Juergen hat geschrieben:Trient hat aus der Vielfalt der Liturgien, die es gab, eine einheitliche Ligurgie vorgeschrieben, und alle anderen, die nicht älter als 200 Jahre waren, abgeschafft, so daß am Ende neben der bekannten "tridentinischen" Messe nur noch die mozarabische Liturgie in Toledo und der abrosianische Ritus in Mailand übrig geblieben sind. Daneben blieben auch einige Sonderformen, die in Orden gefeiert wurden, bestehen.
Das ist alles richtig, aber natürlich sehr stark verkürzt. Die Auswirkungen des Konzils von Trient waren für die Zeitgenossen viel schwächer, als die Auswirkungen des II. Vaticanums.
Dass alle Liturgien, die nicht älter waren als 200 Jahre abgeschaft wurden müsste eigentlich positiv formuliert werden: Eine Eigentradition von mehr als 200 Jahren wurde respektiert. Die tridentinischen Beschlüsse wollte vor allem sicherstellen, dass mögliche reformatorische Einflüsse auf den kath. Ritus beseitigt wurden. In den meisten katholischen Gegenden Europa wurde das trident. MB zunächst nicht eingeführt. Selbst in Spanien nicht, obgleich sich die iberische Halbinsel nach der Zurückdrängung des Islam im Umbruch befand, konnte man dort an eine alte Tradition anknüpfen. Flächendeckend wurde das trident. MB aber für habsburgischen Herrschaftsbereich (zumindest weitgehend) eingeführt. Von den großen Orden übernahmen es die Franziskaner. Praktisch relevant und bindend war die Regel v.a. für alle überseeischen Gebiete.
Interessant ist die Entwicklung in Frankreich: Dort hielt man zunächst an der Eigentradition fest (wen wundert es
), entschied sich dann kurzzeitig für das trident. MB, um dann zur Eigentradition zurückzukehren. Die Beschlüsse des tident. Konzils verhinderten aber keine Weiterentwicklung der jeweiligen Liturgien, so dass in Frankreich ein sog. neo-gallischer Ritus entstand, der vom humanistischen Denken der Zeit inspiriert war. Die (kurze) Geschichte des neo-gallischen Ritus ist aus zwei Gründen hoch spannend: Erstens wurde hier erstmals in der Neuzeit eine moderene katholische Liturgie konzepiert. Teile davon sind sogar in den Novus Ordo geflossen, zB einige Präfationen. Viel spannender ist aber der zweite Aspekt: Dieser neo-gallische Ritus (der auch ein entspr. Stundengebet einschloss) wurde nach relativ kurzer Zeit wieder abgeschafft und erneut durch den trident. Ritus ersetzt. Wenn man nachforscht warum das geschah stößt man auf einen bemerkenswerten Befund: Der neo-gallische Ritus bot offenbar zu viele Freiheiten (!) für Bischöfe und Priester und führte zu einer Zerfaserung des kirchlichen Lebens in Frankreich. Ein gemeinsames Beten zwischen den Angehörigen der einzelnen Diözesen war kaum noch möglich. Es wurde der Ruf nach einheitlichen liturgischen Maßstäben laut und die bot offenbar nur der trident. Ritus.
Dass im übrigen Europa die lokalen Eigentraditionen - mit Ausnahme der o.g.: Mailand etc. - mit der Zeit verschwanden hängt auch mit dem Druck auf die Kirche im Zeitalter der frz. Revolution zusammen, der sich in ganz Europa entwickelte und zu einer Solidarisierung der Ortskirchen mit Rom führte. Ohne den "Siegeszug" des RömMB im 19. Jahrhundert in Europa wäre aber auch eine Liturgiereform im 20. Jahrhundert nicht denkbar gewesen. Es gehört dann zu der Ironie, dass man bei deren Durchsetzung weniger sensibel war, als im 16. Jahrhundert.