Robert Ketelhohn hat geschrieben:»Wenn du mal die Orationen des alten und des neuen Ordo Missæ vergleichst, dann wird dir vielleicht auffallen, daß darin heute ein anderer Geist herrscht. Die Rede von unserer Sünde, unserer Schwachheit und unserm Unvermögen ebenso wie der flehentliche Ruf um das Erbarmen Gottes wurden weitgehend eliminiert zugunsten frommen Selbstbewußtseins, das auf eigene Kraft und Gutheit setzt und gelegentlich, wenn uns nicht alles gleich ganz leicht gelingt, Gott um etwas Hilfe bittet, er möge uns doch mal eben zur Hand gehen.«
Ich will das noch einmal am konkreten Beispiel verdeutlichen. Ich nehme die ersten beiden Sonntage aus dem Schott und stelle einander gegenüber (bzw. untereinander, da ich hier leider kein Html benutzen kann): Die lateinische Fassung des alten Meßbuchs, deren deutsche Übersetzung (möglichst wörtlich, zum liturgischen Gebrauch müßte man sicher manches sprachlich ein wenig anpassen) und den deutschen Text des neuen Meßbuchs. (Das lateinische Original des neuen Meßbuchs steht mir hier leider nicht zur Verfügung.)
1. Adventssonntag:
A) Oration:
a) altes Meßbuch, Latein:
Excita, quæsumus, Domine, potentiam tuam, et veni: ut ab imminentibus peccatorum nostrorum periculis, te mereamur protegente eripi, te liberante salvari: Qui vivis et regnas cum Deo Patre in unitate Spiritus Sancti Deus: per omnia sæcula sæculorum. Amen.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Erwecke, so bitten wir, Herr, deine Macht, und komm, auf daß wir den drohenden Gefahren unserer Sünden durch deinen Schutz entrissen und durch deine Befreiungstat gerettet zu werden verdienen, der du lebst und herrschest mit Gott dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Herr, unser Gott, alles steht in deiner Macht; du schenkst das Wollen und das Vollbringen. Hilf uns, daß wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegengehen und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten, damit wir den Platz zu seiner Rechten erhalten, wenn er wiederkommt in Herrlichkeit. Er, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. ‹Amen.›
d) Kommentar:
Die Oration beginnt im neuen deutschen Meßbuch nicht mit dem »Maranatha« – »komm, Herr!« –, sondern mit einer unverbindlichen Feststellung. »Alles steht in deiner Macht« – na und? Der alte Text schrie nach Gott: »Komm, Herr, komm her und greif ein mit all deiner Macht!«
Und weiter: »Wir sind in tödlicher Gefahr durch unsere Sünden. Komm, Herr, du allein hast die Macht dazu: Reiß uns heraus, befreie uns aus den Banden der Hölle und rette uns!« Dagegen der neue Text: »Wir sind gerecht und gehen Christus entgegen, hurra! Aber hilf uns ein wenig dabei. Auch bei den guten Werken, die wir ja tun. Dafür steht uns dann der Platz zur Rechten Christi zu.«
Im übrigen fällt auf, daß das Gebet sich nicht mehr – wie in der alten Fassung – an Christus richtet, sondern an Gott Vater. Im Gebetsschluß wird auf deutsch weggelassen, was mit Sicherheit auch noch im lateinischen Text des neuen Meßbuchs steht: Die Akklamation Christi als
Deus, als Gott: »… lebt und herrscht ‹als› Gott …«
B) Graduale/Alleluja:
a) altes Meßbuch, Latein:
Universi, qui te exspectant, non confundentur, Domine. Vias tuas, Domine, notas fac mihi: et semitas tuas edoce me.
Alleluja, alleluja. Ostende nobis, Domine, misericordiam tuam: et salutare tuum da nobis. Alleluja.
b) altes Meßbuch, deutsch:
All die vielen, die dich erwarten, werden nicht zuschanden werden, Herr. Deine Wege, Herr, tu mir kund, und deine Pfade lehre mich.
Alleluja, alleluja. Erzeig uns, Herr, deine Barmherzigkeit, und schenke uns dein Heil. Alleluja.
c) neues Meßbuch, deutsch:
[–]
Halleluja. Halleluja. Erweise uns, Herr, deine Huld, und gewähre uns dein Heil. Halleluja.
d) Kommentar:
Das eigentliche Graduale (Stufenlied) gibt es nicht mehr; im Alleluja-Vers ist die »Barmherzigkeit« zur »Huld« abgeschwächt. Ähnlich wird aus dem »Geben« oder »Schenken« herrscherliches »Gewähren«.
Merkwürdig: Obgleich die alten Texte viel deutlicher die Macht und Hoheit Gottes ausdrücken, ist er in ihnen uns Menschen doch näher und vertrauter als in der neuen Fassung.
C) Offertorium/Secreta:
a) altes Meßbuch, Latein:
Ad te levavi animam meam: Deus meus, in te confido, non erubescam: neque irrideant me inimici mei: etenim universi, qui te exspectant, non confundentur.
…
Hæc sacra nos, Domine, potenti virtute mundatos ad suum faciant puriores venire principium. Per Dominum nostrum ‹Jesum Christum, Filium Tuum: Qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti Deus: per omnia sæcula sæculorum. Amen›.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Zu dir habe ich meine Seele erhoben, in dich vertraue ich, ich werde nicht erröten, auf daß auch meiner nicht spotten meine Feinde. Denn all die vielen, die dich erwarten, werden nicht zuschanden werden.
…
Mögen diese heiligen Gaben, Herr, uns, durch mächtige Kraft geläutert, ganz rein zu ihrem Ursprung gelangen lassen. Durch unsern Herrn ‹Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen›.
c) neues Meßbuch, deutsch:
[–]
…
Allmächtiger Gott, alles, was wir haben, kommt von dir. Nimm die Gaben an, die wir darbringen. Mache sie für uns in diesem Leben zum Sakrament der Erlösung und rufe uns an deinen Tisch im kommenden Reich. Darum bitten wir durch ‹Jesus› Christus, ‹deinen Sohn,› unseren Herrn ‹und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen›.
d) Kommentar:
Allgemeine Bemerkungen: Das alte Offertorium vor der Gabenbereitung (in der Regel Psalmverse, je nach Fest auch aus einem andern Buch der Schrift) ist durch einen beliebigen Gesang ersetzt; an Stelle der Secreta steht nun das insgesamt laut gesprochene Gabengebet. Die Gebetsschlüsse werden in den Rubriken traditionell – in der alten wie in der neuen Fassung – abgekürzt angegeben und sind entsprechend zu ergänzen (oben in spitzen Klammern ‹ › die Ergänzungen); erfahrungsgemäß beten heute aber selbst „gute“ Priester nur das, was schwarz auf weiß in den Rubriken steht und lassen also die geforderte und an sich selbstverständliche vollständige Formel weg.
Das neue Gabengebet schafft es, die Aussagen von der Allmacht Gottes recht banal und unverbindlich erscheinen zu lassen: »Alles, was wir haben, kommt von dir«. Na ja, was ich hab’, das hab’ ich, oder? Der Aspekt, daß Gott selber der Urheber auch unseres Opfers ist, wie er in der alten Fassung enthalten ist, kommt in der neuen kaum zum Ausdruck.
Daß Gott diese Gaben uns »zum Sakrament der Erlösung« mache, ist auch eine zwar korrekte, aber doch recht unkonkrete Bitte. Daß Gott uns läutere und ganz rein zu Ihm gelangen lasse, ist doch wesentlich deutlicher. Allerdings ist hier der alte lateinische Text syntaktisch so verzwickt, daß man ihn zum liturgischen Gebrauch in der Volkssprache ohne Zweifel ein wenig dekomprimieren müßte.
D) Communio:
a) altes Meßbuch, Latein:
Dominus dabit benignitatem, et terra nostra dabit fructum suum.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Der Herr wird seinen Segen spenden, und unser Land wird seine Frucht schenken.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Der Herr wird seinen Segen spenden, und unsere Erde bringt ihre Frucht hervor.
d) Kommentar:
Hier geht es nur um die Übersetzung des offenkundig nicht geänderten Textes. In modernem Deutsch evoziert der Begriff „Erde“ allzusehr den Gedanken an den „Planeten Erde“ oder gar „Mutter Erde“; gemeint ist mit
terra konkret das Land, das „wir“ bebauen. Ferner kommt der Gesichtspunkt zu kurz, daß das Land seine Frucht nicht einfach absolut und selbstgenügsam „hervorbringt“, sondern „gibt“ oder „schenkt“: nämlich uns.
E) Postcommunio:
a) altes Meßbuch, Latein:
Suscipiamus, Domine, misericordiam tuam in medio templi tui: ut reparationis nostræ ventura solemnia congruis honoribus præcedamus. Per Dominum ‹nostrum Jesum Christum, Filium Tuum: Qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti Deus: per omnia sæcula sæculorum. Amen›.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Laß uns empfangen, Herr, deine Barmherzigkeit inmitten deines Tempels, auf daß wir mit angemessener Ehrenbezeugung auf das kommende Hochfest unserer Wiederherstellung zuschreiten.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Herr unser Gott, du hast uns an deinem Tisch mit neuer Kraft gestärkt. Zeige uns den rechten Weg durch diese vergängliche Welt und lenke unseren Blick auf das Unvergängliche, damit wir in allem dein Reich suchen. Darum bitten wir durch ‹Jesus› Christus, ‹deinen Sohn,› unseren Herrn ‹und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen›.
d)
Kommentar:
Hier steht im
Novus Ordo definitiv ein gänzlich neuer Text. Daß anfangs mit dem »Tisch« die Mahl-Theologie der sechziger und siebziger Jahre transportiert wird, sei bloß am Rande festgestellt. Entscheidend ist: Wir sind gestärkt ( ja ja, durch Gott: aber nun sind doch
wir die Starken) und gehen nun unsern Weg. Verzeihung, den
rechten Weg. Aber das ist ja einerlei, ist es doch dasselbe. Aber vergiß nicht, Gott, uns diesen Weg auch noch mal zu zeigen. Dann fühlen wir uns besser, wenn du ab und zu in jene Richtung deutest, in die wir laufen. Welche Richtung, fragst du? Na, da lang, wohin unsre Nase weist!
Die Barmherzigkeit, von welcher der alte Text noch sprach, was soll sie uns nützen? Wir sind die Guten, wir sind die Starken. Haste fein gemacht, Gott, hast uns geholfen. Nun komm mit uns und halte Schritt, daß du nicht den Anschluß verpaßt.
2. Adventssonntag:
A) Oration:
a) altes Meßbuch, Latein:
Excita, Domine, corda nostra ad præparandas Unigeniti tui vias: ut, per ejus adventum, purificatis tibi mentibus servire mereamur. Qui tecum vivit.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Weck auf, Herr, unsre Herzen, deinem Eingeborenen die Wege zu bereiten, auf daß durch seine Ankunft wir gewürdigt werden, dir gereinigten Geistes zu dienen. ‹Durch ihn,› der mit dir lebt.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Allmächtiger und barmherziger Gott, deine Weisheit allein zeigt uns den rechten Weg. Laß nicht zu, daß irdische Aufgaben und Sorgen uns hindern, deinem Sohn entgegenzugehen. Führe uns durch dein Wort und deine Gnade zur Gemeinschaft mit ihm, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
B) Graduale/Alleluja:
a) altes Meßbuch, Latein:
Ex Sion species decoris ejus: Deus manifeste veniet. Congregate illi sanctos ejus, qui ordinaverunt testamentum eius super sacrificia.
Alleluja, alleluja. Lætatus sum in his, quæ dicta sunt mihi: in domum Domini ibimus. Alleluja.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Vom Sion kommt die Schönheit seines Schmucks: Gottes Ankunft wird offenbar sein. Versammelt ihm seine Heiligen, die mit ihm den Bund geschlossen über den Opfern.
Alleluja, alleluja. Ich freute mich daran, was mir gesagt ward: Wir werden eingehen ins Haus des Herrn. Alleluja.
c) neues Meßbuch, deutsch:
[–]
Halleluja. Halleluja. Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt. Halleluja.
C) Offertorium/Secreta:
a) altes Meßbuch, Latein:
Deus, tu conversus vivificabis nos, et plebs tua lætabitur in te: ostende nobis, Domine, misericordiam tuam, et salutare tuum da nobis.
…
Placare, quæsumus, Domine, humilitatis nostræ precibus et hostiis: et, ubi nulla suppetunt suffragia meritorum, tuis nobis succurre præsidiis. Per Dominum nostrum.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Gott, du wirst dich uns zuwenden und uns lebendig machen, und dein Volk wird sich freuen in dir: Erzeig uns, Herr, deine Barmherzigkeit, und schenke uns dein Heil.
…
Laß dich besänftigen, so bitten wir, Herr, durch die Gebete und Opfergaben unserer Demut; und da keinerlei Fürsprache unserer Verdienste vorhanden ist, komm du uns schützend zu Hilfe mit deinen machtvollen Taten.
c) neues Meßbuch, deutsch:
[–]
…
Barmherziger Gott, wir bekennen, daß wir immer wieder versagen und uns nicht auf unsere Verdienste berufen können. Komm uns zu Hilfe, ersetze, was uns fehlt, und nimm unsere Gebete und Gaben gnädig an. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
D) Communio:
a) altes Meßbuch, Latein:
Jerusalem, surge et sta in excelso, et vide jucunditatem, quæ veniet tibi a Deo tuo.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Jerusalem, erhebe dich und steh auf der Höhe, und schau die Freude, welche dir kommen wird von deinem Gott.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Jerusalem, erhebe dich, steig auf den Berg und schau die Freude, die von deinem Gott zu dir kommt.
E) Postcommunio:
a) altes Meßbuch, Latein:
Repleti cibo spiritualis alimoniæ, supplices te, Domine, deprecamur: ut, hujus participatione mysterii, doceas nos terrena despicere et amare cælestia. Per Dominum nostrum.
b) altes Meßbuch, deutsch:
Erfüllt von der Speise geistlicher Nahrung bitten wir dich flehentlich, Herr, daß du uns durch die Teilhabe am Sakrament lehrest, das Irdische zu verachten und das Himmlische zu lieben. Durch unsern Herrn.
c) neues Meßbuch, deutsch:
Herr, unser Gott, im heiligen Mahl hast du uns mit deinem Geist erfüllt. Lehre uns durch die Teilnahme an diesem Geheimnis, die Welt im Licht deiner Weisheit zu sehen und das Unvergängliche mehr zu lieben als das Vergängliche. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.