Augustinus

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Peter
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Augustinus

Beitrag von Peter »

Salvete miteinander!

Ich befasse mich gerade mit dem Leben des hl. Augustinus nach Peter Brown und möchte gerne neben der Lektüre einen Thread aufmachen, damit es nicht beim einsamen Zweiergespräch zwischen dem Buch und mir bleibt.

Ganz untypisch: Zu Beginn des Threads bitte ich um die Fürsprache des Heiligen, mit einem Gebet, das ihm volkstümlicherweise zugeschrieben wird:

Atme in mir, Heiliger Geist, dass ich Heiliges denke.
Treibe mich, Heiliger Geist, dass ich Heiliges tue.
Locke mich, Heiliger Geist, dass ich Heiliges liebe.
Stärke mich, Heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte.
Hüte mich, Heiliger Geist, dass ich Heiliges nimmer verliere.


Eröffnungsfrage: Welche Augustinus-Lektüre habt ihr gelesen, könnt ihr empfehlen?

Und dann – eine Feststellung. Vielleicht wäre es besser gewesen, mit der Primärquelle anstelle der Biographie einzusteigen. Nun ist es aber so – und ich freue mich dann auch schon auf die Lektüre der «Bekenntnisse».

Drittens: Was meint ihr: welche Bedeutung haben Leben und Werk des späteren Kirchenvaters, der vor 1650 Jahren in Tagaste geboren wurde, für uns Heutige?

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Ich hab den Anfang von "Civitas Dei" gelesen. Hier nimmt Augustinus nach allen Regeln der Kunst die nostalgischen Wünsch vieler Römer im Angesicht der Gefahren der Zeit um 400 nach ihren alten Göttern auseinander. Ich fand's sehr interessant zu lesen, auch wenn ich viele Argumente nicht ganz nachvollziehen konnte.

Die anderen Fragen fühle ich mich nicht kompetent zu beantworten :nein:

Anastasis

Beitrag von Anastasis »

Ich habe die "Bekenntnisse" gelesen - ist aber schon lange her... und es wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen, eine moderne Biographie in zeitlicher Nähe dazu zu lesen. Im Studium habe ich ein Seminar über "De trinitate" gemacht - das ist eher was zum Durchkämpfen, insbesondere, wenn die persönlichen philosophischen Grundlagen etwas dürftig sind... :/

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Na, da dieser Thread nun einen halben Tag stillsteht, hier ein paar Gedanken zum Thema...

Mal ganz ungeachtet seines enormen theologischen Verdienstes glaube ich, daß Augustinus ein Kirchenvater ist, der sich einerseits mitunter selbst korrigieren mußte (seine Gnadenlehre), andererseits sozusagen post factum zurechtinterpretiert wurde (beim Filioque; so die Meinung des Erzpriester Johannes Meyendorrf in seiner "Byzantinischen Theologie") bzw. darin wirklich irrte (es gibt zu diesem Thema eine Verteidigungsschrift des hl. Photios, Patriarch von Konstantinopel, in der er die Person des hl. Augustinus davor schützen will, daß man ihn für die Einführung des Filioque, in Opposition zu den Konzilsvätern, utilisieren will). Am Ende von "de Trinitate" stehen folgende Worte: "Domine deus une, deus trinitas, quaecumque dixi in his libris de tuo agnoscant et tui; si qua de meo, et tu ignosce et tui. Amen." ("Herr, Du Einer Gott, Gott die Dreifaltigkeit, jenes, was ich in diesem Buch von Dir gesagt habe, möge angenommen werden, wie das Deinige. Habe ich aber etwas von mir selbst gesagt, so mögest Du mir verzeihen und jene, die die Deinigen sind.") (Frei tradiert, würde ich sagen.)

Irren ist menschlich. Es gibt - außer dem hl. Augustinus - noch andere Beispiele. Den hl. Gregor von Nyssa zum Beispiel... ;)

Peter
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Beitrag von Peter »

Danke für alle bisherigen Antworten. Ich denke, es muss ja kein schnell anwachsender Thread werden. Ich zumindest nähere mich dem Thema erst so langsam.

Von der Inanspruchnahme des Augustinus für das filioque habe ich bisher noch nichts gehört (was nichts heißen soll), – und die Gnadenlehre des Augustinus ist mit Sicherheit ein Thema, das mich im Rahmen dieser Diskussion interessiert.

Zudem möchte ich noch eine kleine Literatur- und Linkliste anregen. Dass man hier kein akademisches Niveau erwarten kann, versteht sich ja von selbst …

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Peter hat geschrieben:Dass man hier kein akademisches Niveau erwarten kann, versteht sich ja von selbst …
Warte erstmal, bis ich die Gelegenheit habe, mich über die Nullfeldparameter von high-spin Spezies in den Spektren der Elektronenspinresonanzspektroskopie auszulassen. Dann weißt Du, was akademisches Niveau ist! Jawoll!

Vielleicht macht ja jemand einen entsprechenden Thread auf. :D
*hoff*

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lancelot
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Beitrag von lancelot »

Wenn das akademische Niveau nicht angestrebt ist, würde ich gerne unbedingt noch die von HUvonBalthasar zusammengestellte Sammlung "Das Antlitz der Kirche"empfehlen - vor allem mit Texten aus den Predigten des späten Augustinus. Bietet so etwas wie die Zusammenstellung der Ekklesiologie Augustins - jenseits von Prädestination und von persönlichen Bekenntnissen.

(Außerdem ist es immer wieder erstaunlich, welche niveauvollen Predigten die Christen Hippos zu hören bekamen. Gehaltvoller als das Konzentrat dessen, was unsereins über 52 Sonntage zu hören bekommt.)

Peter
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Beitrag von Peter »

Lieber Lancelot, ich sitze übrigens gerade über den Vorträgen des Augustinus (neee, Robert zuliebe: über Augustini Vorträgen) zum Johannes-Evangelium. Davon würde ich euch gerne das eine oder andere zu Gesichte bringen. Aber danke für den Literaturtipp.

(Nach der Anschaffung der Vorträge kann ich das Buch jedoch bis auf Weiteres nur auf eine Literaturliste setzen …)

Und … jaja … macht euch nur lustig über das nicht angestrebte akademische Niveau … Pff. Ich bin ja glücklicherweise nicht empfindlich.

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lancelot
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Beitrag von lancelot »

Peter hat geschrieben:Lieber Lancelot, ich sitze übrigens gerade über den Vorträgen des Augustinus (neee, Robert zuliebe: über Augustini Vorträgen) zum Johannes-Evangelium. Davon würde ich euch gerne das eine oder andere zu Gesichte bringen. Aber danke für den Literaturtipp.

(Nach der Anschaffung der Vorträge kann ich das Buch jedoch bis auf Weiteres nur auf eine Literaturliste setzen …)

Und … jaja … macht euch nur lustig über das nicht angestrebte akademische Niveau … Pff. Ich bin ja glücklicherweise nicht empfindlich.
Bei mir war nichts lustig gemeint. Ehrlich. Beim Bart des Augustinus :|

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Ketzerin
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Beitrag von Ketzerin »

Salve Peter!

Also, ich hab auch angefangen Augustinus zu lesen, die Bekenntnisse und muß gestehen, daß ich im 10. Buch (wie glaub ich viele) hängen geblieben bin. Momentan ist meine Ausgabe leider gerade per Postpaket auf den Weltmeeren unterwegs, aber ich hab mir schon vorgenommen, daß ich mich da "durchquäl"
*ehrlichindierundeschau*

Als Ausgabe kann ich die lat-dt. Ausgabe vom Inselverlag empfehlen, die hat jede Menge Anmerkungen (die ich dringend brauch, um was zu verstehen)...
soli deo gloria

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ein weiterer Klassiker (neben Brown) ist:
F. van der Meer: Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines Kirchenvaters. 3. Aufl. Köln : Bachem, 1951

Einen guter Kommentar zu den Confessiones ist:
Fischer, Norbert; Mayer, Cornelius (Hg.): Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Eine Einführung und Interpretationen zu den dreizehn Büchern. Freiburg - Basel - Wien : Herder, 1998. - 684 S.
Das Buch hat aber einen "kleinen" Nachteil: Es ist ziemlich teuer. Im Jahre 2000 habe ich 133,- DM bezahlt (gebundene Ausgabe).

Zu "de civitate dei" gibt es einen schönen und nicht so arg teuren Kommentar:
Horn, Christoph (Hg.): De civitate dei. Berlin : Akad. Verlag, 1997. - 308 S.

Kurz und knapp führt folgendes Buch in Augustinus ein:
Neumann, Uwe: Augustinus. Hamburg : Rowohlt, 1998. - 160 S.

Wenn Du preiswerte (zweisprachige) Ausgaben suchst, dann schau mal bei den Reclam-Heften:
- De vera religione -- 6,10 €
- De doctrina Christiana - 7,60 €
- De beata vita - 3,10 €
- ...

Wissenschaftlich aufbearbeitet ist die neue Gesamtausgabe, die derzeit bei Schöningh/Paderborn unter Federführung von Wilhelm Geerlings erscheint.
Bisher sind aber erst zwei Bände erschienen
Bd. 11 - De magistro
Bd. 25 - De moribus ecclesiae
Ausgelegt ist das Projekt auf etwa 100 Bände bzw. Teilbände. Wenn man alle bestellt gibt's einen preiswerteren Subscriptionspreis. - Ich bin mal gespannt, ob bis zu meinem Tode alle erschienen sind, oder sich meine Nachkommen (ähm...) auf weitere Buchlieferungen freuen dürfen.

Wenn Du französich kannst, dann gibt dort es ein Buch zur Christologie:
Bavel, T van: Recherches sur la Christologie de saint Augustin. L'humain et le divin dans le Christ d'après saint Augustin. Fribourg, 1954.

Zu den Predigten:
Drobner, H. R.: Augustinus von Hippo. Sermones ad populum. Leiden - Bosten - Köln, 2000.

Zur Trinnitätslehre der Klassiker:
Schmaus, M.: Die psychologische Trinitätslehre des Heiligen Augustinus. 2. Aufl. Münster 1969.

Wenn Du wissen willst, wann Augustinus welche Predigt gehalten hat, dann guckst Du am besten nach im "Verbraken" (das ist gleichsam eine Liste der Predigten mit Jahreszahlen):
Verbraken,P.-P.: Études critiques sur les sermons authentiques de Saint Augustin. Steenbrugis 1974.

Bevor die Frage kommt, was ich davon gelesen habe:
Bis auf die franz. Bücher alles. Verbraken ist eh' nur eine Referenz bin Fragen der Datierung.

Peter
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Beitrag von Peter »

Ich hatte das auch nur so verstanden, dass ein kleingeschriebener«jürgen» in den himmel augfefahren ist.

Danke für die reichhaltige Literaturliste. Ich habe sie für mich noch ergänzt:

Romano Guardini, Augustinus; Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen, 1935

Bei Reclam gibt es noch:

Kurt Flasch, Augustin; — eine systematische, philpsophische Auseinandersetzung mit dem Werk des Augustinus – und eine gnaden-lose Sezierung seiner Bekehrung

Zu den Predigten in Hippo:

Vorträge zum Johannesevangelium, drei Bände der ersten Reihe der «Bibliothek der Kirchenväter», Kempten 1913-1914 / (Bin gerade dabei, einige Vorträge zu digitalisieren – wäre das etwas für deine Seite, Jürgen?)

Ich bin bald soweit, dass ich mal ein paar fragen in die Runde werfen kann. Heute geht’s aber zuerst zum Sommerfest. Oder Gewitterball.

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KleinerFisch
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Beitrag von KleinerFisch »

Dirk hat geschrieben:Warte erstmal, bis ich die Gelegenheit habe, mich über die Nullfeldparameter von high-spin Spezies in den Spektren der Elektronenspinresonanzspektroskopie auszulassen.
Werd bloß nicht radikal ;)


Schöne Grüße

Uli
Das Gesetz ist gegeben,
damit wir die Gnade begehren;
die Gnade ist gegeben,
damit wir das Gesetz erfüllen. (Augustinus)

max72
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Augustinus' Geliebte

Beitrag von max72 »

Hallo,

Augustinus lebte ja jahrelang und eigentlich treu in einer unehelichen Beziehung. So wie heute wohl die meisten leben. In den Bekenntnissen schreibt er ja, wie er dann aber jemand anders heiraten wollte und seine Geliebte "in die Wueste schickte". Das erscheint ja heute sehr ungerecht und ruecksichtslos. Warum hat er sie nicht geheiratet? Schliesslich hatte er ja ein Kind mit ihr?

Jostein Gaarder ("Sofies Welt") nimmt dieses Thema in dem Buch "Das Leben ist kurz" ("Vita brevis") auf. Dieses Buch aergert mich allerdings. Hier laesst er die Geliebte in Briefen sprechen. Diese Geliebte ist allerdings eine aufgeklaerte Frau des 20ten Jahrhunderts, die kein Verstaendnis fuer den Glauben des Augustinus hat. Ein Beispiel dafuer, wie vorschnell wir heute ueber den Glauben urteilen und wie sehr wir meinen wir verstuenden alles besser heute... (Eine Passage von Augustin stellt er noch so falsch dar, dass es mich wirklich aergert...)


Aber die Frage bleibt doch: war es nicht sehr seltsam, dass er seine Geliebte, die jahrelang mit ihm zusammenwar, einfach so sitzenliess um, die da noch geplant, eine andere zu heiraten? Aus "christlichen Beweggruenden" heraus?


Gruss

Max

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Vielleicht war es kein christlicher Gedanke, sondern eine Versuchung. Hat er sie denn geheiratet?

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beatrice
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Beitrag von beatrice »

War seine Geliebte Christin?

Beatrice

Peter
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Beitrag von Peter »

Das war noch kein christlicher Gedanke. Die Entlassung der Geliebten um einer möglichen Heirat willen fand in Mailand, allerdings vor der Bekehrung, im Jahr 385 statt. In diesem Fall war es der Wunsch der Mutter, dass Augustinus eine Ehe eingehen möge. Erst mit der Bekehrung kamen dann Wunsch und Vorsatz, ehelos zu leben.

Ich würde die Form des Konkubinats nicht ohne weiteres mit heutigen «ehelosen» oder «vorehelichen» Beziehungen vergleichen. Das wäre, ebenso wie die Charakterisierung der Ungenannten als eine Frau des zwanzigsten Jahrhunderts, anachronistisch. Eine Konkubine hatte nicht den rechtlichen und gesellschaftlichen Status der Gattin; sie war eher mit einer Hauswirtschafterin und Mutter der Kinder ihres Liebhabers (nach Peter Brown) zu vergleichen – es war üblich, eine solche Beziehung auch auf die Weise zu beenden, wie es Augustinus im Jahr 385 dann tat.

Üblicherweise wird darauf verwiesen (bei Geerlins und Brown), daß die Kirche nolens volens diese Beziehungen tolerierte. Es gibt wohl einen africanischen Synodenbeschluß, nachdem im Konkubinat Lebende nicht von der Eucharistie ausgeschlossen wurden.

Peter
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Beitrag von Peter »

beatrice hat geschrieben:War seine Geliebte Christin?

Beatrice
Man weiß über sie nicht viel, nicht einmal den Namen. Ich glaube aber nicht.

Ich wäre jedenfalls sehr vorsichtig mit dem Anstellen von Vergleichen, auch wenn auch für mich die Vorstellung der entlassenen Frau, wie sie durch Italien zurück nach Africa reist, herzzerreißend ist.

Ein Schicksal, daß jedoch mehr im Wesen des Konkubinates als in der Frage des Christlichen verwurzelt ist. Und das sich in heutigen Konkubinaten herzzerreißend oft wiederholt. (Jetzt habe ich natürlich verglichen …)

((P.S.: Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn es um die auswendige Darlegung von Fakten geht. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, bitte korrigieren!))
Zuletzt geändert von Peter am Freitag 17. September 2004, 15:38, insgesamt 1-mal geändert.

max72
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Beitrag von max72 »

Peter hat geschrieben:
beatrice hat geschrieben:War seine Geliebte Christin?

Beatrice
Man weiß über sie nicht viel, nicht einmal den Namen. Ich glaube aber nicht.
Gaarder nennt sie "floria Aemelia" oder so, ich dachte sogar dass sei der wirklich Name...

Das ist das gefaehrliche von Romanen, die vorgeben eine wirkliche Sache zu addressieren. Auf amazon.com glaubten wirklich manche reviewer, das seien die echten Briefe jener Geliebten. Wie so viele auch bei Davinci Code meinen es sei alles echt....

Augustinus war ja jahrelang mit ihr zusammen und muss sie ja gemocht haben, auf gewisse Weise. Und die Trennung war wohl schmerzlich, gerade auch fuer sie. Aber vielleicht machen wir uns da wirklich ein falsches Bild von der Zeit (auch wenn dieses wegschicken problematisch ist)?

Max

eule
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Re: Augustinus' Geliebte

Beitrag von eule »

max72 hat geschrieben: Aber die Frage bleibt doch: war es nicht sehr seltsam, dass er seine Geliebte, die jahrelang mit ihm zusammenwar, einfach so sitzenliess um, die da noch geplant, eine andere zu heiraten? Aus "christlichen Beweggruenden" heraus?
Max
Lieber Max,

nach Auffassung des Augustinus-Biographen Peter Brown, eines Experten für die Geschichte der frühen Kirche, waren es weniger "christliche Beweggründe" als vielmehr Überlegungen der persönlichen Karriereplanung.

Brown beschreibt zunächst Augustinus' außergewöhnliche Begabung zur Freundschaft, die sich auch in seinen Schriften widerspiegelt - um dann auf die seltsame Abwesenheit der Geliebten auch dort einzugehen:

"In all this, of course, one figure is notably absent - Augustine's concubine. Our curiousity about her is a very modern preoccupation, which Augustine and his cultivated friends would have found strange. Why, after all, had God chosen to make a woman to live with Adam? 'If it was company and good conversation that Adam needed' Augustine will answer, 'it would have been much better arranged to have two men together, as friends, not a man and a woman.' (de Gen. ad litt. IX, vi 14) Eve could bear Adam's children; this unnamed woman bore Augustin's son - Adeodatus. It is only Adeodatus that we know of. We catch a glimpse of him some years after his mother had vanished. At the age of sixteen 'His intelligence filled me with a kind of awe'. When he died, soon afterwards, there are no more echoes of him in Augustine's writings: 'I had no part in the boy but the sin.'(Conf. IX, vi, 14)

This woman lived with Augustine until 385, when he dismissed her on becoming betrothed to a young heiress. Concubinage of this kind was a traditional feature of Roman life. Even the Catholic Church was prepared to recognize it, provided that the couple remained faithful to on another (cfl. Serm., 312, 2 for Augustine's later attitude: 'If you have no wives, you may not have concubines, women who you will later dismiss in order to marry a wife.' This is precisely what Augustine himself had done).
For a full marriage was prohobitively complicated: it demanded that the partners should be of equal status, and it involved complex dynastic arrangements. As a provincial professor 'on the make', Augustine had no wish for anything but a 'second-class' marriage with a concubine. He had little inclination to tie himself, by a premature match, to some family of impoverished gentlefolk at Thagaste (cf. Conf. II, iii,8, 'fettered to a wife'); to find himself liable to serve as a member of the town-council, to collect taxes, to organize circus-shows, to make sure that the public baths were properly heated. After all, the greatest rhetorician in the Greek East in this age, Libanius of Antioch, was quite content with just such an arrangement: 'an excellent woman, if not of free birth', 'the mother of my son, and better than any servant(!)' (Libanius: Autobiography, ed. and transl. A.F.Norman, 1965, §278, p. 143, cf. esp. p. 231, on her status. As with Augustine, only her son, Cimon, is ever mentioned by name).
A respectable arrangement, of course, need not be a particularly civilized one. No late Roman gentlemen, for instance, wrote poems to his concubine. She would be his housekeeper, the mother of his sons, of considerably lower class than himself. Throughout her partner's manichean enthusiasms, Augustine's concubine may have remained a Catholic catechumen; their son was called Adeodatus, 'given by God'. This is the Latin form of the Punic, Iatanbaal; with its religious associations, it was a popular name among Carthagian Christians. Nor does Augustine seem to have been particularly happy about the needs that bound him to this woman: he would remember their relationship as 'the mere bargain for a lustful love' (Conf. IV, ii, 2). In an atmosphere charged with the presence of Monica, who lived with her son for much of this time, Augustine's disquiet is not, perhaps, so very surprising: 'What is the difference?', he would tell another young man, oppressed with a mother, 'Whether it is in a wife or a mother, it is still Eve (the temptress) that we must beware of in any women' (Ep. 243, 10).

In 365, however, it was not moral scruples that led Augustine to abandon his concubine. It was ambition. Augustine had to marry a heiress. A man such as Libanius could afford to be faithful to his concubine until her death: for he was a respectable figure, firmly-entrenched as the spokesman of the the vested interests of the great Eastern city of Antioch. Augustine, making his career in the Latin West, could never hope to achieve such a safe position. In a small provincial town in Africa, the only alternative to a career that took him far away from his background, was poverty and boredom; the only chance of permanent success, an alliance with those great families, who, in distant Rome and Milan, controlled the destinies of men of talent from the provinces (Sol. I, x, 17 - xi, 19, is a particularly revealing statement of what Augustine had hoped to gain). The unnamed concubine will be sent back to Africa, an obscure victim of the high Catholic principles and great snobbery of the Milanese (Conf. VI, xv, 25)."

[Peter Brown, Augustine of Hippo. A Biography (A New Edition with an Epilogue), Berkeley and Los Angeles 2000, S. 51-52]

Vor dem Hintergrund dieser Erklärungen wird, finde ich, doch sehr deutlich, daß Jostein Gaarders Buch viel zu sehr auf eine "heutige" Perspektive verengt ist. "Vita Brevis" ist ein spannender und unkonventioneller Zugang zu Augustinus. Um allerdings zu erfahren, wie nah und fern zugleich uns sein Denken ist, sollte man noch ein bißchen weiterlesen. Vor allem bei Augustinus selbst, aber auch bei kundigen Biographen wie Brown.
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)

Peter
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Beitrag von Peter »

max72 hat geschrieben:Gaarder nennt sie "floria Aemelia" oder so, ich dachte sogar dass sei der wirklich Name...
Man muß kein Augustinus-Biograph sein, um zu ahnen, daß Augustinus den Guten als «Schwätzer» bezeichnet hätte … :mrgreen:

Danke, Eule! Soll ich das ganze noch mal auf Deutsch nachreichen?

eule
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Beitrag von eule »

Inzwischen hat Peter ja schon alles wunderbar erläutert - aber vielleicht ist mein Brown-Zitat noch als Fußnote zu seinen Erklärungen hilfreich.
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Peter hat geschrieben:
beatrice hat geschrieben:War seine Geliebte Christin?
Man weiß über sie nicht viel, nicht einmal den Namen. Ich glaube aber nicht.
Peter Brown in [i]Augustinus von Hippo[/i] S. 52f. hat geschrieben:...Bei alldem ist natürlich eine Gestalt bemerkenswert - Augustins' Konkubine. Unsere Neugier um sie ist ein sehr modernes Geschäft, das Augustinus und seine kultivierten Freunde seltsam berührt hätte...

...Während der ganzen Zeit seiner manichäischen Begeisterung könnte Augustins' Konkubine durchaus eine katholische Katechumene gewesen sein...
Peter Brown in [i]Augustinus von Hippo[/i] S. 74 hat geschrieben:...Die Konkubine des Rhetoriklehrers hatte Mailand verlassen, gut zwei Jahre bevor die Hochzeit stattfinden sollte.
So kehrte die namenlose Frau nach Afrika zurück und "hatte gelobt, nie einen Mann mehr zu erkennen". Aller Wahrscheinlichkeit nach war sie die ganze Zeit ihres Lebens mit Augustinus eine gute Katholikin geblieben und beabsichtigte durch dieses Gelübde sich entweder die Taufe zu ermöglichen oder zur Eucharistie wieder zugelassen zu werden...
Augustinus in seinen Bekenntnissen (VI,15) hat geschrieben:Mittlerzweile häuften sich meine Sünden. Man hatte mir die Genossin meines Lagers als Hindernis für die Ehe von der Seite gerissen, sie, die mir ans Herz gewachsen war, und von Schnitt und Wunde vergoß dies Herz von seinem Lebensblut. Sie war heimgekehrt nach Afrika, nicht ohne Dir gelobt zu haben, sie wolle keinen andern Manne mehr gehören, und hatte meinen natürlichen Sohn, dessen Mutter sie war, bei mir zurückgelassen....
Gruß Jürgen

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eule
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Beitrag von eule »

Peter hat geschrieben:
max72 hat geschrieben: Danke, Eule! Soll ich das ganze noch mal auf Deutsch nachreichen?
Ja, bitte! Leider hatte ich die deutsche Ausgabe nicht greifbar...
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)

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beatrice
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Beitrag von beatrice »

Es ist sicherlich schwierig bis unmöglich bei Betrachtung einer soweit zurückliegenden Zeit die Dinge nicht mit heutigen Augen zu sehen. Peter hat sicherlich recht, wenn er davor warnt einfache Vergleiche anzustellen.
Besonders schwierig, wenn eine Person sich nicht so verhalten hat, wie man es sich vorgestellt hat.

Beatrice

eule
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Beitrag von eule »

max72 hat geschrieben: Gaarder nennt sie "floria Aemelia" oder so, ich dachte sogar dass sei der wirklich Name...
Erläutert nicht Gaarder selbst im Vorwort oder Nachwort, daß der Name ein fiktiver ist? Soweit ich mich an das Buch erinnere, erklärt er seinen Lesern ziemlich genau, wo in "Vita Brevis" die Grenzen zur Fiktion verlaufen. Nur so als kleiner Versuch zur Ehrenrettung für den Autor, der zuweilen ein Schwätzer sein mag, es mit "Sofies Welt" aber immerhin geschafft hat, viele Leser für die Philosophie zu gewinnen ...
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)

Peter
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Beitrag von Peter »

Juergen hat geschrieben:
Peter hat geschrieben:
beatrice hat geschrieben:War seine Geliebte Christin?
Man weiß über sie nicht viel, nicht einmal den Namen. Ich glaube aber nicht.
Peter Brown in [i]Augustinus von Hippo[/i] S. 52f. hat geschrieben:...Bei alldem ist natürlich eine Gestalt bemerkenswert - Augustins' Konkubine. Unsere Neugier um sie ist ein sehr modernes Geschäft, das Augustinus und seine kultivierten Freunde seltsam berührt hätte...

...Während der ganzen Zeit seiner manichäischen Begeisterung könnte Augustins' Konkubine durchaus eine katholische Katechumene gewesen sein...
Peter Brown in [i]Augustinus von Hippo[/i] S. 74 hat geschrieben:...Die Konkubine des Rhetoriklehrers hatte Mailand verlassen, gut zwei Jahre bevor die Hochzeit stattfinden sollte.
So kehrte die namenlose Frau nach Afrika zurück und "hatte gelobt, nie einen Mann mehr zu erkennen". Aller Wahrscheinlichkeit nach war sie die ganze Zeit ihres Lebens mit Augustinus eine gute Katholikin geblieben und beabsichtigte durch dieses Gelübde sich entweder die Taufe zu ermöglichen oder zur Eucharistie wieder zugelassen zu werden...
Augustinus in seinen Bekenntnissen (VI,15) hat geschrieben:Mittlerzweile häuften sich meine Sünden. Man hatte mir die Genossin meines Lagers als Hindernis für die Ehe von der Seite gerissen, sie, die mir ans Herz gewachsen war, und von Schnitt und Wunde vergoß dies Herz von seinem Lebensblut. Sie war heimgekehrt nach Afrika, nicht ohne Dir gelobt zu haben, sie wolle keinen andern Manne mehr gehören, und hatte meinen natürlichen Sohn, dessen Mutter sie war, bei mir zurückgelassen....
Seht ihr? Mein schlechtes Gewissen trog nicht. Habe ich also mal wieder recht gehabt. ;)

max72
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Beitrag von max72 »

eule hat geschrieben:
max72 hat geschrieben: Gaarder nennt sie "floria Aemelia" oder so, ich dachte sogar dass sei der wirklich Name...
Erläutert nicht Gaarder selbst im Vorwort oder Nachwort, daß der Name ein fiktiver ist? Soweit ich mich an das Buch erinnere, erklärt er seinen Lesern ziemlich genau, wo in "Vita Brevis" die Grenzen zur Fiktion verlaufen. Nur so als kleiner Versuch zur Ehrenrettung für den Autor, der zuweilen ein Schwätzer sein mag, es mit "Sofies Welt" aber immerhin geschafft hat, viele Leser für die Philosophie zu gewinnen ...
Hallo Eule,

danke fuer den ausfuehrlichen Taxt! Hoffe Du musstest das nicht alles abtippen....

Muss mal sehen ob er das im Vorwort erwaehnte, erinnere mich aber nicht (habe nur das norwegische Original). Allerdings hatten es auf amazon.com wohl wirklich welche fuer echt gehalten (das war deutlicher bei frueheren reviews, die ich nicht mehr finde. Eine andere Ausgabe vielleicht...)

Was mich am Ton Gaarders stoert ist eine Haltung, die dem Christentum von vornherein skeptisch eingestellt ist. Es ist ein Tonfall, den man in einer saekulaeren Welt wie hier allzu oft erlebt.

Eines erinnere ich mich noch stark: Augustinus beschreibt wie schon in Kindern Neid und Missgunst zu finden sind. Wie ein Baby zornig schreit, nur weil ein anderes die Brust bekommt, obwohl wirklich genug fuer beide da sein sollte. Gaarder laesst die Konkubine sprechen "Du Armer! Wenn Du es fuer suendhaft haeltst, dass ein Kind die brust der Mutter will". Das ist wirklich eine Verzerrung, Augustinus sagte nie, dass es suendhaft ist weil ein kleines Kind Nahrung haben will, sondern dass eben selbst Kinder neidisch auf andere sein koennen.

max

Peter
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Beitrag von Peter »

Wie schön! Augustinus wird in der Tagespost gewürdigt. (Ich hab’s allerdings noch nicht gelesen. Nur verlinkt.)

Die anhaltende Aktualität des heiligen Augustinus

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Paterjuerch
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Beitrag von Paterjuerch »

Anlässlich des im Artikel genannten Jubiläums wurden die Reliquien des hl. Augustinus für eine Woche von Pavia nach Rom "ausgeliehen". Ich hatte auf diese Weise das Vergnügen, sozusagen Augustinus persönlich besuchen zu dürfen - es war sehr ergreifend. :freude:

Gruß, P. Jürgen
Ad infinitam dei gloriam.

Marlene
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Re: Augustinus

Beitrag von Marlene »

Peter hat geschrieben:Was meint ihr: welche Bedeutung haben Leben und Werk des späteren Kirchenvaters, der vor 1650 Jahren in Tagaste geboren wurde, für uns Heutige?[/color]
Hallo Peter, ich habe nur die Bekenntnisse gelesen. Sie liegen auf meinem Nachttisch, und ich nehme sie immer mal wieder zu Hand und lese ein kleines Stückchen drin. Was mich dabei immer packt, ist das Staunen, das bei Augustinus sichtbar wird, wenn er allmählich entdeckt, wie er alles, alles von Gott her und auf Gott hin sehen kann und im Gebet mit ihm besprechen kann.

Diese Gottesbeziehung, die da sichtbar wird, hat nach 1650 Jahren nichts von ihrer Lebendigkeit verloren.

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Philipp Neri
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Beitrag von Philipp Neri »

Wer gut Englisch kann, dem sei unbedingt empfohlen:

John M. Rist, Augustine: Ancient Thought Baptized, Cambridge 1994

Höchst lesenswert ist auch Peter Browns neuer Epilog zu der revidierten Auflage seiner Biographie, erschienen im Jahr 2000. Brown schreibt in diesem Epilog sehr freimütig über die Schwächen seines Werkes aus den Sechzigern und bekennt, daß er heute mehr Sympathie und Verständnis für Augustinus hat als damals. Ein beachtliches Zeugnis eines großen Gelehrten.

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