Die Symbolik der 14.000 Säuglinge
Der Gedenktag der 14.000 Säuglinge bedeutet für viele Ungläubige einen Skandal, da die Anzahl der Säuglinge, die Herodes ermorden ließ, um Christus zu töten, viel kleiner war. Aber diese Menschen missen nicht nur die tiefere Bedeutung des Ereignisses der Schlachtung durch Herodes, sondern auch die symbolischen Dimensionen dieser Zahl.
Was die Geschichte zeigt
Unter den strengen Bedingungen der wissenschaftlich-historischen Genauigkeit, verursacht die Zahl der 14.000 getöteten gemäß der Tradition – sogar für die Gegebenheiten eines Herodes – unüberwindliche Probleme. Gemäß der Informationen, die uns die Quellen und insbesondere der Historiker Flavius Josephus – ein Zeitgenosse der Evangelisten Lukas und Johannes, und somit ein guter Kenner der evangelischen Ereignisse – geben, dürften das alte Bethlehem und seine Umgebung eine Bevölkerung von etwas mehr als 1000 Einwohnern gehabt haben. Diese Zahl mache es gemäß der Historiker wahrscheinlicher, dass Herodes sich getraute diese tragische Operation duchzuführen, um seine Macht vor der inneren Bedrohung der Erscheinung eines Thronanwärters zu sichern. Die Vernichtung einiger Dekaden männlicher Säuglinge „im Alter von zwei Jahren und jünger“ bedeutete somit in Wirklichkeit nicht mehr als 30, maximal 40 Säuglinge, basierend auf die statistischen Gegebenheiten die aus der Einwohnerverteilung dieser Gegend hervorgehen. Die Vernichtung einiger Dekanden Babies unbedeutender bäuerlicher Familien einer entfernt gelegenen und unscheinbarer Gegend würde nicht mehr als nur ein kleines und unbedeutendes Ereignis in seinem Leben sein, ein Klacks im Vergleich zu seinen anderen Verbrechen, die zumal die lange Liste seiner Opfer nicht besonders belastete und auch nicht die Situation der Einwohnerschaft, um die Einmischung Roms zu provozieren.
Es ist ein Fakt, dass niergends in den heiligen Texten des Evangeliums eine konkrete Anzahl ermorderter Säuglinge angeführt wird. Die Anführung der Schlachtung von 14.000 männlichen Kindern kommt aus der heiligen Tradition der Kirche – aus dem Synaxarion dieses Tages – und sogar mit der Anmerkung, dass die Kinder in die Reihen der Märtyrer der Kirche eingehen und als erste anonyme und „unzählbare“ Märtyrer des christlichen Glaubens gesehen werden. Genau dieses Element gibt der ganzen Frage parallel zum historischen auch einen speziellen symbolischen Parameter, der eine theologische hermeneutische Annäherung nötig macht.
Die theologische Bedeutung der Anzahl der ermordeten Kinder
Wie schon angeführt, bilden die Evangelinen nicht eine „Chronik“ oder eine „Reportage“ über die geschichtlichen Ereignisse. Ihre Motivation sind nicht die einfache Information ein paar Leser, sondern die geistige Führung und die theologische Erziehung der Gläubigen im Kontext der katechetischen und pastoralen Rolle der Kirche. Mit dieser Betrachtungsweise, erhält die Ermordung der Säuglinge einen besonderen theologischen Sinn für die heiligen Texte und ein besonderes Interesse für die hermeneutische Annäherung und das Verständnis der Bedeutung der Ereignisse in der evangelischen Erzählung.
In der Tradition des jüdischen Volkes und der Theologie des Alten Testamentes gab es ein „historisches“ Vorereignis einer weiteren Verfolgung und Schlachtens. Konkret offenbart das Buch Exodus den andersgläubigen Pharao von Ägypten, der die Tötung der Jungen der Israeliten durch Ertränkung im Nil anwies, eine wahrer Genoktonie (Genozid), deren Ziel die Verringerung der Anzahl der hebräischen Sklaven war – welche sich in beunruhigendem Maße fortpflanzten.
Dieses Element wird durch die heiligen Autoren des Neuen Testamentes als theologisches Vorereignis in der Sprache der hermeneutischen „Protyposis“ (man kann das in etwa als Grundsubstanz übersetzen, also ein wesensgleiches Ereignis) zur parallelen theologischen Annäherung und Deutung (Hermenia) des entsprechenden Ereignisses der Ermordung der Säuglinge durch den „neuen Pharao“, den andersgläubigen und verhassten König Judäas, Herodes, erkannt. So wie der alte Pharao alles daransetzte, damit der erste Prophet der Exodus, Moses, nicht geboren werden sollte, so inkarniert Herodes als „neuer Pharao“ mit seinen Taten seine eigenen dämonischen Kräfte. Er verhindert das Aufkommen des Messias der Welt.
Gemäß dem Matthäusevangelium wird Jesus schon in Säuglingsalter als der Christus und Herr offenbart, der Gesandte Gottes zur Errettung der Welt. Und Herodes offenbart sich mit seinen Aktivitäten als Vertreter der Kräfte des Bösen und wird mit der Gestalt des Antichristen vorgestellt (Offenbarung 12, 12). Der gegenwärtige Mächtige ist jedoch im Endeffekt der Schwache und das verletzliche Baby wird sich letztendlich als Sieger erweisen. Das Ereignis der Ermordung der Säuglinge gewinnt somit auch eine soteriologische und eschatologische Blickweise, da es parallel zu den Zeichen der letzten Zeit eingegliedert wird, die für die letztendliche Zerstörung des Bösen und den Sieg des Guten vorbereiten.
In der Reihe dieser theologischen Bedeutung, asoziiert man die Ermordung der Säuglinge auch mit der Prophezeiung Jeremias‘, der sieben Jahrhunderte zuvor folgendes vorhersagte: So spricht der HERR: Man hört eine klägliche Stimme und bitteres Weinen auf der Höhe; Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, denn es ist aus mit ihnen (Jeremias 31, 15). Der historische Evangelist Matthäus benutzt diese Prophezeiung und theologisiert hermeneutisch auf das zeitgenössische Ereignis „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.“ (Matthäus 2, 18). Die alte Prophezeiung bezog sich auf die Opfer während des Exodus des alten Israel aus Ägypten. Und wie damals Moses und Josua das Volk Gottes fern von Ägypten, vom Pharao und der pharaonischen Sklaverei in das Land der Verheißung und der Freiheit führten, so wird jetzt der „neue Moses“ und der „neue Josua“ das Volk in einem neuen Exodus in ein neues Land der Verheißung führen, in ein eschatologisches Land der Freiheit und der Würde. Deshalb unterstreicht der Evangelist Matthäus in diesem theologischen Symbolismus und der „Protyposis“ der Ereignisse, dass „aus Ägypten“ Gott wieder einen Führer für Sein Volk berief und für den großen Exodus in der Geschichte der neueren Zeit (Matthäus 2, 15).
Der Apostel Paulus und viele Hermeneuten und Väter der Kirche, wenden häufig den nun theologischen Terminus „Ägypten“ und „Pharao!“ an in ihrer typologischen Hermeneutik mit klar theologischem Charakter. Die Flucht des Kindes nach Ägypten als Folge der Ermordung der Säuglinge Bethlehems, gewinnt – neben ihrer historischen Bedeutung – auch eschatologische Erweiterung, wie eine weitere „Herabkunft des Sohnes Gottes in den Hades“. Dort im Hades Ägyptens, wid Jesus Christus als „neuer Moses“ Sein Volk treffen und es in einen neuen eschatologischen „Exodus“ rufen, in das neue Land der Verheißung, dem Königreich Gottes. (Siehe Deuteronomion 18,15, wo Moses sagt: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören.“
Die Zahl 14.000
Was nun letztendlich die Zahl 14.000 angeht, die die heilige Tradition für die ermordeten Kinder erhält, ist kein logistischer Fehler, sondern entstammt dem Einfluss der jüdäischen apokalyptischen Arithmologie (Zahlenkunde). Es handelt sich im Wesentlichen um ein Vielfaches der Zahl 7 der Hebräer, welche die Ganzheit und die Katholizität symbolisiert. So wie in der Offenbarung des Johannes die Erwähnung der Zahl 12 und ihrer Vielfachen häufig anzutreffen ist (mit der Anführung, dass zum Ende der Zeiten Jesus Christus sich in Begleitung seiner Märtyrer befinden wird, die in ihrer Ganzheit und Perfektion symbolisch 144.000 sein werden [Offenbarung 14, 1 und 7, 4]). Auch in diesem Fall handelt es sich um die wahre Zahl, sondern um einen theologishen Symbolismus der Katholizität der Kirche, die in der Geschichte durch die Märtyrer dargestellt und zusammengesetzt wird. Die in den Zeiten geopferten und das Martyrium erlittenen Heiligen drücken die historische und eschatoloigsche Einheit der Kirche aus.
Der Bezug des Evangelisten auf das Ereignis der Ermordung und Opferung drücken aus, dass Jesus und seine Gläubigen ihren historischen Weg nicht in einer romantischen und idyllischen Welt gehen, aber in einer Welt, in der Gewalt Realität ist, Sklaverei, Unterdrückung und Verfolgung. Die mächtigen „Pharaonen“ und „Herodeis“, die das Schicksal der Völker bestimmen, vertreten die feindlichen und dämonischen Kräfte, das Böse und die Ungerechtigkeit zu Lasten der Schwachen seiend und vermehrend.
Das Göttliche Kind, das vom ersten Moment an der Bedrohung und der Gewalt, der Anzweiflung und der Ablehnung ausgesetzt war, definierte das Vorbild des martyrischen Lebens derer, die seinen Spuren folgen sollten, bis zum Ende der Zeit.
Die Geschichte der Kirche mit ihren Märtyrern bestätigt fortwährend die tragische Realität, dass es keine Änderung in der Welt geben kann ohne die Bekenner der Wahrheit und den Märtyrern der Freiheit. Durch die Erzählung des Ereignisses der Ermordung der Säuglinge wird unterstrichen, mit wem man sich letztendlich einlassen will, mit den „Herodeis“ oder den unschuldigen und schwachen Menschen, die als Kinder des „geschlachteten Lammes“ und unschuldige Säuglinge, Zeugen der Wahrheit „von Anfang der Welt“ (Offenbarung 13,
. Darüberhinaus ist das eine der zentralen Fragen, auf die das Christentum durch seine heiligen Texte eine Antwort geben will.
Das oben übersetzte bezieht sich auf den Artikel des Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität von Athen, Herrn Georgios Patronou, mit dem Titel: „Die Ermordung der Säuglinge im Neuen Testament“, das in der Zeitschrift „Istorika“ (Nr. 216) der Zeitung „Eleftherotypia“ vom 18. Dezember 2003, S. 34.41, veröffentlicht wurde.