Zauberei und Strafrecht

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Robert Ketelhohn
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Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Ewald Mrnka hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Der normale
Platz der Folter war das normale Strafverfahren gegen normale Kri-
minelle.
Ein Strafrechtsprofessor sagte mir mal, die Folter wäre aber erst dann angewendet worden, wenn die Schuld des Angeklagten erwiesen gewesen wäre, da man ein Geständnis brauchte. Er meinte also, dass die Folter zu einem Zeitpunkt eingesetzt wurde, zu dem ein Richter heute aufgrund der Sachlage einen Angeklagten verurteilen würde.
Ja, das ist korrekt. Man brauchte Geständnisse, selbst wenn die Schuld erwiesen war.

Die Sozialisten dagegen praktizierten die Folter für politisch-propagandistische Zwecke.
Die Kernaussage ist korrekt. Die Einschränkung »erst dann« trifft allerdings nicht zu, jedenfalls nicht generell. So war unter Bedingungen zum Beispiel auch die peinliche Befragung selbst gar nicht beschuldigter Zeugen möglich.

Richtig ist aber, daß man zur Verurteilung Beschuldigter generell deren Geständnisses bedurfte, auch wenn einer durch Indizien und Zeugen überführt und gar auf frischer Tat betroffen worden war. Heute würde man sofort verurteilen, damals glaubte man, niemanden ohne Geständnis verurteilen zu dürfen und half darum bei Leugnung mit der peinlichen Befragung nach.

Freilich galt eine Aussage unter Folter generell nicht als gerichtsfestes Beweismittel, sie mußte ohne Folter bestätigt werden, meist ausdrücklich an anderm Ort – und konnte also auch widerrufen werden. Ob in einem solchen Widerrufsfall die Folterung wiederholt werden durfte; falls ja, wie oft; ob einer, der widerrufen hatte, gleich freizulassen war oder ob er in Haft blieb und weiter ermittelt wurde; etc. pp.: über all solche Fragen gab es detaillierte, örtlich und zeitlich teils sehr verschiedene Regelungen. Einschließlich Strafdrohungen gegen Untersuchungsrichter für den Fall rechtswidrig angewandter (oder sogar bloß angedrohter) Folter.

All diese Einschränkungen waren zunächst recht wirksam. Erst mit der zunehmenden Brutalisierung des Strafvollzugs vor allem im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert brachen die Dämme immer mehr. Freilich erwuchs dann auch innerhalb der Kirche die immer stärkere Gegenbewegung.
Das Thema »Zauberei und Strafrecht« wird immer wieder einmal gestreift, oft nicht sehr kompetent, aber es scheint noch keinen eigenen Strang dafür zu geben. Darum sei derselbe hiermit eröffnet.

Zum Einstieg: Vor Jahren führte ich in einem andern Forum eine längere Debatte zum Thema. Dazu folgende Verknüpfungen:
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=221417
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=22173
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=22177
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=221894
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222235
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222273
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222317
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222328
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222328
http://www.mykath.de/index.php?s=bcb797 ... t&p=222681

Ggf. bitte hier antworten, nicht dort. Ich bin da seit sieben Jahren gesperrt und würde es weder beantworten noch überhaupt lesen.
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Lioba
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Lioba »

Armer Robert- mit Fakten gegen Vorurteile, ein ebenso heldenhafter wie hoffnungsloser Kampf. Überigens noch ein Detail zum Lebendigbegraben von Hexen. Der älteste Hinweis darauf, den ich für Deutschland kenne betrifft die hiesige Gegend zur Zeit Karls des Großen. Es soll unter Herzog Widukind vor seiner Bekehrung zum Christentum geschehen sein- also ein Hinweis auf heidnische Wurzeln.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Lioba hat geschrieben:Es soll unter Herzog Widukind vor seiner Bekehrung zum Christentum geschehen sein- also ein Hinweis auf heidnische Wurzeln.
Ja, diese Wurzeln werden immer wieder 'mal sichtbar ...

---

Übrigens einmal ein herzliches Dankeschön an Robert, der sich solche Diskussionen überhaupt antut. Spätestens beim ersten Beitrag und dem Schwachsinn zu S. Hl. Papst Gregor IX. wäre ich schon ausgestiegen, ganz zu schweigen, bei den "neun Millionen Opfern" (!) - so ein hanebüchener Unfug (wirklich seriöse Schätzungen - da verweise ich auf Lyndal Roper, Arnold Angenendt etc. - gehen in einem Zeitraum von ungefähr 250 Jahren von ca. 50.000 Opfern aus, also ziemlich gleich viele, wie sie bspw. die Französische Revolution innerhalb von drei, vier Jahren zu verantworten hat).

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Da ich es als irgendwie schade empfinde, dass dieser Strang völlig eingeschlafen ist - vor allem angesichts des Unsinns, der zu diesem Thema hier auch jetzt noch ab und zu verbreitet wird -, zitiere ich 'mal etwas, was thematisch wohl hierher gehört (wenn es auch nicht direkt das Strafrecht betrifft) und sicher nicht ganz uninteressant ist:
J. Dillinger, Hexen und Magie: eine historische Einführung, S. 75f hat geschrieben:
Die ältere Forschung verwies gerne auf den »Aberglauben« als Ursache der Hexenprozesse. Das Augenmerk galt dabei nicht der tatsächlich ausgeübten Alltagsmagie. Vielmehr wurde das das Verhalten der Hexenverfolger schlicht auf deren Glauben an die Wirksamkeit der Magie zurückgeführt. Weiter wurde behauptet, die Hexenprozesse seien verschwunden, weil die Aufklärung den »Aberglauben« beseitigt habe (vgl. z. B. Krämer 1959: 104–105). Solche Argumente finden sich in der Gegenwart immer wieder in populärwissenschaftlichen oder journalistischen Darstellungen der Thematik. Dieser Erklärungsansatz ist alt, gehört zum Kernbestand früher Kritik an der Hexenverfolgung (Porter 1999: 219–226). Diese Auffassung scheint zunächst gut zu der oben geschilderten magischen Welt der Vormoderne zu passen. Die Hexenangst war zweifellos kein Einbruch der Furcht vor Magie in eine ansonsten säkulare Weltsicht. Sie war eingebettet in einen vielschichtigen Glauben an die Wirksamkeit der Magie, den Religion, Wissenschaft, Politik und Alltagskultur weitestgehend teilten, wenn sie ihn auch je unterschiedlich akzentuierten.
Die Hexenverfolgung schlicht als Folge von »Aberglauben« zu erklären, ist jedoch wenig mehr als der Versuch, eine positive Identität durch Abgrenzung zu konstruieren. »Aberglauben« soll zu einer fremd gewordenen, »überwundenen« Zeit vor der Aufklärung gehören oder aber zu Gesellschaften außerhalb des »Westens«, die die Aufklärung »verschlafen« hätten. Zu den vielen Defiziten dieser »nicht-modernen« Gesellschaften soll der auf naturwissenschaftlicher Unkenntnis und (falscher) Religiosität beruhende »Aberglaube« gehören, als deren negativstes Produkt die Hexenjagden präsentiert werden. Vor diesen und vor dem »Aberglauben« insgesamt fühlt man sich, da die Aufklärung und damit die Rationalität gesiegt haben, sicher. Eine solche Argumentation wäre ahistorisch. Weiter unten wird gezeigt werden, dass die Aufklärung durchaus nicht den Glauben an Magie beseitigt hat. Das Ende der großen Hexenverfolgungen kam, wie unten ebenfalls gezeigt werden wird, deutlich bevor die Aufklärer die Meinungsführerschaft antraten. Der Hinweis auf den Aberglauben vermag zudem weder das Ende noch den Beginn der Verfolgungen schlüssig zu deuten.

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Peregrin
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Peregrin »

Es ist schon einmal kenntnislos, bei "Hexenverfolgung" primär an unser "Mittelalter" (gemeint: frühe Neuzeit) zu denken, wo doch dieses Phänomen nur eher kurz aufgeflackert ist und dort, wo stabile Rechtsverhältnisse herrschten, auch recht schnell wieder unterdrückt wurde. Dagegen ist das Hexenverfolgen in Primitivkulturen, wo noch ein magisch-animistisches Weltbild herrscht, weit verbreitet bis zum heutigen Tag. Braucht man nur in völkerkundliche Schmöker schauen (bzw. heute entsprechende Fernsehprogramme), die haben alle reichlich entsprechende Geschichten auf Lager, die freilich, da es sich ja nicht gegen die Kirche ausschlachten läßt, immer eher als bunt-folkloristisches Beiwerk dargestellt werden.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

"Hexenverfolgung" ist übrigens auch die "wissenschaftlich korrekte" Bezeichnung (auch nachzulesen im oben zitierten Buch Johannes Dillingers). Ein spezieller "Wahn" lag damals durchaus nicht vor, vielmehr korrespondierte die Anschauung eben mit dem allgemeinen Weltbild, denn die Grundlage dafür war allgemein anerkennt bzw. wurde nicht in fundamentaler Weise in Frage gestellt - durchaus auch nicht von den Wissenschaften. Die Menschen verhielten sich auf der damaligen juristischen Grundlage, in Zusammenschau mit dem damaligen Weltbild durchaus "zweckrational", wie sich Dillinger auch ausdrückt.
(Ich spreche hier einmal speziell von der neuzeitlichen Hexenverfolgung bzw. -prozessen, nicht vom einzelnen Auftreten von Verfolgungen im Mittelalter, die doch sehr verschieden zu ersteren sind.)
Peregrin hat geschrieben:Braucht man nur in völkerkundliche Schmöker schauen (bzw. heute entsprechende Fernsehprogramme), die haben alle reichlich entsprechende Geschichten auf Lager [...]
Na ja, man braucht sich nur über das übliche Geschehen in Südafrika oder gar im Kongo zu informieren.

Caviteño
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Caviteño »

Für Interessierte bietet das Internet folgende Seite mit den neuesten Forschungsergebnissen, Berichten über regionale Schwerpunkte sowie Magisterarbeiten über das Thema "Hexenforschung" an:

http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/

Ein Blick auf die Redaktionsseite:

http://www.historicum.net/themen/hexenf ... redaktion/

Zur Folter gibt es hier ebenfalls eine Abhandlung:

http://www.historicum.net/themen/hexenf ... ba4667dd2/

Zur Anwendung der Folter heißt es dort:
Die Folter war notwendig, weil im frühneuzeitlichen Strafprozess eine Verurteilung zu Leibes- oder Lebensstrafen nur zulässig war, wenn die Aussage zweier glaubwürdiger Tatzeugen oder ein Geständnis des Täters vorlag (Vollbeweis). Gefoltert werden sollte nur, wenn einerseits keine zwei Tatzeugen vorhanden waren, andererseits die Täterschaft des leugnenden Verdächtigen so gut wie bewiesen war (Halbbeweis). Bereits die Carolina wies auf die Unmöglichkeit hin, feste Regeln dafür aufzustellen, wann der zur Folterverhängung nötige Halbbeweis vorlag (Carolina Artikel 24). Grundsätzlich sollte die Folter zulässig sein, wenn ein Gegenstand aus dem Besitz des Verdächtigen am Tatort gefunden wurde, wenn ein einzelner glaubwürdiger Zeuge die Tat beobachtet hatte, wenn ein verurteilter Verbrecher einen anderen glaubwürdig als Komplizen angab ("Besagung"), wenn der Verdächtige ein außergerichtliches Geständnis ablegte oder wenn er das fragliche Verbrechen kurz vor seiner Ausführung angedroht hatte (Carolina Artikel 29-32). Diese Indizien machten jeweils für sich allein einen Halbbeweis aus. Andere Indizien, die jeweils mit zwei Zeugen zu beweisen waren, konnten zu diesem Zweck hinzugezogen werden: Neben verdächtigen Handlungen, dem Umgang mit verdächtigen Personen oder dem Besitz verdächtiger Gegenstände war dabei regelmäßig der Leumund des Verdächtigen entscheidend (Carolina Art. 25-26). Das Indizienrecht der Carolina wurde in den frühneuzeitlichen Strafrechtshandbüchern umfassend erläutert und ergänzt. Trotz allem blieb den Richtern in der Praxis ein breiter Ermessensspielraum, der - gerade auch in Hexenprozessen - eine ausufernde Folterpraxis ermöglichte.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Danke, @Caviteño, für die Bereicherung. Seriöse Dokumente im Internet sind sowieso immer nützlich und vor allem haben da auch viele etwas davon.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Aus gegebenem Anlass und damit der Strang ein wenig benützt wird:
kath.net hat geschrieben:Bitte an Kölner Kardinal: Hexe Katharina Henoth rehabilitieren

Evangelischer Pfarrer will Erklärung von katholischer Kirche und Stadt Köln, dass Hexenprozesse Unrecht waren - Der damalige Stadtrat hatte Henoth 1627 festnehmen lassen[...]
So ein Schmarrn. Der soll sich nur 'mal selber an der Nase nehmen, abgesehen davon, wenn in diesem Fall damals, speziell die Stadt Köln rechtlich zuständig war, fragt man sich, was der jetzige Erzbischof da machen soll? Aber einmal ein paar Anmerkungen zur Sache selbst:
W. Rummel, R. Vollmer, Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit (WBG), S. 113 hat geschrieben:
Betrachtet man eine Karte der europäischen Hexenverfolgungen, dann erscheint – bezogen auf die Relation zwischen Bevölkerungsdichte und Hinrichtungsahlen – das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seinen peripheren beziehungsweise benachbarten Randgebieten eindeutig als Kernland der Hexenjagden. Dieses Faktum beobachteten schon Zeitgenossen. Daneben erscheint es auf den ersten Blick, als ob sich gerade in den Territorien der drei geistlichen Kurfürstentümer Tier, Mainz und Köln sowie anderen geistlichen Fürstbistümern oder -propsteien (Münster, Ellwangen, Eichstätt, Bamberg, Würzburg) und Abteien (St. Maximin, Stavelot-Malmédy, St. Hubert-en-Ardennes, Fulda, Marchtal) die Hexenjagden massiert hätten.
Dieses Tableau hat auch die kulturkämpferisch geprägte protestantische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts dazu verleitet, die Verantwortung für die Hexenverfolgung allein der katholischen Seite anzulasten. Immerhin, in der Makrosicht können beispielsweise die drei geistlichen Kurfürsten sicher nicht von der politischen Verantwortung für die Verfolgung entlastet werden. Im Gegensatz zu mancher, noch bis in den heutigen Forschungsdiskurs hineingetragenen Meinung, galt diese Verantwortung als oberster Landes- und Gerichtsherr jedoch lediglich für den Bereich der jeweiligen Kurstaaten (Erzstifte), nicht aber für die weiteren Verfolgungen in den Erzbistümern, denn diese konnten auch andere Territorien umfassen.
Dazu kommen dann noch Einschränkungen bzgl. der Städte etc. mit eigener Gerichtsbarkeit.

Zu Kurköln:
W. Rummel, R. Vollmer, Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit (WBG), S. 114 hat geschrieben:
In Kurköln, in dem ihm angegliederten Herzogtum Westfalen sowie im Vest Recklinghausen verordnete der Kurfürst 1607 eine andere Vorgehensweise. Demnach hatten die lokalen Schöffengerichte in Fällen von Hexerei um die Hilfe eines gelehrten Juristen aus den Reihen des Hofrates zu ersuchen, der als Beigeordneter die rechtmäßige Durchführung der Verfahren vor Ort garantieren und Missbräuche verhindern sollte. Damit ersetzte das Instrument der Kommissarenentsendung die in anderen Territorien geübte Praxis der Aktenversendung; faktisch gab der Hofrat die landesherrliche Kontrolle der Hexereiverfahren aus der Hand. Im Übrigen wurden die Kommissare nicht im Zuge einer landesfürstlichen angeordneten Hexenverfolgung in die einzelnen Städte, Ämter und Unterherrschaften entsandt, sondern aufgrund von Petitionen, in denen die Bevölkerung die Durchführung von Hexenprozessen forderte.
Auch bremsten die Kommissare keineswegs das lokale Verfolgungsdrängen, vielmehr lösten sie oft grausame, exzessive Prozessserien vor Ort aus. Vergleichbare Vorgänge sind aus den Eifelgrafschaften Manderscheid-Blankenheim und Manderscheid-Gerolstein sowie aus den Nassauischen Grafschaften bekannt. Daneben kam es in Kurköln auch zur Bildung von gemeindlichen Ausschüssen, die mit den jeweiligen Kommissaren wie auch den lokalen „Junkern“ zusammenarbeiteten. Damit sind die kurkölnischen Verfolgungen nicht das Ergebnis eines landesherrlich angeordneten Ausrottungsprogramms (so noch Schormann), sondern konzentrierten sich auf kleine Gerichts- und Herrschaftseinheiten, in denen Ausschüsse, lokale Beamte, Hexenkommissare und adlige Gerichtsherren gemeinsam die Verfolgung vorantrieben (Becker).
Keiner der Kurfürsten hat sich im Übrigen am Vermögen der Hingerichteten bereichert, entsprechende Verordnungen sollten im Gegenteil für Kostenmoderation sorgen, und zum Schutz der Hinterbliebenen wurden Totalkonfiskationen verboten (Trier 1591, Mainz 1612, Köln 1628).
(Hervorhebungen von mir.)

Um noch etwas aus einem Beitrag von Robert aufzugreifen:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Wobei auch hier der Befund je nach Zeit und Region sehr unterschied-
lich ausfällt. Als Tendenz läßt sich beobachten, daß vorwiegend Terri-
torien betroffen sind, die Berührung mit der Reformation hatten, und
zwar reformatorisch gebliebene ebenso wie zum Katholizismus zurück-
gekehrte. Dies weist uns darauf, die Ursache vor allem in bestimmten
geistig-sozialen Bedingungen zu suchen, die wohl viel mit einem star-
ken Gefühl der Unsicherheit zu tun haben.
Eigentlich sind hier zwei wichtige Hinweise enthalten, ich möchte aber vorläufig nur einmal auf den letzten eingehen:
Die Unsicherheit in der Bevölkerung war zeitweise enorm, dazu gibt es eine Reihe hochkarätiger Einzeluntersuchungen (u. a. von Lyndal Roper). Es war ja nicht von ungefähr, dass die Sache plötzlich von der Wende vom Spätmittelalter hin zur Neuzeit zunahmen. Für die Anfänge der größeren Hexenverfolgung im frühen 15. Jh. im Alpenraum, genauer im Berner Oberland - der erste "Ausreißer" - schreibt z. B. der bekannte Mediävist Arno Borst:
A. Borst, Die Welt des Mittelalters. Barbaren, Ketzer und Artisten (Nikol-Verlag), S. 266-269 hat geschrieben:
Schauplatz der ersten alpinen Hexenprozesse um 1400 war das obere Simmental im Berner Oberland. […] Eben seit dem späten vierzehnten Jahrhundert stellten sich die Simmentaler Bauern wie überall am regenreichen Alpennordhang auf Graswirtschaft und Großviehzucht um und gaben die ältere Wirtschaftsweise, Getreidebau und Schafzucht allmählich auf. Damit rückte das Simmental auch wirtschaftlich in eine Grenzlage; denn das südlich anschließende Oberwallis blieb beim alten Selbstversorgungsbetrieb. Verwandlung hochgelegener Getreideäcker in Heuwiesen, also die Ausbildung des heutigen Schweizer Hirtenlandes, bedeutete um 1400 Abkehr von der bisherigen örtlichen Selbstversorgung; nun konnte im Simmental Vieh ausgeführt, mußte aber Getreide eingeführt werden. Mit der neuen alpinen Weidewirtschaft ließ sich nicht lokal, geschweige denn individuell auskommen; sie setzte intensive Marktbeziehungen zu Nachbargebieten voraus, hier zur Dreifelderwirtschaft des Berner Mittellands im Norden. Die Martkverflechtung förderte das Wachstum von Marktflecken im Tal selbst, die wie die blühende Ortschaften Erlenbach und Zweisimmen vom Viehandel lebten. Die Umstellung muß den Simmentaler Bauern viel Unruhe und Unsicherheit beschert haben, und hier hat die Hexerei eine ihrer Wurzeln. Zu betonen ist allerdings, daß die Hexerei nicht droben in Einzelhöfen bei armen Almhirten und Sennerinnen entdeckt wurde, sondern drunten in den wohlhabenden Marktflecken, im Brennpunkt landschaftlicher Kommunikation. […] und auch unter diesem Aspekt [religiöse Betreuung durch Pfarrkirche etc.] wohnten die Hexer nicht abseits; die Heimat der Hexemeister Stadelin, die Gemeinde Boltigen, besaß eine alte Pfarrkirche. […] Der Feudalismus war hier nicht bloß durchgedrungen, er tobte sich im vierzehnten Jahrhundert geradezu aus, in Fehden der lokalen Adelsgeschlechter gegeneinander, in Herrschaftswechseln und Aufteilung von Herrschaftsrechten, vor allem in Verschwendungssucht und Verschuldung der Freiherren, die ihre Bauern auspressen mussten und am Ende doch zum Verkauf ihrer Burgen und Recht gezwungen waren. […] Damit ist die politische Geschichte des Simmentals gekennzeichnet. Im frühen vierzehnten Jahrhundert stand es noch unter einheimischen Adelsgeschlechtern. Deren Verarmung führte zur Invasion fremder Edelleute, die Habsburg nahestanden und aus dem Schweizer Norden und Westen kamen. Diese Feudalherren wurden ihrerseits rasch verdrängt durch die reichen Bürgerstädte im Norden und Westen, Bern und Fribourg. […]
Die verhexten Alpenregion war um 1400 alles andere als rückständig und isoliert. Schon äußerlich bot das Simmental mit seinen Dörfern, Viehmärkten, Pfarrkirchen, Klöstern und Burgen den typischen Anblick einer spätmittelalterlichen Landschaft. Strukturell befand sie sich in der entscheidenden Wende ihrer Geschichte, in der Umstellung von Selbstversorgung und feudaler Zersplitterung zu Marktverflechtung und Eingliederung in einen Flächenstaat.
Es gab hier zum einen eine starke Tendenz von ehrgeizigen Aufsteigern Hexerei zu betreiben und weiters eine nicht ganz unerhebliche allgemeine Unsicherheit in der Bevölkerung, wie in Umbruchszeiten üblich, in denen man nicht weiß, was am Ende rauskommt. Analoge Verhältnisse zum Simmental finden sich dann in genügend Ausbruchsherden der Hexenverfolgung, zusätzlich zu den bekannten Phänomenen dieser Zeit wie Kriegen, Seuchen, klimatische Veränderungen, die auch immer wieder einmal vorkamen und die Unsicherheit verstärkten.

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Robert Ketelhohn
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Vielen Dank für den Hinweis!
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
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Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Bitte.

Noch etwas zum zweiten Punkt:

[quote="W. Rummel, R. Vollmer, "Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit" (WBG), S. 116"]
Auffällig ist, dass die fraglichen Bischöfe, Pröpste und Fürstäbte [in deren Gebiet besonders stark gegen Hexerei vorgegangen wurde] mehrheitlich der katholischen Liga angehörten und dass sie offensichtlich vom Eifer gegenreformatorischen Aktionismus durchdrungen waren. Balthasar von Dernbach († 1606), Fürstabt von Fulda, Johann Christoph von Westerstetten († 1637), erst Fürstpropst in Ellwangen, dann Fürstbischof von Eichstätt, Johann Gottfried von Aschhausen († 1622) – ab 1617 auch Würzburger Fürstbischof – und Johann Georg II. Fuchs von Dornheim († 1633), Fürstbischöfe von Bamberg, sowie Julius Echter von Mespelbrunn († 1617) und Philipp Adolf von Ehrenberg († 1631), Fürstbischöfe von Würzburg, betrieben in ihren jeweiligen Territorien eine aggressive Rekatholisierungspolitik, getreu den tridentinischen Lehren und in Abgrenzung gegenüber den protestantischen Nachbarn. Ihr Ziel scheint es jeweils gewesen zu sein, zum Wohl ihrer Untertanen und zur Rettung ihres (und ihres eigenen) Seelenheils einen Gottesstaat zu errichten, aus dem alle feindlichen, störenden, die Gebote Gottes missachtenden und das disziplinierende Regelwerk des neuen Katholizismus gefährdende Verhaltensweisen und Glaubensverirrungen entfernt werden mussten. Im Klartext bedeutete dies den Kampf gegen jede Form sittlicher und religiöser Devianz. Ganz nebenbei bestrafen die Disziplinierungsbemühungen auch die oft mit den Fürstbischöfen in Konkurrenz lebenden Domkapitel wie die noch protestantisch gebliebenen Stände. Zu den Hauptpunkten des fürstbischöflichen Reformprogramms zählten ebenso das Vorgehen gegen Ehebruch, Prostitution, Klerikerkonkubinat und den Missbrauch kirchlicher Festkultur wie andererseits die „Missionierung“ noch protestantischer Untertanen, die zum Glaubenswechsel oder zur Auswanderung gezwungen wurden. Den moralischen Kanon der zu verfolgenden religiösen wie sittlichen Missbräuche stellten übrigen die Jesuiten bereit, zu denen die genannten geistlichen Fürsten enge Kontakte unterhielten und von denen sie auch erzogen worden waren. Gleichwohl waren es auch Prediger aus den Reihen der Jesuiten, welche – wie beispielsweise Kaspar Hell († 1634) in Eichstätt – die Hexenjustiz der Fürstbischöfe mit klaren Worten tadelten.
[/quote]
Hier kann man schon einmal feststellen, dass die Hexenverfolger jeweils auf der "Höhe ihrer Zeit" waren, um es einmal so auszudrücken. Die Tendenz Disziplinierung und Rationalisierung war damals eine ganz allgemeine, über Staats- und Konfessionsgrenzen und alle sozialen Bereiche hinweg*, und beendete die relative Konzilianz oder vergleichsweise Laxheit des späten Mittelalters. Gerade auch in der Kirche wehte dieser "neue Geist" und brauchte gut hundert Jahre (in die auch gleichzeitig die Hochzeit der Hexenverfolgung und die Entstehung des absolutistischen Staates fällt), um sich wirklich durchzusetzen, wobei man immer wieder starke jesuitische Einflüsse ausmachen kann (Robert hat hier ja auch schon einiges, in anderer Hinsicht, vor allem bzgl. der Ostkirchen, dazu geschrieben; dass man z. B. erst im 18. Jh. die Sakramente der anderen Seite nicht mehr wirklich anerkannte, war ja auch nicht von ungefähr der Fall). Man kann diese Zeit in gewisser Weise wohl auch als Zeitalter der Konsequenz bezeichnen.
Oben genannter Julius Echter z. B. war ein recht typischer Vertreter der Spezies dieser neuen Zeit:

[quote="L. Roper, "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 44"]
Er war entschlossen, sein Herrschaftsgebiet der protestantischen Häresie zu entreißen. Auf einer Linie mit dem Konzil von Trient handelte er wie ein Musterreformer: Er sandte Vertreter aus, die seine ganze Diözese sorgfältig in Augenschein nahmen und vom Grad der Religiosität über die Häufigkeit der Kirchenbesuche, die Kenntnis der Glaubensgrundsätze bis zum Verhalten des Klerus alles erfassten. Julius Echter gründete die Universität, die seinen Namen trägt, und versuchte, das Bildungsniveau und die Disziplin des Klerus zu heben. Mit einer Kombination aus Missionierung unter Führung des Jesuitenordens und Ausweisung aller, die nicht zur Konversion bereit waren, führte er in seinem Hoheitsgebiet den Katholizismus systematisch wieder ein und gewann die Stadt Würzburg für den alten Glauben zurück. Er leitete eine Bautätigkeit ein, die Würzburg zu einer der schönsten Barockstädte Süddeutschlands machte, und ließ die Pfarrkirchen in seinem Gebiet gemäß der neuen religiösen Ästhetik umgestalten, deren spitze rote Kirchentürme seitdem die Landschaft prägen. Er modernisierte die Verwaltung und gab dem neuen Hospital der Stadt seinen Namen, das berühmt wurde, weil man sich im Juliusspital besonders um Geisteskranke, aber auch um Waisen, Pilger und Kranke kümmerte. Die symmetrische Architektur des Juliusspitals, sein rechteckiger Innenhof und die elegante Säulenhalle spiegelten seine Lieblingsvision vom Christentum als verordnete Bescheidenheit wider. Der Bischof selbst verbrachte seine Zeit gerne hier, half bei der Essensausgabe an die Bewohner und wusch ihnen am Gründonnerstag die Füße. Die Widmungsseite eines Buchs, das zu seinen Lebzeiten zur Feier seiner 30-jährigen Regierungszeit gedruckt wurde, zeigt vier weibliche Gestalten, die seine herausragenden Leistungen verkörpern. Eine davon ist Misericordia, Mitleid. Sie trägt ein Schild mit einer Darstellung des Juliusspitals. […] Echters leidenschaftlicher Marienkult, die Verbannung aller Frauen von seinem Hof, das strenge Zölibatsgebot für Priester und seine Entschlossenheit bei der Hexenjagd hängen ohne Zweifel zusammen.
[/quote]
Man darf wohl festhalten, dass der Bischof wohl persönlich integer, fromm, eben ein leidenschaftlicher Marienverehrer, romtreu, weiters engagiert, wohltätig und konsequent war. So einen Bischof hätten, was das betrifft, hier sicher sehr viele gerne. Aber man kann hier auch noch festhalten, dass er wohl nicht ganz frei von den Sorgen und Ängsten der Zeit war, in der ja genügend ein letztes Ringen vor dem Jüngsten Gericht erblickten, in der neben diversen Häretikern auch die Teufelssekte der Hexer mitmischte. Dazu dann noch das allgemeine Bestreben der Zeit zur sozialen Disziplinierung und Rationalisierung, mit der Ausbildung der neuzeitlichen, absolutistischen Flächenstaaten, zusammen mit gewissen kontingenten Faktoren, wie z. B. eine gewisse persönliche Abneigung gegen Frauen, die sich leider tatsächlich bei so manchen bekannten Hexenverfolgern feststellen lässt (bei Kramer bspw. ist es ja schon lange kein Geheimnis mehr), oder das Auftreten von gewissen anderen, zufälligen Phänomenen und die dadurch entstehende Unruhe in der Bevölkerung, genommen und man kann ungefähr verstehen, wie es zu größeren und großen Verfolgungen kam. Man findet hierbei immer einige Faktoren, die zusammenkommen mussten, um sich entsprechend auszuwirken.
Und noch etwas Konkreteres hierzu:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Als Tendenz läßt sich beobachten, daß vorwiegend Terri-
torien betroffen sind, die Berührung mit der Reformation hatten, und
zwar reformatorisch gebliebene ebenso wie zum Katholizismus zurück-
gekehrte.
[quote="L. Roper, "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 62"]
Trotz der Feindseligkeiten und Gewalttätigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten waren ihre Grundeinstellungen gegenüber Hexerei ähnlich.
[/quote]

[quote="L. Roper, "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 64"]
Allerdings formte nicht allein [aber schon auch!] Glaubenseifer, der aus dem Zusammenstoß von Protestanten und Katholiken hervorging, die religiösen Gefühle der Hexenjagd.
[/quote]
Interessant ist allerdings auch, dass sich, ab dem Moment, aber dem die Gesellschaft halbwegs diszipliniert und ein zentralisierter, starker Staat eingerichtet war, die spontanen Ausbrüche des Volkszorns (die sich aber vielfach, was auch eine Frucht der genannten gesellschaftlichen Faktoren war, nicht mehr einfach in Form von Lynchjustiz äußern konnte) gegen echte oder vermeintliche Hexer unterbunden wurden und die Justiz in einem Gebiet, nicht mehr eine dermaßen große Eigendynamik - da beaufsichtigt - entwickeln konnte. Das passt dann mit dem hier an anderer Stelle Gesagten wiederum zusammen.
---
Anm.:

* Um das zu verdeutlichen, sei hier exemplarisch etwas aus Charles Taylors sehr guter Sozial- und Ideengeschichte zitiert, nämlich einmal etwas zur rein sozialen Problematik (an der anschließend noch ein für die Hexenverfolgungsproblematik wichtiger Punkt angehängt wird) und noch etwas zur Ökonomie und Politik:

[quote="C. Taylor, "Ein säkulares Zeitalter" (Suhrkamp), S. 180"]
Erstaunlich ist jedoch, wie im sechzehnten Jahrhundert nach den REFORMEN eine immer stärker werdende Entwicklung in Gang kommt, in deren Rahmen Versuche unternommen werden, den Unterschichten ein neues Gesicht zu geben. Man läßt sie eben nicht, wie sie sind, sondern man piesackt, schikaniert und bedrängt sie, hält ihnen Predigten, drillt und organisiert sie, damit sie ihre laxen und unordentlichen Volksgewohnheiten preisgeben und sich diesem oder jenem Merkmal zivilen Verhaltens anpassen. Anfangs ist es natürlich niemandem in den Sinn gekommen diese Menschen umzukrempeln, bis sie dem Ideal zur Gänze entsprachen. Andererseits schien es auch nicht akzeptabel, sie einfach so zu lassen, wie sie waren. Am Schluß dieser Entwicklung betreten wir eine Welt – nämlich die unsere –, in der jeder von uns ein »zivilisierter« Mensch sein soll.
Warum dieser Aktionismus? Die Motivation ist offenbar komplex.
Eines der Motive ist aus der Sicht jeder beliebigen Elite zu verstehen: Die Leute mußten diszipliniert werden, weil ihr ungesittetes Verhalten die Elite in Gefahr brachte. Besonders deutlich wird das an den einschneidenden Reformen, die in England im Zuge der sogenannten »Armengesetze« verwirklicht wurden. Damit wurden die Bedingungen für eine Erleichterung der Lage der Mittellosen genau bestimmt. Bettelei wurde verboten oder stark eingeschränkt, Vagabundieren wurde strafbar und so weiter. Es scheint, daß im sechzehnten Jahrhundert die Zunahme der Bevölkerung zusammen mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dazu führte, daß die Anzahl der Mittellosen stieg. Ihre Mobilität nahm ebenfalls zu, und es zog sie in die großen Städte, um Hilfe und ein Auskommen zu suchen, das sie zu Hause nicht mehr finden konnten. Diese größere, mittellose und mobile Bevölkerung ließ Bedingungen entstehen, die die öffentliche Ordnung bedrohten, da sie die Kriminalität und die Ausbreitung von Krankheiten begünstigten.
[/quote]

Jetzt könnte man fragen, was hat bspw. die Bettelei und Vagabundenproblematik mit der Hexenverfolgung zu tun? Nun, nach allem, was ich so gesehen habe, doch auch einiges. Gerade für Österreich - aber weit nicht nur - liegen mir haufenweise Fälle vor, bei denen die Angeklagten Bettler, Landstreicher etc. waren, die der Hexerei bzw. des Werwolf-seins bezichtigt wurden. Hier diente der Vorwurf der Hexerei - den Akteuren mehr oder minder bewusst - dem Zweck der gesellschaftlichen Disziplinierung, ja war anscheinend regelrecht eine Funktion selbiger. Faszinierend ist auch, dass solche Anklagen von Bettlern, Landstreichern und sonstigen irgendwie Armen und Randständigen verstärkt ab dem Ende des 16. Jh. auftauchen und sich bis ins 18. Jh. durchhalten, aber in den Anfängen (wie im Simmental, v. s.) im Spätmittelalter, noch keine besondere Rolle spielen. Wenn man das bedenkt, lässt sich ein, im Ganzen betrachtet, nicht ganz kleiner Teil der Fälle von Hexerei recht gut erklären. Damit ist natürlich weit nicht das gesamte Phänomen erklärt, da es wesentlich zu vielschichtig ist, aber zumindest kann man schon hier ersehen, dass die "Erklärungen" vom einfach abergläubischen Volk, dessen Unaufgeklärtheit von der fanatischen Hexenjägerkirche ausgenützt wurde, wesentlich zu kurzschlüssig sind. Gerade dieser Aspekt der Hexenverfolgung ist anscheinend eine Ausgeburt der allerneuesten, gesamtgesellschaftlichen Grundausrichtung dieser Zeit.


[quote="C. Taylor, "Ein säkulares Zeitalter" (Suhrkamp), S. 180ff"]
Später wandelte sich die Motivation jedoch, und dieses negative Interesse wird von einem positiven verdrängt. Die Durchführung gesellschaftlicher Reformen gilt nun als wesentlicher Bestandteil der Staatskunst und als entscheidender Beitrag zur Aufrechterhaltung und Steigerung der staatlichen Macht. Gleichzeitig sieht man erstens allmählich ein, daß Handlungen seitens der Regierung die ökonomische Leistungsfähigkeit verbessern helfen können, und zweitens erkennt man, daß diese Leistungsfähigkeit eine unabdingbare Voraussetzung militärischer Macht ist. Das Militärische war nach wie vor das entscheidende Gebiet staatlicher Politik, denn die Herrschenden waren bemüht, sich gegne die Übergriffe von anderer Seite zu wehren oder den eigenen Machtbereich zu vergrößern. Aber die Mittel zur Kriegführung waren Steuereinnahmen, die allenfalls kurzfristig erhöht werden konnten, sofern die Produktion nicht gesteigert oder keine größeren Handelsüberschüsse erzielt wurden. Bisher hatten sich die Regierenden mit Verteilungsfragen (wie man vielleicht sagen darf) befassen müssen: Getreidemangel in der Hauptstadt konnte die Preise in die Höhe schnellen lassen, was eventuell schwerwiegende Konsequenzen für die öffentliche Ordnung nach sich zog. Durch Arbeitskräftemangel konnten die Lohnkosten dermaßen steigen, daß die Beschäftigung für Landbesitzer und städtische Arbeitgeber unerschwinglich wurde. Außerdem konnte es, wie eben geschildert, passieren, daß eine größere Zahl armer Menschen in die Städte drängte und Hilfe verlangte. Alle diese Vorgänge konnten Maßnahmen erforderlich machen, die Preiskontrollen oder den Verkauf von Gütern nach sich zogen.
Seit jedoch im siebzehnten Jahrhundert die Rüstungstechnik Fortschritte machte und einige Staaten (wie zum Beispiel Holland und England) durch gesteigerte Produktion offenbar große Vorteile errangen, bestand ein gewisser Druck, auf der Angebotsseite zu intervenieren. Die Regierungen begannen sich für die Produktivität zu interessieren und zugleich für eine ganze Reihe von Maßnahmen, die mit der Größe, der Gesundheit, dem Wohlstand und sogar den Sitten der Bevölkerung zusammenhingen und die sich allesamt direkt oder indirekt und in hohem Maße auf die militärische Stärke auswirkten.
Man brauchte eine gesunde, zahlreiche und disziplinierte Bevölkerung, um taugliche Soldaten einziehen zu können. Man brauchte ein großes und produktives Volk, um die Steuern einzunehmen, die erforderlich waren, um diese Soldaten zu bewaffnen und in Schuß zu halten. Man brauchte eine nüchterne, ordentliche und fleißige Bevölkerung, um die Produktion auf hohem Niveau zu halten. Den Regierungen ging es immer mehr darum, ihre Untertanen durch und durch umzumodeln, und zwar nicht nur um die Ordnung aufrechtzuerhalten und Aufstände zu verhüten, sondern auch um sich einen der immer größeren Anteile am Gleichgewicht der europäischen Militärmächte zu sichern.
[/quote]
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Peregrin
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Peregrin »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Hexenverfolgung ist anscheinend eine Ausgeburt der allerneuesten, gesamtgesellschaftlichen Grundausrichtung dieser Zeit.
Hexenverfolgung, das Erstgeborene der "Aufklärung". So sehe ich das auch gerne.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Peregrin hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:Hexenverfolgung ist anscheinend eine Ausgeburt der allerneuesten, gesamtgesellschaftlichen Grundausrichtung dieser Zeit.
Hexenverfolgung, das Erstgeborene der "Aufklärung". So sehe ich das auch gerne.
Ja, "Aufklärung" unter Anführungszeichen. Mit der Aufklärung im eigentlichen Sinne hat die Angelegenheit ja eigentlich relativ wenig zu schaffen. Sie begann vor der eigentlichen Aufklärung und endete auch unabhängig von ihr. Das "Chaos", aus dem die neue Zeit entstand, sozusagen, aber durchaus mit einer gewissen inneren Logik.

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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von cantus planus »

Auch in Osnabrück denkt man hie und da über die "Rehabilitierung" der Opfer der Hexenprozesse nach: http://www.noz.de/deutschland-und-welt/ ... abilitiert

Das erfreuliche an diesem Artikel: die beiden Hauptirrtümer (Hexenprozesse wurden von der katholischen Kirche im Mittelalter betrieben) werden klar wiederlegt. In Osnabrück fielen diese Prozesse in die Barockzeit - und in die Phasen, als die Stadt reformiert war.
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Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Hier nur eine weitere Anmerkung zu obigen Ausführungen der Hexenverfolgung als eines neuzeitlichen Phänomens, das sich ohne die sozialen Umbrüche, politischen und eben auch wissenschaftlichen bzw. typisch neuzeitlichen Anschauungen nicht in der dann tatsächlich gegebenen Form durchgesetzt hätte:
W. Rummel, R. Voltmer, [i]Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit[/i] (WBG), S. 58f hat geschrieben:Ulrich Tengler [ca. *1440 – +1521; weltlicher Jurist, Landvogt], der als erster die Botschaft des Hexenhammer in deutscher Sprache propagierte (Layenspiegel, 1509; Der new Layenspiegel, 1511), räumte ein, die Verbrechen und Fähigkeiten, welche man den Hexen unterstellte, seien so unglaublich, dass sie mit menschlicher Vernunft nicht leicht zu begreifen und zu glauben wären. Deshalb sei ja auch unter den Rechtsgelehrten mancherlei Zweifel und disputation entstanden und deswegen hätten weltliche Richter die Hexen zeitweise nicht verfolgen wollen. Der studierte Kleriker Wilhelm von Bernkastel musste sich sogar eingestehen, dass er den Verfechtern der Hexenlehre eigentlich nicht glauben dürfe, weil ihre Behauptungen den Lehren der alten kirchlichen Autoren zuwiderliefen […]. Tatsächlich – und dies mutet aus heutiger Sicht seltsam an – beriefen sich nun ausgerechnet die Skeptiker auf die Autorität der Tradition, wohingegen die Anhänger der Hexenlehre deren Modernität bemühten: Nur auf Erfahrung seien ihre Behauptungen gegründet, so Wilhelm, und die Erfahrungen selbst seien ganz aktuell.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass so eine Argumentationsweise unter den Gelehrten nicht auf taube Ohren stieß in einer Zeit, in der dann später auch Francis Bacons „Novum Organon“ entstand.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Brian P. Levack, [i]Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgung in Europa[/i] (C. H. Beck), S. 151ff hat geschrieben:
In allgemeiner und indirekter Weise leistete der soziale Wandel aber dennoch einen Beitrag zu Hexenjagd. Wenn soziale und wirtschaftliche Veränderungen mit religiösen und politischen Veränderungen zusammenfielen, schufen sie ein Klima der Angst in allen Teilen der Gesellschaft, das den Menschen eine vom Hexenwesen ausgehende Gefahr stärker bewußt machte. so daß sie eifriger darauf bedacht waren, diese zu bekämpfen. Natürlich kann man argumentieren, daß sich in der Geschichte ständig grundlegende Veränderungen vollziehen, die bei Betroffenen und Zeitzeugen Ängste wecken. Das mag zwar zutreffen; aber die Zeit der Hexenjagd war eine Periode, in der Europa die Geburtswehen der modernen Welt durchlitt, sie war ein besonderer Fall. In dieser Zeit herrschte in Europa eine Inflation, wie man sie zuvor noch nie erlebt hatte, der Lebensstandard sank, und gleichzeitig entwickelte sich der Kapitalismus, der neuzeitliche Staat entstand, Aufstände, Bürgerkriege und internationale Konflikte brachen in großer Zahl aus, und die Einheit der mittelalterlichen Christenheit wurde zerstört. Diese Veränderungen waren grundlegender, schneller und umfassender als in jeder anderen Epoche der europäischen Geschichte vor der industriellen Revolution, und sie forderten einen hohen psychischen Preis. Für eine Bevölkerung, die an eine feststehende Weltordnung glaubte, war die Veränderung fast aller Lebensaspekte eine verwirrende Erfahrung. Das erklärt vermutlich die düstere, pessimistische und traurige Stimmung, die zeitgenössische und spätere Historiker im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa registrierten, und ganz sicher weckte es tiefsitzende Ängste bei denjenigen, die mit der Instabilität und Unsicherheit dieser neuen Welt nicht zurechtkamen. Diese in ganz Europa und in allen gesellschaftlichen Schichten vorherrschende Angst führte dazu, daß diese Periode als Zeitalter der Angst und als eine «der psychisch am stärksten gestörten Perioden der Menschheitsgeschichte bezeichnet werden konnte [das ausgehende 18. und das 20./21. Jh. kann man hier sicherlich auch noch einreihen]». […] Die moralische Dimension der in der europäischen Frühen Neuzeit gehegten Ängste macht deutlich, wie schwierig sich die Auswirkungen der sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen von denen des religiösen Wandels trennen lassen. Das von Europäern der Frühen Neuzeit empfundene Unbehagen mag vage und schwer zu analysieren sein, aber mit Sicherheit resultierte es im selben Maße aus dem religiösen Wandel wie aus den Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft. In letzter Konsequenz erzeugte der gesamte Wandlungsprozeß mehr als einzelne Entwicklungen die psychologische Bereitschaft zur Hexenjagd. Nachdem erst einmal eine die Hexenjagd begünstigende Stimmung entstanden war, kamen viele andere, spezifisch gesellschaftliche und wirtschaftliche Sorgen hinzu, die einmündeten in die Identifikation bestimmter Individuen – in der Regel arme, alte Frauen – als Hexen.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Brian P. Levack, [i]Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgung in Europa[/i] (Beck), S. 76-79 hat geschrieben:
Vor dem 13. Jahrhundert galt an den europäischen Gerichten ein Strafprozeßrecht, nach dem alle Verbrechen und besonders unaufgeklärte schwer zu verfolgen waren. Dieses meist als akkusatorisch bezeichnete Strafprozeßrecht galt in seiner ausgeprägtesten Form an den weltlichen Gerichten Nordwesteuropas, aber mit einigen wesentlichen Abweichungen auch an den weltlichen Gerichten der Mittelmeerländer und den verschiedenen kirchlichen Gerichten. Es überließ die Einleitung und Durchführung eines Strafprozesses einem Privatkläger, der meist zur Partei des Geschädigten oder dessen Verwandtschaft gehörte. Die Anklage bestand aus einer förmlichen, öffentlichen beeideten Aussage und hatte einen Prozeß gegen den Angeklagten vor einem Richter zur Folge. Wenn der Angeklagte seine Schuld eingestand oder wenn der private Kläger unanfechtbare Beweise vorlegen konnte. Sobald jedoch irgendwelche entschied der Richter gegen den Angeklagten. Sobald jedoch irgendwelche Zweifel aufkamen, wendete sich das Gericht an Gott, er möge ein Zeichen der Schuld oder Unschuld des Angeklagten geben. Dies geschah im allgemeinen durch ein Gottesurteil, eine Probe, die der Angeklagte annehmen mußte, wenn er freigesprochen werden wollte. […] Bei allen diesen Formen der Rechtsfindung blieb der Richter unparteiischer Schiedsrichter; er überwachte den geordneten Verlauf, wirkte aber in keiner Weise auf den Angeklagten ein. Geführt wurde das Verfahren vom Ankläger, dem selbst nach der alten römischen Tradition der Lex talionis ein Strafverfahren drohte, wenn der Beschuldigte seine Unschuld beweisen konnte. […] Zu Beginn des 13. Jahrhunderts gaben die kirchlichen und weltlichen Gerichte Westeuropas dieses frühmittelalterliche Strafverfahren auf und übernahmen neue Formen, die dem menschlichen Urteilsvermögen ein weit größeres Gewicht im Strafprozeß einräumten. Dieser Wandel entstand zum Teil aus der Rückbesinnung auf das Studium des römischen Rechts im 11. Und 12. Jahrhundert, der wichtigste Impuls erwuchs jedoch aus der Einsicht, daß die zunehmende Zahl der Verbrechen sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Bereich deren Bekämpfung notwendig machten. Bei der Durchsetzung dieses Wandels übernahm die Kirche, die mit der Ausbreitung von Häresien konfrontiert war, die Führungsrolle. Sie förderte die Einführung neuer Verfahren in weltlichen Gerichten auch dadurch, daß sie 1215 beim vierten Laterankonzil den Klerikern in aller Form verbot, an Gottesurteilen teilzunehmen. Da die Bitte an Gott um Entscheidung in Rechtsstreitigkeiten nur mit dem Segen eines Geistlichen vorgebracht werden durfte, , macht dieser Konzilsbeschluß den Gottesurteilen ein Ende.
Das neue Verfahren, das sich im 13., 14. Und 15. Jahrhundert allmählich durchsetzte und im 16. Jahrhundert in allen kontinentaleuropäischen Ländern galt, wird meist als inquisitorisches Strafverfahren bezeichnet. Es veränderte sowohl die Einleitung als auch die Durchführung des Strafprozesses. Allerdings schloß die Übernahme des inquisitorischen Verfahrens nicht aus, daß ein Gerichtsverfahren auf eine private Anklage hin eingeleitet wurde. Auf diese Weise kam es zu vielen Verfahren, auch vielen Hexenprozessen, die dann in inquisitorischer Weise geführt wurden. Der einzige Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Verfahren bestand darin, daß der Kläger nicht mehr für die Prozeßführung verantwortlich war; wir werden darauf noch zurückkommen. Außerdem ermöglichte die neue Prozeßordnung, daß Einwohner einer Gemeinde einen Verdächtigen bei den Justizbehörden anzeigen konnten, was bereits im 9. Jahrhundert kirchliche Gerichte in bestimmten Grenzen während der bischöflichen Visitation praktiziert hatten. Noch viel wichtiger ist, daß das neue Verfahren einem Mitglied des Gerichts, dem gelegentlich als Fiskal bezeichneten öffentlichen Ankläger oder dem Richter selbst, erlaubte, jemanden aufgrund einer Information, die er erhalten hatte, oder auch nur eines Gerüchts vor Gericht zu stellen. Auch dieses Verfahren hatte die Kirche in manchen Fällen bereits im 9. Jahrhundert angewendet, und zwar mit der Begründung, daß die infamia oder schlechte Leumund des Beschuldigten das juristische Äquivalent der privaten Klage sei. Im Spätmittelalter fand diese Praxis sowohl in kirchlichen als auch in weltlichen Gerichtshöfen weite Verbreitung. Die Folge war eine beträchtliche Vermehrung der Strafverfahren, aber auch die Gefahr unbegründeter, böswilliger, politisch motivierter oder willkürlicher Anschuldigungen. Bedeutender als die Einführung neuer Verfahren zur Einleitung eines Strafprozesses war die Tatsache, daß die Justizbehörden nun alle Stadien des Prozesses kontrollierten, sobald die Anklage erhoben worden war.
Bisher hatten die Behörden in einer Auseinandersetzung zwischen zwei privaten Parteien den Vorsitz geführt, wobei der Ausgang zumindest theoretisch Gott anheimgestellt wurde. Nun übernahm der Gerichtshof – der Richter und seine Beisitzer – die Aufgabe, Verbrechen zu untersuchen und zu entscheiden, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig war. Dies geschah vor allem dadurch, daß sie den Angeklagten und alle faßbaren Zeugen unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhörten und die Aussagen niederschrieben. Sie ermittelten die Fakten des Falles, die sie nach sorgfältig formulierten Beweisregeln auswerteten, um die Schuld oder Unschuld des Beklagten festzustellen und ein angemessenes Urteil zu fällen. Damit verlief das gesamte Verfahren nicht nur unter behördlicher Kontrolle, sondern auch auf der Grundlage eines rationalen Begründungsanspruchs.

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Brian P. Levack, [i]Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgung in Europa[/i] (Beck), S. 82f hat geschrieben:Der Gebrauch der Folter im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit hatte Antike und frühmittelalterliche Vorbilder. In der griechischen und römischen Antike wurden Sklaven häufig während ihrer Prozesse gefoltert, im Römischen Reich sogar Freie in Prozessen wegen Hochverrats und Schwerverbrechen. […] Man kann daher die Einführung der Folter im Europa des 13. Jahrhunderts mehr als Wiederbelebung denn als Neuerung betrachten. Ebenso wie das mit ihr verbundene Inquisitionsverfahren ergab sich ihre neuerliche Verwendung aus der teilweisen Wiederbelebung des römischen Rechts. Wichtiger als ihre Wiedereinführung in Westeuropa war aber die Notwendigkeit, Verbrechen effektiver zu verfolgen, und die Geltung des zu diesem Zwecke eingeführten inquisitorischen Verfahrens.
Den ältesten Quellenbeleg für die Verwendung der Folter im Spätmittelalter enthält das Recht der Stadt Verona aus dem Jahre 1228. Innerhalb weniger Jahre folgten diesem viele andere italienische Stadtstaaten, das Heilige Römische Reich und das Königreich Kastilien. In diesen weltlichen Jurisdiktionsbezirken diente die Folter in erster Linie dem Ziel, weitere Aussagen von notorischen Verbrechern zu erhalten, die unaufgeklärte Straftaten verdächtigt wurden. 1252 folgte die Kirche, die bei der Einführung des inquisitorischen Verfahrens vorangegangen war, dem Beispiel der weltlichen Gerichte. Papst Innozenz IV. erlaubte den päpstlichen Inquisitoren den Einsatz der Folter in Ketzerprozessen, da Häresie in vieler Hinsicht als das schlimmste geheime Verbrechen galt. Ketzer zu foltern erschien vor allem deshalb angemessen, weil ihr Verbrechen das kirchliche Äquivalent von Hochverrat darstellte und die ersten freien Römer, die gefoltert wurden, Hochverräter gewesen waren. Der Einsatz der Folter in Ketzerprozessen bot den kirchlichen Gerichten die Grundlage dafür, sie auch in Hexenprozessen anzuwenden; […].
Insbesondere, wenn man Hexerei als eine besondere Form der Ketzerei ansieht und die Hexer allesamt in einer Teufelssekte verbunden.

Aber später, in der Neuzeit, verhielt es sich bei der heiligen röm. und universalen Inquisition so, nämlich erheblich anders/besser, als in weltlichen Gerichten, insbesondere im Hl. Röm. Reich dt. Nation:
Rainer Decker, [i]Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition[/i] (Primus Verlag), S. 99 hat geschrieben:I. Die Heranziehung von Ärzten zur Klärung der Frage, ob ein Todesfall statt vermeintlicher zauberischer nicht natürliche Ursachen haben könnte.
II. Die Ermittlung des Corpus delicti durch eine Hausdurchsuchung bei Verdächtigen bis hin zur Durchsuchung des Bettes, ob sich dort Belastendes findet, z. B. Puppen oder Nadeln. Aber selbst bei einem Fund war Vorsicht geboten, denn: „Wo Frauen sind, dort sind auch Nadeln.“
III. Ablehnung des Vorwurfs gegen Dritte, am Hexensabbat teilgenommen zu haben, nicht einmal im Zusammenhang mit anderen Indizien.
IV. Äußerste Vorsicht bei Exorzismen, insbesondere wenn der angebliche Teufel die Personen belastet.
V. Anspruch des Angeklagten auf Verteidigung und überhaupt ein faires Verfahren durch:
a) das Verbot von Suggestivfragen
b) die Aushändigung einer Anklageschrift
c) die Heranziehung eines Verteidigers, bei mittellosen Angeklagten auf Kosten des Gerichts,
d) das Verbot demütigender Untersuchungen des Körpers (durch Rasur aller Haare zur Ermittlung eines Teufelsmahls).
Die Folter wurde allerdings, wie in allen Inquisitionsprozessen, zugelassen, aber sie durfte „nicht durch Schütteln, zusätzliche Gewichte oder einen Block an den Füßen verschärft werden, sondern darf nur durch Hochziehen an Seilen erfolgen“.
Für die Haftbedingungen und die Prozeßkosten gab es Spezialerlasse. Die Zellen waren geräumig und hell. Die Häftlinge hatten Anspruch auf einen Strohsack, Laken und Decken, konnten aber auf eigene Kosten anschaffen lassen: Bett, Tisch, weitere Laken und Handtücher. Sie hatten Gelegenheit sich zu waschen, einen Barbier, eine Wäscherin und eine Näherin kommen zu lassen. Zweimal in der Woche konnten sie die Kleidung wechseln.
Gerichtskosten wurden für Arme nicht erhoben. Für sie war, wie erwähnt, der Pflichtverteidiger gratis. Schreibgebühren wurden im „Offensivprozeß“, als dem von der Anklage bestrittenen Teil, nicht berechnet, lediglich im „Defensivprozeß“, für die Vernehmung der Entlastungszeugen und, wenn der Angeklagte nach Rom appellierte, für die Anfertigung der Kopien. Waren für den Inquisitor Dienstreisen unumgänglich, mußte er die Kosten möglichst niedrig halten.
Die auf Latein verfaßte Instruktion war für den internen Gebrauch bestimmt und wurde bei Bedarf an Inquisitoren und Bischöfe versandt, weshalb sie in den ersten Jahrzehnten unveröffentlicht blieb. 1625 wurde sie zum ersten Mal – inoffiziell – publiziert, in italienischer Übersetzung in einem Handbuch für Inquisitoren […].

Thomas_de_Austria
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Re: Zauberei und Strafrecht

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Allgemein zur Frage, wie „die Päpste und ihre Glaubenswächter zu Hexenglauben und -verfolgung standen“:
Rainer Decker, [i]Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition[/i] (Primus Verlag), S. 156-159 hat geschrieben:Statt mühsam den verschlungenen Wegen durch Bücher, Urkunden und Akten vom 11. bis zum 18. Jahrhundert zu folgen, hätten wir uns, wie es manche Historiker tun, einfach auf einen Zeitzeugen berufen können: Ludovico a Paramo, Inquisitor auf Sizilien, schrieb 1598 in seinem Buch „Über den Ursprung und die Entwicklung des Amtes der heiligen Inquisition“: „Nicht mit Schweigen übergehen sollte man nach meiner Meinung, wie verdient sich die heilige Inquisition um die Menschheit macht, weil sie eine ungeheure Zahl von Hexen verbrannt hat. … Sie sind von den Inquisitoren so scharf bekämpft worden, daß in den letzten 150 Jahren mindestens 30 000 verbrannt wurden, die, wenn sie ohne Strafe davongekommen wären, leicht dem ganzen Erdkreis das Ende und die Verwüstung gebracht hätten. Denn nicht nur der wahren Religion, sondern auch den weltlichen Gütern schaden sie sehr. So stellt es nämlich Papst Innozenz VIII. in seiner Bulle des Jahres 1484 dar … Gegen diese äußerst wilden Furien, die alles menschliche Wesen verloren haben, gehen die Inquisitoren sehr scharf vor, besonders im Königreich Sizilien, wo, als ich vor einigen Jahren das Inquisitorenamt übernahm, mehrere Hexen dieser Art als Apostaten entlarvt und bestraft worden sind.
Diese Angaben Paramos werden gerne zitiert, um die Schuld der katholischen Kirche an der Hexenverfolgung und das Ausmaß der dabei zurückgelassenen Blutspur zu belegen. Doch ist hier Quellenkritik dringend geboten. Das gilt zunächst einmal für Paramos unmittelbaren Machtbereich, Sizilien. Die Insel unterstand der spanischen Inquisition. Deren Tätigkeit ist dank eines einzigartig umfangreichen Datenmaterials in den letzten Jahrzehnten sehr gründlich, auch mit quantifizierenden Methoden, erforscht worden. Daraus ergibt sich: Paramo, der sich den Anschein eines zu allem entschlossenen Hexenjägers gibt, hat während seiner Amtszeit (1586 – 1609) niemanden deswegen hinrichten lassen, ganz im Einklang mit seinen Vorgängern und Nachfolgern auf Sizilien. Er selbst schreibt ja auch von sich nicht in etwa, unter ihm seien Hexen getötet, sondern „bestraft“ worden. Was die gesamte spanische Inquisition angeht, ermittelte einer ihrer besten Kenner, der dänische Historiker Gustav Henningsen, eine Zahl von 58 wegen Hexerei hingerichteten Personen. Hinzu kommen ungefähr 250 von staatlichen Gerichten oder im Zuge einer Lynchjustiz getötete Personen. Das heißt, in dem Reich, „in dem die Sonne nicht unterging“ – es umfaßte auch Mexiko, Peru und die Philipinnen –, wurden weniger Hexen umgebracht als in vielen kleineren und mittleren Territorien Deutschlands.
Für Europa errechnet Wolfgang Behringer 30 000 bis maximal 50 000 wegen Zauberei oder Hexerei Hingerichtete. Der untere Wert stimmt nur zufällig mit der Angabe bei Paramo überein. Denn diese bezieht sich auf die Urteile der „Inquisitoren“, womit die geistlichen Richter gemeint sein dürften. Aber selbst wenn er alle, also auch die weltlichen Richter im Auge gehabt haben sollte, war die Zahl am Ende des 16. Jahrhunderts noch übertrieben, denn der Höhepunkt der Hexenverfolgung überhaupt sollte erst noch kommen, die Jahre zwischen 1626 und 1631 in Deutschland.
Paramos Verbalradikalismus hält also einer kritischen Prüfung nicht stand. Dies wird auch dadurch deutlich, wenn neben der spanischen die mittelalterliche und die 1542 neu gegründete römische Inquisition ins Blickfeld kommen. Für das Mittelalter ist zwischen dem älteren Delikt des Schadenzaubers, das von der weltlichen Justiz geahndet wurde, und der Hexerei zu unterscheiden, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand und sowohl staatliche als auch kirchliche Tribunale auf den Plan rief. Bei den Massenverfolgungen im westlichen Alpenraum seit 1430/40 waren die weltlichen Gerichtshöfe führend, auch was die Todesurteile angeht. […] Addiert man alle Einzelnachrichten und wertet Institoris‘ 200 Gerichtete als Hingerichtete, dann ergibt sich für die mittelalterliche päpstliche und bischöfliche Inquisition eine Zahl von immer noch deutlich unter 1000 Menschen, die wegen Hexerei verbrannt wurden.
Wiederum erheblich niedriger ist der Wert für die neuzeitliche, d. h. die 1542 gegründete römische Inquisition. Massenverfolgungen hat sie ebensowenig durchgeführt wie ihre spanischen und portugiesischen Schwestern. Die Zahl der Hinrichtungen liegt bei unter 100. Abgesehen von den Scheiterhaufen in Avignon 1582 und denen in Burgund um 1660, die von den Inquisitoren ohne Zustimmung Roms in Brand gesetzt wurden, handelt es sich um einen anderen Hexenbegriff als den, der nördlich der Alpen zwischen ca. 1560 und 1700 die Prozeßlawinen in Gang setzte: Hexenflug und -sabbat sowie Teufelsbuhlschaft spielten kaum eine Rolle, aber Schadenzauber und Teufelspakt wurden durchaus ernst genommen, vor allem in Form von Nekromantie. Die Skepsis gegenüber dem Hexensabbat, der weiterhin gültige Grundsatz des kanonischen Rechts, wonach reumütige Ersttäter Anspruch auf Milde hatten, und nicht zuletzt die wirksame Kontrolle der lokalen Tribunale durch das Heilige Offizium in Rom ließen Italien in den Augen deutscher „Hexenanwälte“ wie Johann Weyer und Friedrich Spee zu einem Vorbild für den moderaten Umgang mit Magie und Magiern werden.
Dies bedeutet nicht, daß die neuzeitlich Inquisition der im Volk grassierenden Magie gleichgültig gegenübergestanden hätte – im Gegenteil. Volkstümliche, aber auch gelehrte Arten der Magie machten den geistlichen Richtern vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert zu schaffen. Henningen schätzt, daß die drei mediterranen Inquisitionen der Neuzeit ungefähr 20 000 Prozesse wegen Magie durchführten. In Italien rangierten sie, nach der erfolgreichen Abwehr der Reformation, an der ersten Stelle aller von der Inquisition bekämpften Delikte. Aber es war weniger der angsteinflößende Schadenszauber als vergleichsweise harmlose Praktiken wie Wahrsagerei, Heil- und Liebeszauber, die im Schwange waren. Dementsprechend milde fielen die Strafen aus.
Unter den wegen Magie Angeklagten waren in Italien auffallend viele Männer, zum Beispiel in Friaul ca. 50%. Dies paßt nicht zu den landläufigen Vorstellungen von den frauenfeindlichen Klerikern, wie es noch zum Beispiel vor kurzem die britischen Autoren Baigent und Leigh in ihrem ressentimentgeladenen Buch über die Inquisition propagierten: „Die Kirche hatte stets einen stets einen starken Hang zur Misogynie, und der Auftrag, das Hexenwesen zu bekämpfen, hatte ihr einen willkommenen Vorwand geliefert, einen regelrechten Kreuzzug gegen die Frauen, gegen alles Weibliche, zu führen.“ Es genügt eben nicht, den in der Tat frauenfeindlichen „Hexenhammer“ zu zitieren, sondern es wäre zu untersuchen, ob die Kirche, präziser gesagt: die Kirchen, seinen Empfehlungen folgten. Eine aktuelle Arbeit kommt zu dem überraschenden, aber gut belegten Ergebnis, daß in den evangelisch-lutherischen Territorien Deutschlands der Anteil der wegen Hexerei verfolgten Frauen größer war als in den katholischen. Die einfache Kausalkette Zölibat – sexuelle Verklemmtheit – Frauenfeindlichkeit – Hexenverfolgung ist mehr als fragwürdig. Die großen Hexenverfolgungen in Oberitalien spielten sich währen der sinnenfrohen Renaissance ab, nicht – wie in Deutschland – zur Zeit der sittenstrengen Gegenreformation.
Päpste, Kardinäle und die meisten Inquisitoren hatten weder Angst noch Haß gegenüber Frauen. Bedroht und herausgefordert fühlten sie sich aber von Nekromantikern. Diese waren meistens Männer, darunter erstaunlich viele Kleriker. Wenn solche Herren sich vorgenommen hatten, mit Hilfe von Teufelswerk den Papst aus dem Wege zu räumen, und sie erwischt wurden, dann fanden zumindest die Haupttäter keine Gnade, im 14. Jahrhundert unter Johannes XXII. genauso wenig wie 1635, zur Zeit Urbans VIII. […]
Solange dabei reale Praktiken verfolgt wurden, war dies in sich folgerichtig und für die christliche Gesellschaft syst. Die Dinge systemstabilisierend. Langfristig wurde dabei sogar der Boden für ein aufgeklärt-wissenschaftliches Weltbild bereit. Die Dinge begannen aber außer Kontrolle zu geraten, als sich der Kampf gegen den „Aberglauben“ im 15. Jahrhundert zu einer Phantomjagd entwickelte. Zum Beispiel wurde nicht mehr, wie in der Kirche des Frühmittelalters, die Vorstellung von nächtlichen Ausfahrten und Treffen von Frauen mit jenseitigen Wesen als Irrlehre gewertet, sondern Theologen interpretierten sie als reale Bedrohung von seiten eine (imaginären) Sekte von Teufelsdienern. Gleichzeitig verschlechterten Juristen die Verteidigungsmöglichkeiten der Verdächtigen. Das Ergebnis waren die großen eurpäischen Hexenverfolgungen. Die Päpste des ausgehenden Mittelalters haben diese Menschenjagd nicht, wie früher die Kreuzzüge, mit großem Aufwand propagiert, aber eifernde Inquisitoren beigestanden, wenn sie um Hilfe für ihr „gottgefälliges“ Werk baten. Im Laufe des 16. Jahrhunderts setzte jedoch, wie oben geschildert, an der Spitze der katholischen Kirche ein Umdenken ein. Es verhinderte, daß wie in anderen Ländern Europas, in Italien, Spanien und Portugal zehntausende vermeintliche Hexen verbrannt wurden. Daß evangelische Staaten diesem römischen Vorbild nicht folgt, also statt dessen auf scharfe Verfolgungen setzten, ist nachvollziehbar. Aber warum auch katholische Territorien, Schweizer Kantone oder geistliche Fürstentümer in Deutschland, die Scheiterhaufen in Brand steckten, statt sich von der in Italien vorherrschenden kritischen Einstellung leiten zu lassen, ist noch nicht geklärt. Zu den Ursachen dürften zählen: Ein Mangel an Informationen über die Haltung Roms, aber auch das Pochen auf die eigenen Souveränitätsrechte, gerade in kleineren Herrschaften, und in Verbindung damit die fehlende Rechtsaufsicht von oben.
Auf jeden Fall kann man nicht pauschal von „der“ hexenverfolgenden katholischen Kirche sprechen, wie dies z. B. der Kirchenkritiker Eugen Drewermann tat, als er Spees „Cautio Criminalis“ als „Kampfschrift gegen die herrschende Lehre der Kirche bezeichnete. Abgesehen davon, daß Spee sich in Wirklichkeit gegen die Praxis der vom Staat durchgeführten Prozesse wandte, muß betont werden: Es gab keine herrschende Lehre „der“ Kirche in Hexensachen, sondern eine Vielfalt der Theorien und des praktischen Umgangs mit dem Thema Teufel und Magie.

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