Ich möchte gerne wieder auf Römer 3 zu sprechen kommen und auf die Frage was dort darüber ausgesagt wird was Rechtfertigung ist. Ich zitiere nach Luther, Revision von 1912, wobei diese Verse dem Original von 1545 entsprechen:
Rom 3:21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Rom 3:22 Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christum zu allen und auf alle, die da glauben.
Rom 3:23 Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
Rom 3:24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist,
Rom 3:25 welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter göttlicher Geduld;
Rom 3:26 auf daß er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt; auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum.
Rom 3:27 Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch das Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz.
Rom 3:28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Worum geht es? Um Gottes Gerechtigkeit. Die auf alle kommt, die da glauben. Alle brauchen diese Gerechtigkeit, denn alle sind Sünder und mangeln des guten Rufs vor Gott. Was ja auch das Thema der vorhergehenden Kapitel war.
Die Frage ist jetzt: bekommen Menschen den guten Ruf vor Gott durch ein Zurechnen einer ihnen fremden, ausserhalb von ihnen stehenden Gerechtigkeit ODER durch inwendiges Gerechtwerden. Was begründet den guten Ruf, den Ruhm vor Gott. Es geht NICHT um die Frage, ob Gott im Prozess der Zueignung des Heils den Menschen gerade und gerecht macht. Sondern um die Frage was causa iustificationis ist. Das Verb dikaioō könnte beides bedeuten. Welche Übersetzungsvariante ist dem Kontext - und damit meine ich nur den Kontext im Römerbrief - entsprechend wahrscheinlicher?
Einen ganz, ganz wichtigen Hinweis finden wir im nächsten Kapitel:
Rom 4:1 Was sagen wir denn von unserm Vater Abraham, daß er gefunden habe nach dem Fleisch?
Rom 4:2 Das sagen wir: Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott.
Rom 4:3 Was sagt denn die Schrift? "Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet."
Ganz unmißverständlich steht hier, daß Gottes Ruhm vor Gott nicht auf der in seinem Herzen zu findenden Gerechtigkeit basiert, sondern auf der ZUGERECHNETEN Gerechtigkeit.
Genauso weiter läuft die Argumentationslinie:
Rom 4:6 Nach welcher Weise auch David sagt, daß die Seligkeit sei allein des Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke, da er spricht:
Rom 4:7 "Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind und welchen ihre Sünden bedeckt sind!
Rom 4:8 Selig ist der Mann, welchem Gott die Sünde nicht zurechnet!"
Auch hier wieder das Wort vom Zurechnen - logizomai - der Gerechtigkeit. Wie wird in diesen Versen das Erlangen der Seligkeit beschrieben:
1. Bedecken und nicht Zurechnen von Sünden
2. Zurechnen von Gerechtigkeit
Von einer inwendigen Gerechtsetzung ist nicht die Rede.
Der Kontext deutet also auf folgendes Verständnis von Rechtfertigung hin:
Der Mensch wird gerecht erklärt. Des Menschen Schuld wird weggetragen und ihm nicht zugerechnet. Dafür wird dem Menschen Gerechtigkeit von Gott zugerechnet. Rechtfertigung ist also nicht die eingegossene Gnade, nicht die gratia infusa, die den Menschen gerecht macht sondern Gnade als favor dei im Herzen Gottes.
Das ist übrigens, um einem hier immer wieder hochkommenden Mißverständnis entgegenzuwirken, keine Leugnung der gratia infusa und keine Leugnung der heiligenden und reinigenden Wirkung des heiligen Geistes. Es geht nur darum festzustellen, daß es Paulus in Römer 3 und 4 gar nicht darum geht, was im Herzen des Menschen geschieht. Sondern darum die sichere Grundlage unserer Rechtferitung und damit Errettung aufzuzeigen: die Gnade Gottes, die den Sünder gerecht erklärt. Eine Gerechtigkeit, die zu allen kommt, die sie im Glauben ergreifen.