Walter hat geschrieben:PS: Kannst du dir nicht vorstellen, dass man auch etwas kritisieren kann, gerade weil man sich damit etwas ausführlicher beschäftigt hat?
Ich kann mir ’ne Menge vorstellen, Walter. Als ich das schrieb, versuchte ich mir gerade vorzustellen, weshalb deine Argumente an den bekämpften Positionen regelmäßig vorbeizielen.
Walter hat geschrieben:Naturwissenschaft kann also weder Gott beweisen, noch seine Nichtexistenz, deshalb macht es auch keinen Sinn, Gott in physikalische Formeln einzubauen
Wem widersprichst du da eigentlich? – Du kämpfst gegen einen selbstgebauten Popanz. Natürlich entzieht sich Gott der naturwissenschaftlichen Untersuchung per definitionem ipsius scientiæ naturalis – nicht jedoch generell vernünftiger menschlicher Erkenntnis. Die naturwissenschaftliche Methode aber kann ihren eigenen Bereich nicht überschreiten.
Wir müssen also sauber unterscheiden, auf welcher Erkenntnisebene wir uns gerade bewegen und welche Methoden wir anwenden. Dies hast du in deinen Beiträgen durchwegs sträflich vernachlässigt (wobei die Strafe im Verfehlen eines Erkenntnisfortschritts besteht …
).
Walter hat geschrieben:Wenn man Gott immer da einzubringen versucht, wo die Naturwissenschaft aktuell einen Erklärungsnotstand leidet, wirkt man längerfristig sogar aktiv mit, dass Gott von seinen Feinden immer weiter an den Rand gedrängt wird, je weiter Biochemie, Physik, etc. voranschreiten.
Walter hat geschrieben:Ich persönlich (als Naturwissenschaftler und Christ) finde ID daher wenig »intelligent«, es kann höchstens kurzfristige Erfolge in der Medienöffentlichkeit erzielen, dabei hilft es aber rein wissenschaftlich weder der Biologie, z.B. die genauen Mechanismen der Proteine besser zu verstehen, die an der Organentwicklung beteiligt sind, noch bringt sie für die Theologie irgendwelche neue Erkenntnisse über Gott und unsere Beziehung zu ihm.
Walter hat geschrieben:Unabhängig von der teilweise durchaus berechtigten Kritik an einzelnen Forschungsergebnissen verstoßen ID-Theoretiker mit ihren »Gegenvorschlägen« ganz eklatant gegen die prinzipiellen Methoden naturwissenschaftlichen Forschens. Ich kann als Forscher (ob christlich oder nicht) doch schlecht sagen, weil ich einen Sachverhalt in der Natur nicht verstehe, muss hier Gott einmalig gegen (seine) universellen Naturgesetze eingegriffen haben. Mit diesem Denken kann man einfach keine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten herausbekommen.
Vorab eine Bemerkung zum letzten Abschnitt: Ich kann natürlich nicht behaupten, daß Vertreter von Theorien einer „intelligenten Planung“ nicht mitunter in denselben Fehler einer Vermischung der Erkenntnisebenen verfielen wie du. Wenn wir aber „fundamentalistische“ „Kreationisten“ einmal außen vor lassen, scheint mir die Argumentation der Vertreter der „intelligenten Planung“ diese Unterscheidung in aller Regel sauber, ja geradezu peinlich durchzuführen. (Auf der Gegenseite vermisse ich jene Unterscheidungsfähigkeit allzu oft. Da herrscht nicht selten genau die ideologische Blendung und Unfähigkeit zur Reflexion über die Grundlagen der eignen Position, welche man der Gegenseite vorwirft – meist zu Unrecht, wie gesagt.)
Nun zur Sache. In der Naturwissenschaft stellt man zunächst einmal Hypothesen auf. (Nicht nur in ihr, aber von ihr reden wir jetzt.) Das heißt, der Hypothese geht noch die „Idee“ voraus, aus welcher ich dann durch vernünftige Erwägung eine Hypothese entwickle. (Die Frage, woher die Idee komme – etwa durch Beobachtung und ihre Verarbeitung durch den intellectus agens, wie Thomas meinte, oder nach Augustin per inspirationem –, kann hier außer Betracht bleiben.)
Wenn mehrere oder viele Hypothesen zu einem komplexeren Modell der Erklärung bestimmter Sachverhalte verbunden werden, reden wir von einer Theorie. Nach Popper müssen Hypothesen und Theorien, um brauchbar zu sein, potentiell falsifizierbar sein. Ich halte dies Poppersche Postulat für innerhalb bestimmter wissenschaftlicher Disziplinen und ihrer Methodik für brauchbar und sinnvoll. (Man darf es nur nicht auf menschliche Erkenntnis generell ausdehnen wollen, weil man damit den Geist zu Unrecht auf solche Methodiken beschränkte, die ja nur Werkzeuge sind. Als Prüfanweisung für die Werkzeuge aber ist das sinnvoll.)
Kannst du mir so weit zustimmen? – Dann gehen wir einen Schritt weiter. Soweit Evolutionstheorien bestimmte beobachtbare Sachverhalte erklären wollen, sind sie als Theorien brauchbar. Evolution heißt dabei, daß Materie durch bestimmte Mechanismen aus sich selbst heraus in der Zeit von einfachen zu komplexeren Strukturen fortschreite. Ebenso berechtigt und brauchbar sind Theorien, die besagen, der Materie selbst wohne keine solche Potenz zur Ausbildung komplexer Strukturen aus einfachen inne, sondern es bedürfe dazu von außen hinzutretender Information.
Methodisch unzulässig wäre als Teil der Theorie, beispielshalber einen außernatürlichen Schöpfungsakt anzunehmen, ebenso aber, ihn auszuschließen. Beides ist mit den Methoden der Naturwissenschaft a priori nicht falsifizierbar. Damit wird weder eine solche Annahme illegitim, noch ihr Ausschluß. Aber beide gehören nicht in die naturwissenschaftliche Theorie.
Lassen wir also solche unzulässigen Elemente, sofern sie vorkommen, beiseite, dann bleibt als Substanz der gegensätzlichen Theorien, was ich oben grob zu skizzieren versuchte. Beide theoretischen Modelle stellen Erwartungen auf, das heißt, sie rechnen mit dem Auffinden noch unbekannter Sachverhalte, welche zur Theorie paßten und sie unterstützten, und sie schließen umgekehrt andere potentielle Sachverhalte aus, welche die Theorie ganz oder teilweise widerlegten, weil sie mit ihr nicht vereinbar wären.
Aus solchen Voraussagen ergeben sich nun gewissermaßen konkrete „Forschungsaufträge“. Das ist die Aufgabe des Naturwissenschaftlers, der an solchen Theorien arbeitet, durch Beobachtung und Experiment die Voraussagen der verschiedenen Theorien zu stützen oder zu widerlegen.
Nun ist in der Regel kein einzelnes Forschungsergebnis geeignet, eine Theorie zu beweisen – das ohnedies nicht, weil immer die Möglichkeit künftiger Widerlegung durch neu zu gewinnende Kenntnisse offen bleibt – oder zu widerlegen. Widerspricht ein Resultat der Forschung Teilen einer Theorie, indem es eine Vorhersage als falsch erweist, kann die Theorie angepaßt werden, und dies um so eher, je komplexer sie ist.
In keinem Fall kann eine so gewonnene, gegebenenfalls angepaßte Theorie als Fund der absoluten Wahrheit ausgegeben werden. Bestenfalls kann eine Theorie als allgemein anerkannt gelten, zumal wenn es keine konkurrierenden Theorien gibt. Dann wird man sich in der Praxis weitgehend auf ihre Aussagen verlassen. Bestehen jedoch konkurrierende Theorien nebeneinander, kann man zwischen ihnen unentschieden bleiben, oder man kann eine für plausibler als die andere halten.
Die Bestätigung oder Widerlegung von Voraussagen der einen wie der anderen Theorie durch die Forschung sollte dabei das entscheidende Kriterium sein. Eine Theorie, die ständig angepaßt werden muß, weil ihre Voraussagen regelmäßig widerlegt werden, könnte grundsätzliche Schwächen haben, während diejenige, deren Voraussagen in den Forschungsergebnissen Bestätigung finden, solider zu sein scheint.
Die heutige Situation angesichts des Gegenüber von Theorien, die eine der Materie immanente Potenz zur Makroevolution annehmen, und solchen, die sie verneinen, stellt sich mir so dar, daß an den Schulen und in den öffentlichen Medien ganz überwiegend die ersten als praktisch erwiesen verbreitet und gelehrt werden – also sogar als über den Theoriestatus hinaus gesichert –, während die konkreten Forschungsresultate sie in ihren Vorhersagen widerlegen und so zu ständiger Anpassung zwingen, die zweitgenannten aber in ihrer Gesamttendenz durch Bestätigung der Vorhersagen stützen.
Darum halte ich diese Theorien, welche eine der Materie immanente Potenz zur Makroevolution negieren, für plausibler und mache sie mir zueigen, ohne dabei zu vergessen, daß es sich auch hier nur um Theorien handelt.
Nun haben allerdings solche Theorien den Schönheitsfehler, daß sie nicht alle Fragen beantworten. Woher nämlich die „von außen hinzutretende Information“ stamme, also die Baupläne, welche die Materie zum Fortschreiten von einfachen zu komplexen Strukturen befähige, bleibt zunächst offen. Man kann versuchen, die Theorie innerhalb der naturwissenschaftlichen Methode zu ergänzen. Oder man läßt die Aporie bestehen – auch dies eine durchaus zulässige Möglichkeit – und erklärt, daß die Frage innerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft unlösbar sei. Potentiell falsifizierbar wäre das ja: ganz einfach durch eine Lösung innerhalb der naturwissenschaftlichen Methode.
Innerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft läge etwa der Vorschlag, die Erklärung in einem „Einimpfen“ jener Baupläne durch Außerirdische anzunehmen. Als Theorie wäre das gleichwohl schwach, nicht nur, weil man damit das Problem nur verschöbe, sondern vor allem wegen der praktischen Unfalsifizierbarkeit. (Außer man könnte ein Video vom Einimpfvorgang präsentieren. Das wäre vermutlich schnell widerlegt.) Besseres ist noch niemandem eingefallen. Darum neige ich dazu, hier die Aporie der Naturwissenschaft anzunehmen.
Weiteres können wir also nur sagen, indem wir dem Raum der Naturwissenschaft verlassen und zu philosophischer Betrachtung aufsteigen. Das ist, was die Kirche meint, wenn sie lehrt, Gott als Schöpfer sei der durch natürlichen Vernunft zu gewinnenden menschlichen Erkenntnis zugänglich. In der Tat bin ich der Meinung, daß all die Baupläne, die wir in der belebten Natur vorfinden – nicht nur physiologisch, sondern auch im Verhalten der Lebenwesen –, da sie – so die naturwissenschaftliche Theorie – natürlich unerklärbar sind, von einer außerhalb der Natur stehenden schöpferischen Intelligenz gegeben worden sind. Dies eben zu dem Zweck, daß die Materie sich harmonisch ordne und in der Lage sei, fortan die Baupläne selbst weiterzugeben. Also daß sie lebe. Jene „schöpferische Intelligenz“ aber nennen wir Gott.
Walter hat geschrieben:Aber gerade die kath. Kirche sollte sehr zurückhaltend sein mit Einmischungen in innernaturwissenschaftliche Fragen, sonst bekommt man den Eindruck, sie hätte sich für den Fall Galilei zwar entschuldigt, daraus aber nichts gelernt.
Galilei diskutieren wir anderswo. Indem du ihn hier einschiebst, zwingst du mich zu einer Entgegnung, was den Gesprächsfaden empfindlich stört. Nein, »die kath. Kirche« hat sich »für den Fall Galilei« nicht »entschuldigt«; sie hat dazu auch keinen Anlaß. Richtig ist dagegen leider, daß viele in der Kirche aus der Diskussion um Galilei nichts gelernt haben.[/size]