Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Raphael

Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von Raphael »

Sempre hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Das Gänsegleichnis [...] (Sören Kierkegaard, protestantischer Philosoph)
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter beschreibt die Situation in Kierkegaards Gänsegleichnis besser. Ein Mann begab sich auf die Straße, die die tausend Höhenmeter vom himmlischen Jerusalem hinab zum unterirdischen, unter Normal Null liegenden Jericho führt, und fiel unter die Räuber. Der Mann ist Adam, der Mensch an sich.

Bei Kierkegaard ist Adam die sportliche Gans, die wie ein Adler die Erdkugel überfliegt. Kierkegaard sieht den Menschen wie einen Herrscher, der von oben, von seiner hohen Burg aus, sein Reich überblickt. Gänse aber sind keine Adler, sie ziehen tatsächlich nur aus Bequemlichkeit wegen der kalten Jahreszeit auf eine Insel im Südchinesischen Meer um, wo es im nächsten Sommer dann für die Fettschicht wieder zu heiß sein wird.

Nach Kierkegaard war der Herrscher Adam eher wie ein Adler, der im Laufe der Zeit fett und unsportlich geworden ist, und damit unfähig, einen respektablen Herrscher abzugeben, der die Feinde vertreiben kann. So ein miserabler heruntergekommener Adam mißfällt Kierkegaard, denn er gleicht keiner griechischen Statue. Das Christentum ist schuld an allem, vor allem daran, dass der Herrscher so heruntergekommen ist.

Tatsächlich aber geht die fette Gans das Tal der Tränen hinab und wird von Räubern überfallen. Räubern, die ihr die Freiheit und das ewige Leben rauben. Hochmut, Fettsucht usf., der Teufel und seine Dämonen überfallen die Gans, die im Straßengraben landet, und die den vorbeikommenden Kierkegaard kommentieren lässt: So eine zerfledderte fette Gans. Ein widerlicher Anblick.

Dank sei Gott kommt aber auch der barmherzige Samariter vorbei, der die arme fette Gans aus dem Straßengraben holt, sie behandelt und pflegt, sie zum guten Hirten in die Kirche zum guten Wirt bringt und die Zeche zahlt, auch für zukünftige Aufwendungen, damit ihr ein Leben nicht im Jammertal sondern im Himmelreich vergönnt sei.
:hae?:

Meines Erachtens hatte Kierkegaard beim Verfassen seiner Fabel nicht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter im Hinterkopf, sondern die Situation der Staatskirche in Dänemark zu seiner Zeit vor Augen.
Und wie's bei Fabeln halt so ist, versuchte er, im Rahmen einer Tiergeschichte seinen Landsleuten eine Lehre zu erteilen. Daß sich diese Landsleute in den Gänsen wiedererkennen sollen, ist selbstverständlich ein Ziel der Fabel. Ein weiteres Ziel ist die bewußte Verhaltensänderung bei den Gänsen: Sie sollen mutig werden und den Boden verlassen. Durch die Anstrengung des Fliegens wird die Fettschicht reduziert und die Muskulatur straffer. Außerem wird die Aussicht umfassender, weil das Fliegen den Horizont erweitert. :ja:

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guatuso
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Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von guatuso »

Raphael hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Das Gänsegleichnis [...] (Sören Kierkegaard, protestantischer Philosoph)
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter beschreibt die Situation in Kierkegaards Gänsegleichnis besser. Ein Mann begab sich auf die Straße, die die tausend Höhenmeter vom himmlischen Jerusalem hinab zum unterirdischen, unter Normal Null liegenden Jericho führt, und fiel unter die Räuber. Der Mann ist Adam, der Mensch an sich.

Bei Kierkegaard ist Adam die sportliche Gans, die wie ein Adler die Erdkugel überfliegt. Kierkegaard sieht den Menschen wie einen Herrscher, der von oben, von seiner hohen Burg aus, sein Reich überblickt. Gänse aber sind keine Adler, sie ziehen tatsächlich nur aus Bequemlichkeit wegen der kalten Jahreszeit auf eine Insel im Südchinesischen Meer um, wo es im nächsten Sommer dann für die Fettschicht wieder zu heiß sein wird.

Nach Kierkegaard war der Herrscher Adam eher wie ein Adler, der im Laufe der Zeit fett und unsportlich geworden ist, und damit unfähig, einen respektablen Herrscher abzugeben, der die Feinde vertreiben kann. So ein miserabler heruntergekommener Adam mißfällt Kierkegaard, denn er gleicht keiner griechischen Statue. Das Christentum ist schuld an allem, vor allem daran, dass der Herrscher so heruntergekommen ist.

Tatsächlich aber geht die fette Gans das Tal der Tränen hinab und wird von Räubern überfallen. Räubern, die ihr die Freiheit und das ewige Leben rauben. Hochmut, Fettsucht usf., der Teufel und seine Dämonen überfallen die Gans, die im Straßengraben landet, und die den vorbeikommenden Kierkegaard kommentieren lässt: So eine zerfledderte fette Gans. Ein widerlicher Anblick.

Dank sei Gott kommt aber auch der barmherzige Samariter vorbei, der die arme fette Gans aus dem Straßengraben holt, sie behandelt und pflegt, sie zum guten Hirten in die Kirche zum guten Wirt bringt und die Zeche zahlt, auch für zukünftige Aufwendungen, damit ihr ein Leben nicht im Jammertal sondern im Himmelreich vergönnt sei.
:hae?:

Meines Erachtens hatte Kierkegaard beim Verfassen seiner Fabel nicht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter im Hinterkopf, sondern die Situation der Staatskirche in Dänemark zu seiner Zeit vor Augen.
Und wie's bei Fabeln halt so ist, versuchte er, im Rahmen einer Tiergeschichte seinen Landsleuten eine Lehre zu erteilen. Daß sich diese Landsleute in den Gänsen wiedererkennen sollen, ist selbstverständlich ein Ziel der Fabel. Ein weiteres Ziel ist die bewußte Verhaltensänderung bei den Gänsen: Sie sollen mutig werden und den Boden verlassen. Durch die Anstrengung des Fliegens wird die Fettschicht reduziert und die Muskulatur straffer. Außerem wird die Aussicht umfassender, weil das Fliegen den Horizont erweitert. :ja:
Witzigerweise wollte ich mich in die gleiche Stossrichtung aeussern. Man darf dabei zweierlei nicht vergessen, zu einem die persoenliche Situation Kirekegaard als schwer depressiver Mensch (das fliesst ja in alles ein, Hoffnung auf Erloesung also auch) und die zeitliche Lage , als die Fabel von ihm geschrieben wurde wurde. Die menschlichen Werte unterschieden sich von den heutigen.

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Sempre
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Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von Sempre »

Raphael hat geschrieben:Meines Erachtens hatte Kierkegaard beim Verfassen seiner Fabel nicht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter im Hinterkopf, sondern die Situation der Staatskirche in Dänemark zu seiner Zeit vor Augen.
Und wie's bei Fabeln halt so ist, versuchte er, im Rahmen einer Tiergeschichte seinen Landsleuten eine Lehre zu erteilen. Daß sich diese Landsleute in den Gänsen wiedererkennen sollen, ist selbstverständlich ein Ziel der Fabel. Ein weiteres Ziel ist die bewußte Verhaltensänderung bei den Gänsen: Sie sollen mutig werden und den Boden verlassen. Durch die Anstrengung des Fliegens wird die Fettschicht reduziert und die Muskulatur straffer. Außerem wird die Aussicht umfassender, weil das Fliegen den Horizont erweitert. :ja:
Kierkegaard ist die verfettetste seiner eigenen Gänse. Er schaut verächtlich auf verfettete Gänse. Er stellt die Differenz zwischen dem gepredigten Ideal, zwischen der frohen Botschaft vom perfekten Heiligen, dem barmherzigen Samariter, und dem Hörer derselben Botschaft als einen Skandal dar. Das ist zwar tatsächlich ein Skandal. Aber der barmherzige Samariter kotzt nicht wie Kierkegaard ob des Skandals, sondern steigt hinab in den Straßengraben.

Dass Kierkegaard das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht im Blick hatte, das weiß ich wohl. Genau das kreide ich ihm ja an, dass er das offensichtlich vergessen hat.

Als ich jünger war, regten sich vermeintliche Nachwuchchristen darüber auf, dass irdisch erfolgreichere Zeitgenossen in Premiumlimousinen zur Kirche fuhren, deren Tempomat sich ohne Betätigung des Winkers einschalten ließ. Deren Erscheinen zur heiligen Messe sei Heuchelei. Das ist so in etwa das Niveau von Kierkegaards Gleichnis.

Dass Kierkegaard eine fette Gans wie ich ist, das kreide ich ihm nicht an.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Fragesteller
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Registriert: Freitag 18. Mai 2012, 10:41

Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von Fragesteller »

Sempre hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Meines Erachtens hatte Kierkegaard beim Verfassen seiner Fabel nicht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter im Hinterkopf, sondern die Situation der Staatskirche in Dänemark zu seiner Zeit vor Augen.
Und wie's bei Fabeln halt so ist, versuchte er, im Rahmen einer Tiergeschichte seinen Landsleuten eine Lehre zu erteilen. Daß sich diese Landsleute in den Gänsen wiedererkennen sollen, ist selbstverständlich ein Ziel der Fabel. Ein weiteres Ziel ist die bewußte Verhaltensänderung bei den Gänsen: Sie sollen mutig werden und den Boden verlassen. Durch die Anstrengung des Fliegens wird die Fettschicht reduziert und die Muskulatur straffer. Außerem wird die Aussicht umfassender, weil das Fliegen den Horizont erweitert. :ja:
Kierkegaard ist die verfettetste seiner eigenen Gänse. Er schaut verächtlich auf verfettete Gänse. Er stellt die Differenz zwischen dem gepredigten Ideal, zwischen der frohen Botschaft vom perfekten Heiligen, dem barmherzigen Samariter, und dem Hörer derselben Botschaft als einen Skandal dar. Das ist zwar tatsächlich ein Skandal. Aber der barmherzige Samariter kotzt nicht wie Kierkegaard ob des Skandals, sondern steigt hinab in den Straßengraben.

Dass Kierkegaard das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht im Blick hatte, das weiß ich wohl. Genau das kreide ich ihm ja an, dass er das offensichtlich vergessen hat.

Als ich jünger war, regten sich vermeintliche Nachwuchchristen darüber auf, dass irdisch erfolgreichere Zeitgenossen in Premiumlimousinen zur Kirche fuhren, deren Tempomat sich ohne Betätigung des Winkers einschalten ließ. Deren Erscheinen zur heiligen Messe sei Heuchelei. Das ist so in etwa das Niveau von Kierkegaards Gleichnis.

Dass Kierkegaard eine fette Gans wie ich ist, das kreide ich ihm nicht an.
Kierkegaard will ja schon dezidiert christlicher Philosoph sein. Er geht nicht gegen das Christentum an sich, sondern gegen eine bestimmte Form des Christentums, den bürgerlichen Staatsprotestantismus des 19. Jahrhunderts, in der die Leute gar nicht am Himmel interessiert sind, sondern sich auf dem Hof rundum wohlfühlen und nur einmal die Woche einen eloquenten Schöngeistprediger nett vom Himmel erzählen hören wollen, um das Wohlgefühl perfekt zu machen. Es geht ihm nicht um die Differenz zwischen Evangelium und Leben, die er den fetten Gänsen ankreidet, sondern um ein Evangelium, das zu schwach ist, um in diesem Leben überhaupt als Fremdkörper erscheinen zu können, und zum religiösen Wohnzimmerschmuck heruntergekommen ist. Ich glaube, da kann man schon mitgehen.

Dass sich die fetten Gänse nicht durch den kräftigen Schlag der eigenen Schwingen vom Hof befreien können, sondern nur durch die Gnade Gottes, ist freilich auch richtig. Vielleicht ist das die Grenze des Gleichnisses, so wie jedes Gleichnis eine hat. Vielleicht ist das aber auch tatsächlich ein Punkt, den Kierkegaard übersieht, sodass es ihm letzlich tatsächlich nicht um Rettung des Sünders aus Gnaden, sondern um ein religiöses Genie und griechische Statuen ginge. Ich kann mangels Textkenntnis nicht sagen, welche Deutung richtig ist.

Dschungelboy

Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von Dschungelboy »

Haben wir uns schon über das "kurze Ansingen" von Lieder vor Beginn des Gottesdienstes ausgelassen?

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Siard
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Re: Unsitten im evangelischen Gottesdienst

Beitrag von Siard »

Dschungelboy hat geschrieben:Haben wir uns schon über das "kurze Ansingen" von Lieder vor Beginn des Gottesdienstes ausgelassen?
Das habe ich bei Katholens auch schon erlebt – was es eher nicht besser macht.

Petrus
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Re: Passionszeit - Gloria Patri

Beitrag von Petrus »

also,

ich bin evang.-luth. sozialisiert.

wir hatten eine "hochkirchliche" Tagung.

da sagte uns ein oberfränkischer Dorfpfarrer:

"und mir singe am Karfreitag des Halleluja.

Und wenn der Teufel auf Stelzen doherkommt."



:daumen-rauf:

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