Stefan hat geschrieben: ↑Dienstag 28. April 2020, 06:41
Brüder, wollen wir daher den Gipfel der vollkommenen Demut erreichen und zu jener Erhöhung im Himmel rasch gelangen, zu der die Erniedrigung in diesem Leben emporführt, so müssen wir durch unsern aufwärtsstrebenden Wandel jene Leiter errichten, die Jakob im Traum erschien, woran, wie ihm gezeigt wurde, Engel auf- und niederstiegen.
Nicht anders ohne Zweifel können wir dieses Auf- und Niedersteigen deuten, als daß man durch Selbsterhebung abwärts sinkt und durch Demut aufwärts steigt.
Die aufgerichtete Leiter selbst ist aber unser Leben auf Erden, dem Gott die Richtung zum Himmel gibt, wenn das Herz demütig ist. In den beiden Seiten dieser Leiter sehen wir unsern Leib und unsere Seele; in diese Seiten hat der Gnadenruf Gottes verschiedene Sprossen der Demut und des geistlichen Lebens eingefügt, die man hinaufsteigen soll.
Die erste Stufe der Demut ist nun, die Gottesfurcht stets vor Augen haben und sich vor allem hüten, sie je zu vergessen, vielmehr jederzeit all dessen eingedenk bleiben, was Gott befohlen hat.
Darum soll sich der Mensch im Geiste stets gegenwärtig halten, wie das Feuer der Hölle die Gottesverächter wegen ihrer Sünden brennt, aber auch ewiges Leben den Gottesfürchtigen bereitet ist.
So wird er allezeit Sünden und Fehler meiden, Fehler in Gedanken, mit der Zunge, mit Händen und Füßen oder Fehler des Eigenwillens, meiden wird er auch Fleischesbegierden.
Er denke daran, daß Gott immerdar vom Himmel auf ihn herniederschaut, daß sein Tun und Lassen allerorten klar vor Gottes Auge steht und von den Engeln zu jeder Zeit ihm gemeldet wird. Darauf macht uns der Prophet aufmerksam, wenn er uns belehrt, daß Gott immer bei unsern Gedanken zugegen ist, indem er sagt: „Gott durchforscht Herz und Nieren“. Und wiederum: „Der Herr kennt die Gedanken der Menschen“, und anderswo: „Von ferne durchschaust Du meine Gedanken, und: “Das Sinnen des Menschen ist Dir bekannt„.
Um sorgsam zu wachen über seine verkehrten Gedanken, spreche ein braver Bruder immer zu sich: „Dann wandle ich makellos vor Dir, wenn ich mich vor meiner Bosheit in acht nehme“.
Dem Eigenwillen aber zu folgen, ist uns verwehrt, da uns die Schrift sagt: „Wende dich ab von dem Begehren deines Herzens“. Auch flehen wir zu Gott im Gebete, daß sein Wille an uns geschehen möge. Mit Recht werden wir also davor gewarnt, unserm Eigenwillen zu folgen, denn so entgehen wir dem, was die Schrift sagt: „Es gibt Wege, die den Menschen recht erscheinen, deren Ende aber bis zur Tiefe der Hölle hinabführt“.
Dann hält uns auch das Urteil in Angst und Furcht, das über die Nachlässigen gefällt ist: “Sie sind verderbt und zum Abscheu geworden in ihren Gelüsten. Was aber die Begierden des Fleisches anlangt, sollen wir Gott immer gegenwärtig wissen; betet doch der Prophet zum Herrn: „Vor Dir ist all das Verlangen meines Herzens“.
Man muß sich also deshalb vor der bösen Begierde hüten; denn der Tod lauert vor der Pforte der Lust. Daher befiehlt uns die Schrift und sagt: „Deinen Gelüsten gehe nicht nach“.
Wenn demnach die Augen des Herrn auf Gute und Böse gerichtet sind und „der Herr immerdar vom Himmel auf die Menschenkinder niederschaut, um zu sehen, ob einer weise sei und Gott suche“, und wenn die Engel, die uns an die Seite gegeben sind, täglich bei Tag und Nacht dem Herrn unser Tun und Lassen melden, dann sollen wir uns, meine Brüder, jederzeit davor in acht nehmen, daß Gott nicht, wie der Prophet im Psalme sagt, zu irgendeiner Stunde sehen müsse, wie wir dem Bösen zuneigen und zu unnützen Knechten geworden sind; sonst könnte er, während er unser in diesem Leben schont, da er barmherzig ist und auf unsere Besserung wartet, später zu uns einmal sagen müssen: „Das hast du getan, und ich habe dazu geschwiegen“.
Die zweite Stufe der Demut ist, den eigenen Willen nicht lieben und sich in der Befriedigung seiner Wünsche nicht gefallen, vielmehr jenes Wort des Herrn zur Richtschnur nehmen: „Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“. Es steht ferner geschrieben: „Ungebundenheit zieht Strafe nach sich, die Bande des Zwanges bringen den Siegeskranz“.
Die dritte Stufe der Demut ist, aus Liebe zu Gott in vollkommenem Gehorsam sich dem Obern unterwerfen und so den Herrn nachahmen, von dem der Apostel sagt: „Er ward gehorsam bis in den Tod“.
Die vierte Stufe der Demut ist, in diesem Gehorsam bei herben und widrigen Dingen, ja sogar bei angetaner Unbill mit Stillschweigen und Selbstbeherrschung die Geduld bewahren, ausharren, nicht ermatten oder sich entziehen, sagt doch die Schrift: „Wer ausharrt bis ans Ende, wird gerettet werden“, und wiederum: „Laß stark sein dein Herz und harre auf den Herrn“.
Um uns zu belehren, daß der Gläubige dem Herrn zulieb alles, selbst Widriges ertragen muß, sagt die Schrift im Namen der Dulder: „Um Deinetwillen werden wir hingemordet den ganzen Tag, werden geachtet wie Schlachtschafe“. Und felsenfest in der Hoffnung auf göttliche Vergeltung fügen sie freudig hinzu: „Allein in all dem obsiegen wir um dessentwillen, der uns geliebt hat“.
Auch sagt die Schrift an einer anderen Stelle: „Du hast uns, o Gott, geprüft, im Feuer geläutert, gleichwie man Silber im Feuer läutert, Du hast uns in die Schlinge geraten lassen, hast Drangsal auf unsere Schulter gelegt“. Und um zu zeigen, daß wir unter einem Vorgesetzen stehen müssen, fährt sie fort: „Menschen hast Du über unser Haupt gesetzt“.
Aber auch in Widerwärtigkeiten und Unbilden erfüllen sie durch Geduld das Gebot des Herrn: auf eine Wange geschlagen, bieten sie auch die andere dar, des Rockes beraubt, geben sie auch den Mantel dazu, zu einer Meile genötigt, gehen sie gleich zwei, ertragen mit dem Apostel Paulus falsche Brüder und segnen, die sie schmähen.
Die fünfte Stufe der Demut ist, alle schlimmen Gedanken, die im Herzen aufsteigen, und das im Verborgenen begangene Böse in demütigem Bekenntnis seinem Abte bekennen. Dazu mahnt uns die Schrift mit den Worten: „Offenbare dem Herrn deinen Weg und vertrau auf ihn“. Und wiederum: „Bekennet dem Herrn, denn er ist gut, ewig währet seine Barmherzigkeit“. Und ebenso sagt der Prophet: „Mein Vergehen habe ich Dir kund getan und meine Ungerechtigkeit nicht verborgen; ich spreche: als mein Ankläger will ich mein Unrecht dem Herrn bekennen; Du aber verzeihst den Frevel meines Herzens“.
Die sechste Stufe der Demut erreicht der Mönch, wenn er sich mit dem Allerniedrigsten und Geringsten zufrieden gibt und bei allem, was man ihm aufträgt, in sich einen schlechten und untauglichen Arbeiter sieht, indem er zu sich selber mit dem Propheten sagt: „Zunichte geworden bin ich, und es war mir verborgen; wie ein Lasttier ward ich vor Deinem Angesicht, und doch bin ich immer bei Dir“.
Die siebte Stufe der Demut ist, sich nicht bloß mit Worten als den letzten und geringsten bezeichnen, sondern auch im tiefsten Herzensgrund hiervon überzeugt sein und in Demut mit dem Propheten sprechen: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott und die Verachtung des Volkes“. „Erhoben hab ich mich, ward aber gedemütigt und bin zuschanden geworden“. Und abermals: „Gut war's mir, daß Du mich demütigtest, damit ich Deine Gebote lerne“.