Frage an Robert: Was ist daran häretisch ?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Angelika
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Frage an Robert: Was ist daran häretisch ?

Beitrag von Angelika »

Lesung von heute:

Brief des Apostel Paulus an die Philipper 2,6-11.

Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters.

Robert in einem anderen Thread hat geschrieben:Diese Übersetzung des Philipperhymnus ist inhaltlich häretisch.
Was konkret ist daran häretisch und wie lautet denn die - deiner Meinung nach - korrekte Übersetzung ?

Gruß
Angelika

Peter
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Beitrag von Peter »

Möglicherweise meint Robert bereits den ersten Halbvers. Im Griechischen steht da anstelle von «Gott gleich» «in der Form (‹morphe›) Gottes». Dazu die Interlinearübersetzung: Er war in der «Gestalt Gottes», die Vulgata: «qui cum in forma dei esset».

Robert könnte, so glaube ich, gemeint haben, daß die Einheitsübersetzung, wie so oft, die Textbedeutung etwas glattbügelt. Gott gleich kann man in der Weise einer Identifikation sein, einer großen Ähnlichkeit. In der Form, Gestalt Gottes sein meint die wahre und untrennbare Identität Jesu Christi mit Gott.

(Transliteration (Darstellung in lateinischen Buchstaben) des griech. Begriffs nach «www.searchgodsword.org», Übersetzung auch dort und Interlinearübersetzung.)

Peter
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Beitrag von Peter »

Und wenn man das in der EÜ-Version auf sich wirken läßt. Er war Gott gleich – (ach ja, er hatte also ein gleiches Ansehen wie Gott!) – hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein – (Mindestens müßte man sich hier fragen: Ja watt denn nu? Stimmt doch eigentlich auch nicht ...).

Die alte Herder-Übersetzung, die ich noch in der Ausgabe der Jerusalemer Bibel mein eigen nenne, schreibt, er war in «Gottesgestalt» – also identisch mit dem, was die Natur Gottes ausmacht. (Da ist es allerdings noch besser und vermutlich dogmatisch wasserdichter umschrieben.) Und dann macht es ja auch Sinn, wenn Er sein Gottgleichsein (sprich, das Ansehen, das Ihm aus der Gottesgestalt erwächst) nicht als Raub ansieht.

Sodele, genug dilettiert. Heute mal früh in die Heia. (Naja, um elf ...)

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Das ganze beruht auf der sprachlichen Schlamperei mit "gleich" und "dasselbe" - man meint, diese Übersetzer der EÜ könnten kein klares Deutsch.
Wenn ich dasselbe Buch lese, lese ich eben nicht das gleiche Buch - und wenn Jesus Gott ist, ist er derselbe und nicht der gleiche Gott. An sich ganz einfach ... sollte man meinen... :roll:
:roll:

Geronimo

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Geronimo hat geschrieben:Das ganze beruht auf der sprachlichen Schlamperei mit "gleich" und "dasselbe" - man meint, diese Übersetzer der EÜ könnten kein klares Deutsch.
Wenn ich dasselbe Buch lese, lese ich eben nicht das gleiche Buch - und wenn Jesus Gott ist, ist er derselbe und nicht der gleiche Gott. An sich ganz einfach ... sollte man meinen... :roll:
:roll:
Paulus verwendet den Terminus "Gott" (fast) ausschließlich für "Gott-Vater", so gut wie nie für Christus, nie für den Hl. Geist, obwohl er an der göttlichen Würde Christi und des Geistes nicht zweifelt, sondern sie anders ausdrückt.
Insofern kann die EÜ sagen, dass Christus Gott (dem Vater) gleich ist. In Phil 2, 6 ist auch im Urtext wörtlich von einem "Gott gleich sein" (einai isa theo) die Rede.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Angelika, meine Übersetzung habe ich vor Jahren mal angefertigt, weil ich – ehrlich gesagt – in der Kirche, immer wenn diese Lesung dran ist, in die Kirchenbank beißen möchte. Die Übersetzung bringt mich von dem großartigen und wichtigen Wort jedesmal vollständig weg. – In stelle mal die ersten elf Verse des zweiten Kapitels in meiner Fassung und der offiziellen einander gegenüber, dazu – für die „Griechen“ hier – auch noch den Originaltext:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:2,1 Wenn es nun eine Tröstung gibt in Christus, wenn es einen Zuspruch der Liebe gibt, wenn es eine Gemeinschaft des Geistes gibt, wenn es ein Herz gibt und Erbarmen:
2,2 Macht meine Freude dadurch voll, daß ihr dasselbe sinnet, dieselbe Liebe habet und einmütig nach dem einen trachtet,
2,3 ohne Rechthaberei und eitle Ruhmsucht, sondern indem ihr in Demut einander höher achtet als euch selbst
2,4 und ein jeder nicht auf das Seine schaut, sondern gerade auf das der andern.
2,5 Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus ist.
2,6 Dieser, der da in Gottesgestalt war, hielt sein Gott gleich Sein nicht für einen Raub;
2,7 dennoch entäußerte er sich seiner selbst, nahm Knechtsgestalt an und ward zum Ebenbild der Menschen und an seinem Äußern erfunden als ein Mensch.
2,8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
2,9 Darum auch hat Gott ihn über alles Maß erhöht und ihm den Namen gegeben, der über allem Namen ist,
2,10 auf daß im Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen, der Irdischen und der Unterirdischen
2,11 und jede Zunge bekenne, daß der Herr Jesus Christus in der Herrlichkeit Gottes des Vaters ist.
Die Einheitsübersetzung hat geschrieben:2,1 Wenn es also Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen,
2,2 dann macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig,
2,3 daß ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.
2,4 Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.
2,5 Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
2,6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
2,7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen;
2,8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
2,9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
2,10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
2,11 und jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters.
Παυλος αποστολος hat geschrieben:2,1 Εἴ τις οὖν παράκλησις ἐν Χριστῷ, εἴ τι παραμύϑιον ἀγάπης, εἴ τις κοινωνία πνεύματος, εἴ τις σπλάγχνα καὶ οἰκτιρμοί,
2,2 πληρώσατέ μου τὴν χαρὰν ἵνα τὸ αὐτὸ ϕρονῆτε, τὴν αὐτὴν ἀγάπην ἔχοντες, σύμψυχοι τὸ ἓν ϕρονοῦντες,
2,3 μηδὲν κατ' ἐριϑείαν μηδὲ κατὰ κενοδοξίαν, ἀλλὰ τῇ ταπεινοϕροσύνῃ ἀλλήλους ἡγούμενοι ὑπερέχοντας ἑαυτῶν,
2,4 μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες, ἀλλὰ καὶ τὰ ἑτέρων ἕκαστοι.
2,5 τοῦτο ϕρονεῖτε ἐν ὑμῖν ὃ καὶ ἐν Χριστῷ ᾽Ιησοῦ,
2,6 ὃς ἐν μορϕῇ ϑεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα ϑεῷ,
2,7 ἀλλὰ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορϕὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι ἀνϑρώπων γενόμενος· καὶ σχήματι εὑρεϑεὶς ὡς ἄνϑρωπος
2,8 ἐταπείνωσεν ἑαυτὸν γενόμενος ὑπήκοος μέχρι ϑανάτου, ϑανάτου δὲ σταυροῦ.
2,9 διὸ καὶ ὁ ϑεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν καὶ ἐχαρίσατο αὐτῷ τὸ ὄνομα τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα,
2,10 ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι ᾽Ιησοῦ πᾶν γόνυ κάμψῃ ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχϑονίων,
2,11 καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσεται ὅτι κύριος ᾽Ιησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν ϑεοῦ πατρός.
Leicht erkennt man beim Vergleich die üblichen Abschwächungen und „Veruneigentlichungen“ der Einheitsübersetzung, wie beispielshalber: »Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen«, statt: »… indem … ein jeder nicht auf das Seine schaut, sondern gerade auf das der andern«; oder: »… daß ihr … einander in Liebe verbunden ‹seid›« statt: »… daß ihr … dieselbe Liebe habet«.

Aber solches ist normal in der Einheitsübersetzung, das ist nicht der besondere Anstoß an dieser Stelle. Das ist vielmehr der Vers 6. Die Einheitsübersetzung übersetzt hier nicht – unbestritten –, sondern sie interpretiert. Als Begründung wird üblicherweise angeführt, es handele sich um eine griechische Redensart, der »Raub« (ἁρπαγμὸν) evoziere die Vorstellung von einer Sache, die man eifersüchtig festhalte.

Nun hat mir noch keiner einen Beleg für diese angebliche Redensart bringen können, und bei Paulus wird man überdies die Kenntnis solcher griechischen Redensarten eher nicht vermuten dürfen. Der Durchschnittsmensch verbindet mit dem Begriff des Raubes aber auch keineswegs eifersüchtiges Festhalten eines Besitzes, wie auch der normale Feld-, Wald- und Wiesenräuber nicht auf seiner Sore huckt, sondern sie auf dem schnellsten Weg zum Hehler bringt. Man verbindet mit dem Begriff des Raubes vielmehr das Unrechtmäßige. Wenn also Interpretation statt Übersetzung, dann müßte man sagen: »… hielt sein Gott gleich Sein nicht für etwas unrechtmäßig Angeeignetes«.

Als Folge der Fehlinterpretation wird auch das einleitende ἀλλὰ des nächsten Verses fälschlich mit „sondern“ wiedergegeben. Dazu muß man sagen, daß das deutsche „sondern“ eine sehr spezifische Bedeutung hat: Es leitet nämlich die positive Aussage ein, die anstelle der im Vorsatz negierten Aussage gilt, wie z. B.: „nicht ich, sondern du“. Das eine wird an die Stelle des andern gesetzt, „ich“ und „du“ korrespondieren miteinander.

Anders dagegen „aber“, das allgemein zwei irgendwie einander entgegengesetzte Aussagen verbindet, die nicht unmittelbar als strikte Alternative korrspondieren und von denen die erste zwar negativ sein kann, aber nicht muß (wie dieser Satz selber zeigt: »aber nicht muß« – da ist sogar der zweite Teil negiert, der mit „aber“ eingeleitet wird). Die meisten andern Sprachen kennen diese Unterscheidung zwischen „sondern“ und „aber“ nicht, so auch nicht das Griechische. Hier kommt es auf den Kontext an.

Die Einheitsübersetzung baut nun durch ihre Interpretation einen solchen Gegensatz zweier korrespondierender Aussagen auf, von denen die erste – das „Festhalten“ – negiert und durch die zweite – die „Entäußerung“ – ersetzt wird. In Wahrheit aber stellt Paulus die beiden Aussagen zwar einander gegenüber, jedoch nicht alternativ: Beides gilt, trotz des Gegensatzes. Jesus hält seine Gottheit ‹zwar› nicht für einen Raub (und hält natürlich an ihr fest), aber er entäußert sich ‹dennoch›.

Entschuldige die langatmige philologische Ausführung. Es fehlt noch die Antwort auf die Kernfrage: Mag die Übersetzung noch so falsch sein, weshalb ist sie häretisch? – Weil Gott Sohn seine Gottheit tatsächlich nicht aufgegeben hat. Er ist Gott, auch in der Knechtsgestalt. Gott und Mensch, wahr das eine wie das andere. Die Einheitsübersetzung von Phil 2,6 löst den Glauben an die hypostatische Union auf.

(Neben dieser Stelle ärgere ich mich am meisten über den Vers 11, aber dazu müßte ich noch etwas weiter ausholen. Das lass’ ich mal lieber.)
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Nachtrag: Roncallis Einwand gegen Peters erste Vermutung ist berechtigt. Die Übersetzung des ersten Halbsatzes von Phil 2,6 ist zwar lausig, aber nicht wirklich als häretisch einzuordnen. Allerdings bist du, Peter, dann sehr zu Recht über den zweiten Halbsatz gestolpert.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Ich verstehe die EÜ so: Christus "hielt nicht daran fest, wie Gott (der Vater) zu sein"!
Er hat sich erniedrigt, ist Mensch und Sklave geworden, Gott-Vater nicht. Dieses freiwillige Nicht-wie-der-Vater-Sein ist seine Erniedrigung und als Erniedrigter kann er auch sagen: "Der Vater ist größer als ich!" (Joh 14,28 )

Mir hat die EÜ von Phil 2 auch nie gefallen. Aber in diesem Thread geht es um die Frage der Häresie. Und da muss ich sagen:
Häretisch ist die EÜ von Philipper 2 nicht!

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Angelika
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Beitrag von Angelika »

Hallo,

danke für die Antworten. :)

Ich verstehe diese Passage in der EÜ genau wie Roncalli: Christus hielt nicht daran fest, wie Gott-Vater zu sein, sondern er hat sich durch seine Menschwerdung und seinen Tod am Kreuz erniedrigt.

Ich bin bisher gar nicht auf die Idee gekommen, dass es anders gemeint sein könnte. :kratz:

Die EÜ mag bei dieser Passage nicht so gelungen sein, aber Häresie ist doch ein zu starker Vorwurf.

Gruß
Angelika

Peter
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Beitrag von Peter »

roncalli hat geschrieben:Paulus verwendet den Terminus "Gott" (fast) ausschließlich für "Gott-Vater", so gut wie nie für Christus, nie für den Hl. Geist, obwohl er an der göttlichen Würde Christi und des Geistes nicht zweifelt, sondern sie anders ausdrückt.
Insofern kann die EÜ sagen, dass Christus Gott (dem Vater) gleich ist. In Phil 2, 6 ist auch im Urtext wörtlich von einem "Gott gleich sein" (einai isa theo) die Rede.
Liebe Angelika, lieber Angelo Giuseppe, lieber Robert,

dennoch scheinen mir die beiden Begriffe, die einerseits durch «in Gestalt Gottes sein» und andererseits durch «Gott gleich sein» (einai isa theo) etwas Unterschiedliches zu meinen. In der Übersetzung «Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein» kommt mir die Differenz etwas zu kurz. Und tatsächlich verband sich beim Lesen der EÜ (fatal übrigens, daß sich diese Variante durch das häufige Hören in Wortgottesdienst und Stundengebet dem Gedächtnis «by heart» einprägt) bei mir die Vorstellung, als sei der ewige Sohn Gottes durch die Menschwerdung reiner Mensch geworden, die göttliche Natur hinter sich lassend.

Recht verstanden: das ist die Vorstellung, beziehungsweise die bildliche Verbindung, die ich beim Hören dieser Stelle habe – nicht die dogmatische Überzeugung. Aber es bleibt halt etwas hängen.

Ich bin dir, Angelika, dankbar, daß du die Frage gestellt hast, und dir, Robert, für deine philologischen Darlegungen. Ob die EÜ-Übersetzung in einer Weise «häretisch ist», daß es gewissermaßen aktenkundig werden muß, ist für mich ein zweitrangiges Problem. Es scheint mir – zwar verstehe ich kein Griechisch, gerade eben noch ein paar Häppchen Latein – doch konsensfähig zu sein, daß die Einheitsübersetzung schwere Defizite aufweist und daß ihre Tendenz eher zur Nivelllierung «schwieriger» Texte als zu deren Überpräzisierung geht. Die Grenze zum Häretischen ist da doch oftmals fließend.

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mr94
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Beitrag von mr94 »

Weiß jemand Näheres über die im letzten Jahr beschlossene Revision der Einheitsübersetzung?

Seit rund 25 Jahren gibt es die deutsche Einheitsübersetzung der Bibel. Wir [die Herbstvollversammlung der DBK] haben jetzt eine Überarbeitung beschlossen, bei der Fehler korrigiert und einige sprachliche Formulierungen überdacht werden sollen. Die Revision übernehmen ausgewiesene Bibelwissenschaftler. Die Psalmen und das Neue Testament werden in bewährter ökumenischer Zusammenarbeit von evangelischen und katholischen Experten überarbeitet. Für den Bereich des Alten Testaments (abgesehen von den Psalmen) werden katholische Fachleute benannt. Bei der Überarbeitung gelten die "Normen für die Übersetzung der Heiligen Schrift und für die Erstellung der Lektionare" (Liturgiam authenticam 34-45).

Herausgeber sind die Deutsche, die Österreichische und die Schweizer Bischofskonferenz sowie die (Erz-)Bischöfe von Bozen-Brixen, Luxemburg, Lüttich, Straßburg und Vaduz. Für die Psalmen und das Neue Testament ist auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Auftraggeber. Die revidierte Einheitsübersetzung wird von der Katholischen Bibelanstalt (Stuttgart) herausgegeben, die Verträge mit weiteren Verlegern abschließt.

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Peter hat geschrieben: Liebe Angelika, lieber Angelo Giuseppe, lieber Robert,

dennoch scheinen mir die beiden Begriffe, die einerseits durch «in Gestalt Gottes sein» und andererseits durch «Gott gleich sein» (einai isa theo) etwas Unterschiedliches zu meinen.
Auch eine wörtliche Übersetzung kann häretisch mißverstanden werden: "... er war in Gestalt (eines) Gottes" und dann "nahm er Gestalt eines Knechtes an".
Könnte man das nicht irrtümlich als Metamorphose verstehen, wie wir das aus den heidnischen Göttermythen kennen? Jupiter z. B. kam zu Leda in Gestalt eines Schwanes, aber er war kein Schwan.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Du hängst noch an dem „Nicht-Festhalten“ fest. Er „hielt“ ja „fest“. Also kommt eine Metamorphose nicht in Betracht, weil er – „Knechtsgestalt“ annehmend – die „Gottesgestalt“ nicht aufgab.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Roncalli hat geschrieben:»Ich verstehe die EÜ so: Christus "hielt nicht daran fest, wie Gott (der Vater) zu sein"!«
Genau das ist ja falsch. »Consubstantialem Patri«.
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Edi
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Beitrag von Edi »

Die Interlinearübersetzung aus dem Griechischen bestätigt Robert mit seiner Übersetzung.
Zudem sind von Jesus Worte überliefert wie "Ich und der Vater sind eins", Joh. 10,30 und "Wer mich sieht, sieht den Vater", Joh. 14, 9 ff.

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Roncalli hat geschrieben:»Ich verstehe die EÜ so: Christus "hielt nicht daran fest, wie Gott (der Vater) zu sein"!«
Genau das ist ja falsch. »Consubstantialem Patri«.
Aber nur der Sohn ist Mensch geworden, nicht der Vater. "Er (der Sohn), der reich war, wurde euretwegen arm" (2 Kor 6,10). Freiwillig! Gehorsam bis zum Tod. Und der Sohn betet: "Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war." (Joh 17,5)
Beim Geheimnis der Trinität und Inkarnation versagt zwar letztlich jeder sprachliche Ausdruck, aber die Erniedrigung der Menschwerdung dürfen wir nur von Gott-Sohn aussagen, der hierin eben nicht wie Gott-Vater ist. Nichts Anderes meinte ich.
(Wenn du mich dennoch häeretisch missverstehen willst, werde ich es einfach tapfer tragen. ;) Ich mag hier keinen dogmatischen Traktat schreiben.)

Peter
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Beitrag von Peter »

Es geht aber doch nicht um den Vater. Es geht um die forma dei, die Gottesgestalt, um das Wesen Gottes, an dem Vater und Sohn gleichermaßen teilhaben. Das Gott-gleich-sein aus dem zweiten Halbvers wird von Christus nicht als Raub erachtet.
Die Jerusalemer Bibel hat geschrieben:D. h., er hielt an der Stellung, die ihn Gott gleichmachte, nicht gierig fest. Es handelt sich nicht um die Gleichheit der Natur, die durch «Gottesgestalt», die göttliche Daseinsweise, vorausgesetzt ist und deren sich Christus nicht hätte entledigen können, sondern um eine Gleichheit des Ansehens, der offenkundig gemachten und anerkannten Würde, die Jesus – auch in seiner menschlichen Existenz – hätte beanspruchen können. Man kann an die entgegengesetzte Haltung Adams denken, Gn 3, 5.22.

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Du hängst noch an dem „Nicht-Festhalten“ fest. Er „hielt“ ja „fest“. Also kommt eine Metamorphose nicht in Betracht, weil er – „Knechtsgestalt“ annehmend – die „Gottesgestalt“ nicht aufgab.
Hm, ich verstehe das Problem nicht. Dort steht ja nicht "..hielt aber nicht daran fest, Gott zu sein", sondern "..hielt aber nicht daran fest wie Gott zu sein."

Das ist ein Unterschied. Und damit verschwindet auch die Häresie, die Du vermutest. Aufgeben wie etwas zu sein, impliziert imho nicht, aufzugeben etwas zu sein.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

roncalli hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Roncalli hat geschrieben:»Ich verstehe die EÜ so: Christus "hielt nicht daran fest, wie Gott (der Vater) zu sein"!«
Genau das ist ja falsch. »Consubstantialem Patri«.
Aber nur der Sohn ist Mensch geworden, nicht der Vater. "Er (der Sohn), der reich war, wurde euretwegen arm" (2 Kor 6,10). Freiwillig! Gehorsam bis zum Tod. Und der Sohn betet: "Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war." (Joh 17,5)
Beim Geheimnis der Trinität und Inkarnation versagt zwar letztlich jeder sprachliche Ausdruck, aber die Erniedrigung der Menschwerdung dürfen wir nur von Gott-Sohn aussagen, der hierin eben nicht wie Gott-Vater ist. Nichts Anderes meinte ich.
(Wenn du mich dennoch häeretisch missverstehen willst, werde ich es einfach tapfer tragen. ;) Ich mag hier keinen dogmatischen Traktat schreiben.)
Ich weiß nicht recht, Roncalli ... Gott ist Mensch geworden in Jesus Christus, oder? Somit kann man nicht sagen, nur der Sohn ist Mensch geworden. Ich möchte auch kein dogmatisches Traktat schreiben, dazu bin ich auch nicht bewandert genug in diesen Feinheiten, aber für meinen Begriff ist das "gleich" bzw. "wie" nicht ...passend. "Ich und der Vater sind eins."

Geronimo

Biggi
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Beitrag von Biggi »

Geronimo hat geschrieben: Gott ist Mensch geworden in Jesus Christus, oder? Somit kann man nicht sagen, nur der Sohn ist Mensch geworden.
Doch, kann man wohl. Der Sohn ist "gleichen Wesens mit dem Vater (consubstantialem Patri)", ist relational gesehen aber Sohn ("gezeugt, nicht geschaffen"). Und nur der Sohn (die zweite Person der Dreifaltigkeit) ist Mensch geworden. Da dieser Sohn Gott ist, ist es natürlich völlig korrekt zu sagen: Gott ist Mensch geworden. Aber es wäre häretisch zu sagen: Gott Vater (oder Gott Heiliger Geist) ist Mensch geworden.
Geronimo hat geschrieben:"Ich und der Vater sind eins"
Das bezieht sich auf das Wesen, nicht auf das Sohn-Sein.
Das Christentum nimmt den Menschen, wie er ist, und macht ihn zu dem, was er sein soll.
(Adolph Kolping, Patron des XX. Weltjugendtags 2005)

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Danke, Biggi! :kiss:

Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass schon bald eine Überarbeitung der Bibel-EÜ auch eine neue und bessere Übersetzung des Christushymnus in Phil 2 bringen wird.
Ich wünsche mir, dass man doch wieder wortgetreuer übersetzt und mittels Fußnoten Erklärungen anbietet.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Roncalli hat geschrieben:»(Wenn du mich dennoch häretisch mißverstehen willst, werde ich es einfach tapfer tragen. Ich mag hier keinen dogmatischen Traktat schreiben.)«
Roncalli, es geht mir nicht darum, die Ketzerei vorzuwerfen, sondern einen morschen Holzweg zu entlarven.
Roncalli hat geschrieben:»Aber nur der Sohn ist Mensch geworden, nicht der Vater. "Er (der Sohn), der reich war, wurde euretwegen arm" (2 Kor 6,10). Freiwillig! Gehorsam bis zum Tod. Und der Sohn betet: "Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war." (Joh 17,5) Beim Geheimnis der Trinität und Inkarnation versagt zwar letztlich jeder sprachliche Ausdruck, aber die Erniedrigung der Menschwerdung dürfen wir nur von Gott-Sohn aussagen, der hierin eben nicht wie Gott-Vater ist. Nichts Anderes meinte ich.«
Du hast da nach wie vor einen logischen Bruch in deiner Argumentation, denn was du da sagst, ist zwar völlig richtig, betrifft jedoch überhaupt nicht den diskutierten Gegenstand.

Insofern Vater und Sohn eins sind, sind und bleiben sie von Ewigkeit her eins. Daran ändert die Inkarnation nichts. Insofern Vater und Sohn verschieden sind, ist der Sohn seiner Gottheit nach ebenfalls von Ewigkeit her kraft Zeugung durch den Vater als Sohn vom Vater verschieden; auch daran ändert die Inkarnation nichts.

Ändert die Inkarnation also gar nichts? – Doch, natürlich, denn sonst könnten wir ja nicht von einer Selbstentäußerung reden. Aber wir müssen die verschiedenen Seinsebenen recht unterscheiden. Zunächst bedeutet die Inkarnation, daß Gott selbst in die Geschichte eintritt, sich der Zeit unterwirft. Als der Zeit Unterworfener ist er nicht in der Herrlichkeit Gottes – durch die „Einfleischung“, die darum zu Recht eine Selbstentäußerung genannt wird –, bis er vom Vater verherrlicht wird.

Man könnte also sagen, daß Jesus Christus durch seinen Eintritt in die Geschichte das Dasein in der Herrlichkeit des Vaters aufgegeben, also nicht daran festgehalten habe, um erst durchs Kreuz hindurch wieder verherrlicht zu werden. Dennoch bleibt er auch in der Knechtsgestalt der ewige Gott.

Man kann also wohl die Übersetzung, über die wir hier streiten, in orthodoxem Sinne interpretieren, wenn man die Formulierung vom »Sein wie Gott« konkret und ausdrücklich auf das Dasein in der Herrlichkeit des Vaters bezieht, wie oben erläutert. Das ist dem Text selber jedoch schwer zu entnehmen. Viel näherliegt der Gedanke an einen – wie auch immer zu verstehenden – Verzicht auf die Gottheit an sich, und zugleich auch die Gefahr einer Vermischung von Ewigkeit und Zeitlichkeit.

Ich meine darum, ich hätte vorgestern mit Recht gewarnt, jene Übersetzung löse den Glauben an die hypostatische Union auf: daran, daß der Herr Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Roncalli hat geschrieben:»Ich wünsche mir, daß man doch wieder wortgetreuer übersetzt und mittels Fußnoten Erklärungen anbietet.«
Darin sind wir nun wieder ganz einig. (Dann brauchen wir uns allenfalls noch über Fußnoten zu streiten. :P )
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mr94
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Beitrag von mr94 »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:2,2 Macht meine Freude dadurch voll, daß ihr gleichen Sinnes seid, die gleiche Liebe habt und einmütig nach dem einen trachtet,
2,3 ohne Rechthaberei und eitle Ruhmsucht, sondern indem ihr in Demut einander höher achtet als euch selbst
2,4 und ein jeder nicht auf das schaut, was sein ist, sondern auf das, was des andern ist.
2,5 Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus ist.
2,6 Dieser, der da in Gottesgestalt war, hielt sein Gott gleich Sein nicht für einen Raub;
2,7 dennoch entäußerte er sich seiner selbst, nahm Knechtsgestalt an und ward zum Ebenbild der Menschen und an seinem Äußern erfunden als ein Mensch.
2,8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
Bei aller Liebe: In leicht verständlichem, gehobenem Gegenwartsdeutsch ist Dein Text nicht gerade gehalten. Und dichterisch schön?

Das Problem einer eher wörtlichen Übersetzung ist doch, dass diese vermeintliche Treue zum Originaltext zu Lasten der Verständlichkeit, der sprachlichen und der ästhetischen Qualität geht. (Dass die Einheitsübersetzung diese Ziele nicht durchgängig erreicht hat, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls war es der Anspruch, einheitliche Texte für sehr unterschiedliche Gebrauchszwecke zu schaffen.) Mit Fußnoten lässt sich da gar nichts reißen. Ein Lektor trägt sie nicht vor...

Eine Übersetzung ist eine Interpretation. Diesem Problem kann man auch nicht durch wörtliche Übersetzung entrinnen.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Mr 94 hat geschrieben:»Das Problem einer eher wörtlichen Übersetzung ist doch, daß diese vermeintliche Treue zum Originaltext zu Lasten der Verständlichkeit, der sprachlichen und der ästhetischen Qualität geht. (Daß die Einheitsübersetzung diese Ziele nicht durchgängig erreicht hat, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls war es der Anspruch, einheitliche Texte für sehr unterschiedliche Gebrauchszwecke zu schaffen.) Mit Fußnoten läßt sich da gar nichts reißen. Ein Lektor trägt sie nicht vor... «
Fußnoten dienen der Erläuterung bei privater Lektüre. Zur liturgischen Proklamation des Wortes dagegen gehört als Auslegung die Homilie.
Mr 94 hat geschrieben:»Eine Übersetzung ist eine Interpretation. Diesem Problem kann man auch nicht durch wörtliche Übersetzung entrinnen.«
Nein, eine Übersetzung soll möglichst exakt übersetzen. (Einmal abgesehen davon, daß „interpretieren“ im ursprünglichen Wortsinne nichts anderes als eben „übersetzen“ bedeutet.) Die Interpretation – im heutigen Sprachsinn – setzt zunächst einmal den Text voraus. Der Übersetzer, der seine eigene Deutung an die Stelle des Textes setzt, stellt sich zwischen Text und Leser oder Hörer, und zwar als unüberschreitbares Hindernis. Der Leser kann nicht mehr zum eigentlichen Text vordringen.

Natürlich gibt es Grenzfälle. Aber selbst wo ein Originaltext mehrdeutig ist, muß der Übersetzer sich bemühen, diese Mehrdeutigkeit in der Zielsprache nachzubilden – sofern es möglich ist. Das ist keineswegs immer der Fall. Eine Doppeldeutigkeit mag keine Entsprechung finden, ein Wortspiel mit den entsprechenden Begriffen des Zielsprache unmöglich. Doch von solchen Sonderfällen der Hilflosigkeit des Übersetzers kann man nicht die Richtschnur guten Übersetzens ableiten.

(Bloß am Rande sei bemerkt, daß Dichtung generell ein Problem für sich ist. Dichterisch gebundene Sprache läßt sich fast immer entweder bloß übersetzen – dann ist das Resultat keine Dichtung mehr –, oder es kommt auch in der Zielsprache Dichtung heraus: Dann jedoch ist es eine Nachdichtung und keine Übersetzung.)

Mr 94 hat geschrieben:»Bei aller Liebe: In leicht verständlichem, gehobenem Gegenwartsdeutsch ist Dein Text nicht gerade gehalten.«
Was zum Beispiel, Geliebter, erscheint dir denn so schwer verständlich?
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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