Lutheraner hat geschrieben:Es wird oft beklagt, dass in Teilen des Rheinlands, wo die Evangelischen früher klar reformiert waren, die Gemeinden mittlerweile "glatt gebügelt" wären.
Das stimmt allerdings auch nicht.
Um es knallhart auf den Punkt zu bringen: Das Rheinland ist (großteils zwangsweise) römisch, mit einem Anteil der Evangelischen von 5-15% je nach Region:
Im Jahr 1550 ist Aachen mehrheitlich protestantisch. Auf 1548 wird der erste lutherische Gottesdienst in Zweifall datiert, 1559 trat der Graf von Schleiden mit seinen Untertanen geschlossen zum lutherischen Glauben über. 1564 gibt es erste Spuren der Reformation in Stolberg, ab 1572 eine reformierte Gemeinde in Lürken im Bereich der heutigen Kirchengemeinde Hoengen-Broichweiden. Zwei Wellen der Gegenreformation 1598 und 1614 zerschlugen die Gemeinden. Evangelische Gottesdienste finden heimlich oder in anderen Gebieten, etwa im niederländischen Vaals statt.
Für Köln gilt ähnliches: Der Erzbischof von Köln wollte die Reformation einführen:
Wied [Erzbischof und Kurfürst) traf sich auf Schloss Buschhoven, das er als erzbischöfliche Residenz nutze, mit den bekannten Reformatoren Martin Bucer und Phillip Melanchthon, die auf Wieds Befürworten einen Reformationsentwurf für das Erzbistum Köln erarbeiteten.
Der Erzbischof entschied sich aber dafür, kein Blut zu vergiessen und seine Truppen von der Treuepflicht zu entbinden und floh ins Exil, als man ihn stürzen wollte.
Aber wenn man "Bucer" und "Melanchthon" liest, kann man erahnen, daß wir auch hier von der lutherischen Reformation reden.
Die Reformation, auch und gar nicht so knapp die lutherische, ist also durchaus bis ans westliche Ende des Rheinlandes gekommen, dann nur wieder rückgängig gemacht oder nie ganz durchgesetzt worden. Das führte dann zu dem Effekt, daß die, denen es mehr um Standes- und Zunftrechte ging, wieder römisch wurden und nur der kleinere, überzeugte, Teil evangelisch blieb.
Aber bis die französischen Befreier hier einmarschiert sind, waren wir immer noch Opfer von mindestens Standesnachteilen, wenn nicht gar Verfolgung oder Mord, usw.
Niederlassungsfreiheit von Evangelischen in katholischen Mehrheitsgebieten gibt es hier erst seit Gründung des Rheinbundes.
Desweiteren gab es im Rheinland eigentlich nur vereinzelt Exklaven von Evangelischen:
- die Stadt Stolberg erlaubte den Calvinismus und duldete uns Lutheraner, weswegen auch William Prym sein Werk von Aachen (Wo er als Calvinist alle Zunftrechte verloren hatte) nach Stolberg verlegte, wo es auch heute noch ist und was Prym übrigens auch bis heute auf seiner Homepage angibt).
- die ursprünglich reformierte, aber schon 1841 unierte Gemeinde in Roetgen ist aus der Stolberger Gemeinde hervorgegangen
- in Monschau in der Eifel gründeten Tuchmacher eine evangelische Gemeinde, lutherisch.
- auch die in der Trinitatisgemeinde Schleidener Tal aufgegangene Gemeinde Hellenthal war lutherisch.
Daneben gab es noch in den Herzogtümern Berg und Jülich annähernd sowas wie Religionsfreiheit, bzw. einen gewissen Grad von Toleranz.
Die "Überzeugungsevangelischen", die teilweise von den Niederlanden aus unterstützt wurden, wurden natürlich mehr und mehr reformiert geprägt, selbst wenn sie ursprünglich auch lutherisch waren. Einen lutherischen Prediger in eine solch gastliche Diaspora zu kriegen war halt schwer.
Wer jetzt wo in der Überzahl war, hängt also durchaus auch von der Nähe zu den Niederlanden oder aber eben anderen Gebieten sowie der Herkunft der Gläubigen ab und ob sich diese den Pfarrer von dort gleich mitgebracht haben.
Aber um die Mengen mal gerade zu rücken:
Herzogenrath (Heute ca. 50.000 Einwohner) hatte vor dem Bergbau unter 100 Evangelische, etwa 1/3 lutherisch und 2/3 reformiert. Rheinbach (Heute 26.000 Einwohner) zählte 1900 25 Evangelische, bei der damaligen Familiengröße kann man von maximal 5 Familien ausgehen.
Man kann sich ausrechnen, daß die Urevangelischen entweder irgendwann an den Folgen von Inzucht zugrunde gegangen sein müssen, oder zwischen den evangelischen Konfessionen, wenn nicht gar römisch, geheiratet haben müssen.
Den eigentlichen Zuwachs der Gemeinden im Gebiet um Aachen bestimmen zuerst nahezu ausschließlich Arbeiter im Bergbau, diese sind aber hauptsächlich lutherisch. Im gesamten Rheinland kommt es zu einem Anwachsen der Gemeinden durch den Zuzug preußischer Beamter, nachdem die Rheinlande preußisch wurden. Nach dem Krieg kommen noch die Folgen der Vertreibung aus den dt. Ostgebieten dazu.
Man kann jetzt mal ganz grob überschlagen, welche Bedeutung die Nachfahren der paar ursprünglich schon vorhandenen Evangelischen im Rheinland haben. Rheinbach hat inzwischen 5200 Gemeinemitglieder und die stammen eben zu 99% von Ostpreußen und Pommern ab und vielleicht zu 1% von den 25 Evangelischen von 1900.
Für Herzogenrath gilt ähnliches: Mehrere Tausend Gemeindemitglieder dürften wohl eher den zugezogenen lutherischen Bergbauarbeitern als den 60 Reformierten von Achtzehnhundertpiependeckel zu verdanken sein.