Lupus hat geschrieben:Entgegnung eines geschätzten Mitbruders, als ich auf das Verbrechen in Paris zu sprechen kam: "Hast du schon mal die Karikaturen dieser Redaktion gesehen?" Da ich verneinen musste, fuhr er fort: "Die sind alle unter aller Sau! Und wer so mit Meinungsfreiheit Schindluder treibt, braucht sich um die Überreaktion der Verspotteten nicht zu wundern!" Er verurteilte selbstverständlich diese Terroraktion. Wer mit dem Teufel paktiert, braucht sich nicht über dessen Reaktion zu wundern!
Wer soll denn bestimmen, welche Kritik oder Karrikatur "zulässig" oder wie die Meinungsfreiheit auszulegen ist?
Irgendwie werde ich bei solchen Äußerungen z.B. an Hatun Sürücü erinnert. Sie nahm ein Recht in Anspruch, das für uns selbstverständlich ist (Entfaltung der eigenen Persönlichkeit). Die Familie tötete sie, weil ihr Verhalten nicht mit den archaischen Wertvorstellungen übereinstimmte, sie fühlte sich entehrt, verspottet von den ebenso archaischen Nachbarn. Wäre es zulässig hier auch zu sagen, daß die junge Frau sich "über die Überreaktion der verspotteten Familie" nicht zu wundern brauchte?
Soll der Westen Wertvorstellungen übernehmen, die vorschreiben, welche Kritik, welcher Lebensstil erlaubt ist und welche nicht?
Wenn die Gesellschaft bereit ist, über "Grenzen der Meinungsfreiheit" zu diskutieren, wo hört es dann auf? Diese wo immer auch gezogenen Grenzen wären doch nicht statisch, sie wären flexibel und würden immer weiter die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die eigenen Freiheiten einschränken. Heute dürfen Karrikaturen, die den Propheten "beleidigen" nicht mehr veröffentlicht werden, morgen sind es Spottbilder über Burka und Kopftuch, übermorgen stören Glockenläuten, Kreuze in öffentl. Gebäuden, auf den Berggipfeln und am Wegesrand und in der nächsten Woche haben bitte auch alle anderen darauf zu achten, daß die Fastenden während des Ramadans nicht durch den Anblick essender Menschen "beleidigt" werden.
Ich bin der Meinung, wen die Meinungsfreiheit und der Lebensstil des Westens stört, "is welcome
to leave, anytime". Es gibt genügend Länder, in denen er solche Zeitschriften nicht käuflich erwerben kann und wo sein sittliches Empfinden durch derartige Karrikaturen nicht beleidigt wird.
Eine Selbstzensur des Westens wäre - ebenso wie der Verzicht durch vorauseilenden Gehorsam - der falsche Schritt, er würde sich selbst kastrieren.