Gnadenlehre/Rechtfertigungslehre

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
mk

Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von mk »

Ich frage mich schon länger, ob, und wenn ja, was, es aus katholischer Sicht gegen diesen Basissatz der evangelischen Rechtfertigungslehre einzuwenden gibt, und hoffe, daß mir hier jemand kompetent weiterhelfen kann!

Magnus

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Juergen
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Juergen »

mk hat geschrieben:Ich frage mich schon länger, ob, und wenn ja, was, es aus katholischer Sicht gegen diesen Basissatz der evangelischen Rechtfertigungslehre einzuwenden gibt, und hoffe, daß mir hier jemand kompetent weiterhelfen kann!
Den Satz kann man als Katholik auch unterschreiben, aber man kann nicht das ev. Verständnis des Satzes unterschreiben!

Denn was besagt er?
Er besagt, daß der Mensch sündig ist; aber in dem Augenblick, wenn er auf das Kreuz blickt und beschämt und zerknirscht sein Sündhaftsein erkennt, gerechtfertigt ist; sobald er sich aber wieder den Dingen der Welt zuwendet, wieder Sünder ist. Er ist mal Sünder, mal Gerechter, mal beides zugleich - ein "Wechselbad der Gefühle".
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Ich will hier drei Sichtweisen in der Gnadenlehre herausgreifen: Paulus (im Jakobusbrief); Augustinus (und Trient); Luther.

Bei Paulus stehen sich Gott und das Menschengeschlecht gegenüber. Stellvertretend im Judentum aber auch im Gewissen der Menschen hat Gott zu den Menschen gesprochen. Aber nur Gott selbst konnte in Christus tun, was vernünftigerweise der Mensch auch von sich selbst fordern muß. Insofern der Einzelne auch Teil hat an der Menschennatur, tut er auch die Werke, wie der Jakobusbrief betont. Dominant aber nicht erdrückend ist das Handeln Gottes in Jesus Christus.

Bei Augustinus setzt sich das Individuum stärker vom Menschengeschlecht ab und steht ihm gegenüber. Gott wirkt auf das Menschengeschlecht: in Adam, dem "alten Sünder" ;) und in Christus als Heilsbringer. Aber auch direkt wirkt Gott auf den Menschen durch die aktuelle Gnade. Trient betont nun auch die Rückwendung des einzelnen Menschen zu Gott durch die Werke und betont auch ihren Lohn und Verdienst.

Bei Luther gibt es keine Vermittlung mehr. Der Mensch steht Gott allein gegenüber. Gottes Gnade wirkt direkt. Dabei hat das Ich eine so isolierte Position, wie es in keiner alten Gnadenlehre zu finden war. Die endliche Energie, wei sie nicht (bewußt) auf Gott gerichtet ist, wird freigesetzt und säkularisiert. Die Werke sind nur nach Dinge der Welt und haben mit Gott nichts zu tun.

Zur Verdeutlichung ein Schaubild:

Bild

Man möge die schlechte Qualität entschuldigen, aber mit Grafikprogrammen stehe ich immer etwas auf Kriegsfuß.
Gruß Jürgen

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Elmar
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Elmar »

Juergen hat geschrieben:
mk hat geschrieben:Bei Luther gibt es keine Vermittlung mehr. Der Mensch steht Gott allein gegenüber. Gottes Gnade wirkt direkt. Dabei hat das Ich eine so isolierte Position, wie es in keiner alten Gnadenlehre zu finden war. Die endliche Energie, weil sie nicht (bewußt) auf Gott gerichtet ist, wird freigesetzt und säkularisiert. Die Werke sind nur nach Dinge der Welt und haben mit Gott nichts zu tun.
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Hallo Juergen,
Vermittlung gibt es bei Luther sehr wohl. Bei Luther ist die Vermittlung immer Jesus Christus und nie das Werk für sich allein. Alles was IN und DURCH Jesus Christus geschieht ist ein gottgefälliges Werk - konsequent nach dem Wort unseres Herrn: "Ohne mich könnt ihr nichts tun" Es ist auch nicht richtig, daß dieses Werk dann bei Luther nichts mehr mit Gott zu tun hätte, so wie Du es hier darlegst. Alle Werke, die ein Christ im Geiste Christi vollbringt, haben kausal ausschließlich mit Gott zu tun - denn Gott selbst wirkt diese Werke nun. Gemäß dem Pauluswort: "...nun aber nicht ich, sondern Christus IN mir.

Herzliche Grüße
Elmar
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Juergen
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Juergen »

Elmar hat geschrieben:...Es ist auch nicht richtig, daß dieses Werk dann bei Luther nichts mehr mit Gott zu tun hätte, so wie Du es hier darlegst. Alle Werke, die ein Christ im Geiste Christi vollbringt, haben kausal ausschließlich mit Gott zu tun - denn Gott selbst wirkt diese Werke nun. ...
Ja, aber die Werke "säkularisieren" sich, d.h. es sind Werke in der Welt, die gleichsam keine "'Rückwirkung/-bindung'" auf Gott haben.

(Bitte die Pfeile in der Grafik beachten)
Gruß Jürgen

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Juergen
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Juergen »

Elmar hat geschrieben:...Alle Werke, die ein Christ im Geiste Christi vollbringt, haben kausal ausschließlich mit Gott zu tun - denn Gott selbst wirkt diese Werke nun. Gemäß dem Pauluswort: "...nun aber nicht ich, sondern Christus IN mir.
Ich will es mal etwas plakativ auf eine kleine Gleichung bringen.
Wenn der Mensch ein gutes Werk tut ist dies:

nach ev. Lehre
- 100% ein Werk Gottes
- 0% ein Werk des Menschen
(denn Christus wirkt alles im Menschen - wie du auch zitiert hast)

nach kath. Lehre
- 100% ein Werk Gottes
- 100% ein Werk des Menschen

-----
man könnte evtl. ergänzen (wenngleich es etwas komplizierter ist):
nach orth. Lehre
- 50% ein Werk Gottes
- 50% ein Werk des Menschen
(oder jede beliebige andere %-Zahl-Kombination)
Gruß Jürgen

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Elmar
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Elmar »

Juergen hat geschrieben: Ja, aber die Werke "säkularisieren" sich, d.h. es sind Werke in der Welt, die gleichsam keine "'Rückwirkung/-bindung'" auf Gott haben.
Guten Abend Jürgen,
na das ging aber schnell -wollte soeben den PC ausknipsen.
Nun gut, wenn das tatsächlich so sein sollte wie Du es hier dargelegst, dann hätte auch das Werk Christi keine "Rückwirkung/-bindung" auf Gott, was doch schwerlich sein kann. Denn wenn ein gottgefälliges Werk allein ein Werk im Geiste Christi ist und Christus explizit darauf hinweist, daß die Werke der Gerechten IN Gott getan sind, ferner wir ohne Christus kein gottgefälliges Werk tun können dann folgt daraus, daß alle Werke die ein Mensch im Geiste Christi vollbringt göttliche Werke sind. Sind es aber göttlche Werke, so sind sie nicht mehr von Gott zu trennen - denn nicht der Mensch hat sie nun gewirkt sondern Gott selbst.

Luther hat das sehr schön in seinem Gleichnis vom Zimmermann erklärt.
resumé: Ein GUTER Zimmermann baut ein GUTES Haus aufgrund seines Zustandes, daß er ein guter Zimmermann IST. Der Zustand macht es aus. Ist der Zustand recht, so ist auch das Werk recht.
Luther steht hier auf dem Boden Meister Eckhardts, der schon viel früher feststellte: Die Leute sollten sich nicht so viel Gedanken darüber machen was sie täten (Werke) sondern vielmer was sie seinen (Zustand). Bist du gerecht, so ist auch dein Werk gerecht.

Herzlichen Gruß
Elmar
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Elmar
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Re: Gerecht und Sünder zugleich?

Beitrag von Elmar »

Juergen hat geschrieben:

nach ev. Lehre
- 100% ein Werk Gottes
- 0% ein Werk des Menschen
(denn Christus wirkt alles im Menschen - wie du auch zitiert hast)

nach kath. Lehre
- 100% ein Werk Gottes
- 100% ein Werk des Menschen
Hallo Jürgen,
da müssen sich unsere Beiträge gekreuzt haben. Hatte nicht bemerkt, daß Du noch einen weiteren Beitrag nachgeschoben hast, sorry.

Deine Gleichung kann ich (nach meinem christlichen Verständnis) nicht
nachvollziehen: Zwar ist das Werk des Menschen, gemäß dem Evangelium nicht das Gefährt, das uns zu Gott bringt, so wie es Christus sagt: "...wir sind unnütze Knechte und haben nur unsere Schuldigkeit getan..." Doch nun das christliche Werk vom Menschen zu trennen und den Menschen gleich Null zu setzen ist auch nicht im Sinne des Evangeliums und einzig und allein darum ging es Luther - um das Evangelium Jesu Christi. Denn handeln wir im Geiste Jesu, so sind wir ein neues Geschöpf geworden, sind wir aber in Christus ein neues Geschöpf Gottes, so teilen wir die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus der ja sagte: " ich habe euch DIE Herrlichkeit gegeben, die mir der Vater gegeben hat". Das heißt konkret:
1. Wir erkennen permanent unsere Fehlbarkeit und Niedrigkeit vor Gott, in dieser Selbsterkenntnis sind wir gleich Null.
2. Nun handeln wir auf Grund dieser Selbsterkenntnis und allein dieses Handeln ist ein von Gott gesegnetes Handeln - denn es kommt aus der Erkenntnis unserer Fehlbarkeit und Schwäche und daher ist es ein Werk der Barmherzigkeit gegenüber unserem Nächsten. Hier ist das Werk gleich Einhundert, denn es ist in Gott getan.
3. Gott hebt und adelt nun den Menschen in seiner Ganzheit. Weil der Mensch es gewagt hat in ungeschönter Selbsterkenntnis zunichte zu werden (nicht weil vor Gott irgend ein Werk in die Waagschale zu werfen hat - denn es ist ja ohnehin ein Werk Gottes) hebt ihn Gott zu sich und macht ihn zu seinem Sohn. In diesem von-Gott-erkannt-Werden sind wir gleich Einhundert. So verstehe ich zumindest Christus in seinem Gleichnis vom verlorenen Sohn.


Herzliche Grüße
Elmar
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Dieter
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Gnadenlehre/Rechtfertigungslehre

Beitrag von Dieter »

Eine etwas speziellere Frage an die Experten:

Was ist der Hauptunterschied zwischen der Gnadenlehre des Augustinus und der lutherischen Rechtfertigungslehre?

Luther bezog sich ja immer auf Augustinus und der Augustinerorden war der lutherischen Reformation ja auch sehr zugetan.

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ChrisCross
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Re: Gnadenlehre/Rechtfertigungslehre

Beitrag von ChrisCross »

Vielleicht helfen dir Juergens Bildchen und Beitrag weiter: http://kreuzgang.org/viewtopic.php?f=4& ... inus#p3389
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

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