Kurt hat geschrieben:sofaklecks hat geschrieben:Geht es nur darum? Um das Ende einer Diskriminierung?
Ja.
Nein, das denke ich nicht. Zunächst und ganz praktisch: ja, so weit schon. Da wird die Unterdrückung des traditionellen Ritus offiziell beendet. Daß das vor Ort nicht überall ohne Streit und Gezeter abgehen wird und daß manche versuchen werden, die Anweisung des Papstes zu unterlaufen, ist auch klar.
Das ist auch dem Heiligen Vater selbst klar. Darum ja die ausdrücklich, ja überdeutlich herausgestellte Möglichkeit des Rekurses nach Rom. Es gibt wohl drei Varianten, wie diejenigen, die der überlieferten Form der Messe nichts abgewinnen können, mit den neuen Regeln umgehen werden. Die einen finden’s etwas wunderlich, lassen aber die gewähren, die’s nun mal traditionell haben wollen. Diese Gruppe hat kein besonderes Problem mit dem päpstlichen Schreiben.
Die zweiten werden möglichst lautlos versuchen, die römische Weisung zu unterlaufen und mit subtileren Methoden als bisher einzudämmen, was sie als traditionalistische Gefahr ansehen. Das nenne ich die Lehmann-Linie. Die dritten steigen auf die Barrikaden gegen die vermeintlich Ewiggestrigen, geben keinen Deut nach und riskieren, ein ums andere Mal von der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei gemaßregelt zu werden. Als Beispiel kann man sich einen frustrierten südwestdeutschen Priester anschauen, der in zwei andern Foren partiell kirchlicher Themenprägung lauthals gegen den Papst krakeelt.
Um das besser einordnen und bewerten zu können, muß man aber noch einmal näher Benedikts Beweggründe beleuchten. Der zentrale Punkt scheint mir die Betonung der Kontinuität zu sein, das konsequente und kohärente Bestreiten eines Bruchs in der Kirchengeschichte.
Dieser Bruch aber wird ja nun ebenso von Anhängern der überlieferten Messe stark herausgestellt wie von deren erklärten Gegnern, von den Jüngern des (angeblichen) „Konzilsgeistes“. Vergleicht man nüchtern und unvoreingenommen „vorher“ und „nachher“, dann kann man schwerlich anders, als ihnen beizupflichten. In vielem ist nicht bloß ein Umbruch, sondern ein wirklicher und echter Bruch ganz unverkennbar.
Ist der Papst also realitätsblind? Lügt er sich (und der ganzen Kirche) in die Tasche? – Keineswegs. Er hat in der Vergangenheit diesen Bruch ja selbst gesehen und beschrieben. Ja, er spricht ihn, wenn man genau hinschaut, auch in Summorum pontificum wenigstens implizit an.
Wie also kann er dann den Bruch explizit bestreiten? – Indem er den Bruch in der Praxis verortet, nicht aber in der Lehre der Kirche, nicht in ihrer lex orandi noch in ihrer lex credendi. Konkret: Es war tatsächlich ein gewaltiger Bruch, in der Praxis die anderthalbtausendjährige Weise der Meßfeier zu unterdrücken. Aber das war nie rechtens, es war ein Mißbrauch. Diesem Mißbrauch setzt der römische Bischof nun ein Ende.
Ebenso hinsichtlich der neuen Form der Meßfeier: Wie sie in der Praxis vielfach aussieht, stellt einen Bruch mit der ganzen Tradition der Kirche dar. Insofern dieser Bruch faktisch besteht, beruht er auf Mißbrauch und ist nicht rechtens. Diesem Problem haben bereits die neue Institutio generalis Missalis Romani und die Instruktion Redemptionis sacramentum abhelfen wollen – freilich kaum mit meßbarem Erfolg.
Vor diesem Hintergrund ist Summorum pontificum jedenfalls auch zu sehen. Die überlieferte Form der Messe steht in der apostolischen Kontinuität, möchte Benedikt uns sagen, die neue Form – korrekt und gemäß den Rubriken gefeiert – auch, nicht aber mißbräuchliche, „kreative“ Veränderungen der neuen Form. Wo aber ist die Grenzlinie zu ziehen? – Hier wird künftig neben der Institutio generalis Missalis Romani und der Instruktion Redemptionis sacramentum als weiterer, wichtiger Maßstab die überlieferte Form der Meßfeier stehen.
Ich halte das für beabsichtigt. Die traditionelle Messe soll nicht nur den berechtigten Wünschen mancher Gläubiger entgegenkommen, sie soll vor allem auch helfen – durch ihr Dasein, ihre Sichtbarkeit und ihre klargestellte volle Rechtlichkeit –, Mißbräuche der neuen Form abzustellen und deren Zweideutigkeiten eindeutig zu klären.
Man vergesse nicht, daß ein wichtiger Punkt hinsichtlich der neuen Form sogar schon vorab geklärt wurde: daß nämlich die volkssprachlichen Fassungen der Wandlungsworte korrekt „für viele“ übersetzen müssen, nicht länger „für alle“, wie in den meisten Sprachen, oder „für die Menge“, wie etwa bei den Franzosen.
Das ist gewiß nicht der einzige Punkt, der Klärung heischt. Wer Ratzingers Schriften zum Thema kennt, der weiß, daß der Papst zum Beispiel auch die Rückkehr zur gemeinsamen Ausrichtung, und zwar möglichst Ostung, von Zelebrant und Volk beim Gebet sehr befürwortet. Auch hier macht die alte Form der Meßfeier den von Anfang an geltenden Brauch der Kirche sichtbar, wogegen die Wendung von Zelebrationsrichtung und Altar als Neuerung abfällt, und zwar sogar als eine Neuerung, die sowieso nicht vom Vaticanum II, tatsächlich aber noch nicht einmal von der Bugnini-Kommission und dem Reformdekret Pauls VI. eingeführt wurde, sondern gleichsam erst durch nachträgliche Usurpation – wie manches andere.
Darum zielt Summorum pontificum auf weit mehr als die Befriedigung der frommen Wünsche mancher Gläubiger. Es zielt auf die allmähliche Veränderung mißbräuchlicher Entwicklungen der neuen Form, also tatsächlich auf Umgestaltung der neuen Meßform, wie sie sich heute faktisch darstellt, im Sinn der Tradition.
Von daher wird nun auch klar, weswegen manche gegen dies Motu proprio und seine Auswirkungen kämpfen müssen. Es sind die, die selbst fest jenseits der Bruchlinie stehen. Die nicht mehr kirchlich gesinnt sind, sondern deren Gemeinschaftsidentität auf eine Neustiftung gegründet ist, ganz wie die diversen Protestantismen.
Einen letzten Punkt will ich endlich auch nicht unerwähnt lassen. Wenn ich oben schrieb, die Alte Meßform werde in gewisser Weise zum Maßstab der neuen, so gilt das vielleicht auf etwas andere Weise, aber nicht minder auch umgekehrt. Denn die Berechtigung der Reform an sich wird ja nicht bezweifelt, sondern unterstrichen. Die alte Messe soll frei werden vom Druck des Beinahe-verboten-Seins und damit von einer gewissen Versteifung und Verknöcherung im unbedingten Kleben an den liturgischen Büchern eines ganz bestimmten Jahrgangs. So wird sie berechtigte Reformansätze behutsam aufnehmen können, ohne ihr Wesen zu verlieren.