Lutheraner hat geschrieben:Evagrios Pontikos hat geschrieben:Die Kritiker des Zölibats, aus der Westkirche wie auch aus der Ostkirche, sollten folgendes bedenken:
1. Schon in der Alten Kirche war es unbestritten, dass ein Kleriker vor seiner Priesterweihe heiraten musste und beim Tod der Ehefrau nicht mehr heiraten durfte. Insofern hatten schon in der Alten Kirche der Klerikerstand eine deutliche Neigung hin zur zölibatären Lebensform. Das übrigens mit dem nicht mehr heiraten Dürfen galt offenbar schon in neutestamentlicher Zeit, wenn es vom Bischof heißt, dass er "Mann einer einzigen Frau" sein müsse (1 Tim 3,2). Hier ist nicht die Polygamie gemeint, sondern die Wiederheirat nach dem Tod der ersten Ehefrau.
Diese Interpretation erschließt sich mir nicht. Dann hätte auch niemand Bischof werden können, der vor seiner Weihe als Witwer erneut geheiratet hatte?
Wie verstehst Du es dann, dass schon in der Alten Kirche völlig unbestritten war, dass ein Kleriker (egal ob Priester oder Bischof) nicht mehr heiraten durfte, wenn seine Frau starb? Offenbar verstand die Alte Kirche diese Stelle also in dieser Weise.
Und dann: Es ist die Auslegung der Stelle, die Tertullian bezeugt, also eine sehr gewichtige Stimme des sehr frühen Christentums, nämlich des 2. Jahrhunderts, Zeuge der römischen Tradition und als Katechetenlehrer um treue Weitergabe der apostolischen Lehre bemüht. Allerdings geht er dann in seinem (montanistischen) Übereifer weiter, indem er das Wiederverheiratungsverbot per Analogieschluss auch auf die Laien übertragen will.
Jürgen Roloff (Der erste Brief an Timotheus, Evangelisch-katholischer Kommentar, XV; gilt heute als das Standartwerk zum Brief schlechthin) diskutiert in seiner Auslegung die vier in der Exegese vertretenen Deutungen der Stelle. Ich stimme ihm zu, wenn er eine antizölibatäre (d.h. Bischöfe müssen eine normale, der bürgerlichen Vorstellung der Umwelt entsprechende Ehe führen) und eine gegen die Wiederheirat Geschiedener gerichtete Auslegung der Stelle verwirft (denn das verbietet Jesus und Paulus allen Christen). Allerdings stimme ich ihm nicht zu, dass die Stelle gegen die Polygamie gerichtet wäre. Die Ablehnung der Polygamie war für die neutestamentliche Kirche immer unumstritten.
Wenn wir tatsächlich glauben, dass die Alte Kirche in der Kontinuität mit der Kirche neutestamentlicher Zeit steht (was Roloff in dieser Weise eben nicht tut, und das ist seine exegetische Prämisse), dann muss man Tertullian zugestehen, dass er hier die apostolische Tradition vertritt, wenn er 1 Tim 3,2 in der von mir dargestellten Weise auslegt. Im Übrigen finden sich für die drei anderen Deutungsvarianten, die in der heutigen Exegese vertreten werden, keine altchristlichen Zeugen, wennn ich Roloffs Fußnotenwerk zu diesen Deutungsvarianten richtig lese.