Bitte.
Noch etwas zum zweiten Punkt:
[quote="W. Rummel, R. Vollmer, "
Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit" (WBG), S. 116"]
Auffällig ist, dass die fraglichen Bischöfe, Pröpste und Fürstäbte [in deren Gebiet besonders stark gegen Hexerei vorgegangen wurde] mehrheitlich der katholischen Liga angehörten und dass sie offensichtlich vom Eifer gegenreformatorischen Aktionismus durchdrungen waren. Balthasar von Dernbach († 1606), Fürstabt von Fulda, Johann Christoph von Westerstetten († 1637), erst Fürstpropst in Ellwangen, dann Fürstbischof von Eichstätt, Johann Gottfried von Aschhausen († 1622) – ab 1617 auch Würzburger Fürstbischof – und Johann Georg II. Fuchs von Dornheim († 1633), Fürstbischöfe von Bamberg, sowie Julius Echter von Mespelbrunn († 1617) und Philipp Adolf von Ehrenberg († 1631), Fürstbischöfe von Würzburg, betrieben in ihren jeweiligen Territorien eine aggressive Rekatholisierungspolitik, getreu den tridentinischen Lehren und in Abgrenzung gegenüber den protestantischen Nachbarn. Ihr Ziel scheint es jeweils gewesen zu sein, zum Wohl ihrer Untertanen und zur Rettung ihres (und ihres eigenen) Seelenheils einen Gottesstaat zu errichten, aus dem alle feindlichen, störenden, die Gebote Gottes missachtenden und das disziplinierende Regelwerk des neuen Katholizismus gefährdende Verhaltensweisen und Glaubensverirrungen entfernt werden mussten. Im Klartext bedeutete dies den Kampf gegen jede Form sittlicher und religiöser Devianz. Ganz nebenbei bestrafen die Disziplinierungsbemühungen auch die oft mit den Fürstbischöfen in Konkurrenz lebenden Domkapitel wie die noch protestantisch gebliebenen Stände. Zu den Hauptpunkten des fürstbischöflichen Reformprogramms zählten ebenso das Vorgehen gegen Ehebruch, Prostitution, Klerikerkonkubinat und den Missbrauch kirchlicher Festkultur wie andererseits die „Missionierung“ noch protestantischer Untertanen, die zum Glaubenswechsel oder zur Auswanderung gezwungen wurden. Den moralischen Kanon der zu verfolgenden religiösen wie sittlichen Missbräuche stellten übrigen die Jesuiten bereit, zu denen die genannten geistlichen Fürsten enge Kontakte unterhielten und von denen sie auch erzogen worden waren. Gleichwohl waren es auch Prediger aus den Reihen der Jesuiten, welche – wie beispielsweise Kaspar Hell († 1634) in Eichstätt – die Hexenjustiz der Fürstbischöfe mit klaren Worten tadelten.
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Hier kann man schon einmal feststellen, dass die Hexenverfolger jeweils auf der "Höhe ihrer Zeit" waren, um es einmal so auszudrücken. Die Tendenz Disziplinierung und Rationalisierung war damals eine ganz allgemeine, über Staats- und Konfessionsgrenzen und alle sozialen Bereiche hinweg*, und beendete die relative Konzilianz oder vergleichsweise Laxheit des späten Mittelalters. Gerade auch in der Kirche wehte dieser "neue Geist" und brauchte gut hundert Jahre (in die auch gleichzeitig die Hochzeit der Hexenverfolgung und die Entstehung des absolutistischen Staates fällt), um sich wirklich durchzusetzen, wobei man immer wieder starke jesuitische Einflüsse ausmachen kann (Robert hat hier ja auch schon einiges, in anderer Hinsicht, vor allem bzgl. der Ostkirchen, dazu geschrieben; dass man z. B. erst im 18. Jh. die Sakramente der anderen Seite nicht mehr wirklich anerkannte, war ja auch nicht von ungefähr der Fall). Man kann diese Zeit in gewisser Weise wohl auch als Zeitalter der Konsequenz bezeichnen.
Oben genannter Julius Echter z. B. war ein recht typischer Vertreter der Spezies dieser neuen Zeit:
[quote="L. Roper, "
Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 44"]
Er war entschlossen, sein Herrschaftsgebiet der protestantischen Häresie zu entreißen. Auf einer Linie mit dem Konzil von Trient handelte er wie ein Musterreformer: Er sandte Vertreter aus, die seine ganze Diözese sorgfältig in Augenschein nahmen und vom Grad der Religiosität über die Häufigkeit der Kirchenbesuche, die Kenntnis der Glaubensgrundsätze bis zum Verhalten des Klerus alles erfassten. Julius Echter gründete die Universität, die seinen Namen trägt, und versuchte, das Bildungsniveau und die Disziplin des Klerus zu heben. Mit einer Kombination aus Missionierung unter Führung des Jesuitenordens und Ausweisung aller, die nicht zur Konversion bereit waren, führte er in seinem Hoheitsgebiet den Katholizismus systematisch wieder ein und gewann die Stadt Würzburg für den alten Glauben zurück. Er leitete eine Bautätigkeit ein, die Würzburg zu einer der schönsten Barockstädte Süddeutschlands machte, und ließ die Pfarrkirchen in seinem Gebiet gemäß der neuen religiösen Ästhetik umgestalten, deren spitze rote Kirchentürme seitdem die Landschaft prägen. Er modernisierte die Verwaltung und gab dem neuen Hospital der Stadt seinen Namen, das berühmt wurde, weil man sich im Juliusspital besonders um Geisteskranke, aber auch um Waisen, Pilger und Kranke kümmerte. Die symmetrische Architektur des Juliusspitals, sein rechteckiger Innenhof und die elegante Säulenhalle spiegelten seine Lieblingsvision vom Christentum als verordnete Bescheidenheit wider. Der Bischof selbst verbrachte seine Zeit gerne hier, half bei der Essensausgabe an die Bewohner und wusch ihnen am Gründonnerstag die Füße. Die Widmungsseite eines Buchs, das zu seinen Lebzeiten zur Feier seiner 30-jährigen Regierungszeit gedruckt wurde, zeigt vier weibliche Gestalten, die seine herausragenden Leistungen verkörpern. Eine davon ist Misericordia, Mitleid. Sie trägt ein Schild mit einer Darstellung des Juliusspitals. […] Echters leidenschaftlicher Marienkult, die Verbannung aller Frauen von seinem Hof, das strenge Zölibatsgebot für Priester und seine Entschlossenheit bei der Hexenjagd hängen ohne Zweifel zusammen.
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Man darf wohl festhalten, dass der Bischof wohl persönlich integer, fromm, eben ein leidenschaftlicher Marienverehrer, romtreu, weiters engagiert, wohltätig und konsequent war. So einen Bischof hätten, was das betrifft, hier sicher sehr viele gerne. Aber man kann hier auch noch festhalten, dass er wohl nicht ganz frei von den Sorgen und Ängsten der Zeit war, in der ja genügend ein letztes Ringen vor dem Jüngsten Gericht erblickten, in der neben diversen Häretikern auch die Teufelssekte der Hexer mitmischte. Dazu dann noch das allgemeine Bestreben der Zeit zur sozialen Disziplinierung und Rationalisierung, mit der Ausbildung der neuzeitlichen, absolutistischen Flächenstaaten, zusammen mit gewissen kontingenten Faktoren, wie z. B. eine gewisse persönliche Abneigung gegen Frauen, die sich leider tatsächlich bei so manchen bekannten Hexenverfolgern feststellen lässt (bei Kramer bspw. ist es ja schon lange kein Geheimnis mehr), oder das Auftreten von gewissen anderen, zufälligen Phänomenen und die dadurch entstehende Unruhe in der Bevölkerung, genommen und man kann ungefähr verstehen, wie es zu größeren und großen Verfolgungen kam. Man findet hierbei immer einige Faktoren, die zusammenkommen mussten, um sich entsprechend auszuwirken.
Und noch etwas Konkreteres hierzu:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Als Tendenz läßt sich beobachten, daß vorwiegend Terri-
torien betroffen sind, die Berührung mit der Reformation hatten, und
zwar reformatorisch gebliebene ebenso wie zum Katholizismus zurück-
gekehrte.
[quote="L. Roper, "
Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 62"]
Trotz der Feindseligkeiten und Gewalttätigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten waren ihre Grundeinstellungen gegenüber Hexerei ähnlich.
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[quote="L. Roper, "
Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung" (C. H. Beck), S. 64"]
Allerdings formte nicht allein [aber schon auch!] Glaubenseifer, der aus dem Zusammenstoß von Protestanten und Katholiken hervorging, die religiösen Gefühle der Hexenjagd.
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Interessant ist allerdings auch, dass sich, ab dem Moment, aber dem die Gesellschaft halbwegs diszipliniert und ein zentralisierter, starker Staat eingerichtet war, die spontanen Ausbrüche des Volkszorns (die sich aber vielfach, was auch eine Frucht der genannten gesellschaftlichen Faktoren war, nicht mehr einfach in Form von Lynchjustiz äußern konnte) gegen echte oder vermeintliche Hexer unterbunden wurden und die Justiz in einem Gebiet, nicht mehr eine dermaßen große Eigendynamik - da beaufsichtigt - entwickeln konnte. Das passt dann mit dem hier an anderer Stelle Gesagten wiederum zusammen.
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Anm.:
* Um das zu verdeutlichen, sei hier exemplarisch etwas aus Charles Taylors sehr guter Sozial- und Ideengeschichte zitiert, nämlich einmal etwas zur rein sozialen Problematik (an der anschließend noch ein für die Hexenverfolgungsproblematik wichtiger Punkt angehängt wird) und noch etwas zur Ökonomie und Politik:
[quote="C. Taylor, "Ein säkulares Zeitalter" (Suhrkamp), S. 180"]Erstaunlich ist jedoch, wie im sechzehnten Jahrhundert nach den REFORMEN eine immer stärker werdende Entwicklung in Gang kommt, in deren Rahmen Versuche unternommen werden, den Unterschichten ein neues Gesicht zu geben. Man läßt sie eben nicht, wie sie sind, sondern man piesackt, schikaniert und bedrängt sie, hält ihnen Predigten, drillt und organisiert sie, damit sie ihre laxen und unordentlichen Volksgewohnheiten preisgeben und sich diesem oder jenem Merkmal zivilen Verhaltens anpassen. Anfangs ist es natürlich niemandem in den Sinn gekommen diese Menschen umzukrempeln, bis sie dem Ideal zur Gänze entsprachen. Andererseits schien es auch nicht akzeptabel, sie einfach so zu lassen, wie sie waren. Am Schluß dieser Entwicklung betreten wir eine Welt – nämlich die unsere –, in der jeder von uns ein »zivilisierter« Mensch sein soll.
Warum dieser Aktionismus? Die Motivation ist offenbar komplex.
Eines der Motive ist aus der Sicht jeder beliebigen Elite zu verstehen: Die Leute mußten diszipliniert werden, weil ihr ungesittetes Verhalten die Elite in Gefahr brachte. Besonders deutlich wird das an den einschneidenden Reformen, die in England im Zuge der sogenannten »Armengesetze« verwirklicht wurden. Damit wurden die Bedingungen für eine Erleichterung der Lage der Mittellosen genau bestimmt. Bettelei wurde verboten oder stark eingeschränkt, Vagabundieren wurde strafbar und so weiter. Es scheint, daß im sechzehnten Jahrhundert die Zunahme der Bevölkerung zusammen mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dazu führte, daß die Anzahl der Mittellosen stieg. Ihre Mobilität nahm ebenfalls zu, und es zog sie in die großen Städte, um Hilfe und ein Auskommen zu suchen, das sie zu Hause nicht mehr finden konnten. Diese größere, mittellose und mobile Bevölkerung ließ Bedingungen entstehen, die die öffentliche Ordnung bedrohten, da sie die Kriminalität und die Ausbreitung von Krankheiten begünstigten.
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Jetzt könnte man fragen, was hat bspw. die Bettelei und Vagabundenproblematik mit der Hexenverfolgung zu tun? Nun, nach allem, was ich so gesehen habe, doch auch einiges. Gerade für Österreich - aber weit nicht nur - liegen mir haufenweise Fälle vor, bei denen die Angeklagten Bettler, Landstreicher etc. waren, die der Hexerei bzw. des Werwolf-seins bezichtigt wurden. Hier diente der Vorwurf der Hexerei - den Akteuren mehr oder minder bewusst - dem Zweck der gesellschaftlichen Disziplinierung, ja war anscheinend regelrecht eine Funktion selbiger. Faszinierend ist auch, dass solche Anklagen von Bettlern, Landstreichern und sonstigen irgendwie Armen und Randständigen verstärkt ab dem Ende des 16. Jh. auftauchen und sich bis ins 18. Jh. durchhalten, aber in den Anfängen (wie im Simmental, v. s.) im Spätmittelalter, noch keine besondere Rolle spielen. Wenn man das bedenkt, lässt sich ein, im Ganzen betrachtet, nicht ganz kleiner Teil der Fälle von Hexerei recht gut erklären. Damit ist natürlich weit nicht das gesamte Phänomen erklärt, da es wesentlich zu vielschichtig ist, aber zumindest kann man schon hier ersehen, dass die "Erklärungen" vom einfach abergläubischen Volk, dessen Unaufgeklärtheit von der fanatischen Hexenjägerkirche ausgenützt wurde, wesentlich zu kurzschlüssig sind. Gerade dieser Aspekt der Hexenverfolgung ist anscheinend eine Ausgeburt der allerneuesten, gesamtgesellschaftlichen Grundausrichtung dieser Zeit.
[quote="C. Taylor, "Ein säkulares Zeitalter" (Suhrkamp), S. 180ff"]Später wandelte sich die Motivation jedoch, und dieses negative Interesse wird von einem positiven verdrängt. Die Durchführung gesellschaftlicher Reformen gilt nun als wesentlicher Bestandteil der Staatskunst und als entscheidender Beitrag zur Aufrechterhaltung und Steigerung der staatlichen Macht. Gleichzeitig sieht man erstens allmählich ein, daß Handlungen seitens der Regierung die ökonomische Leistungsfähigkeit verbessern helfen können, und zweitens erkennt man, daß diese Leistungsfähigkeit eine unabdingbare Voraussetzung militärischer Macht ist. Das Militärische war nach wie vor das entscheidende Gebiet staatlicher Politik, denn die Herrschenden waren bemüht, sich gegne die Übergriffe von anderer Seite zu wehren oder den eigenen Machtbereich zu vergrößern. Aber die Mittel zur Kriegführung waren Steuereinnahmen, die allenfalls kurzfristig erhöht werden konnten, sofern die Produktion nicht gesteigert oder keine größeren Handelsüberschüsse erzielt wurden. Bisher hatten sich die Regierenden mit Verteilungsfragen (wie man vielleicht sagen darf) befassen müssen: Getreidemangel in der Hauptstadt konnte die Preise in die Höhe schnellen lassen, was eventuell schwerwiegende Konsequenzen für die öffentliche Ordnung nach sich zog. Durch Arbeitskräftemangel konnten die Lohnkosten dermaßen steigen, daß die Beschäftigung für Landbesitzer und städtische Arbeitgeber unerschwinglich wurde. Außerdem konnte es, wie eben geschildert, passieren, daß eine größere Zahl armer Menschen in die Städte drängte und Hilfe verlangte. Alle diese Vorgänge konnten Maßnahmen erforderlich machen, die Preiskontrollen oder den Verkauf von Gütern nach sich zogen.
Seit jedoch im siebzehnten Jahrhundert die Rüstungstechnik Fortschritte machte und einige Staaten (wie zum Beispiel Holland und England) durch gesteigerte Produktion offenbar große Vorteile errangen, bestand ein gewisser Druck, auf der Angebotsseite zu intervenieren. Die Regierungen begannen sich für die Produktivität zu interessieren und zugleich für eine ganze Reihe von Maßnahmen, die mit der Größe, der Gesundheit, dem Wohlstand und sogar den Sitten der Bevölkerung zusammenhingen und die sich allesamt direkt oder indirekt und in hohem Maße auf die militärische Stärke auswirkten.
Man brauchte eine gesunde, zahlreiche und disziplinierte Bevölkerung, um taugliche Soldaten einziehen zu können. Man brauchte ein großes und produktives Volk, um die Steuern einzunehmen, die erforderlich waren, um diese Soldaten zu bewaffnen und in Schuß zu halten. Man brauchte eine nüchterne, ordentliche und fleißige Bevölkerung, um die Produktion auf hohem Niveau zu halten. Den Regierungen ging es immer mehr darum, ihre Untertanen durch und durch umzumodeln, und zwar nicht nur um die Ordnung aufrechtzuerhalten und Aufstände zu verhüten, sondern auch um sich einen der immer größeren Anteile am Gleichgewicht der europäischen Militärmächte zu sichern.
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