Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

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cantus planus
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Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von cantus planus »

Hier das Beweisvideo: http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... unden.html

Neben den Vorgängen um Syrien und dem Irak und dem skandalösen Ermächtigungsgesetz vielleicht ein weiterer Augenöffner für jene, die noch immer glauben, in Deutschland sei eigentlich alles in Ordnung.
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkauft Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

Ich verstehe die Aufregung nicht. Offensichtlich wurde zur Einbringung des Gesetzentwurfs eine erste Beratung im Plenum durchgeführt. Die war zwangsläufig ausführlicher. Danach wurde der Gesetzentwurf im Ausschuss beraten, und zwar offensichtlich nicht nur pro forma, sondern inhaltlich; denn der Ausschuss hat dem Plenum eine Annahme in geänderter Fassung empfohlen.

Die zweite und dritte Beratung im Plenum zusammenzufassen ist üblich, wenn ein Gesetzentwurf nicht erneut in einen Ausschuss verwiesen werden muss. Wegen der vorgerückten Stunde (20.51 Uhr) wurden dann im Plenum die Redebeiträge »zu Protokoll« gegeben, d. h. nicht mehr öffentlich verlesen. Die Positionen der Fraktionen kennt eh jeder, kann sie aber dann im Protokoll noch mal nachlesen. Sie werden sich nicht wesentlich von der ersten Beratung unterscheiden, näheres wird im Bericht stehen, der sich ebenfalls im Protokoll findet, sogar am Schluss der Beschlussempfehlung des Ausschusses. Anschließend stimmt der Bundestag über die Ausschussempfehlung ab. Da die Größenverhältnisse der Fraktionen sich auch im Ausschuss widerspiegeln, weicht das Votum des Plenums mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von der Empfehlung des federführenden Ausschusses ab. Anwesend sind die Fachpolitiker, die sich eh schon tagelang in der Ausschussberatung die Köppe eingeschlagen haben und ihre Positionen und Argumente ausgetauscht haben. Das jetzt alles nochmal für die Kameras durchzuexerzieren, ist um kurz vor neun Uhr abends nicht mehr nötig.

Ich sehe wirklich keinen Anlass zu Empörung.

Wirklicher Anlass zu Empörung wäre höchstens die verleumderische Schlagzeile »Bundestag verkauft Bürgerrechte in 57 Sekunden«. Der Verfasser unterschlägt, dass der Gesetzentwurf vor dieser Abstimmung bereits in mehreren Sitzungen beraten und diskutiert wurde. Vielleicht hat er keine Ahnung davon, wie parlamentarische Arbeit läuft, dann sollte er aber auch nicht öffentlich solches Zeug schreiben.
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cantus planus
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von cantus planus »

Deine Ausführungen sind sicherlich korrekt und nachvollziehbar. Alleine: die Sache an sich bleibt ein Skandal (obgleich hier lediglich legitimiert wurde, was ohnehin seit Jahrzehnten passierte, nur eben im rechtsfreien Raum), und es stellt sich die Frage, warum sich jetzt viele Politiker empört distanzieren. Entweder ist das jetzt Opportunismus anbetracht des Volkszornes, oder man hat eben nur oberflächlich beraten und nicht verstanden, worüber eigentlich genau abgestimmt wurde.
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:es stellt sich die Frage, warum sich jetzt viele Politiker empört distanzieren.
Parteitaktiererei. Muss man nicht ernst nehmen. Die Opposition versucht, die presseöffentliche Empörung auf ihre Mühlen zu lenken; die Koalition versucht, wenig Angriffsfläche zu bieten. Das Übliche.

Hier übrigens der stenografische Bericht über die Plenarsitzung. Die zu Protokoll genommenen Redebeiträge findet man ab Seite zweiundzwanzigtausendvierhundertvierundsechzig.
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

Auszüge aus den zu Protokoll genommenen Reden:
Helmut Brandt (CDU/CSU) hat geschrieben:Leitlinie des vorliegenden Gesetzentwurfs ist neben dem Datenschutzgesetz auch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2006. Danach darf die Meldebehörde eine einfache Melderegisterauskunft nicht erteilen, wenn diese erkennbar für Zwecke der Direktwerbung begehrt wird und der Betroffene einer Weitergabe seiner Daten für solche Zwecke zuvor ausdrücklich widersprochen hat.

Im Zuge des parlamentarischen Verfahrens haben wir deshalb den Schutz des Einzelnen vor einem Missbrauch seiner Daten zu Werbezwecken dahingehend gestärkt, dass künftig der Abruf melderechtlicher Daten für Zwecke der Werbung und des Adresshandels gemäß § 44 Abs. 4 des Gesetzentwurfs nur erfolgen darf, wenn der Zweck im Zuge der Anfrage angegeben wurde und wenn der Betroffene nicht zuvor widersprochen hat. Auf das Recht des Widerspruchs muss der Betroffene bei der Anmeldung sowie einmal jährlich durch ortsübliche Bekanntmachung hingewiesen werden.
Gabriele Fograscher (SPD) hat geschrieben:Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu geben. Dazu gehören der Familienname, frühere Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Adresse und andere Daten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sicher sein, dass ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher aufgehoben sind und nicht unbegründet an Dritte weitergegeben, dort gespeichert und gegebenenfalls weiterverwendet werden. Deshalb sollte es der Regelfall sein, dass es für die Weitergabe von Daten der Einwilligung des Betroffenen bedarf. Die Nichtweitergabe der Daten sollte der Regelfall sein und nicht die Ausnahme. Eine solche Einwilligungslösung war im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Doch mit Ihrem Änderungsantrag schaffen Sie die Einwilligungslösung ab und sehen jetzt lediglich eine unzureichende Widerspruchslösung vor. Damit wird der Regelfall zur Ausnahme und die Ausnahme zur Regel. Das ist eine deutliche Verschlechterung des Datenschutzniveaus im Vergleich zum Ausgangsentwurf.

Mit dem vorliegenden Änderungsantrag werden hinsichtlich der Verwendung von Daten aus Melderegisterauskünften die bisher geplanten Regelungen zur Zweckbindung sowie zum Widerspruch gegen die Verwendung für Werbung und Adresshandel völlig ausgehebelt. Sie wollen, dass der Widerspruch gegen die Verwendung für Werbung und Adresshandel nicht gelten soll, wenn „die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden“. Das macht die Regelung wirkungslos. Da man für die Melderegisterauskunft immer bereits vorhandene Daten benötigt, wird es sich stets um eine Bestätigung oder Berichtigung vorhandener Daten handeln. Das ist eine massive Schwächung des Datenschutzes. Diese Änderung bedeutet daher einen deutlichen Rückfall hinter die Regelungen der bisherigen Gesetzeslage.

Jede Bürgerin und jeder Bürger muss mindestens einmal in seinem Leben seine Daten den Meldebehörden geben. Viele Bürgerinnen und Bürger machen das mehrfach in ihrem Leben. Deshalb sollten wir als Gesetzgeber und als Staat besonders sensibel mit diesen Daten umgehen. Wir sollten sie besonders sicher verwenden. Wir sollten sorgsam mit ihnen umgehen. Wir dürfen eine Weitergabe nur dann zulassen, wenn sie notwendig und ausreichend begründet ist. Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf einen sensiblen Umgang mit ihren Daten und können das auch vom Staat erwarten. Deshalb haben wir den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen im Innenausschuss abgelehnt; denn für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist eine Aufweichung des Datenschutzes und eine Umkehr von Regel und Ausnahme nicht hinnehmbar. Da Sie diese Änderungen aber unbedingt vornehmen wollen, lehnen wir auch den veränderten Gesetzentwurf ab. Ein Rückschritt in Sachen Datenschutz ist mit uns nicht machbar.
Manuel Höferlin (FDP) hat geschrieben:Zweitens ist der Datenschutz auch im Meldegesetz ein elementares Thema. Uns ist es wichtig, dass das Datenschutzniveau auf der Höhe des Bundesdatenschutzgesetzes ist. Das Meldegesetz steht damit in Einklang mit dem Bundesdatenschutzgesetz. Ich möchte auch hier die Vorwürfe der Opposition zurückweisen, wir hätten die melderechtliche Lage der Bürgerinnen und Bürger verschlechtert.

Durch die jährliche ortsübliche Bekanntmachung der Widerspruchsmöglichkeit kann der Betroffene auch realistischer Weise von diesem recht speziellen Gebiet Kenntnis erlangen und wird nicht dauernd mit lästigen Einwilligungsanfragen behelligt. Anstatt mit unbestimmten Rechtsbegriffen den Groll der Bürger und die Verunsicherung der Wirtschaft hervorzurufen, haben wir klare Tatbestände formuliert und bei Verstoß empfindliche Bußgelder vorgesehen.

Ausnahmen vom Verbot der Verwendung zu Werbe und Adresshandelszwecken gelten – unter den bisherigen Voraussetzungen des Bundesdatenschutzgesetzes – nur, wenn bei der Weitergabe der Adressen der Zweck angegeben wurde. Damit wird sichergestellt, dass nicht unter einem Vorwand Adressen aus Melderegistern erworben werden, um dann zu Werbezwecken oder zum Zwecke des Adresshandels weitergenutzt zu werden. Der Weitergabe von Adressdaten zum Zwecke der Werbung und des Adresshandels kann jederzeit widersprochen werden. Die einfache Melderegisterauskunft erfolgt dann nicht. Damit hat der Bürger selbst das Heft des Handelns in der Hand. Er kann entscheiden und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben.

Dem Vorwurf der Sozialdemokraten, den Datenschutz nicht hinreichend berücksichtigt zu haben, begegne ich mit der Frage, warum die SPD bisher in den Ländern nicht selbst tätig geworden ist. Wer hätte in Ländern mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung sie gehindert, hier auf Landesebene vorzugehen? Sie haben es wohl aus gutem Grund nicht gemacht.



Lassen Sie mich zum Schluss auf den Antrag der Grünen eingehen. Deren einzige Sorge beim Melderecht ist, das Merkmal „Doktorgrad“ zu streichen. Hier haben sie wieder einen Spielplatz für ihre Personenstandsdebatte gefunden. Das ist mal Oppositionsarbeit an den Inhalten. Und auch diesmal lehne ich diese gezwungene
Scheindiskussion ab.
Jan Korte (DIE LINKE) hat geschrieben:Ein zentrales Register ist im vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr vorgesehen, wohl aber der automatisierte Zugriff auf die 5 200 Melderegister. Angesichts der technischen Entwicklung ist das fast so gut wie ein Zentralregister. Wollte man also das Meldewesen tatsächlich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger weiterentwickeln, müsste gerade angesichts des rasanten Fortschritts in der Datenverarbeitung und -nutzung und vor allem der kommerziellen Nutzung umso schärfer auf Datensparsamkeit, Zweckbindung bei Abruf bzw. Weitergabe und Zugriffsberechtigungen geachtet werden. Das wäre eine Fortentwicklung des Meldewesens, die den Namen verdiente.

Wird hier zu wenig reduziert, so wird andererseits bei den Auskunftsrechten über die Datenverwendung und bei den Einspruchsmöglichkeiten nicht in erforderlichem Umfang auf deren Erweiterung gesetzt. Nicht zu akzeptieren ist es, dass für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften die Meldebehörden als regelrechte Serviceeinrichtungen fungieren sollen, die auch die Daten der Angehörigen, die nicht Mitglied der entsprechenden Religionsgemeinschaft sind, übermitteln dürfen. Gruppenauskünfte sollen erteilt werden können mit mehr als 14 Grunddaten; das dabei zu berücksichtigende Interesse wird bei Wissenschaft und Forschung sowie der Gesundheitsvorsorge offensichtlich grundsätzlich vorausgesetzt. Angesichts der Kommerzialisierung auch des Wissenschaftsbereichs ist das ein datenschutzrechtlicher Treppenwitz.



Die Melderegisterauskünfte in den §§ 44 und 45 sind ungenügend geregelt, und das Widerspruchsrecht gegen Melderegisterauskünfte in besonderen Fällen – Parteien, Alters- und andere Jubiläen – sollte durch ein Einwilligungsrecht ersetzt werden (§ 50 BMG-E). Für die Verwendung in Adressbüchern sollte ebenfalls eine Einwilligungslösung vorgeschrieben werden.

Angesichts der Bedeutung der Meldedaten und der rasanten technischen Entwicklungen sind die Schutzinstrumente in diesem Gesetz, sowohl was ihren kommerziellen Nutzen als auch den Zugriff staatlicher Behörden betrifft, ungenügend ausgestaltet. Die absehbaren Versuche von Unternehmen, aber auch von Bundeswehr und Religionsgemeinschaften eine noch einfachere Meldedatennutzung zu erreichen bzw. Privilegierungen für die eigene Klientel durchzusetzen, werden zunehmen.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat geschrieben:Peter Schaar hatte aber vor allem auf einen der großen Schwachpunkte in diesem Entwurf hingewiesen, nämlich die Melderegisterauskunft. Als er sie kommentierte war die Regelung für Adresshandel und Werbezwecke noch vergleichsweise in Ordnung, denn da war es das Modell opt-in, sprich: Der Meldepflichtige musste explizit zustimmen, dass seine Daten so verwendet werden dürfen. Das wurde mit dem Änderungsantrag nun ins glatte Gegenteil verkehrt. Nun soll man widersprechen müssen, also explizit seine Ablehnung erklären, dass irgendjemand die eigene Adresse weitergibt. Da hilft es auch nichts, dass der Adresshändler bei der Abfrage sagen muss, was er vorhat; denn davon kriege ich als Meldepflichtiger ja gar nichts mit.

Das ist für jeden, der sich neu meldet, ärgerlich, und das wird in der Praxis eher zu mehr als zu weniger ungewollter Post führen. Es bedeutet auch, dass bei den Altdaten, also den jetzt vorhandenen Meldedaten, kein Widerspruch vermerkt ist. Das ist wirklich ein Problem; denn das Melderegister dient ja vor allem amtlichen und hoheitlichen Zwecken und nicht als Arbeitserleichterung der Werbe- und Auskunfteibranche. Man hätte beim Modell opt-in bleiben müssen und eher noch überlegen, ob die Hürden für die allgemeine Auskunft nicht hätten höher werden müssen. Auskunfteien und Inkassounternehmen werden sich darüber freuen, auch der geänderte § 47 kommt ihnen gut zupass; jedenfalls haben sie diese Änderungen im Vorfeld gefordert. Bei den Koalitionsparteien rannte man da wohl offene Türen ein, Fragen des Datenschutzes haben sich den kommerziellen Interessen offenbar immer unterzuordnen.
Klar: »Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden«, also ohne parlamentarische Auseinandersetzung. :vogel:
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cantus planus
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von cantus planus »

In diesem Artikel wird das Ganze etwas sachlicher aufgearbeitet: http://www.focus.de/politik/deutschland ... 79753.html

Es kommt auch das Taktieren der Parteien zur Sprache, welches Lifestyle eben erwähnte.
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Edi
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Edi »

Ich bin gegen die Datenherausgabe der Behörden an Private und Firmen. Was gegen andere Leute meine Daten an? Lediglich in begründeten Ausnahmefälle sollte man das tun dürfen. z.B. wenn jemand auf deinem Firmen- oder Privatparkplatz parkt, dann sollten seine Daten angegeben werden, aber das machen die Behörden wie schon erfahren ungern.
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:In diesem Artikel wird das Ganze etwas sachlicher aufgearbeitet: http://www.focus.de/politik/deutschland ... 79753.html
Der Artikel ist tatsächlich besser.

Noch was zu der anderswo gemachten Anmerkung, es sei seltsam, dass hier das Parlament beschlussfähig gewesen sein solle, wo doch nur 27 Parlamentarier anwesend gewesen seien, während das Parlament bei der Beschlussfassung über das Betreuungsgeld nicht beschlussfähig gewesen sein solle, wo doch viel mehr Abgeordnete da gewesen seien:

Die Beschlussfähigkeit wird vom Präsidenten zu einem geeigneten Zeitpunkt festgestellt, wenn tatsächlich genügend Parlamentarier anwesend sind. Das Parlament gilt solange als beschlussfähig, bis eine Fraktion (oder eine bestimmte Zahl Parlamentarier, ich weiß nicht, wie das im Bundestag genau geregelt ist) den Antrag stellt, die Beschlussfähigkeit erneut zu prüfen. Dann wird neu gezählt. Beim Beschluss zum Betreuungsgeld haben sich die anwesenden Oppositionsabgeordneten absichtlich nicht zählen lassen. Wenn aber nach einmal erfolgter Feststellung der Beschlussfähigkeit kein anwesender Abgeordneter Einwände hat, gilt die Beschlussfähigkeit nach wie vor als gegeben. Das ist eine meist sinnvolle Arbeitserleichterung der Arbeitsabläufe von Plenarsitzungen.
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Caviteño
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Re: Bundestag verkauft Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Caviteño »

lifestylekatholik hat geschrieben:
Wirklicher Anlass zu Empörung wäre höchstens die verleumderische Schlagzeile »Bundestag verkauft Bürgerrechte in 57 Sekunden«. Der Verfasser unterschlägt, dass der Gesetzentwurf vor dieser Abstimmung bereits in mehreren Sitzungen beraten und diskutiert wurde. Vielleicht hat er keine Ahnung davon, wie parlamentarische Arbeit läuft, dann sollte er aber auch nicht öffentlich solches Zeug schreiben.
Eine Schlagzeile:

Bundestag verkauft Bürgerrechte!

wäre somit in Ordnung gewesen? :hmm:
Man hätte als Erläuterung noch darauf hinweisen können, daß dies wohlüberlegt geschah...

Im übrigen ist eine solche - ursprüngliche - Schlagzeile schon richtig. Wenn man im Bundestag so unbedarft ist, eine absehbar längere Sitzung auf den Tag zu legen, an dem ein Halbfinalspiel (mit voraussichtlich deutscher Beteiligung) stattfindet, darf man sich auch nicht wundern, wenn Journalisten genüßlich über die fehlende Präsenz im Plenum während des Spiels berichten. Eine solche Terminplanung lädt doch die Presse dazu ein, die Anwesenheit zu beobachten und auch der Bevölkerung vom Arbeitseifer ihrer Vertreter zu berichten. :ja:

Politisch Interessierte waren schon mehr als irritiert, daß ESM usw. ausgerechnet in dieser Zeit und mit immensem Zeitdruck "verhandelt" - sorry, abgenickt - werden mußten. Es geht auch nur um dreistellige Mrden-Beträge. Dann auch noch Gesetze aus dem sensiblen Bereich der Datensicherheit innerhalb kürzester Zeit "durchzupeitschen" (damit man das Spiel sehen kann), zeugt - zurückhaltend gesagt - von mangelndem Fingerspitzengefühl. Egal, wie lange und wie intensiv man sich dem Gesetz auseinandergesetzt haben mag, der jetzige Eindruck ist und bleibt, daß die Volksvertreter etwas "durchgezogen" haben, bei dem sie die Aufmerksamkeit des "Tageslichtes" (= Diskussion im Plenum zu "normalen" Zeiten) scheuten. Der Eindruck der Trickserei bleibt, mag man auch noch so sehr auf parlamentarische Gepflogenheiten verweisen. Aber vielleicht ist man auch sozial eingestellt und wollte den Piraten Wahlkampfhilfe bzw. -themen zukommen lassen. ;D

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ar26
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von ar26 »

Soweit ich das sehe, sollte der im BT beschlossene Gesetzentwurf das zitierte Urteil des BVerwG umsetzen. Das Urteil hat - aus welchen Gründen auch immer - lediglich einen Widerspruch als Möglichkeit in seiner Begründung angeführt. Dies war auch bisher schon gängige Praxis. Jedesmal, wenn ich mich umgemeldet hatte, wurde mir eine Belehrung mit der Möglichkeit zum Widerspruch vorgelegt, was faktisch einer Option gleichkam. Diese Praxis sollte nunmehr Gesetz werden. Gleichwohl - und aus meiner Sicht zurecht - kam jemand dann auf die Idee, es sei vielmehr erforderlich, daß der betroffene Bürger (der sich nicht ständig ummeldet) ausdrücklich zustimmen muss, bevor die Daten weitergegeben werden - also eine Verschärfung der bisherigen Praxis. Genau diese Verschärfung wollte die Regierungskoalition - aus welchen Gründen auch immer - nicht.

Als jemand, der sich von Berufswegen häufig mit Gesetzesbegründungen rumschlagen muss, da man andernfalls teilweise kaum mehr den Anwendungsbereich und die Wirkung eines Gesetzes klar umreisen kann, kommt es mir nicht zum ersten mal so vor, als sei vor der Beratung im Ausschuss erfolgreiche Lobbyarbeit mit den Mitgliedern getrieben worden.
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Edi
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Edi »

ar26 hat geschrieben: Als jemand, der sich von Berufswegen häufig mit Gesetzesbegründungen rumschlagen muss, da man andernfalls teilweise kaum mehr den Anwendungsbereich und die Wirkung eines Gesetzes klar umreisen kann, kommt es mir nicht zum ersten mal so vor, als sei vor der Beratung im Ausschuss erfolgreiche Lobbyarbeit mit den Mitgliedern getrieben worden.

Als einer, der sich in einem bestimmten Falle auch mit einer Gesetzesbegründung herumzuschlagen hatte, mussten ich und andere schliesslich erkennen, wie schlampig dieses Gesetz gemacht wurde und geradezu geeignet war für nicht mitdenkende Bürokraten. Der Fall war mit Sicherheit nicht der einzige, habe noch von manch anderen gehört. Das nur zur Arbeitsweise der Abgeordneten, die vieles der Bequemlichkeit wegen oder auch wegen ihrer Wiederaufstellung nur abnicken wie jetzt die Geschichten mit der "Eurorettung" auch. Einige Leithammel im Bundestag geben das Kommando, die meisten andern nicken dazu.
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkauft Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

Caviteño hat geschrieben:Eine Schlagzeile:

Bundestag verkauft Bürgerrechte!

wäre somit in Ordnung gewesen? :hmm:
Das ist ein anderes Thema. Zumindest eine Lüge wäre damit vermieden worden.
Caviteno hat geschrieben:Im übrigen ist eine solche - ursprüngliche - Schlagzeile schon richtig.
Sie ist inhaltlich völlig falsch.
Caviteno hat geschrieben:Politisch Interessierte waren schon mehr als irritiert, daß ESM usw. ausgerechnet in dieser Zeit und mit immensem Zeitdruck "verhandelt" - sorry, abgenickt - werden mußten.
Du vergleichst Äppel mit Birnen. Die Beratungszeit zum ESM war tatsächlich sehr kurz. Das trifft für den Gesetzentwurf zum Meldewesen nicht zu. Der wurde bereits vergangenes Jahr, am 16. November 2011 eingebracht und seitdem beraten. Informiere dich doch einfach mal etwas über die Arbeitsweise des Parlaments. Danke.
Caviteno hat geschrieben:Dann auch noch Gesetze aus dem sensiblen Bereich der Datensicherheit innerhalb kürzester Zeit "durchzupeitschen" (damit man das Spiel sehen kann), zeugt - zurückhaltend gesagt - von mangelndem Fingerspitzengefühl.
Das ist Quatsch. Du hast den Beratungsgang nicht begriffen.
Caviteno hat geschrieben:Egal, wie lange und wie intensiv man sich dem Gesetz auseinandergesetzt haben mag, der jetzige Eindruck ist und bleibt, daß die Volksvertreter etwas "durchgezogen" haben, bei dem sie die Aufmerksamkeit des "Tageslichtes" (= Diskussion im Plenum zu "normalen" Zeiten) scheuten.
Genau! Wieso sich mit Tatsachen aufhalten, wenn es doch so viel Spaß macht, auf das korrupte System zu schimpfen! Helau!
:kugel:
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lifestylekatholik
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

ar26 hat geschrieben:kommt es mir nicht zum ersten mal so vor, als sei vor der Beratung im Ausschuss erfolgreiche Lobbyarbeit mit den Mitgliedern getrieben worden.
Ja, klar. Das kommt ständig vor. Dafür ist Lobbyarbeit ja da. :achselzuck:
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Edi
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Edi »

lifestylekatholik hat geschrieben:
ar26 hat geschrieben:kommt es mir nicht zum ersten mal so vor, als sei vor der Beratung im Ausschuss erfolgreiche Lobbyarbeit mit den Mitgliedern getrieben worden.
Ja, klar. Das kommt ständig vor. Dafür ist Lobbyarbeit ja da. :achselzuck:

Umsonst macht das normalerweise auch keiner, das ist das Problem. Also doch in dem Falle keine Volksvertreter, sondern eher Vertreter von Firmen, die sich durch solche Gesetze einen Vorteil verschaffen wollen.
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von lifestylekatholik »

FAZ hat geschrieben:Meldegesetz Eine erfolgreiche Kampagne

13.07.2012 · Den Datenschützern ist es gelungen, sich durch eine geschickte Kampagne doch noch durchzusetzen: das neue Meldegesetz ist gescheitert, die Abgeordneten stehen da wie Deppen. Doch das Gesetz ist gar nicht so dumm. [Mehr]
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Pelikan
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Pelikan »

Es naht eine üble totalitäre Tyrannei. Ihr Grundgedanke -- die Verfügung der Masse über den Einzelnen -- scheint bereits im von lsk zitierten Gerichtsurteil durch:
Doch das Gericht stellte auch fest, „dass sich der Einzelne nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere - auch mit staatlicher Hilfe - mit ihm Kontakt aufnehmen.“
Jedes Instrument, das die alten Regierungen vielleicht einmal zurecht und zum Guten geführt haben, muß ihnen so schnell es geht aus der Hand geschlagen werden, bevor die Tyrannen es übernehmen und mißbrauchen.

Ein funktionierendes Melde- und Paßwesen ist eines der gefährlichsten Instrumente der flächendeckenden Unterdrückung. Ich begrüße jeden Trick und jede Strategie, die es diskreditiert, schwächt oder vernichtet.

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Edi
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von Edi »

Mal ein bißchen umfassender, weil das hier auch reinpasst:

http://www.dr-schnitzer.de/emailnachric ... uli%2212
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Re: Bundestag verkaufte Bürgerrechte in 57 Sekunden

Beitrag von iustus »

lifestylekatholik hat geschrieben:
FAZ hat geschrieben:Meldegesetz Eine erfolgreiche Kampagne

13.07.2012 · Den Datenschützern ist es gelungen, sich durch eine geschickte Kampagne doch noch durchzusetzen: das neue Meldegesetz ist gescheitert, die Abgeordneten stehen da wie Deppen. Doch das Gesetz ist gar nicht so dumm. [Mehr]
Ein relativ guter Artikel, aber eine entscheidende Frage stellt sich mir zu dieser Kernaussage:
Deshalb wurde (...) eine Lösung dafür eingefügt, dass zwar eine Einwilligung gemäß dem Bundesdatenschutzgesetz vorliegt, aber ein Widerspruch gegenüber dem Einwohnermeldeamt abgegeben wurde.

Dann können - darauf bezieht sich der Satz, der Datenschützer auf die Palme bringt - die Daten im Adresshandel oder von Werbefirmen weiter verwendet werden und auch mit Hilfe (und nach Ermessen) der Melderegister korrigiert werden.

Die Gefahr, dass Einwohnermeldeämter zu Datenwaschanlagen werden und staatliche Beihilfe zur Legalisierung illegal erworbener Daten leisten, ist somit ausgeschlossen - es sei denn, das Bundesdatenschutzgesetz ist ein Schweizer Käse.
Stimmt es denn wirklich, dass für die bereits vorhandenen Daten, die bestätigt oder berichtigt werden sollen, bereits eine Einwilligung (nicht nur ein fehlender Widerspruch!) vorliegen muss?

Angesichts des Listenprivilegs habe ich da so meine Zweifel.
„Was den Gegenstand des Glaubens betrifft, hat sich das Konzil nichts Neues ausgedacht, noch hat es Altes ersetzen wollen." (Papst Benedikt XVI.)

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