Hallo miteinander,
ich weiß, das Folgende ist etwas außerhalb des Themas, ich hoffe, es trägt dennoch zur Klärung des Inhalts bei:
@Linus: Ich selbst halte sieben Horen am Tag für einen Laien und Familienvater wie mich nicht für machbar. Ich bin froh, wenn ich Morgen- und Abendgebet halbwegs auf die Reihe kriege.
@Bernardo und Berolinensis: Teils kann ich mich Euch anschließen, teils nicht.
Dass wir in der Kirche eine Krise des Gebets haben, dass Gebet und Gebetsgottesdienst zur Zeit nichts oder nur wenig zählen, ist klar. Dass diese Krise des Gebets da ist, haben lange vor dem II. Vatikanum die Päpste gespürt. Sonst hätte nicht Leo XIII. in einem ganz ungeheuerlichen Akt die Reste des Ferialoffiziums des tridentinischen Breviers 1568 zum Beten freigestellt und dadurch dieses für die damalige Zeit (16. Jh.) durchaus moderne, den Wünschen der Reformatoren entgegenkommende Brevier (Wiederherstellung des reinen Ferialoffiziums mit seinem Psalmenreichtum!) endgültig außer Kraft gesetzt hat. Pius X. hat als „konservativer Reformpapst“ und erfahrener Seelsorger dann noch einen draufgesetzt und die Psalmen möglichst gleichmäßig über die Woche verteilen lassen.
An der Psalmenverteilung Pius’ X. halte ich für zweifelhaft, dass die Komplet eine eigene Psalmodie bekommen hat, also endgältig von einer klösterlichen Wiederholung des im Unmaß nach vorn gezogenen Abendoffiziums der Vesper zu einer vollwertigen Hore wurde. Außerdem scheint mir die endgültige Abschaffung der letzten Reste des altkirchlichen, kathedral-basikalen Offiziums mit dem Ps 50 und den Laudes-Pss 148-150 in den Laudes sehr zweifelhaft. Was vom altkirchlichen Abendgebet mit dem Ps 140 übrigblieb, war einzig – im Jahreskreis! – die Versikel Dirigatur vor dem Magnificat. Die Beibehaltung der Hymnen in jener widerlichen Fassung, die Urban VIII. hat verbrechen lassen, halte ich für falsch.
Bei der Zusammenstellung der Liturgia horarum 1970 hat keiner gewusst, worauf es eigentlich ankommt beim Stundengebet und was die Kirche damit erreichen will, wenn sie es ihren Klerikern und Ordensleuten zum Vollzug auferlegt.
Wenn die Konzentration auf die Hl. Schrift und das betende Eintauchen in Gottes Wort wichtig ist, ist es durchaus angebracht, den Psalter in einem überschaubaren Rahmen – in einer oder mehreren (zwei, drei, vier) Wochen oder innerhalb eines Monats, wie das im Book of Common Prayer von 1549 [
http://justus.anglican.org/resources/bc ... r_1549.htm] bis 1662 [
http://justus.anglican.org/resources/bc ... rville.htm], krass: [
http://justus.anglican.org/resources/bc ... in1662.htm] vorgesehen ist – immer wieder zu wiederholen.
Wenn ich sage, dass der Psalm Gebet ist, und die Sache vor dem Hintergrund neuzeitlich-naturwissenschaftlichen-rationalistischen Denkens zu Ende bringe, streiche ich die Fluchpsalmen und –passagen und die Geschichtspsalmen. Das ist in Liturgia horarum geschehen.
Wenn ich sage, der Psalm ist Anamnese der Heilstat Gottes im Kerygma für uns heute, nehme ich ihn als Lesung ernst und statte das Stundengebet mit Psalmorationen aus [Brou/Wilmart: The Psalter Collects
http://books.google.de/books?id=MDJdQQA ... lmart&cd=3] . Das ist in Liturgia horarum angekündigt, aber seit vierzig Jahren nicht geschehen: Damit ist kirchenamtlicherseits ein entscheidender Schritt zur geistlichen Vertiefung des Stundengebets ausgeblieben. (Die allermeisten Ordensbreviere haben diesen Schritt auch nicht getan, dafür aber manche Provinzen der Ecclesia Anglicana.)
Wenn ich sage, Laudes matutinae und Vesper des Stundengebets seien Eckhoren, und die ganze Gemeinde ist eingeladen, diese Gebetsgottesdienste mitzufeiern, müssen sie in ihrer Struktur so weit vereinfacht werden, dass es relativ einfach ist, aus ihnen geistliche Nahrung zu ziehen. (Weil die Vesper des Breviarium Romanum auch in deutscher Übersetzung und auch in ihrer Verkleinerung als Officium parvum für den normalen Beter in der Kirchenbank letztlich zu kompliziert sind, sind die Leute in der letzten Phase vor der Zeitenwende 1965/1975 sehr gern zur Deutschen Komplet oder zur Eucharistischen Andacht mit ihrem abschließenden gleichbleibenden Tantum ergo und Salve Regina gegangen.) So weit die liturgiegeschichtliche Forschung es überhaupt rekonstruieren kann, scheinen die Gebetshoren der alten Kirche in ihrer Struktur auch relativ einfach gewesen zu sein, aber den Mut zu einer klaren Vereinfachung hat Liturgia horarum nicht.
Weil man sich weder auf dem Konzil noch nachher in der römischen Kurie für mehrere, zwei oder drei offziell erlaubte Typen der Tagzeitenfeier für Kleriker und Gemeinden hat entscheiden können (wie das die Weltkonföderation der Benediktiner mit ihrem Thesaurus (!) Liturgiae horarum monasticae 1977 [
http://www.kellerbook.com/SCHEMA~1.HTM] getan hat), hat man das merkwürdige Alte – das Brevier Pius’ X. – nicht vollständig abgetan, das wünschenswerte Neue – eine gezielte, freudige, energiegeladene Wiederbelebung eines prägnant gebauten Offiziums für die ganze Gemeinde – nicht gewonnen. Schade.
Man hat sich für nix wirklich entschieden, und darum ist am Ende nichts Vernünftiges herausgekommen.
Meine eigene Position: Für den einzelnen Beter halte ich das Beten
currente psalterio für sehr wichtig. Das war aber auch im Brevier von 1568 nicht vollständig verwirklicht, dafür aber in den verschiedenen Books of Common Prayer (Libri precum publicarum). Für den feiernden Vollzug des Gebetsgottesdiensts in der Gemeinde halte ich eine Struktur für vollkommen ausreichend, die im Wesentlichen dem entspricht, was in Zeitschriften wie Magnificat dargeboten wird, allerdings mit noch viel weniger Variation in der Textauswahl. Für mein eigenes Morgengebet genügen mir sie Pss 50 und 148-150, jeweils mit Psalmoration, gefolgt von Benedictus, Pater und Tagesgebet; abends die Pss 112 und 140 mit Magnificat, Pater und Tagesgebet. Die Psalmenrezitation hat etwas rosenkranzmäßiges, dafür habe ich einen Taschenpsalter, dafür gibt’s den ÖPNV. –
Aus dieser Perspektive relativieren nicht wenige der angesprochenen Probleme.
Einen charmanten Abend noch allerseits!