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Griechenland: Kirchenbann gegen Erzbischof Christodoulos
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 12:08
von otto
Griechenland: Kirchenbann gegen Erzbischof Christodoulos
Der Streit zwischen dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., und dem Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, Christodoulos ist eskaliert: Das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, Bartholomaios, hat eben in Istanbul den Athener Erzbischof von jeglicher kirchlichen und sonstigen Gemeinschaft ausgeschlossen. Das ist mehr als eine Exkommunikation, das entspricht dem alten Kirchenbann und der Reichsacht des Mittelalters, mit denen die Betroffenen für vogelfrei erklärt wurden. Konstantinopel hat eine so strenge Kirchenstrafe seit Menschengedenken nicht mehr verhängt.
www.radiovaticana.de Newsletter von Radio Vatikan - 1.5.2004
Das sollte allen eine Warnung sein, die auch in der katholischen Kirche immer wieder eigenwilliges Handeln gegen ROM fordern!
Ach ja eine Frage an die Orthodoxen Brüder im Forum wie darf ich in diesem Zusammenhang das Wort "vogelfrei" verstehen?
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 13:01
von Nietenolaf
Konstantinopel hat gar kein Recht, einen Bann gegen den griechischen Erzbischof von Athen zu sprechen. Bartholomaios ist kein Papst, auch wenn er da mitunter ähnliche Ambitionen zu hegen scheint. Ich schaue mich erstmal um...
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 13:39
von Robert Ketelhohn
Juergen hat geschrieben:Gehört Athen denn nicht zum Pariarchat von Konstantinopel?

Grundsätzlich ja, jedoch ist die „Kirche von Griechenland“ seit Gründung des griechischen Nationalstaats der Neuzeit faktisch weitestgehend selbständig. Die erstrebte Autokephalie wird zwar immer wieder behauptet, ist jedoch eigentlich von den andern orthodoxen Kirchen nicht wirklich anerkannt, insbesondere nicht von Constantinopel.
Der gegenwärtige Streit rührt wohl daher, daß der Athener Metropolit die faktisch der Autokephalie gleichkommende Unabhängigkeit der „Kirche von Griechenland“ nun auch auf diejenigen griechischen Diözesen auszudehnen versucht – um sie seiner Jurisdiktion zu unterstellen –, die bislang immer noch dem Patriarchen von Constantinopel unterstehen.
Daß nur ein Teil der Diözesen des heutigen griechischen Staatsgebiets Athen untersteht, liegt meines Wissens daran, daß bei Ausrufung des griechischen Nationalstaats dessen Staatsgebiet zunächst kleiner war. Nur auf dieses ursprünglich Staatsgebiet erstreckt sich – wenn ich nicht irre – die „Kirche von Griechenland“.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 13:44
von Robert Ketelhohn
Nietenolaf hat geschrieben:Konstantinopel hat gar kein Recht, einen Bann gegen den griechischen Erzbischof von Athen zu sprechen. Bartholomaios ist kein Papst, auch wenn er da mitunter ähnliche Ambitionen zu hegen scheint. Ich schaue mich erstmal um...
Ich denke doch, die Aufkündigung der Kirchengemeinschaft ist eine (letzte) Möglichkeit. Hier erst recht, weil Athen ja letztlich doch zum Patriarchat von Constantinopel gehört. Es wird darauf ankommen, wie die andern orthodoxen Patriarchate sich dazu verhalten, namentlich Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, aber aufgrund des faktischen Einflusses natürlich auch Moskau.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 14:07
von Juergen
Ich denke, die Sache ist nicht ganz so einfach. Schließlich hat Konstantinopel 1850 die Autokephalie der "Orthodoxen Kirche von Griechenland" anerkannt. Nach dieser Anerkennung kann der Patriarch von Konstantinopel nicht einfach dort eingreifen.
Re: Griechenland: Kirchenbann gegen Erzbischof Christodoulos
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 14:13
von cathol01
otto hat geschrieben:Das sollte allen eine Warnung sein, die auch in der katholischen Kirche immer wieder eigenwilliges Handeln gegen ROM fordern!
Amen
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 14:17
von Nietenolaf
Es geht um Episkopate im Norden Griechenlands, die sogenannten "Neuen Territorien", die 1912 von der Türkei abgefallen sind. Bis zu diesem Jahr standen sie unter der Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel. Gemäß einer Absprache von 1928 zwischen dem Patriarchat von Konstantinopel und der Griechischen Kirche (...von Hellas), sind diese Bistümer (36 Stück) gewissermaßen unter der Jurisdiktion beider Kirchen: formell unter der Konstantinopels, faktisch unter der Athens. Athen ernennt Bischöfe, die von Konstantinopel bestätigt werden. Faktisch haben diese Bistümer keinen besonderen Status innerhalb der Griechischen Kirche gehabt.
Nun ist es so, daß es seit letztem Jahr diverse Vakanzen in diesen Bischofssitzen gibt, und die griechische Kirche hat ihre Kandidaten dafür erst nicht von Konstantinopel bestätigen lassen. Die Absprache von 1928 sei damals nicht von der Fülle der griechischen Kirche getragen worden, habe keinerlei kanonische Grundlagen und verstoße gegen griechisches Staatsrecht. Im Februar d.J. wurde Konstantinopel aber, wenn auch nachträglich, in den Prozeß der Kandidatenauswahl einbezogen und ausführlich informiert (Synode der Kirche von Hellas vom 01. März 2004). Darin wurde der Status quo der "neuen Territorien" erneut bekräftigt, Listen mit den Kandidaten für vakante Bistümer nach Konstantinopel übersandt (es betrifft die Bistümer von Thessaloniki, Eleftheroupolis und Kozani).
Ungeachtet dessen gab die gestrige Synode des Patriarchates von Konstantinopel (keine gesamtkirchliche, aber eine "große Synode der Bischöfe der Hauptstadt" (Μείζων Ενδημούσα Σύνοδος) folgendes bekannt:
Μείζων Ενδημούσα Σύνοδος hat geschrieben:1. Die Erwählungen der neuen Mitropoliten für die cathedrae von Thessalonike, Eleftheroupolis und Kozani sind als ungültig zu betrachten.
2. Mit Erzbischof Christodoulos von Athen ist jede liturgische und administrative Beziehung zu beenden.
3. Den Mitropoliten, die unkanonisch gewählt wurden, wird empfohlen, die Leitung der Bistümer nicht zu übernehmen, sonst werden auch mit ihnen die Beziehungen beendet.
4. Die griechische Regierung wird gebeten, keine entsprechenden "Anweisungen des Präsidenten" auszustellen, die üblicherweise bei der Wahl neuer Mitropoliten ausgestellt werden.
5. Es wird dem Mißfallen und dem Kummer über jene Ausdruck verliehen, die an der Chirotonie der neu gewählten Mitropoliten beteiligt waren.
6. Es wird gewarnt, daß, sollte die "kanonische Anomalie" andauern, das Patriarchat von Konstantinopel die Absprache von 1928 für ungültig erklärt.
Alles in allem ist das schlecht, aber kein "Anathema", kein "vogelfrei" und keine "Spaltung der Orthodoxie". Radio Vatikan ist bei seinen Nachrichten (wie ich schon auf die Meldung von Ralf bemerkte) ziemlich tendentiell und von papalem Denken durchdrungen. Es gibt kein "Oberhaupt der Weltorthodoxie" außer Jesus Christus.
Quellen:
www.rnn.gr und
www.pravoslavie.ru
Robert hat geschrieben:…Athen (gehört) ja letztlich doch zum Patriarchat von Constantinopel…
Dem ist nicht so.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 17:17
von Robert Ketelhohn
Jürgen hat geschrieben:»Schließlich hat Konstantinopel 1850 die Autokephalie der "Orthodoxen Kirche von Griechenland" anerkannt.«
Mir ist düster in Erinnerung, daß die Autokephalie da doch nicht vollständig gewährt worden sei, sondern durch irgendeine Formel von der weiterbestehenden Oberhoheit des Patriarchen von Constantinopel zumindest theoretisch ein gewisser Vorbehalt geblieben sei.
Nietenolaf hat geschrieben:»Dem ist nicht so.«
Na ja, vielleicht hab’ ich mich getäuscht.
Nietenolaf hat geschrieben:»Alles in allem ist das schlecht, aber kein "Anathema", kein "vogelfrei" und keine "Spaltung der Orthodoxie".«
Schon die Gleichsetzung von „Kirchenbann“ und „Reichsacht“ im Bericht der Radiovaticana ist, gelinde gesagt, Unfug. – Eine schismatische Situation bahnt sich aber leider wohl doch zumindest an.
Otto hat geschrieben:»Ach ja eine Frage an die Orthodoxen Brüder im Forum wie darf ich in diesem Zusammenhang das Wort "vogelfrei" verstehen?«
Das ist in diesem Zusammenhang schlicht Blödsinn. Allerdings ausgesprochen unfreundlicher Blödsinn.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 17:52
von Nietenolaf
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Es wird darauf ankommen, wie die andern orthodoxen Patriarchate sich dazu verhalten, namentlich Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, aber aufgrund des faktischen Einflusses natürlich auch Moskau.
Genau... Abwarten und Tee trinken. Ich ahne fast einen gewissen Widerstand gegen Konstantinopel, weil Bartholomaios I. so kompromisslos und herrisch auftritt, während Christodoulos bis zuletzt nachgegeben hat.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 18:52
von Robert Ketelhohn
Wobei man auch vermuten könnte, daß Bartholomæus nicht so gehandelt hätte, wenn er sich nicht zuvor bei andern Patriarchen rückversichert hätte. Aber das ist auch bloß Spekulation.
Verfasst: Sonntag 2. Mai 2004, 20:45
von otto
Das heißt die Situation ist verworren, unklar und die Gefahr eines Schismas ist durchaus im Bereich des Möglichen, aber die Meldung von Radio Vatikan ist etwas zu drastisch und überspitzt formuliert?
Also es gibt noch Hoffnung, auf eine Lösung in Brüderlichkeit?
Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 15:20
von Juergen
Nietenolaf hat geschrieben:Es gibt kein "Oberhaupt der Weltorthodoxie" außer Jesus Christus.
Mir scheint eher, daß das Wort "Weltorhtodoxie" ein schlechter Scherz ist.
Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 18:34
von Nietenolaf
Juergen hat geschrieben:Mir scheint eher, daß das Wort "Weltorhtodoxie" ein schlechter Scherz ist.
Genau, denn erstens ist es eine im papalen Denken verhaftete Erfindung der Katholiken, und zweitens sollte man das Theta korrekt transkribieren.
Inzwischen gibt es eine Reaktion des Patriarchates von Alexandria (
hier), die man aber nicht wirklich als Stellungnahme bezeichnen kann.
otto hat geschrieben:Also es gibt noch Hoffnung, auf eine Lösung in Brüderlichkeit?
Sicher. Immerhin trifft die Einstellung der Kirchengemeinschaft seitens Konstantinopel "nur" den Erzbischof von Athen (und nicht etwa die gesamte Kirche Griechenlands); für die neuerwählten Metropoliten von Thessaloniki, Eleftheroupolis, sowie Servia und Kozani ist sie bisher nur angedroht. So oder so kann man nur abwarten...
PS:
- der
neue Metropolit von Thessaloniki, Anthimos
- die
neuen Metropoliten von Eleftheroupolis, Chrysostomos, sowie von Servia und Kozani, Paulos (auf dem Bild hinter Christodoulos, dem Erzbischof von Athen)
- der
Erzbischof von Athen, Christodoulos, mit Papst Johannes Paulus II
Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 22:52
von Ralf
Nietenolaf hat geschrieben:Inzwischen gibt es eine Reaktion des Patriarchates von Alexandria (
hier), die man aber nicht wirklich als Stellungnahme bezeichnen kann.
Wat sachter denn so auf Deutsch?
Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 22:54
von ottaviani
soweit ich das mitbekommen habe hat sich der Patriarch sein vorgehn von etlichen bischöfen bestätigen lassen
Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 23:06
von Petra
Ralf hat geschrieben:Nietenolaf hat geschrieben:Inzwischen gibt es eine Reaktion des Patriarchates von Alexandria (
hier), die man aber nicht wirklich als Stellungnahme bezeichnen kann.
Wat sachter denn so auf Deutsch?
Was heißt denn der erste Teil deiner Signatur auf Deutsch?

Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 23:09
von Ralf
Frieden und alles Gute (oder Frieden und Gutes)!
So, jetzt bist Du dran.

Verfasst: Dienstag 4. Mai 2004, 23:17
von Petra
Zur Zeit habe ich keine Signatur

Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 09:55
von Nietenolaf
Ralf hat geschrieben:Wat sachter denn so auf Deutsch?
Reicht Dir Englisch? Über Nacht kam
die Übersetzung rein.
Inzwischen sind Abgesandte des Phanars in Athen, aber nicht etwa bei der Synode der griechischen Kirche, sondern bei der griechischen Regierung, die (nach griechischem Recht) die neuen Metropoliten noch bestätigen muß. Konstantinopel versucht das zu verhindern. Sehr krass irgendwie. (Quelle, ebenso in der Engelszunge,
hier).
Im Editorial des selben Blattes ("He Kathimerini") findet sich
dieser Kommentar. Das einzige kurze Zitat von Erzbischof Christodoulos ist Gold wert.
ottaviani hat geschrieben:soweit ich das mitbekommen habe hat sich der Patriarch sein vorgehn von etlichen bischöfen bestätigen lassen
Die Entscheidung über die Aufhebung der Kirchengemeinschaft mit dem Erzbischof von Athen war synodal, der Patriarch allein hat diesbezüglich nur eine Meinung, aber kein Weisungsrecht. Offenbar steht das komplette Ökumenische Patriarchat dahinter...
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 10:09
von Ralf
Der verlinkte Kommentar macht ja schon zu Beginn klar, auf welcher Seite er steht. Aber gut, dafür sind ja Kommentare da. Und Christodoulos' bemerkung halte ich weniger für Golf denn für Hybris und einen Tritt unter die Gürtellinie.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 10:29
von Nietenolaf
Auf welcher "Seite"? Ja, damit hast Du nicht unrecht, denn es handelt sich hier um reine Politik. Eine der schlimmsten Versuchungen, die die Kirche seit ihrem Bestehen immer wieder heimsucht. Ganze antike Landeskirchen sind ihr zum Opfer gefallen. Zu diskutieren, was in diesem politischen Geplänkel dann die Hybris ist und wo sie losgeht, ist müßig. Der Spruch von Christodoulos ist genau deshalb Gold wert, weil er herausstellt, daß es einen Unterschied zu geben hat zwischen einem "spiritual leader" und einem politischen Machthaber.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 11:18
von Ralf
Naja, wenn ich mir Christodoulos' politische versuchte Macht und Einflussnahme ansehe (Beispiele: Erwähnung des rel. Bekenntnisses im Pass, gegen Wiedervereinigung Zyperns), dann spricht er gegen sich selbst.
Bartholomaios I. ist mir der weitaus sympathischste aller Patriarchen, das gebe ich offen zu.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 11:38
von Juergen
Mir fällt zu der ganzen Geshichte zur Mt 12,25 ein.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 11:41
von ottaviani
das große problem der orthodoxen ist glaub ich ihre nationale gebundenheit
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 12:15
von Nietenolaf
Juergen hat geschrieben:Mir fällt zu der ganzen Geshichte zur Mt 12,25 ein.
Wie die Reformation und der Protestantismus und die Kirchenaustritte eindeutig beweisen. Aber das ist Off Topic, Jürgen. Im gegebenen Streitpunkt kann davon keine Rede sein, sofern es nicht um Politik geht. Und diese ist überall und in allen Zeiten der selbe Quatsch.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 14:45
von Robert Ketelhohn
Nietenolaf hat geschrieben:»Auf welcher "Seite"? Ja, damit hast Du nicht unrecht, denn es handelt sich hier um reine Politik. Eine der schlimmsten Versuchungen, die die Kirche seit ihrem Bestehen immer wieder heimsucht. Ganze antike Landeskirchen sind ihr zum Opfer gefallen. Zu diskutieren, was in diesem politischen Geplänkel dann die Hybris ist und wo sie losgeht, ist müßig. Der Spruch von Christodoulos ist genau deshalb Gold wert, weil er herausstellt, daß es einen Unterschied zu geben hat zwischen einem "spiritual leader" und einem politischen Machthaber.«
Ich bin gegenüber Bartholomæus durchaus distanziert, doch doch sehe ich die bei weitem größeren politischen Ambitionen (im profanen Sinne des Worts „Politik“) eindeutig bei Christodulos, nicht bei Bartholomæus. Den Begriff „spiritueller Führerschaft“ halte ich dagegen für ausgesprochen problematisch, zumal angesichts der heute üblichen esoterischen Verwendung des Begriffs der Spiritualität. Ein Bischof ist kein spiritueller Guru, Verzeihung: Führer, sondern Hirte seiner Herde, von Jesus Christus mit apostolischer Vollmacht ausgestattet.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 14:48
von Robert Ketelhohn
Jürgen hat geschrieben:»Mir fällt zu der ganzen Geschichte zur Mt 12,25 ein.«
Die ganze Geschichte der Kirche ist voll von solchen „ganzen Geschichten“, Jürgen.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 14:50
von Robert Ketelhohn
Ralf hat geschrieben:»Bartholomaios I. ist mir der weitaus sympathischste aller Patriarchen, das gebe ich offen zu.«
Mir, ebenso offen gesagt, absolut nicht. Ich mag ihn nicht. Dennoch neige ich im gegenwärtigen Streit eher zu seiner Seite, was aber mit der Person nichts zu tun hat.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 20:20
von Nietenolaf
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Den Begriff „spiritueller Führerschaft“ halte ich dagegen für ausgesprochen problematisch, zumal angesichts der heute üblichen esoterischen Verwendung des Begriffs der Spiritualität. Ein Bischof ist kein spiritueller Guru, Verzeihung: Führer, sondern Hirte seiner Herde, von Jesus Christus mit apostolischer Vollmacht ausgestattet.
Ich schätze, das war eine Anspielung auf den in nicht-orthodoxen Quellen üblichen Titel "spiritual leader of world orthodoxy". Ich habe "spiritual" nicht übersetzt; hätte ich es getan, stünde da "geistlich". Von "spirituell" im profanen (esoterischen) Sinn war gar keine Rede.
Andererseits muß ich mich wundern, wieso Du bei Christodoulos die größeren politischen Ambitionen siehst. War Dir das Problem mit dem schismatischen "Kiewer Patriarchat" bekannt? Bartholomaios wollte die durch Anerkennung schlucken, sah aber letztlich davon ab. Ähnlich ist die Situation in Estland, wo durch nationalen politischen Druck ein Erzbischof des ökumenischen Patriarchates installiert wurde. Bartholomaios hat den überwiegenden Großteil seiner Herde in Übersee; aus historischen Gründen versucht das Ökumenische Patriarchat überall da, wo es (noch) keine historische orthodoxe Landeskirche gibt, seine Strukturen aufzubauen. Das ist nur teilweise legitim. Dort nämlich, wo es wie in der Ukraine und in Estland zu parallelen Strukturen kommt, ist es Politik, oder es reitet auf politischer Welle. Ich glaube, es war 1997, da hat der Patriarch von Moskau und ganz Rußland bei seinen Liturgien eine Zeitlang nicht mehr des ökumenischen Patriarchen gedacht. Grund waren diese politischen Ambitionen des Ökumenischen Patriarchates; die Situation war nicht viel einfacher, als die heutige zwischen Griechland und Konstantinopel. Christodoulos kann solche Ambitionen gar nicht haben, denn er hat eine Heimat, und noch dazu verbietet die ihm nicht, sich in der Öffentlichkeit in Soutane zu zeigen. Vielleicht ist der Titel "Ökumenisches Patriarchat" mißverständlich; ja, spätestens seit dem Auftauchen Ökumenismus scheint das so zu sein. Aber "politische Ambitionen" sind politische Ambitionen, meine Herren; die Eintragung der Religionszugehörigkeit im Pass ist dagegen fast schon eine pastorale Notwendigkeit.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 20:58
von Juergen
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Jürgen hat geschrieben:»Mir fällt zu der ganzen Geschichte zur Mt 12,25 ein.«
Die ganze Geschichte der Kirche ist voll von solchen „ganzen Geschichten“, Jürgen.
Was willst Du damit sagen: alles nicht so schlimm! oder wie?
Aber ehrlich gesagt ist es mir ziemlich wurscht, wie sehr sich die Schismatiker untereinander bekriegen.
Verfasst: Mittwoch 5. Mai 2004, 23:28
von Robert Ketelhohn
Nietenolaf hat geschrieben:»Ich schätze, das war eine Anspielung auf den in nicht-orthodoxen Quellen üblichen Titel "spiritual leader of world orthodoxy". Ich habe "spiritual" nicht übersetzt; hätte ich es getan, stünde da "geistlich". Von "spirituell" im profanen (esoterischen) Sinn war gar keine Rede.«
Meine Kritik hatte ja nicht dir gegolten, sondern jenem Kommentar, auf den du hingewiesen hattest.
Nietenolaf hat geschrieben:»Andererseits muß ich mich wundern, wieso Du bei Christodoulos die größeren politischen Ambitionen siehst. War Dir das Problem mit dem schismatischen "Kiewer Patriarchat" bekannt? Bartholomaios wollte die durch Anerkennung schlucken, sah aber letztlich davon ab. Ähnlich ist die Situation in Estland, wo durch nationalen politischen Druck ein Erzbischof des ökumenischen Patriarchates installiert wurde …«
Die Situation in Estland und in der Ukraine ist mir bekannt. In Estland ging die Initiative freilich, wie du ja auch andeutest, von der dortigen nationalen Strömung aus. Bartholomæus ist auf diesen Zug aufgesprungen – eine meines Erachtens durchaus unangemessene Maßnahme, die ihm – zumal im offenen Gegensatz zum „zuständigen“ Moskauer Patriarchat – kaum zukam.
In der Ukraine ist mir ein vergleichbar offenes Eingreifen des Constantinopolitaner Patriarchen nicht bekannt. Wenn ich mich täusche, dann korrigiere mich bitte.
Übrigens ist die ukrainische Lage ja noch komplexer. Neben dem „Kiewer Patriarchat“ unter Filaret, das nach meinem Eindruck von nationalen Motiven – wie bei den „griechisch-katholischen“ Ukrainern – ebenso getragen ist wie von gewissen persönlichen Ambitionen, gibt es ja noch die „autokephalen Ukrainer“ unter Metropolit Methodius Kudrjakow: ein mit viel Geld und geheimdienstlicher Logistik aus der amerikanisch-kanadischen Diaspora eingeflogenes Kuckucksei, das sich allerdings in allerlei Affairen zunehmend auflöst, zumal seit Metropolit Methodius sich Filarets Patriarchat anzunähern versuchte und dabei offenbar amerikanische Interessen nicht hinreichend wahrte, worauf US-U-Boot Erzbischof Igor Isitschenko seinen Metropoliten Methodius zu torpedieren begann.
Aber ich wüßte nicht, daß Bartholomæus mit Filaret oder Methodius oder gar Igor Kirchengemeinschaft pflegte. Wohl aber hat er besagte amerikanisch-kanadische Diaspora unter seinen Fittichen, und insofern gewiß auch seine Finger irgendwie im Spiel. Das will ich gar nicht bestreiten.
Wenn ich oben behauptete, Christodulos habe im gegenwärtigen Konflikt die größeren politischen Ambitionen, dann dachte ich an sein Bestreben, eine einheitliche griechische „Nationalkirche“ zu schaffen, natürlich unter seiner Führung. Das ist meines Erachtens durchaus den nationalen Bestrebungen der orthodoxen Esten und der Ukrainer von Filarets Patriarchat vergleichbar. Diesmal ist Bartholomæus in der Defensive.
Wohl gemerkt: Ich halte das Bestreben von Christodulos keineswegs für völlig unberechtigt. Auch nicht das der Esten, Ukrainer oder Mazedonier. Auch Pec, Ohrid oder Moskau wurden ja irgendwann einmal errichtet. Aber eine Zeit nationaler Aufgeregtheit wie in Estland oder in der Ukraine ist ein ungünstiger Zeitpunkt, und die ein Schisma heraufbeschwörende Konfrontation mit dem zuständigen Patriarchen kann auch kaum der rechte Weg sein.
Im gegenwärtigen griechischen Streit ist meines Erachtens die Situation des Ökumenischen Patriarchen seit dem Fall Constantinopels und besonders seit den Christenverfolgungen und -vertreibungen unter Atatürk und unter Ecevits erstem Regime zu berücksichtigen. Und wie weit sollen die griechischen Ambitionen eigentlich gehen? Bis nach Imbroz und Kreta? Und ist Bartholomæus nicht auch Grieche? Ist er nicht eigentlich der Patriarch der
Griechen – vielmehr denn „Oberhaupt der Weltorthodoxie“? Oder will Christodulos selber den Patriarchentitel?
Translatio patriarchatus ad occidentem, sc. Athenas?