TillSchilling hat geschrieben:Hast du dich mit Yoders Theologie beschäftigt? Kannst du den Vorwurf des extremen "Sola-Scriptura-Betreibung" erläutern?
In dieser Richtung waren je oben schon mehrere Hinweise und Vermutungen genannt worden.
Als langlähriger (ex-) Insider kann ich das anhand eigener Beobachtungen und einem gewissen Binnen-Verständnis heraus erläutern und einordnen. (Yoder kenne ich nun nicht, ich habe aber u.a. viel mit Mennoniten zu tun gehabt)
1. Das
Sola Scriptura- Prinzip birgt eine grundsätzliche Schwierigkeit. Die darin enthaltene Annahme, man könne die Bibel ohne ein Vorverständnis verstehen und auslegen, führt zu einer gewissen Einschränkung der Redlichkeit. Da faktisch
jeder Mensch einen Text nur auf der Folie seines eigenen Verstehens lesen kann, wird hier oft das eigene Verstehens
gefühl (das natürlich von der eigenen Gemeinschaft geprägt ist) zum Maßstab genommen.
(nicht immer ! - mitunter beruft man sich auch auf die "reformatorische Tradition" oder so etwas. Nur, damit ist das "Sola" selbst ja schon wieder fraglich geworden.)
Auf diese Weise führt das "
Sola Scriptura" faktisch zu einem gewissen Subjektivismus im Bibelverständnis.
2. Der
moralische Anspruch in solchen strengen Kreisen ist eher hoch. Beachte: der
Anspruch, denn faktisch sind diese Mitchristen ja genau so Sünder wie wir auch. Das führt dann dazu, dass man eher dazu neigt, Verfehlungen dem Augenschein nach zu "heilen". Z.B. wird da bei vorehelichem Geschlechtsverkehr das Paar zum schnellen Heiraten gedrängt, damit sie nicht mehr "in Sünde" leben. Auch darin sind sich übrigens sehr konservative Katholiken und Evangelikale erstaunlich gleich !
Genau wie bei allzu traditionell-konservativen Katholiken verführt dies dann zur Scheinheiligkeit, wenn der Anschein der Sündlosigkeit ein so hohes Gewicht hat.
Das was Dieter oben dazu gesagt hat, ist so wie er es gesagt hat, natürlich zu plump, aber es ist sehr wohl was dran.
3. Die
Leitungsstrukturen verführen in diesem Rahmen dann mitunter auch dazu, bei "wichtigen" Leuten gnädigere Maßstäbe anzulegen als bei Anderen. Insbesondere schlägt mitunter ein sehr patriachlisches Frauenbild mit hinein. Wie sagte es mein früherer Zimmernachbar einmal: "meine Verlobte und ich, wir üben schon mal die Unterordnung nach Paulus ein" - und er meinte es völlig ernst !
4. Die
fehlende Beichte erleichtert es, sich ggf. etwas vor zu machen. Was ich nicht aussprechen muss, lässt sich leichter verdrängen. Und - wie gehe ich dann mit der Vergebung um ? Ich muss sie mir ja
selber zusprechen !
Diese Faktoren zusammen ergeben eine gewisse Schwäche in freikirchlichen Kreisen, ins Verdrängen hinein zu rutschen. Alles nicht so plump und simpel, aber in der Tendenz eben doch.
Von daher finde ich es sehr positiv und beachtlich, dass die Mennoniten jetzt so klare Worte und Maßnahmen getroffen haben !
Das haben die Mennoniten anscheinend manchen Anderen voraus: dass sie eher rückhaltlos ehrlich sind und das Geistliche und das Profane deutlich mehr als
ein Leben leben als andere Evangelikale. Und das auf der ganzen Linie.
So habe ich sie jedenfalls immer wieder erlebt, und darin sehe ich sie als ein Vorbild.