Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

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overkott
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Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

Beitrag von overkott »

Spiritualisierung hat in der Bibel schon früh eingesetzt. Die erste Schöpfungsgeschichte mit ihrem systematischen Schöpfungs- und Menschenbild dürfte bereits ein erster Ausdruck dafür sein. Trotz des Sechstageschemas wirkt die erste Schöpfungsgeschichte eher geschichtlich im Sinne von Mythos als von Historie. Sie reflektiert eher theoretische Wahrheiten über die Welt, als dass sie die empirische Wirklichkeit beschreibt.

Die zweite Schöpfungsgeschichte ist weniger abstrakt und systematisch und enthält auch mehr Hinweise auf heute noch gültige historische Namen der Wirklichkeit. Das lässt sie weniger spirituell und mythisch erscheinen, weshalb sie die Aufmerksamkeit historisch-kritischer Archäologen auf sich gezogen hat. Diese haben versucht, in mehr oder weniger gewagten Theorien, den Garten Eden auf der Landkarte zu lokalisieren und daraus abgeleitete Ideen in die Natur- und Wirtschaftsgeschichte einzubauen. So reizvoll der Versuch einer solchen Entmythologisierung auch sein mag, scheint er doch der theologischen Debatte nur unzureichend gerecht zu werden.

Eine besondere Rolle spielt dabei das Wort Paradies. Dieses bezeichnete in der griechischen Übersetzung den Garten Eden. Die weniger historisch-profan, als vielmehr theologisch-weisheitlich interessierten Griechen haben durch ihre Wortwahl auch die eher theologisch-weisheitliche Übersetzung des heiligen Hieronymus geprägt. Dies hat auch das Verständnis von Zusammenhängen des alten und neuen Testaments gefördert. Umgekehrt hat die Streichung des Wortes Paradies aus dem alten Testament zu einer falschen Entmythologisierung geführt und damit zu einem spirituellen Niedergang.

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overkott
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Re: Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

Beitrag von overkott »

Das Ringen um Spiritualisierung und Materialisierung setzt sich im Lauf der Odyssee des Gottesvolkes auf dem ewigen Weg durch die Zeit, durch die Wüste fort. Es wird virulent im Bilderverbot. Natürlich sind damit zunächst ganz Hand fest Standbilder gemeint. Das Bilderverbot mahnt also zur Theologie, statt zur Magie, zur Gottesverehrung, statt zum Tanz um Götzen wie das Goldene Kalb.

Auch größere natürliche Himmelskörper wie Sonne und Mond sollen nicht angebetet und verherrlicht werden, obwohl der Schöpfer sie in den Dienst aller Völker gestellt und zu ihrem Nutzen erschaffen hat. Aber der Mensch ist eben auch Körpermensch und drängt zum Ausdruck in sichtbaren Zeichen.

Problematisch wird es, wenn Gebetsriemen und dicke Kreuze auf der Brust die eigentliche Intention konterkarieren. Wenn Gottes Lehre der Nächstenliebe hinter dem dicken Kreuz zurücksteht. Wenn Tugenden weniger schmücken als Ketten.

Zurecht hat Jesus Geistlosigkeit zu allen Zeiten als Sinnentleerung und Säkularisierung kritisiert.

Aber auch der heilige Zorn über die Geistlosigkeit als Splitter im Auge kann wenig spirituell sein. Ein Bildersturm gegen alle Äußerlichkeiten kann sich schließlich auch gegen Menschen richten. Vermeintliche Gottesliebe endet dann als Fanatismus im Nächstenhass oder in Selbstzerstörung.

War Jesus das Opfer seiner selbst? Hat er nicht Gemeinden in Gebetshäusern provoziert mit Reden wie: Leute, auf mir ruht der Geist des Herrn, aber glaubt nicht, dass ich hier viele Wunder vollbringen werde, denn die Propheten haben auch nicht allzu viel auf die Stange gebracht? Ist er nicht anschließend gezielt nach Jerusalem gezogen, um im Vorhof des Tempels mal so richtig auf den Putz zu hauen?

Die Evangelisten haben entsprechende Anhaltspunkte zum Zweifel keineswegs wegretouchiert, um Jesus als De leeve Jung darzustellen. Sie stellen sich mit ihrer Offenheit ganz in die Tradition der alten Überlieferung seit den beiden Schöpfungsgeschichten. Die Evangelisten fordern uns heraus.

Welche Meinung haben wir von Gott als Schöpfer und von Jesus als seinem Sohn? Laufen wir nicht Gefahr, dass die Unterstellung böser Absichten mehr über uns selbst aussagt und auf uns selbst zurückfällt?

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overkott
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Re: Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

Beitrag von overkott »

Der heilige Bonaventura lädt die Kirche ein, mit Christus die Bibel von vorne zu denken und entsprechend die Zusammenhänge zu verstehen.

Da gibt es zunächst die idealisierte Sicht auf die Schöpfung: alles ist gut, auch der Mensch als Mann und Frau. Er ist als Ebenbild Gott gleich. Ihm wird die Schöpfung als Weltnaturerbe zum Kultivieren überlassen. Mann und Frau sollen sich vermehren und in der Schöpfung einrichten. Der Schöpfungsauftrag wird nicht problematisiert.

Konfliktstoff gibt es erst in der zweiten Schöpfungsgeschichte: Gott will den Unterschied zwischen sich und dem Menschen wahren. Das Gesetz hat Sünde zur Folge und die Sünde den Tod. Leider entschied sich der Mensch nicht für das Leben, sondern für die Erkenntnis von Gut und Böse.

Die gute Nachricht: Mit der zweiten Schöpfungsgeschichte ist die Bibel noch nicht zu Ende.

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overkott
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Re: Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

Beitrag von overkott »

Zurecht wirkt die erste Schöpfungsgeschichte sehr modern:

Gott ist der Planer, der durch sein Wort Licht bringt, der Tag für Tag systematisch aufbaut, der jeden Abend selbstkritisch Bilanz zieht und alles in allem zufrieden ist. Am Freitag überlässt der Senior Mann und Frau als Geschäftsführer das Unternehmen und zieht sich am Samstag aus dem operativen Geschäft zurück.

Man könnte sagen, die erste Schöpfungsgeschichte ist die Weltvorstellung eines erfahrenen und zufriedenen Vaters mit Gesamtverantwortung: Das Unternehmen Schöpfung ist eine Erfolgsgeschichte.

Die zweite Schöpfungsgeschichte wirkt mit ihrem Gottesverständnis eher wie das Selbstbild eines unerfahrenen und unzufriedenen Sohnes ( unser kleiner Prinz? ), dessen Horizont gerade bis zum Paradieszaun reicht. Die Kinder wissen nicht genau, welche Gefahren im Paradies lauern ( bei einer Panne waren es sowieso immer die anderen ), und ahnen auch nicht, welche Wildnis sie dahinter erwartet.

Natürlich kann man fragen, ob die pessimistische Schöpfungsgeschichte nicht realistischer ist. Aber ist deshalb das Ideal schlecht oder die Realität?

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overkott
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Re: Spiritualisierung und falsche Entmythologisierung

Beitrag von overkott »

Mit den beiden ersten Geschichten ist die Schöpfungsreflexion keineswegs abgeschlossen. Jenseits des Paradieses wird die Schöpfung keineswegs besser. Religionsstreitigkeiten führen zum Brudermord. Angeblich fand Gott das Opfer Abels besser als das von Kain. Kein Grund sicher, um seinen Bruder zu erschlagen. Die Genesis oder die Evolution läuft jedoch aus dem Ruder. Gott bereut. Sintflut drüber. Und alles neu schöpft der Herr. Dieses Motiv kehrt bei Jesus wieder: die neue Schöpfung. Das kann man ganz kosmisch lesen: Krawumm. Apokalypse. Es gibt genug Naturkatastrophen als Vorbilder für Alpträume. Auch Kulturkatastrophen wie das Schleifen des Tempels beflügeln den Wunsch nach einem neuen Jerusalem. So astronomisch oder biologisch auch manche Anklänge der Bibel scheinen, so deutlich sind doch schon früh die Warnungen, Himmelskörper wie Sonne, Mond und Sterne für Gott und die himmlischen Heerscharen zu halten. So kann man das Pfingstereignis als Beginn einer neuen geistlichen Schöpfung verstehen.

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