Reformation als Revolution?

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Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Clemens hat geschrieben:Was meinst du mit "später"? Spontan fällt mir ein:
- Thomas Cranmer war in Deutschland und heiratete 1532 sogar die Nichte meines Ahnen Andreas Osiander.
Heimlich. Er hatte große Probleme damit, das gegenüber Heinrich zu rechtfertigen.
- Bullingers Theologie war in den 1550ern sehr einflussreich in England.
Du meinst Bucer?
Und diese These ist mittlerweile bestritten worden. Man hat viel darüber spekuliert, was Cranmer bei der Erstellung des Book of Common Prayer von Bucer übernommen hat. Tatsächlich hat Cranmer das BCP von 1549 an Bucer geschickt, um dessen Kommentare zu hören. Bucer fand es viel zu katholisch und schickte eine Liste von Änderungswünschen. In der Tat hat Cranmer einiges geändert und das BCP 1552 in einer neuen Fassung herausgebracht. Allerdings geht bei genauem Studium nur ein Bruchteil der vorgenommen Änderungen auf Bucer zurück. Cranmer hat seine Wünsche weitgehend ignoriert.
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Um eine (rechtmäßige) Ehe mit Anne Boleyn eingehen zu können, mußte aber die Ehe mit Katharina von Aragon annuliert werden.
Da es aber Kinder gab, ist die Ehe vollzogen worden und kann nach Auffassung der RKK nicht annuliert werden. Oder gibt/gab es da ein Hintertürchen im verrechtlichten Sakramentsverständnis der RKK?
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Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Lutheraner hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:Um eine (rechtmäßige) Ehe mit Anne Boleyn eingehen zu können, mußte aber die Ehe mit Katharina von Aragon annuliert werden.
Da es aber Kinder gab, ist die Ehe vollzogen worden und kann nach Auffassung der RKK nicht annuliert werden. Oder gibt/gab es da ein Hintertürchen im verrechtlichten Sakramentsverständnis der RKK?
Es geht um die Ehe zwischen König Artur und Katharina von Aragon.
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

Clemens hat geschrieben:Nun, da der Auftrag (fast - es fehlt noch der Laienkelch und die Priesterehe) erfüllt ist, wird es Zeit für die Reste der evangelischen Kirche, wieder heimzukehren und den Aufstand gegen Gott, seine Kirche und seine Gebote zu beenden.
Warum beendest du den "Aufstand" dann nicht?
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Nein, SD, ich meinte Bullinger. (Freut mich, dir auch ein bisschen nachhelfen zu können :breitgrins: )
Heinrich Bullingers Schriften wurden durch Exulanten nach England gebracht und dort m.W. sehr gelesen.

Die Hintergründe der Scheidungsgeschichte waren mir tatsächlich so nicht bekannt - danke für die Aufklärung!
Mein seit Kindestagen eingeprägtes sehr negatives Bild von H.8. wirkt halt noch deutlich nach.

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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Lutheraner hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben:Um eine (rechtmäßige) Ehe mit Anne Boleyn eingehen zu können, mußte aber die Ehe mit Katharina von Aragon annuliert werden.
Da es aber Kinder gab, ist die Ehe vollzogen worden und kann nach Auffassung der RKK nicht annuliert werden. Oder gibt/gab es da ein Hintertürchen im verrechtlichten Sakramentsverständnis der RKK?
Es geht um die Ehe zwischen König Artur und Katharina von Aragon.
Ah okay, jetzt verstehe ich das endlich. Die Ehe war von Anfang an wegen des ungültigen Dispens nicht existent gewesen und nach dem absurden Eheverständnis der RKK hätte er deshalb auch Frau und Kinder (sofern welche überlebt hätten) sitzen lassen können.

Allerdings gehst du dabei davon aus, dass der Dispens wirklich aufgrund unwahrer Aussagen zustande gekommen war. Das wird heute wohl kaum beweisbar sein.
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Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Lutheraner hat geschrieben:Ah okay, jetzt verstehe ich das endlich. Die Ehe war von Anfang an wegen des ungültigen Dispens nicht existent gewesen und nach dem absurden Eheverständnis der RKK hätte er deshalb auch Frau und Kinder (sofern welche überlebt hätten) sitzen lassen können.
Das war die Haltung Heinrichs. Nach katholischem Eheverständnis hätte er die Ehefrau samt Kindern sogar sitzen lassen müssen, denn wenn der ursprünliche Dispens ungültig oder unrechtmäßig war, bestand gar keine Ehe und Heinrich und Katharina lebten in Sünde. Ich bin auch nicht sicher, ob Heinrich jemals eine Aussage darüber gemacht hat, ob Katharina als Jungfrau in die Ehe kam.
Allerdings gehst du dabei davon aus, dass der Dispens wirklich aufgrund unwahrer Aussagen zustande gekommen war. Das wird heute wohl kaum beweisbar sein.
Mir persönlich ist das ehrlich gesagt egal. Die Ehe zwischen Artur und Katharina mag vollzogen worden sein oder nicht. Die Kammerzofen mögen gelogen haben oder nicht. Aus heutiger Sicht ist eine arrangierte Kinderehe wie die zwischen Heinrich und Katharina ohnehin fragwürdig. Die weitere charakterliche Entwicklung Heinrichs ist mehr als problematisch, seine Handlungen kriminell, seine Auflösung der Klöster ein Verbrechen, seine selbstgewählte Stellung in der Kirche fast gotteslästerlich (aber später unter Elisabeth korrigiert).

Klar sind für mich aber zwei Dinge:

1. Die Überzeugung Heinrichs in den späten 1520er und frühen 1530er Jahren, daß seine Ehe mit Katharina unrechtmäßig sei, muß man als echt ansehen. Da stand nicht nur Geilheit dahinter - die konnte ein König damals ohnehin anders befriedigen. Das Vorgehen Heinrichs in dieser Sache war ungewöhlich skrupulös. Er hätte Katharina ja anderweitig aus dem Weg schaffen können - mit späteren Frauen hat er das ja getan.

2. Die Entscheidung Papst Clemens VII. ist wohl vornehmlich unter dem Einfluß der politischen Situation zustande gekommen - er stand unter direktem Einfluß Kaiser Karls V.

Die übliche Kurzdarstellung der Vorgänge erweist sich also als sachlich fraglich. Heinrich hat nicht einfach eine neue Kirche gegründet, weil er eine Ehescheidung wollte.

Aus englischer Sicht lief der Konflikt auf die Frage hinaus, ob der Papst das Recht hat, einen Dispens für eine nach biblischen Maßstäben und göttlichem Recht unrechtmäßige Ehe zu erteilen. Die katholische Seite vertrat die Ansicht, daß das Wort des Papstes bindend sei.

Die englische Seite kam zu der Überzeugung, daß es keine Grundlage dafür gab. Göttliches Recht stand über päpstlicher Macht und päpstlichem Anspruch. Damit hatte man natürlich eine Grundsatzentscheidung getroffen, die als Konsequenz nur die Zurückweisung jeglicher päpstlicher Autorität nach sich ziehen konnte. Und so kam es zur Trennung von Rom.
Zuletzt geändert von Stephen Dedalus am Freitag 22. Oktober 2010, 13:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Stephen Dedalus hat geschrieben: Die übliche Kurzdarstellung der Vorgänge erweist sich also als sachlich fraglich. Heinrich hat nicht einfach eine neue Kirche gegründet, weil er eine Ehescheidung wollte.
Ich bekenne, darauf hereingefallen zu sein. :ikb_shy: (Wo ist eigentlich der erröt-Smiley?)

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Lioba
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lioba »

Wie kam es eigentlich zu dem Gesetz, dass ein Mann nicht die kinderlose Witwe seines Bruders heiraten durfte? Im NT finde ich nichts davon und im AT war dies - wie übrigens auch in anderen Kulturen - sogar Pflicht- wobei es allerdings um die Wahrung des Linie des Verstorbenen ging? Dass die AT- Ordnung so nicht für uns gilt ist schon klar, aber wieso ein generelles Verbot?

Dass Heinrich sich nicht bzgl. der Jungfräulichkeit Katharinas äusserte ist schon einzusehen- erstens mochten sich die beiden wohl wirklich, zweitens ist es ziemlich einfach bei einem weniger erfahrenen Bräutigam da ein bisschen zu tricksen.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

a) Das würde mich auch interessieren.
Dazu am Rande: dieses Verbot blieb auch im Protestantismus bestehen. Um 1750 wurden Vorfahren von mir wegen eines Unzucht-Vergehens in genau diesem Verwandtschaftsverhältnis vom Kirchenbuch führenden Pfarrer mit dem Prädikat "blutschänderisch" gebrandmarkt.

b) Ach nee, sag an! :ikb_devil2:
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anneke6
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von anneke6 »

Clemens hat geschrieben:a) Das würde mich auch interessieren.
Dazu am Rande: dieses Verbot blieb auch im Protestantismus bestehen. Um 1750 wurden Vorfahren von mir wegen eines Unzucht-Vergehens in genau diesem Verwandtschaftsverhältnis vom Kirchenbuch führenden Pfarrer mit dem Prädikat "blutschänderisch" gebrandmarkt.

b) Ach nee, sag an! :ikb_devil2:
a) Mich auch!

b) Da gibt es schon solche Tricks. Im Internet stehen einige davon, vor allem Seiten, die sich an muslimische Frauen richten. Dort wird offenbar erwartet, daß eine Jungfrau beim ersten Geschlechtsverkehr blutet. Ob das wirklich stimmt oder nur eine moderne Sage ist, weiß ich nicht.
???

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Lioba
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lioba »

Zu a- ich lobe ein grünes Gummibärchen aus für den, der die Antwort hat. ;)
Zu b- muss man aber jetzt nicht hier vertiefen. :neinfreu:
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

Benedikt

Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Benedikt »

1. Die Überzeugung Heinrichs in den späten 1520er und frühen 1530er Jahren, daß seine Ehe mit Katharina unrechtmäßig sei, muß man als echt ansehen. Da stand nicht nur Geilheit dahinter - die konnte ein König damals ohnehin anders befriedigen. Das Vorgehen Heinrichs in dieser Sache war ungewöhlich skrupulös. Er hätte Katharina ja anderweitig aus dem Weg schaffen können - mit späteren Frauen hat er das ja getan.
Skrupulös ist das nur, wenn man seine spätere Geschichte kannte.

Aber du hast recht, Heinrich VIII. ging es nicht nur um seine eigene Ehe. Es ging ihm um das geistliche Primat des Papstes. Dieses war ihm ein Dorn im Auge. "Warum kann ich nicht selbst entscheiden, ob eine Ehe rechtmäßig zustande gekommen ist? Ich bin schließlich der König..."

:traurigtaps:

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anneke6
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von anneke6 »

Klingt nach einer ungesunden Portion Hochmut…

Nun mal ein Gedanke, der mir gerade gekommen ist. Heinrich VIII brauchte, um seine Triebe auszuleben, natürlich keine Nichtigkeitserklärung einer Ehe. Aber vielleicht wollte Anne Boleyn nicht Geliebte, sondern Ehefrau sein?
???

Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Benedikt hat geschrieben:Aber du hast recht, Heinrich VIII. ging es nicht nur um seine eigene Ehe. Es ging ihm um das geistliche Primat des Papstes. Dieses war ihm ein Dorn im Auge. "Warum kann ich nicht selbst entscheiden, ob eine Ehe rechtmäßig zustande gekommen ist? Ich bin schließlich der König..."
Würdest Du anders denken, wenn Du den Eindruck hättest, der Papst entscheidet Deine Sache nicht im Sinne der Wahrheit, sondern politischer Opportunität (weil er grade gezwungenermaßen beim Kaiser "zu Gast" ist)?
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ad-fontes
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von ad-fontes »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Benedikt hat geschrieben:Aber du hast recht, Heinrich VIII. ging es nicht nur um seine eigene Ehe. Es ging ihm um das geistliche Primat des Papstes. Dieses war ihm ein Dorn im Auge. "Warum kann ich nicht selbst entscheiden, ob eine Ehe rechtmäßig zustande gekommen ist? Ich bin schließlich der König..."
Würdest Du anders denken, wenn Du den Eindruck hättest, der Papst entscheidet Deine Sache nicht im Sinne der Wahrheit, sondern politischer Opportunität (weil er grade gezwungenermaßen beim Kaiser "zu Gast" ist)?
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Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Amandus2 »

anneke6 hat geschrieben:
Clemens hat geschrieben:a) Das würde mich auch interessieren.
Dazu am Rande: dieses Verbot blieb auch im Protestantismus bestehen. Um 1750 wurden Vorfahren von mir wegen eines Unzucht-Vergehens in genau diesem Verwandtschaftsverhältnis vom Kirchenbuch führenden Pfarrer mit dem Prädikat "blutschänderisch" gebrandmarkt.

b) Ach nee, sag an! :ikb_devil2:
a) Mich auch!

b) Da gibt es schon solche Tricks. Im Internet stehen einige davon, vor allem Seiten, die sich an muslimische Frauen richten. Dort wird offenbar erwartet, daß eine Jungfrau beim ersten Geschlechtsverkehr blutet. Ob das wirklich stimmt oder nur eine moderne Sage ist, weiß ich nicht.



Das ist keine Sage. Selbst in entlegenen Dörfern Sizilien war es bis vor nicht allzu langer Zeit noch üblich, dass die Mutter des Mannes nach der Hochzeitsnacht der Hochzeitsgesellschaft das (ein?) mit Blut befleckte Bettlaken zeigte. Das war ein Ritual, das auf jeder Hochzeit vor kam.

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anneke6
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von anneke6 »

Gerade ein solches Ritual klingt für mich nach Aberglauben. :/
???

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Lioba
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lioba »

Zurück zum Thema, meine Lieben!!
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