OK, Robert. Ich will es nochmal ganz langsam und ganz simpel erklären. Und Du kannst mir glauben, dass ich als Kanonistin bisher NUR kanonistisch-logisch argumentiert habe.
Neben Tatstrafe, Spruchstrafe usw. ist auch der Begriff "feststellen" eine kanonistische Kategorie, so habe ich ihn auch gebraucht - und nicht im Sinne von "wahrnehmen". Ich gebe zu, dass man das einem Nichtkanonisten vielleicht erst erklären muss. In diesem Sinne "feststellen" kann die Tatstrafe nur die zuständige Autorität, und zwar auf dem Prozess- oder Verwaltungsweg.
Eine Tatstrafe tritt ein, wenn der Tatbestand der Straftat erfüllt ist. Die Konsequenzen stehen unter c.1331 §1 sowie erste Satzhälfte von c.1332; sie sind als Verbote an den Straftäter gerichtet, weil die Autorität die Straftat sozusagen noch nicht offiziell wahrgenommen hat. (Aber er bleibt Straftäter und - sofern ihm das noch irgendwas bedeutet - an die Handlungsverbote der eben genannten Canones gebunden.)
Das tut die Autorität erst mit dem Feststellungsurteil bzw. -dekret. Jetzt ist auch nach entsprechender Untersuchung die Rechtssicherheit gegeben, und es greift das volle Maß der Kirchenstrafe (c.1331 §2 und 2. Hälfte von c.1332). Jetzt ist auch die kirchliche Gemeinschaft in die Pflicht genommen, indem sie die gottesdienstliche Mitwirkung des Verurteilten verhindern muss; er ist hinsichtlich faktisch jeder (v. a. amtlichen) Betätigung in der Kirche außer Gefecht gesetzt.
Nun zum Schisma. Nach c.751 ist damit die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst und der Gemeinschaft mit den mit diesem verbundenen Gläubigen gemeint. Das Schisma ist also ein schwerer Ungehorsam gegen den Papst, der dem "religiösen Verstandes- und Willensgehorsam" (c.752) zuwiderläuft; eine Verweigerung im Bereich der definitiven Lehre (c.750) würde dagegen nach c.751 den Tatbestand der Häresie erfüllen. Hinsichtlich der Namen und Kategorien der vatikanischen Konzilsdokumente ist es oft sehr schwierig abzuschätzen, was davon als "definitive Lehre" gemeint ist/sein könnte. Da Strafgesetze generell eng auszulegen sind, ist es sicherer, hier zunächst vom Bereich des c.752 auszugehen, es sei denn das Lehramt/der Gesetzgeber sagt ausdrücklich, dass dieser oder jener Passus der definitiven Glaubens-/Sittenlehre zuzurechnen ist.
Auch dann reicht es aber für das Schisma, weil man mit der Ablehnung von Konzilsentscheidungen dem universalen Lehramt den geforderten "religiösen Verstandes- und Willensgehorsam" verweigert. Und dieser bedeutet: Ich bin zwar persönlich anderer Meinung und verstehe auch nicht ganz, warum das richtig sein soll, aber ich will der Kirche ("Was ER euch sagt, das tut" > "Wer euch hört, hört MICH") zumindest vom Wissen und Tun her folgen und mich von Herzen auch um innere Zustimmung bemühen.
Andererseits kann nur das Straftat sein, was sich irgendwie im
forum externum äußert. Man wird nicht zum Schismatiker, weil man innerlich gegen "Rom" grollt (das wäre eher Beichtmaterie), aber sehr wohl dann, wenn man sein willentliches "Nein" öffentlich äußert. In diesem Sinne gibt es sicherlich manches nicht festgestellte Schisma unter den Gläubigen. Die ganze "Donum Vitae"-Geschichte geht m. E. in diese Richtung, erst recht die "Donauschifferinnen". Dass der Hl. Vater dabei nicht jedes Mal zur Keule "Feststellungsdekret" greift (bei den Priester(spinner)innen ist dies geschehen), beruht sicherlich auf der Klugheit eines guten Hirten, der weiß, dass mancher umkehrt, wenn er etwas länger darüber nachgedacht hat.
Nun das Problem Lefevbre. Wenn Monseigneur schreibt:
"Wir hängen mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele am katholischen Rom, der Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses Glaubens notwendigen Traditionen, am Ewigen Rom, der Lehrerin der Weisheit und Wahrheit. Wir lehnen es hingegen ab, und haben es immer abgelehnt, dem Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen Tendenz zu folgen, die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch kam.
... Die einzige Haltung der Treue gegenüber der Kirche und der katholischen Lehre besteht um unseres Heiles willen in der kategorischen Weigerung der Annahme der Reform."
- dann will er nicht sehen, dass das Lehramt, dem er sich zu unterwerfen hat, nicht irgendein unpersönliches ist, sondern konkret jenes, das in Person des amtierenden Papstes und dessen Anordnungen - in diesem Fall der von ihm autorisierten Konzilsbeschlüsse vor ihm steht. Durch eine Grundsatzerklärung wie die von 1974 hat er klar, willentlich und öffentlich gesagt, dass er hinsichtlich des II. Vatikanischen Konzils dem Papst die Unterordnung verweigert. Schlimmer noch: Er hat in einem Passus, den ich hier nicht zitiert habe, Gläubige dazu aufgefordert, es ihm gleich zu tun.
Ich will ihm zugute halten, dass er vielleicht wirklich aus tiefster Überzeugung und nach seinem Gewissen - also nicht böswillig - gehandelt hat. Vielleicht trifft ihn innerhalb der Kategorie "Sünde" keine Schuld. Aber im äußeren Bereich hat er sich damit nach c.751 iVm. c.752 des Schisma schuldig gemacht; er war spätestens mit der Grundsatzerklärung also einer "nicht festgestellten Tatstrafe" anheim gefallen. Die Konsequenzen, die ihn offenbar wenig berührt haben, habe ich oben schon dargelegt.
Die oberste kirchliche Autorität hat es offenbar unterlassen, das Schisma und damit die Exkommunikation festzustellen - ich nehme an, weil man gehofft hatte, einen modus vivendi zu finden, der nicht "Altar gegen Altar" stellt. Dennoch ist die schwere Gehorsamverweigerung klar gegeben. Aber 1988 hat Lefevbre mit der illegitimen Bischofsweihe selbst Altar gegen Altar gestellt. Das war die zweite, nicht mehr akzeptable Straftat. Wiederum war Lefevbre mit der vollzogenen Weihe per Tatstrafe exkommuniziert; die volle Wirkung kam durch das Feststellungsdekret, hier das Motu Proprio "Ecclesia Dei", zustande. Die vier Neugeweihten sind ebenfalls von der Strafe betroffen.
Nun zur heutigen Situation, die Lefevbre natürlich nicht mehr betrifft. R.I.P.! Er steht vor einem höheren Richter. - Hier muss ich mich an einer Stelle korrigieren. Wenn Lefevbre noch leben und die Exkommunikation aufgehoben würde, dann wäre damit die Begnadigung hinsichtlich aller Straftaten gemeint, die zum Ausschluss geführt haben. Allerdings wäre er in dem Moment, in dem er wieder öffentlich gegen den amtierenden Papst und das aktuelle Lehramt, das auch vom II. Vatikanischen Konzil ausgeht, in so deutlichen Worten Stimmung macht wie 1974, wieder in der Situation von damals: nicht festgestellte Exkommunikation wegen Schisma nach c.751f.
Die Grundsatzerklärung bezieht sich aber zunächst nur auf den Unterzeichner. Die vier Bischöfe sind dann in derselben Situation wie Monseigneur, wenn sie sich ebenfalls in dieser Tonart und mit diesem Inhalt öffentlich geäußert haben. Das kann ich in der Tat nicht wissen. Die Exkommunikation erreichte sie auf jeden Fall mit der nicht autorisierten Bischofsweihe, mit voller Wucht durch deren Feststellung in "Ecclesia Dei". Du hast insofern Recht, Robert, dass der Nachlass der Exkommunikation sich auch auf frühere Tatstrafen beziehen muss und es eine "halbe Begnadigung" bei uns nicht gibt.
Wenn jedoch, und das wollte ich eigentlich in den vorigen Beiträgen darstellen, einer von ihnen wieder gegen cc.751f handelt, sind sie wieder in der Falle "nicht festgestellte Exkommunikation".
Die Aufhebung der Exkommunikation war, wie gesagt, ein reiner Gnadenakt. Da sie weder hinsichtlich der Bischofsweihe noch hinsichtlich der Lehren Lefevbres, wegen derer sie die katholische Kirche verlassen hatten, irgendeine Art Umkehr signalisiert haben, hatten sie kein Anrecht darauf, wie es einem reumütigen Straftäter bei einer Beugestrafe zugestanden wird.
Ihr jetziger rechtlicher Status - also die kanonisch-(kirchen)verfassungsrechtliche Konsequenz der Begnadigung - ist völlig unklar. Hier wäre es wünschenswert, wenn man zugleich eine entsprechende Einordnung vorgenommen hätte. Sind die vier jetzt die Oberhirten einer schismatischen/nicht unierten Kirche? Oder - anderes Extrem - begnadigte Angehörige des (rechtlichen) Laienstandes mit Bischofsweihe (aber ohne Bischofsamt)?
Ich entschuldige mich von Herzen für den Sermon. Aber ich hoffe, dass zumindest meine fachliche Sicht der Dinge jetzt "ein bißchen" eindeutig klar geworden ist.
