Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Von Orgelpfeifen, Zimbelspielern und Kantoren.
civilisation
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Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von civilisation »

Es war mir gar nicht mehr so bewußt, daß eine der ersten päpstlichen Verlautbarungen des Hl. Pius X. ein Motuproprio zur Kirchenmusik war:

Motu proprio „Tra le sollecitudini“ über die Kirchenmusik
vom 22.November 193


Einige Auszüge daraus, die durchaus auch heute auf die Mißstände innerhalb der Kirchenmusik, die ja ein Teil der Liturgie ist, zu übertragen sind:
Wir meinen den üblen Zustand des Gesanges und der Kirchenmusik. Es ist Tatsache, daß auf diesem Gebiet der menschliche Wille dazu neigt, leichterdings vom rechten Weg abzuweichen. Die Gründe dafür sind verschieden: Einmal das schwankende und veränderliche Wesen dieser Kunst selbst; sodann der Wechsel des Urteils und Geschmackes im Laufe der Jahrhunderte; der unheilvolle Einfluß, den die weltliche Kunst und die Bühnenkunst auf die Kirchenkunst ausübt; das Ergötzen, das die Musik unmittelbar hervorruft und das sich nur schwer in den gehörigen Schranken hält; schließlich die Vorurteile, die sich bei diesem Gegenstand leicht
einschleichen und dann auch bei verständigen und frommen Menschen mit Zähigkeit sich
einwurzeln.
2. Die Kirchenmusik muß also die besonderen Eigenschaften der Liturgie besitzen, vor allem
die Heiligkeit und Güte der Form; daraus erwächst von selbst ein weiteres Merkmal, die
Allgemeinheit. Die Kirchenmusik muß heilig sein; daher muß alles Weltliche nicht allein von
ihr selbst, sondern auch von der Art ihres Vortrages fern gehalten werden. Sie muß ferner
den Charakter wahrer Kunst besitzen; sonst vermag sie nicht jenen Einfluß auf die Zuhörer
auszuüben, den sich die Kirche verspricht, wenn sie die Tonkunst in die Liturgie aufnimmt.
Sie soll auch allgemein sein, d.h. die einzelnen Völker dürfen wohl in den kirchlichen Weisen
gewisse Formen anwenden, die gleichsam die Eigentümlichkeit ihrer Musik bilden; diese
Formen müssen aber dem allgemeinen Charakter der Kirchenmusik derart untergeordnet
sein, daß kein Angehöriger eines anderen Volkes beim Anhören derselben einen
unangenehmen Eindruck empfängt.
9. Der liturgische Text ist zu singen, wie er in den Büchern steht, ohne ein Wort zu
verstümmeln oder umzustellen. Ungehörige Wiederholungen und Verstümmelungen von
Silben sind durchaus zu vermeiden. Der Text muß stets in einer Weise vorgetragen werden,
daß er von den Zuhörern verstanden werden kann.
19. Verboten ist in der Kirche der Gebrauch des sogenannten Pianoforte sowie aller
Instrumente, die mehr oder weniger großen Lärm machen, wie die Trommeln aller Formen
und Größen, Kastagnetten, Schellen und dergleichen.
Quelle: http://www.sinfonia-sacra.de/Tra_le_sollecitudini.pdf

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cantus planus
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von cantus planus »

Pius X. hat schon als Patriarch von Venedig die Kirchenmusik sowie die participatio actuosa zu seinem Hauptanliegen erklärt. "Tra le sollecitudini" und andere Dokumente sind eine dankbare Lektüre. Man verghleiche auch einmal mit "Sacrosanctum Concilium" und "Musicam Sacram". Einige Konzilsdokumente bestehen übrigens fast ausschließlich aus Anleihen bei Aussagen Pius' X.
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anneke6
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von anneke6 »

civilisation hat geschrieben:
9. Der liturgische Text ist zu singen, wie er in den Büchern steht, ohne ein Wort zu
verstümmeln oder umzustellen. Ungehörige Wiederholungen und Verstümmelungen von
Silben sind durchaus zu vermeiden.
Der Text muß stets in einer Weise vorgetragen werden,
daß er von den Zuhörern verstanden werden kann.
Irgendwie erinnert mich das an die CD, die ich mir mal mit ca 16 gekauft hatte…da war Kirchenmusik von bekannten Komponisten drauf, auch Teile von Messen. Bei den Sanctus-Gesängen fiel mir auf, daß immer nur gesungen wurde: "Sanctus, Sanctus…Sabaoth!" Also kein Dominus Deus dazwischen. War das früher so üblich?
???

civilisation
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von civilisation »

Hallo Anneke,

leider kenne ich die von Dir angeführte CD nicht. - Welchen Titel hat die?

Im Jungmann lese ich dazu im 2. Band auf S. 163, kann aber dazu nichts Näheres sagen:
Auffallend ist, daß der Text des Dreimalheilig bei aller Kürze doch gegeüber dem biblischen Grundtext - und auch gegenüber dem von der Synagoge gebauchten Text - eine Reihe von Abweichungen aufweist. Den biblischen Grundtext lesen wir in der Vulgata wie folgt: Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus exercituum, plena est omnis terra gloria eius. Auch hier ist das Wort Deus bereits eine Erweiterung, die übrigens schon in der altlateinischen Bibel vorhanden war.
[Näheres wäre dazu der Fußnote zu entnehmen; bei Interesse schreibe ich diese dann noch ab = Quellen.]

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cantus planus
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von cantus planus »

anneke6 hat geschrieben:
civilisation hat geschrieben:
9. Der liturgische Text ist zu singen, wie er in den Büchern steht, ohne ein Wort zu
verstümmeln oder umzustellen. Ungehörige Wiederholungen und Verstümmelungen von
Silben sind durchaus zu vermeiden.
Der Text muß stets in einer Weise vorgetragen werden,
daß er von den Zuhörern verstanden werden kann.
Irgendwie erinnert mich das an die CD, die ich mir mal mit ca 16 gekauft hatte…da war Kirchenmusik von bekannten Komponisten drauf, auch Teile von Messen. Bei den Sanctus-Gesängen fiel mir auf, daß immer nur gesungen wurde: "Sanctus, Sanctus…Sabaoth!" Also kein Dominus Deus dazwischen. War das früher so üblich?
Ja, durchaus. Vor allem das Credo wurde gerne mal gekürzt. Deshalb gab es sogar Freimaurer-Verschwörungstheorien Mozart und Schubert gegenüber. Aber nicht nur das Weglassen wurde gerne prakiziert. Auch das Ergänzen, will heißen: Tropierung. Z. B. gibt es schon Belege aus dem 8. Jahrhundert, wo man nach jedem Satz des Glorias eine Zeile mit einem Marienlob einfügte. Diese Mißbräuche sind früh verurteilt, aber spät eingestellt worden.
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civilisation
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von civilisation »

@ cantus planus

Gerade kommt mir noch in dem Zusammenhang von "Auslassungen" was anderes in den Sinn.

In zwei Aufnahmen mit "Kartäuser-Gregorianik" (= ich schreibe das mit Anführungszeichen, denn das ist nicht ganz korrekt) aus der Großen Kartause und der Marienau wird auch das Salve Regina gesungen:

Salve Regina, misericordiae, [mater ist ausgelassen]
Vita dulcedo, et spes nostra, salve.
Ad te clamamus, exules filii Hevae.
Ad te suspiramus, gementes et flentes
in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, Advocata nostra, illos tuos
misericordes oculos ad nos converte.
Et Jesum benedictum fructum ventris
tui nobis post hoc, exsilium ostende
benignum. O clemens! O pia! [benignum ist Hinzufügung]
O dulcis Maria. [Virgo ist ausgelassen]

Da gibt es Unterschiede (oben in Rot vermerkt) zum Salve Regina wie es sonst nach dem römischen Ritus üblich ist:

Salve, Regina,
mater misericordiae;
vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus, exsules filii Hevae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria.

Weißt Du u.U. näheres dazu? - Eigenliturgie evtl?

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cantus planus
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von cantus planus »

Ja. Eigenliturgie. Die Zisterzienser hatten (haben) einen eigenen Choral, die Prämonstrater auch. Über die Kartäuser kann ich jetzt nichts Konkretes sagen, wie ich überhaupt mit den Choraleigenheiten der Orden wenig vertraut bin, aber es würde mich wundern, wenn es da keine Eigenentwicklung gegeben hätte.

Man muss bedenken, dass es - trotz allem beklagenswerten Wildwuchs - nie zuvor in der Kirchengeschichte eine solche liturgische Uniformität gab, wie seit dem II. Vaticanum.
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civilisation
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von civilisation »

cantus planus hat geschrieben:Ja. Eigenliturgie. Die Zisterzienser hatten (haben) einen eigenen Choral, die Prämonstrater auch. Über die Kartäuser kann ich jetzt nichts Konkretes sagen, wie ich überhaupt mit den Choraleigenheiten der Orden wenig vertraut bin, aber es würde mich wundern, wenn es da keine Eigenentwicklung gegeben hätte.

Man muss bedenken, dass es - trotz allem beklagenswerten Wildwuchs - nie zuvor in der Kirchengeschichte eine solche liturgische Uniformität gab, wie seit dem II. Vaticanum.
Eigenliturgie war auch mein erster Gedanke, denn die "ersten Kartäuser" haben ja das übernommen, was sie am Gründungsort vorgefunden haben. Warum nicht auch diverse Gebete?

Ganz im Gegensatz zu dem heute geposteten Bild in einem anderen Thread hier. Ich habe irgendwo in den Tiefen meiner Festplatte den Aufsatz über die heutige Messliturgie der Kartäuser vergraben, finde ihn jedoch nicht mehr, um mich dazu zu äußern. :schmipf_über_mich_selbst:

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Niels
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von Niels »

civilisation hat geschrieben:Salve Regina misericordiae
Ist das nicht die ursprüngliche Fassung (wenn ich mich recht erinnere, wurde die "mater" erst später eingefügt)?
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cantus planus
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Re: Der Hl. Papst Pius X. und die Kirchenmusik

Beitrag von cantus planus »

Es gab beide Varianten. Einige Abweichungen haben sich erstaunlich früh entwickelt, während andere Dinge gleichzeitig erstaunlich lange parallel liefen.
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