis: Girards Theorie und die seiner Anhänger stehe auf tönernen Füssen, das Wesen und die bleibende Bedeutung des «geistigen Opfers» als Gabe seien darin verkannt.
Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
Johannes Maria Vianney

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Peti
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Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von Peti »

Was für ein Glück für uns, dass wir wissen können, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist.
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TillSchilling

Re: Frage zum Sündenbock

Beitrag von TillSchilling »

Zu diesem Thema möchte ich das Buch "The apostolic preaching of the cross" von Leon Morris empfehlen, siehe http://www.amazon.de/Apostolic-Preachin ... 147146181.

Es ist halt auf Englisch und ein wenig Griechisch sollte man auch können, aber es lohnt sich. Der Titel ist etwas irreführend, denn das Buch ist eigentlich "nur" eine Wortstudie zu biblischen Begriffen. Das ist aber auch genug.

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