Clemens hat geschrieben:Allgemeine ([Punkt]) Standard ist heute:
Mk, Mt, Lk (in dieser Reihenfolge): 70-90
Joh: 90-120
Etwa aus dem Jahr 125 datiert der älteste Beleg für das Johannesevangelium (Ryland-Papyrus).
Interview mit Carsten Peter Thiede
Daraus:
GN: Wenn man von der Papyrologie absieht, welche weiteren Argumente sprechen dafür, daß das Matthäusevangelium vor dem Sturz Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. geschrieben wurde?
CPT: Der Sturz Jerusalems mit der Vernichtung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. markiert in der Tat eine Wasserscheide der Geschichte. Es ist aber anzunehmen, daß die Urgemeinde bereits im Jahre 66 n. Chr. die Stadt verlassen hatte. Der Leiter der Jerusalemer Gemeinde, Jakobus, Bruder des Herrn, war sogar schon im Jahre 62 n. Chr. zu Tode gesteinigt worden.
Jeder Historiker würde gelten lassen, daß die Apostelgeschichte des Lukas vor 62 n. Chr. geschrieben wurde. Denn diese Datierung beruht auf ganz einfacher geschichtlicher Logik. Warum sie aber bei manchen Theologen auf Widerspruch stößt, ist für mich unbegreiflich. Ein Faden, der sich durch die Apostelgeschichte zieht, ist das Märtyrertum und die Bereitschaft von Menschen, für den Herrn zu sterben, zuerst Jesus selbst, dann Stephanus, der im Jahre 35 hingerichtet wurde.
Ein weiteres Ereignis, das die Urgemeinde zutiefst erschütterte, war die Steinigung des Jakobus im Jahre 62. Um diesen Vorfall und seine Datierung wissen wir durch den jüdischen Historiker Josephus, der insofern in diesem Punkt völlig glaubwürdig ist, als er das Christentum nicht mit aller Macht als richtig bestätigen wollte. Etwas später, vermutlich um 64-65 und spätestens im Jahre 67, wurden Petrus und Paulus hingerichtet. Das geschah nach dem Großbrand in der Stadt Rom.
Nun, keiner dieser gewaltsamen Todesfälle von Jakobus, Petrus oder Paulus wird in der Apostelgeschichte auch nur mit einem Wort erwähnt. Für den Historiker liegt die Erklärung auf der Hand: Die Apostelgeschichte muß vor 62 geschrieben worden sein. Wenn das aber schon einmal feststeht, dann muß das Lukasevangelium noch früheren Datums sein. Und da Lukas sowohl das Markus- als auch das Matthäusevangelium als Vorlage für seine Jesusgeschichte benutzte, müssen diese beiden Evangelien noch früher entstanden sein. Diese chronologische Argumentation ergibt sich zwangsläufig aus der Apostelgeschichte selbst.
Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, diesmal aus dem Johannesevangelium, das gemeinhin als das späteste der vier Evangelien gilt. Die herrschende Meinung datiert dieses Evangelium auf das Ende des ersten Jahrhunderts. Lassen Sie uns die archäologischen Tatsachen hinzuziehen, die uns heute zur Verfügung stehen. Wenn Johannes (Johannes 5,1-18) die Heilung eines Gelähmten am Teich Betesda beschreibt, benutzt er durchweg die Vergangenheitsform, außer in Vers 2, wo er sagt: „Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen.“ Das ist ungefähr so, als würde er dem Leser sagen: „Wenn du den Ort sehen willst, wo Jesus dieses Wunder wirkte, geh mal hin zum Teich Betesda, denn er ist noch vorhanden und sieht so und so aus.“
Dieser Teich wurde am Anfang unseres Jahrhunderts von Archäologen wiederentdeckt und entsprach genau der Beschreibung des Johannes. Da die Anlage im Jahre 70 n. Chr. von den Römern vernichtet wurde, muß Johannes vor dieser Zeit geschrieben haben und sein Text muß mindestens bis dahin unverändert geblieben sein. Nach dem Jahre 70 hätte niemand behaupten können, „Es ist ... in Jerusalem ... ein Teich ... Betesda“. Die Archäologie beweist also, daß das Johannesevangelium vor dem Jahre 70 verfaßt wurde, und es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen, die Ähnliches beweisen.