Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Wenn Cheſterton derart vorurteilsbehaftet über die byzantiniſche Kultur im allgemeinen ſchreibt und denkt, muß das zwangsläufig auch ſeinen Blick auf die byzantiniſche Kunſt trüben.
Wie begründest Du, dass der
Fidei Defensor Chesterton vorurteilsbehaftet schreibe und denke? Er nennt als Quelle den prominenten katholischen Historiker Christopher Dawson.
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Wenn die kirchliche Kunſt des erſten Jahrtauſends der Inkarnation nicht Rechnung getragen haben ſollte, könnte das wohl nur darin begründet ſein, daß dieſe der Kirche damals (platonbedingt) nicht ausreichend bewußt war, daß ſie ſie nicht verinnerlicht hatte. Das iſt mir angeſichts der Tatſache, daß die Inkarnation in dieſer Zeit ja in aller Klarheit formuliert und gelehrt wurde, nicht vorſtellbar. Ich bin ſicher, daß man - nicht jeder einzelne Theologe, auch nicht jeder einzelne Biſchof, aber die Geſamtheit der Kirche - auch damals zu Platon im Ernſtfall die nötige Diſtanz wahrte.
Eine Ikone ist kein Abbild der sichtbaren Welt, kein Abbild einer historischen Begebenheit. Sie ist ein Fenster zum Unsichtbaren. Sie stellt abstrakte, unsichtbare Glaubenswahrheiten dar, durch sie schauen die Heiligen in die sichtbare Welt herein.
Beispielsweise die Ikone, die Niels oben zeigt, stellt eben nicht das historische Geschehen der Kreuzigung des Herrn dar, sie stellt nicht die grausame Hinrichtung dar. Sie stellt vielmehr die unsichtbare Glaubenswahrheit dar, dass der Herr den Tod (Schädel) am Kreuz überwunden hat, Sie stellt das Ende des alten Bundes und den Beginn des neuen Bundes dar. Vor den Tempel im Hintergrund rückt die Person Jesus Christus. Die Ikone stellt die Herrlichkeit Gottes dar und nicht das Leid des Gekreuzigten.
Die Ikonen tragen der Menschwerdung Gottes, dem Eintreten Gottes in die sichtbare Welt nicht vollumfänglich Rechnung, weil sie nicht beabsichtigen, diesseitige, sichtbare, historische Wirklichkeit darzustellen. Sie sind sozusagen eine zweidimensionale Grenzfläche, durch die die unsichtbare Welt hindurchscheint.
Dass die Inkarnation nicht gelehrt worden sei oder gänzlich in Vergessenheit geraten sei, behauptet ja niemand - auch Chesterton nicht. Die Kritik besteht kurz gesagt darin: Die Beschränkung auf die Darstellung der unsichtbaren Welt lässt implizit auch Wesentliches der Menschwerdung des Gottessohnes in den Hintergrund rücken, der ja eben gerade durch die o.g. Grenzfläche hindurchgetreten ist. So wird etwa die Geburt Christi in der Ikonographie nicht gemäß der Heiligen Schrift in einem Stall sondern in einer dunklen Höhle dargestellt, die die Hölle symbolisiert. Der sichtbare, historische Aspekt, die Geburt in einem armseligen Stall, tritt dadurch in den Hintergrund. Ebenso Folter und Tod am Kreuz. Ikonen zeigen nicht Folterung und Tod des Herrn, sondern den verherrlichten Herrn.
Wenn Chesterton sagt, dass diese wahrhaft edlen Abstraktionen die Menschwerdung des Herrn nicht genug durchdringen, weil die Menschwerdung ja gerade das Gegenteil von aller Abstraktion ist, dann kann ich ihm für meinen Teil gut folgen.
Gruß
Sempre