Sonntagsbrief zur vorweihnachtlichen Fastenzeit

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Ilija
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Sonntagsbrief zur vorweihnachtlichen Fastenzeit

Beitrag von Ilija »

Liebe Schwestern und Brüder,

In der orthodoxen Kirche beginnt heute die vorweihnachtliche Fastenzeit. Außer der großen Fastenzeit werden von alters her in rechter Weise und aus guten Gründen noch andere Fastenzeiten, nämlich das Apostelfasten, das Gottesmutterfasten und das Weihnachtsfasten eingehalten.

Bei dem Propheten Zacharias heißt es: So spricht der Herr der Heeresscharen: «Die Fasttage im vierten, fünften, siebten, zehnten Mond, die sollen jetzt dem Judahaus zur Freude und zum Jubel werden, zu frohen Festgezeiten! Doch liebt die Wahrheit und den Frieden!» (Zach. 9,19). Hier nannte Gott der Herr entsprechend den vier Jahreszeiten auch vier Fasten für das Haus Juda, d.h. für uns Christen. Denn wir sind das neue Haus Juda, und unser Herr Jesus Christus nahm aus dem Hause Juda Menschengestalt an, und denjenigen, die an Seinen Namen glauben, gab Er die Macht, Seine Kinder zu sein, und deshalb bezeichnen wir uns auch als das Haus Juda. So wie es im Jahr vier Jahreszeiten gibt, d.h. Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, so bringen wir auch die heilige große vierzigtäge Fastenzeit als den zehnten Teil des ganzen Jahres Gott dem Herrn als Geschenk dar, was nach der Prophetie des Zacharias das erste Fasten wäre. Das zweite Fasten begeht man zu der Zeit des Jahres, als die heiligen Apostel nach der Herabkunft des Heiligen Geistes über sie fasteten, und dieses Fasten heißt bei uns Orthodoxen Apostelfasten, weil wir bei diesem Fasten bis zum Festtag der heiligen ruhmreichen Apostelfürsten Petrus und Paulus fasten. Nicht willkürlich hält die Kirche dieses Fasten ein. Sie ahmt die heiligen Apostel nach, welche nach dem Empfang des Hochheiligen und Lebenspendenden Geistes, der sie geistig erleuchtete und entzückte, unter Fasten und Gebet zur Verkündigung des Evangeliums von Jerusalem aus in verschiedene Richtungen auszogen, wie die Apostelgeschichte (3,2) erzählt. Und indem wir dieses Fasten aufrechterhalten, eifern wir ihnen nach als den Lehrmeistern und Erleuchtern unserer Seelen, bringen zur Sommerzeit Gott dem Herrn dieses Geschenk dar und empfangen die allerreinsten Geheimnisse Christi zur Rettung unserer Seelen und Leiber. Das dritte Fasten im Herbst erfolgt zu Ehren des Entschlafens der Gottesmutter, in Nachahmung Ihrer und als Ausdruck der Liebe zu Ihr; es beginnt am ersten Augusttag und setzt sich bis zum fünfzehnten fort. Die Gottesmutter Selbst fastete und betete unaufhörlich, als sie sich zum Übergang ins ewige Leben vorbereitete, worüber auch die Kirchenschriftsteller berichten. Deshalb verfügte die Kirche entschieden, daß die Gläubigen bis zum Tag der Erinnerung an das Entschlafen der Allerheiligsten Gottesmutter zu fasten und sich auf den Empfang der allreinen Mysterien Christi vorzubereiten haben. Und so wie wir auf diese Weise in der Herbstzeit Gott dem Herrn ein Opfer darbringen, Ihm für alle Seine Wohltaten danken, so bezeugen wir auch in der Tat wahre Liebe zur Allerreinsten Jungfrau und Gottesgebärerin. Das vierte Fasten im Winter in der Zeit vor der Geburt Christi wird in Erinnerung daran begangen, wie der Sohn Gottes aus Seinem unaussprechlichen Erbarmen für das Menschengeschlecht freiwillig Mensch wurde, um uns aus der Knechtschaft des Teufels zu befreien, mit dem Vater zu versöhnen und uns durch Sein Kommen das Heil zu bringen. Zum Gedächtnis an diese Seine unaussprechlichen Wohltaten trug die heilige Kirche des Ostens ihren Kindern auf, vor der Geburt Christi, wie auch zu anderen Fastenzeiten zu fasten und die allerreinsten Sakramente zu empfangen. Wenn wir alle diese vier Fastenzeiten einhalten, dann erfüllen wir ebenso wie die oben erwähnte Anweisung des Zacharias über die vier Fasten auch das Gesetz und das Geheiß Gottes – aus Dankbarkeit für alles, was Gott uns schenkt, Ihm den Anfang aller vier Jahreszeiten zu weihen, d.h. von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Indem wir Gott durch Fasten und Gebet wohlgefällig sind, leisten wir darüber hinaus gleichzeitig dem Feind unserer Seelen Widerstand, welcher nach dem Wort Christi nur durch Beten und Fasten ausgetrieben werden kann (Mt 17,21).

In seiner «54. Antwort» schrieb Simeon von Saloniki auf die Frage: Wann nahm das vierzigtägige Fasten (vor der Geburt Christi) seinen Anfang und wer führte es ein, die heiligen Apostel oder die Gottesgebärerin? – «Diese Fasten (außer dem großen Fasten) wurden nach alter Überlieferung eingerichtet, wie der geübte Brauch es beweist, und es handelt sich bei ihnen um eine uralte Festlegung, denn sie sind in der ‘Einigungsurkunde’ erwähnt (die in dem Nomokanon, Bl. 253 abgedruckt ist) sowie in dem Jerusalemer Typikon, das von dem seligen Sabbas und Johannes, dem Damaszenischen Theologen zusammengestellt wurde. Beide Väter und Kirchenlehrer verfassten dieses Typikon, der erste nach dem vierten Ökumenischen Konzil, und der zweite zwischen dem sechsten und dem siebten. Als nämlich infolge des Einfalls der Heiden das Typikon des hl. Sabbas zerstört wurde, stellte ihn der große Johannes wieder her und schrieb ihn erneut nach der alten Weise. Jedes dieser Fasten hat einen besonderen Sinn. Das vierzigtägige (vorweihnachtliche) symbolisiert das Fasten des Moses, der nach 40 Tagen und Nächten Fasten von Gott die auf Steintafeln eingeritzten Gesetze erhielt. Und wenn wir vierzig Tage fasten, empfangen wir das Lebendige Wort, das nicht auf Steintafeln geschrieben, sondern aus der Jungfrau geboren und Fleisch geworden ist, wodurch wir an Seinem Göttlichen Fleisch teilhaben.

Das Apostelfasten wurde zu Ehren der Apostel eingerichtet, und zu recht: Weil wir einerseits durch sie großen Segen erhielten, und sie andererseits für uns Vorbilder im Fasten, der Enthaltsamkeit und dem Gehorsam sogar bis zum Tode waren. Außerdem sollen wir nach der apostolischen Überlieferung, die beim hl. Clemens niedergelegt ist, nach dem Tag der Herabkunft des Heiligen Geistes eine Woche feiern, danach aber fasten, damit wir von der reichlichen Speise nicht erschlaffen, sondern durch dieses Fasten die Apostel, die es uns weitergaben, ehren lernen.

Das Fasten im August (Entschlafen der Gottesmutter) wurde zu Ehren der Mutter des Wortes Gottes eingerichtet, welche, als sie sich ihres baldigen Eingangs in die Ewigkeit bewusst wurde, wie immer für uns wirkte und fastete, obwohl sie, die ja heilig und völlig rein war, das Fasten eigentlich nicht nötig hatte. So betete Sie insbesondere für uns, als Sie sich anschickte, von dem hiesigen in das zukünftige Leben überzugehen und als Ihre selige Seele sich durch den Göttlichen Geist bald mit Ihrem Sohn vereinigen würde. Und deshalb müssen auch wir fasten und Ihr lobsingen, Ihr Leben nachahmen, um Sie so zum Beten für uns zu bewegen. Manche sagen übrigens auch, dass dieses Fasten anlässlich zweier Feste eingerichtet wurde, nämlich der Verklärung und der Entschlafens. Auch ich halte es für unbedingt nötig, sich dieser beiden Feste zu erinnern, des einen, weil es uns Erleuchtung, und des anderen, weil es uns Erbarmen und Fürsprache schenkt.

Eine gesegnete Fastenzeit wünscht Euch

Euer

Erzpriester o. Milan Pejic